Nr. 101. 33. Mraang.
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Reichstag. 43. Sitzung, Montag, den 10. April ISIS, nachmittags 3 Uhr. Am BundeSraiZtischc: Wild von Hohenborn, H e I f f e r i ch. Zunächst wird auf Antrag der GeschäftSordnungskommission dw Genehmigung zur Einleitung von Privatllage respektive Strafverfahren gegen den Abg. Wald- st e i n sVp.) versagt. Ts folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs über Kapitalabfindung an Stelle von Kriegsversorgung. Kriegsminister Wild von Hohenborn: Es ist das erslemal, daß ich als preußischer Kriegsminister die Ehre habe, au Jbren Beratungen teilzunehmen, nachdem ich bisher durch dienstliche Täligkeit im Großen Hauplquarlier und an der Front daran gehindert wurde. Es liegt vielleicht die Erwartung nahe, daß ich mich über unsere militärische Lage äußere, ich glaube aber davon Abstand nehmen zu können und Rücksicht auf die lürzlichen Darlegungen des Reichskanzlers und auf die Veröffent- lichungen der Obersten Heeresleitung, die Sie und das ganze Volk in die Lage setzen, die gute Entwicklung unserer militärischen Lage out allen Fronten selbst zu verfolgen. Diese Veröffentlichungen der Obersten Heeresleitung sind zwar kurz, soldatisch knapp abge« faßt, ober sie sind im Gegensatz zu denen unserer Gegner stets wahr<Sehr gut!), denn der siegreiche Mann braucht nicht zu be« schönigen. DaS lehrt ein Blick auf die Landkarte und das winen auch unsere Feinde, auch wenn sie es nicht zugestehen wollen. Daß wir weiter siegreich und bis zum glorreichen Ende rest» los siegreich sein werden, dafür birgt uns der Heldenmut, der einheitlich geschlossene Wille und die überlegene sittliche Kraft unseres Volkes sBravo!), und weiter das Vorhandensein von allem und jedem, was wir zur weiteren Fortführung des Krieges bedürfen. sBravo!) Das. was wir in der letzten Zeit erlebt haben, die Zurückweisung der russischen Ossensive und unsere Kämpfe bei Verdun , das sind nicht, wie unsere Gegner zu glauben vorgeben, die äußersten An- slrengungen einer erschöpften Nation, sondern das sind Hammerschläge eines mit Men'chennerven und ollen Hilfsmilteln versehenen kräftigen gesunden und unüberwindlichen Bolksheeres.(Lebhafter Bei« fall) Hammer schlage, die sich wiederholen werden, bis die anderen mürbe sind.(Bravo ! rechts.) Für dies Ziel alles, was ich kann, einzusetzen, das verspreche ich hier vor dem Lande.(Bravo !) Ich möchte aber nicht in den Fehler meiner Minislerkollegen im Aus« land verfallen und allzuviel von zukünftigen und verflossenen Siegen reden. Mit Kriegsminister-Siegesreden wird dieser Krieg nicht beendet werden(Sehr gut!), sondern mit starken Schlägen draußen und mit dem starken Willen durchzuhalten daheim. Hundert Meter genommener Schützengraben sind mir lieber als die schönsten Reden in Paris oder London. (Heiterkeit.) Nur ein kurzes Wort über das Durchhalten. Für die Krieg- führung draußen, zu dem Vorwärtsdrängen unserer Leute paßt es nicht. Wir wollen mehr, wir wollen eine siegreiche Entscheidung erzwingen. Aber für daheim gilt eS, und die Armee kann nur das Höchste leisten, wenn zu Hause durchgehalten wird und wenn auch zu Hause alles pro pntm(fürs Vaterland) steht. Für dies Durchhalten da- beim erscheint es mir Pflicht, den Dank der Armee dem deutschen Volke auszusprechen. Die Armee weiß, daß es die Heimat schwer hat, daß die Minderbemittelten mit schweren Sorgen zu kämpfen haben, daß manche? Lebensmittel nicht gerade in Fülle vorhanden ist. Freilich, �dcr Aushungerungsplan, dieser Licblingsgedanke unserer sreundtichen Slammesvellern wird zunichte werden. Noch niemals ist unter Kulturnationen ein Kampf, der zwischen den Heeren auSgesochten wird, in so verbrecherischer Weise auf das Leben von Frauen und Kindern übertragen wie seitens England gegen unser Volk; Gottlob vergebens. Wir haben noch zu viel Hilfsmittel, unser Wille ist zu scharf, als daß diese Hoffnung Englands sich je verwirklichen könnte. (Bravo.) Ich wüßte lein Beispiel, wo Volk und Heer so gemeinsam gekämpft haben. Das ist ja gerade das Erhebende dieser Zeit. tBravo.) DaS stille Heldentum der Heimat ist nickt minder zu bewerten als die Leistungen des HeereS und für diese Entsagung?- freudigkeit und Willensstärke unserer Heimat sagt daS Heer seinen Dank.(Bravo.) Gestützt auf die Heimat wird das Heer auch weiter sein Alles hingeben für des Landes Wohl, für die Heimat, für HauS und Hof. für einen Frieden, der den gebrachten Opfern entspricht und unsere Enlelkinder in alle Zukunft gegen derartige Ileberfälle, wie wir sie erlebt haben, sichert.(Bravo !) Es ist die Signatur dieses Krieges, daß alle Entscheidungen langsam reisen, langsam, aber sicher. Der volle Sieg wird kommen. Wann, kann niemand sagen, aber daß er kommt, des sind wir sicher.(Lebhafter Beifall.) Was nun die Vorlage anlangt, so ist sie ein Ausfluß der vaterländischen Pflicht, für die Opfer des Krieges zu sorgen. Der Anregung des Reichstags sind wir gern gefolgt. Es können danach Personen, die Anspruch auf Kriegsversorgung haben, auf ihren Antrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grund- besitzss durch Zahlung eines Kapitals abgefunden werden. Die Gefahr eines Verlustes des Kapitals ist bei der Beschränkung der Abfindung auf eigene Heimstätten sehr gering. Die Kriegs. beichäoiglen werden in der Landwirtschaft tätig sein können, und eS erscheint mir ein fruchtbarer Gedanke, daß nach dem Scheitern der Pläne unserer Gegner gerade unsere Kriegsteilnehmer zur ver- mehrung unseres Obst- und Gemüsebaues beitragen werden.(Bravo ! rechts.) Den Wünschen des Reichstag? entsprechend ist auch eine Abfin- dung bei Witwen vorgesehen. Von deren Wiedererstattung im Falle einer Aiederverheiratung unter Umständen abgesehen werden kann. Das Gesetz sielll einen Dank an unsere Truppen dar und wird dem gesamten Baierlande zum Segen gereichen.(Lebhaftes Bravo.') Abg. Hofrichter(Soz.): Tie Fürsorge für die Kriegsbeschädigten, die Kriegswltwen und die zurückkehrenden Krieger betrachten wir als eine d e r v o rnehmsten Pflichten des Reiches und der ersten Maxuabme, die dieses Gesetz darstellt, müssen weitere folgen. Die Kriegsbeichädigten dürfen nicht auf Wohltaten angewiesen werden. ES hat mich mir Bcfrietiaung eriüllt, daß der Kriegsininister den Entwurf als eine der Maßnahmen der Fürsorge für die Kriegsbeschädigten bezeichnet hat, ich glaube daraus schließen zu dürfen, daß weitere Maßnahmen folgen werden.(Zu- stlmmung bei den Sozia ldemolraien.) Der Gedanke, die Kriegs- beschädigten auf dem Lande setzhaft zu machen, ist von ver- schiedcnen Seiten in geradezu schwärmerischer Weise propagiert worden. Freilich haben es einsichlige Sachverständige den Illusionen gegenüber an Warnungen nicht fehlen lassen. Bei der Schwierigkeit der Sache muß man mit ruhigster, nüchternster Ueber- legung an die Sacke herantreten. Wenn z. B. ein Ansiedler sich auf einer solchen Ansiedlung nicht halten kann, kommt er in eine sehr schlimme Lage, weil er ja einen Teil seiner Rente verloren hat. Ich will auf Einzelheiten jetzt nicht näher eingehen, daS wird in der Kommission geschehen, an die ich den Entwurf zu ver- weisen bitte.(Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Lieschiug(Vp.) drückt seine Sympathie mit dem dem Gesetz zugrunde liegenden Gedanken aus.'
Abg. Dr. Paasche(natl.) schließt sich dem Vorredner an; namentlich sei zu begrüßen die Ver- Pflanzung der Kriegsbeschädigten aufs Land. Beim Steigen der Pretie der Lebensmittel würde man dann nicht behaupten können, die Rente reiche nicht aus. Hoffentlich wird es gelingen, das Gesetz in der Kommission recht bald zu verabschieden.(Bravo ! bei den Nationalliberalen.) Abg. Giesberts(Z.): Der freudige Widerhall, den der Entwurf bei allen Parteien gefunden hat. mag unseren Kriegern draußen die Gewißheit geben, daß man ihrer in der Heimat gedenkt. Der Grundgedanke des Ge- tetzes geht von der Heimstättengesetzgebung auS, und die Schaffung von Kriegerheimstätten wird eine erhebliche Wirkung auf die oll- gemeinen Wohnungsverhältniffe ausüben. Aus die Einzelheiten des Gesetzes wird am besten in der Kommission eingegangen werden. Abg. Graf Westarp(f.): Die Mitteilungen des KriegsministerS über den erfreulichen Geist des HeereS werden hier ein dankbares Echo finden. Für die Kriegs- beichädigten wird eS die Hauptsache sein, daß sie das Gefühl der Sicherheit erhalten und nicht stets in Furcht leben, daß ihnen die Rente gekürzt wird.— Ter Vorlage selbst stimmen wir freudig zu und werden gern an ihrer weiteren Ausgestaltung im Interesse unserer wackeren Kriegsbeschädigten mitarbeiten. Möge die Kommission schnell, gründlich und wirksam arbeiten.(Bravo l) Abg. Behrens(Wirtsch. Vgg.) stimmt der Vorlage ebenfalls zu. Abg. v. Trampzynski(Pole): Wir halten eine Kommissions- beratung des Entwurfs für dringend notwendig, damit Sicherungen dafür getroffen werden, daß bei der Durchführung des Gesetze? ge- recht nach allen Richtungen verfahren wird. Abg. Henke(Soz. Arbg.): Nach unserer Anffassung hat zu dem Gesetzentwurf nicht das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber den Kriegsbeichädigten geführt, sondern eS stecken hinter dem Gesetzentwurf ganz andere materielle Interessen. Die Herren von den bürgerlichen Parteien die sich so lobend über den Entwurf ausgesprochen haben, mögen ja des Glaubens sein, daß die Vorlage aus dem guten Herzen der Re- gierung kommt, aber wenn wir uns die Wirklichkeit ansehen, so finden wir, daß der Entwurf die Wirklichkeit gegen sich hat.� Die Statistik zeigt, daß alljährlich viele Taufende vom Land in die Städte flüchten, daß sie also ein Haar in dem gefunden haben, was dieser Gesetzentwurf jetzt vielen ermöglichen will.(Sehr wahr! bei der Soz. Arbg.) Man will zweifellos mit diesem Gesetzentwurf ein Anwachsen der Sozialdemokratie nach dem Kriege verhüten.(Lachen rechts.) Stach dem Kriege werden sehr viele Menschen diese lleberzeugung teilen. Heute ist es für manchen nur nicht zweckmäßig, das zu sagen. Wenn es im Gesetzentwurf heißt, daß die oberste Militärbehörde darüber entscheiden soll, wem auf Antrag eine solche Kapitalabfindung zugesprochen werden kann, so muß man doch be- denklich werden. Die oberste Militärbehörde kann nicht überall sein— ich habe vor ihr die schuldige Hochachtung— sondern es sind die unteren örtlichen Beamten, die über den Leumund des An- tragstellerö ihr Urteil abzugeben haben.(Sehr wahr! bei der Soz. Arbg.) Und was dabei herauskommen wird, darüber sind wir nicht im Zweifel. In einer Schrift über die Renten güter heißt es, man müsse daraus Gewicht legen, daß die betreffenden Leute nüchtern, sparsam, gesund, zuverlässig und von vaterländischer Ge« s i n n u n g sind.(Hört I hört! bei der Soz. Arbg.) Vor allem müssen sie auch Frauen haben, die über dieselben Eigenschaften ver- fügen.(Hört! hört! bei der Soz. Arbg.) Heute werden wir ja alle als vaterländisch angesehen, aber ob diese Gesinnung auch nach dem Kriege noch jedem zugestanden werden wird, ist eine andere Frage. Wir Sozialdemokraten haben da so böse Erfahrungen gemacht, daß wir sie nicht vergessen sollten.(Sehr wahr! bei der Soz. Arbg.) Die Gefahr ist sehr groß, daß mancher Vermögende, der bei den unteren Beamten in gutem Ruf steht, die Kapital- abfindung bekommt, während mancher arme Teufel, der die Summe sehr nötig hätte, leer ausgehen wird. In diesem Sinne muß in der Kommission darauf hingewirkt werden, daß eine oberste Spruchbehörde eingesetzt wird, die über die Anträge zu entscheiden hat. Es müßte auch im Entwurf nicht heißen, daß eine solche Kapiialsabfindung auf Antrag bewilligt werden kann, sondern be« willigt werden muß. Man soll nicht nur über die Rentenpsychose reden, sondern auch untersuchen, wie sie entsteht. Wie oft kommt es heute vor, daß es einem armen Teufel nicht gelingr, in den Besitz einer Rente zu gelangen.(Sehr lvahr l bei den Sozialdemokraten.) Die Kriegsgeietzgebung zeigt merkwürdig entgegengesetzte Tendenzen. Durch die Tabaksteuer wird einer ganzen Reihe kleiner Existenzen ver Boden abgegraben, hier soll die Existenz von Leuten, die einen unsicheren wirtschaftlichen Boden unter den Füßen haben, befestigt, werden. Da muß man sich doch fragen, was zu dem einen oder anderen geiührl hat. Ich muß wiederholen: Zu diesem Gesetz- entwurf haben wesentliche materielle Interessen geführt, und da soll man nicht kommen mit Redensarten von der Dankbarkeit des Vaterlandes.(Unruhe.— Präsident Dr. Kaempf ruft den Redner zur Ordnung.) Einer der wesentlichen Gründe, die zum Gesetz ge- sührt haben, ist offenbar, daß man Arbeitskräfte auf dem Lande braucht. Wir lasten uns nichts vormachen von Leuten, die ein Jnteresie daran haben— natürlich außerhalb dieses Hauses. Hier gibt es solche Leute nicht. Zweifellos besteht eine große Landflucht. Daß mit diesem Ge- setzeniwurf der sogenannte Landhunger befriedigt werden soll, daran glaube ich nicht. Man hat die Hoffnung an den Entwurf geknüpft, eS Werdegelingen, 70- bis 100000 Kriegsbeschädigte mit eigenem Land zu versehen. Aber die Ansiedlungskommission in Preußen hat in ihrer jahrelangen Täligkeit, in einem ganzen Menschenalter, nur 20 000 solcher kleinen Ansiedelungen schaffen können. Die Zahl der selb- ständigen kleinen ländlichen Betriebe nimmt nicht zu, sondern ab. Die Tendenz des Gesetzentwurfes geht also gegen die Tendenz der Wirt« schaftlichen EntWickelung. DaS Gesetz mag von schönen Gefühlen getragen zu sein, paßt aber nicht zu den harten Tatsachen. Ich bin überzeugt, daß man in diesen Renteneigentümern und ihren Kindern sich nur die Arbeitskräfte schaffen will, die man nicht hat, und ich fürchte, daß so mancher Kriegsbeschädigte späler sagen wird: Hol der Teufel solche« Dank deS Vaterlandes! Wenn es von mir und meinen Freunden abhinge, würde der Entwurf nicht Gesetz werden. Aber man macht ja gerade gegenwärtig solche Gesetze mit Bor- liebe, und so werden wir uns in der Kommission wenigstens abmühen, aus ihm so viel Vernünftiges zu machen wie möglich. Freilich ist die Tendenz deS Gesetzes, eine große Anzahl Kriegs- beschädigter an die Scholle zu fcsteln und in ihren Nachkommen den Großgrundbesitzern billige Arbeitskräfte zu verschaffen. Der Gesetzentwurf und die hier gehaltenen Reden sind eine wahre Parodie darauf, daß die Krieger draußen nichts vom Baterland ihr eigen nennen. Dabei muß ihre Vaterlandsliebe zum Teufel gehen. (LebbaftcS Bravo! be! den Soz. Arbg .) Ein Antrag auf Schlutz der Debatte wird angenommen. Abg. Dr. Liebknecht(wild) verlangt das Wort zur Geschäfts- ordnung. Pläsident Dr. Kaempf: Angesichts der Vorkommniste der letzten Wochen, daß Sie das Wort zur Geschäftsordnung benutzen, um... (Abg. Liebknecht: Die Wahrheit zu sagen. Rufe rechts: Schnabel halten! und große Unruhe, in der die nächsten Worte des Präsi- deuten verloren gehen) kann ich Ihnen das Wort zur Geschäfts- ordnung nicht geben. Abg. Ledrbour(Soz. Arbg.) meldet sich zur Geschäftsordnung und erhält das Wort ebenfalls nicht.(Rufe bei der Soz. Arbg.: Sie haben Angst vor der Wahrheit! Der tapfere Deutsche Reichs- tag! Der liberale Reichsiagspräsident! Gegenrufe rechts: Halten Sie den Mund! Halten Sie das Maull Andauernde Unruhe.) 1 Der Gesetzentwurs wird an die Budgetkommission überwiesen.
Djenstas. U. M 1916. 1« II IIIWII I I ES folgt die Beratung des Gesetzentwurfs betr. die Altersrente und die Waisenrente in der Invaliden« Versicherung. Ministerialdirektor Caspar empfiehlt den Entwurf, der die Be- rechtigung zum Bezug der Allersrenle vom 70. auf das 63. Lebensjahr herabsetzt und eine kleine Verbesserung der Waisenbezüge �bringt, die zwar zurzeit von untergeordneter Bedeutung sei, nach längerer VersichcrungSdauer aber für die Versorgung einer größeren Anzahl von Waisen von wirtschaftlichem Werie sei. Abg. Molkenbuhr(Soz.): Mit der Herabsetzung der Altersgrenze sind wir einverstanden. Schon bei der Reichsversicherungsordnung beantragten wir sie, dach wurde der Antrag damals abgelehnt, weil man glaubte, er führe zu einer erheblichen Belastung des Reiches und der Versicherungsteil- nehmer. In der Denkschrift vom Dezember vorigen Jahres wird jetzt zum ersten Male amtlich zugegeben, daß auch die Versicherungs- Mathematiker irren können. Dieser Jrrlum ist aber um so unverzeihlicher, weil bei der Ausarbeitung der Begründung der Reichsversicherungsordnung die Resultate der Berufs- zählungen und das Karlenmaterial mehrere Jahrzehnte be- reits vorlagen. Immerhin ist es zu begrüßen, daß der Fehler jetzt endlich ausgeglichen wird. Trotzdem beantrage ich, die Vorlage an eine Kommission zu verweisen, weil die in ihr enthaltene Reform der Waisenrente einer gründlichen Erörterung bedarf. Wiederholt habe ich daraus hingewiesen, daß nian den Whweu und Kindern höhere Renten geben könne, weil in der Begründung der Reicks« Versicherungsordnung die verfügbaren Mittel als zu niedrig, die Zahl der Waisen dagegen dreimal zu hoch berechnet worden ist. Wie groß der wirtschaftliche Wert, der in der Begründung der Vor- läge bei der Erhöhung der Renten für die Zukunft in Aussicht gestellt ist, in Wirklichkeit ist, kann man ermessen, wenn man einmal berechnet, was die Leute im Beharrungszustand erhalten.— Der Redner geht ausführlich aus die Berech« nungen der Renten für die verschiedenen Lohnklassen bei der Begründung der Reichsversicherungsordnung ein und fährt fori: Man hat also mit geradezu phantastischen Ziffern bei den Waffen gerechnet. Wir können uns glücklich preisen, daß wir so viel Waisen mcht haben. Wenn wir das Geld, was als wahrscheinliche AuS- gäbe in Rechnung gesetzt ist, wirklich an die Waisen auszahlen, dann kann die Lage der Wilwen und Waffen erheblich ausgebessert werden. Der Mangel, den man an dem Gesetze aufgedeckt hat und unter dem die Hilflosesten und Aermsten leiden, sollte sosorl be« seitigt werden. Wir können eine wirkliche Reform der Waisen- Versorgung vornehmen, weil wir die Tragweite vollständig über« sehen können. Ein schleuniges Vorgehen ist geboten, denn können wir nur eine Anzahl Kinder vor frühzeitigem Tod oder Verkümmerung durch Unterernährung retten, so sollten wir das für eine der vornehmten Aufgaben der Gegenwart betrachten. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Nur durch Kinderichutz und Kinderpflege kann ein Teil der Verluste des Schlachtfeldes aus- geglichen werden. Die Vorlage ist kleinlich, denn rund 400 000 jetzt vorhandenen Waisen will sie die kärgliche Aufbesserung von 2 M. bis 2,30 M. nicht geben. Es ist gar nicht einzusehen, warum bei den bis zum 81. Dezember 1915 festgesetzten Renten ein anderer Maßstab gelten soll als bei den am 1. Januar 1916 festgesetzten. Em erhöhter Beitrag kommt dabei nicht in Frage, da ja die Bei« IragSerhöhung erst am 1. Januar 1917 eintreten soll. Die Finanzlage der Versicherungsträger muß nach dem Kriege nachgeprüft und wahrscheinlich muß die ganze Arbeiter« Versicherung einer Reform unterworfen werden, denn die Renten müsien der völlig veränderten Kaufkraft des Geldes angepaßt werden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) /Bei der Invalidenversicherung treten noch weitere Momente hinzu. Millionen Versicherter haben jahrelang dem Vaterland als Soldaten gedient und dabei keine Beiträge geleistet und Rechte erworben, durch die Strapazen des Krieges aber ist ihre Gesundheit schwer geschädigt. Für Heilverfahren und Invalidenrente werden daher erheblich höhere Summen beansprucht werden, als ohne Krieg erforderlich gewesen wären. Um dieses Manko zu decken, werden besondere Maßnahmen nötig sein, man soll dazu aber nicht die Mittel der Waisen nehmen. Der Ausbau der Waisenversicherung ist vielmehr eine der notwendigsten Aufgaben der nächsten Zukunft.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Ein Regierungsvertrcter kritisiert einige Zahlen des Vor« redners und verweist im übrigen auf die Kommissionsverhandlungen. Abg. Büchuer(Soz. Arbg.): Die Herabsetzung der Altersrente auf das 63. Lebensjahr ist eine der dringendsten Reformen und hätte schon längst eingeführt werden müsien. Der Schreckschuß, der von dem Staatssekretär des Innern hier abgefeuert wurde, daß diese Herabsetzung zirka 9 Millionen jährlich kosten würde, trifft nach der uns 19l5 zu- gestellten Denkschrift nicht zu. Danach ist nur ein Reichszuichuß von ca. 5 Millionen notwendig. Zutreffen wird, daß auch die Leistungen der Versicherungsträger bedeutend niedriger sein werden, weil ein großer Teil der alten Leute schon Jnvalidenreniner sind und daher die Altersrente in Fortfall kommt. Wertvoll ist. daß man die Uebergangsvorschristen des Artikels 65 deS Einführungsgesetzes zur Invalidenversicherung in dem Entwurf geändert hat. Man hat so verhütet, daß wieder einem Teil der alten Leute, welche bei Jnkraftreten der Invalidenversicherung nicht genug Marken ge« klebt hatten, die Rente verweigert wird. Nach dem jetzigen Ent- wurf sollen denen, die 1890 schon 33 Jahre alt waren, für jedes Jahr 40 Beilragswochen angerechnet werden, damit sie früher in den Genuß ihrer Rente gelangen. Unerfreulich ist in dem Eni- wurf, daß die Herabsetzung der Altersrente bestraft werden soll mit einer Erhöhung der Wochenbeiträgs für jede der fünf Lohnklassen um 2 Pf. vom 1. Januar 1917 ab. DaS hat wohl niemand erwartet. Zur Beruhigung der Versicherten dient es jedenfalls nicht.(Sehr wahr l bei der Soz. Arbg.) Man begründet eS mit der Erhöhung der Waisenrente. Darüber, daß die Hinterbliebenenrente vollkommen ungenügend ist, brauche ich nicht weiter zu reden. Mehrfach ist der Nachweis erbracht, daß die Hinterbliebenenrenten in keinem Verhältnis steht zu der I9l2 erfolgten erheblichen Beitragserhöhung. Man hat die Berechnung damals zu vorsichtig im Sinne der Versicherungsträger zum Schaden der Ver- sicherten aufgestellt. Solche Schätzungen treffen nicht immer zu, wie auch die Erfahrungen bei der Waticnversicherung beweisen. Der Zugang an Waisen ist nicht in demselben Maße erfolgt, wie erwartet wurde. ES soll zugegeben werden, daß sich die Zahl der Waisen durch den Weltkrieg vermehrt. Aber das find anormale Verhältnisse, mit denen jeder Versicherungsträger rechnen muß. In solchen Fällen bat das Reich Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch die Kranken lassen werden schon jetzt durch den Krieg sehr belastet.(Sehr richtig I bei der Soz. Arbg.) Insbesondere werden die Krankenkasien»ach dein Kriege, wenn die Mannschasien krank aus dem Felde zurück- kehren, auf eine harte Probe gestellt werden. Die Zabl der Waisen Ivird in normalen Zeiten aber jedenfalls wieder zurückgeben. Sie wird nicht so hoch steigen, wie die Versicherungötechmker crnttchmett. Hier spielt auch der Geburtemiick- gang eine Rolle. Die Zunahme der Frauenarbeit in den gesund- heilsschädlichen Betrieben, der geringe Arbeiterinnenschutz und die sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse werden die Geburtenzunahme nicht fördern, ebensowenig alle Verbote der bekannten Mittel. Wundern muß man sich, daß wegen der geringen Erhöhung, die nach dem Entwurf den Waisen geboten werden soll, die Beiträge er- höht werden. Die Summe, die gegeben werden soll, ist ganz minimal und unzulänglich. Sie macht' für jedes weitere Kind nach dem ersten noch nicht 10 Pf. pro Tag auS. Vor allem sollte die geringe Erhöbung, die einiriit, allen Waisenkindern zugute konimen, und nicht erst sür die nach dem 1. Januar 1916 geborenen. Wenn mau