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Beilage zumVorwärts " Berliner Volksblatt. Nr. 94. Dienstag, den 24. April 1894. 11. Jahrg. Pnefctnarfmdilcn. Ter diesjährige Parteitag kann nicht, wie dies ttr- fprünglich beabsichtigt und voriges Jahr in Köln auch beschlossen worden war, in Nürnberg stattfinden. Die bayerischen Ver- waltungsbehörden belieben nämlich in der gesammten sozial- demokratischen Partei nur e i n e n V e r e i n zu erblicken. Diese Auslegung bietet den Vortheil, daß»Frauenspersonen und Minderjährige" den Versammlungen der sozialdemokratischen Partei fern bleiben müssen. Es könnten also, wenn unser Parteitag innerhalb der blauweißen Grenzpfähle stattfände, iveib- liehe Delegirte auf demselben nicht erscheinen. Unter diesen Umständen beschloß die Reichstagsfraktion in ihrer letzten Sitzung, von der Berufung des Parteitags nach Nürnberg endgiltig abzusehen. Bei der Auswahl des neuen Ortes wurden wieder dieselben Städte genannt, unter denen schon in Köln die Auswahl getroffen werden mußte. Stuttgart Leipzig . Breslau und Frankfurt a. M. Mit Rücksicht auf die passendere geographische Lage entschied sich die große Mehrheit für Frankfurt . Ueber die Zeit, wann der Parteitag stattfinden soll, wurde nichts festgestellt, doch dürfte derselbe, wenn nicht unvorher- gesehene Ereignisse eine Veränderung nothwendig machen, nicht vor den Herbstmonaten berufen werden. Unser Frankfurter Parteiorgan»Die Volksstimme" begleitet die Mittheilung des Frakzionsentscheides mit folgenden Worten: Den hiesigen Genoffen ist damit die schwere aber ehrenvolle Aufgabe zugewiesen, die nöthigen Vorbereitungen für die Abhal tung des Parteitags zu treffen. Unsere Genoffen werden aber auch bei dieser Gelegenheit zeigen, daß sie, wenn es im Interesse unserer guten Sache zu handeln gilt, voll und ganz aus dem Posten sind." Sozialdemokratische Kandidatur. Die Vertrauensmänner des 23. sächsischen Reichstags-Wahlkreiscs, Plauen -Oelsnitz, haben beschlossen, zur bevorstehenden Nachwahl in dem Kreise den Ge noffen Albin Gerisch aus Berlin als Kandidaten aufzustellen. In mehreren Wählerversammlungen ist die Kandidatur bereits proklamirt worden. Gerisch, welcher aus dem sächsischen Vogt land stammt, er ist in dem zum 22. Wahlkreis gehörigen Dorfe Rautkranz geboren, hat bekanntlich bereits bei den letzten all gemeinen Wahlen in Plauen sich mit großem Erfolge um das Mandat beworben. Wollen wir hoffen, daß bei der Nachwahl in dem seit Jahren schon heftig umstrittenen Kreise der Sieg sich an die Fahnen unserer Partei Heftel. Der Bierboykott in Barmen hat mit einem voll ständigen Sieg der Arbeiterschaft geendet, nachdem er beinahe fünf Monate gedauert. Die Boykottkommission erhielt am 20. d. M. folgendes Schreiben: In der Anlage überreiche ich ein Schreiben des Herrn G.Dierichs, woraus Sie ersehen, daß Ihnen das Zentralhotel binnen kurzem zur Verfügung steht und bitte im Interesse der boykottirten Wirthe, daß der Boykott bis Sonntag aufgehoben wird und zeichne in dieser Erwartung mit tc. Das betreffende Schreiben an die Anti-Boykottkommission lautete: Ich nehme Bezug aus unsere mündliche Unterhandlung und zeige Ihnen hiermit an, daß ich mich mit dem Restaurateur Herrn Karl Schemann bezüglich des Zentral. Hotels dahin ge- einigt habe, daß derselbe bis Mitte Mai dieses Jahre» auszieht. Gleichzeitig erkläre ich, daß ich das Lokal, sobald Herr Schemann ausgezogen sein wird, allen Parteien ohne jede Ausnahme gleich- mäßig zur Verfügung stelle, wobei nur die Priorität des Antrags entscheidet, und daß ich auch dem zukünftigen Anmiether des Zentral-Hotels dieselbe Verpflichtung auferlegen werde. Mit Hochachtung Gustav Dierichs. Damit war die seiner Zeit zum Boykott geführte Ursache beseitigt und die von der Boykottkommission einberufene, von etwa 1000 Personen besuchte Versammlung beschloß die Auf- Hebung desselben. »» Die Landeskonferenz der Parteigenossen Nordböhmens, welche am S. April in Reichenberg i. B. stattgefunden, war von mehr als 100 Delegirte» beschickt. Tie Einnahme und Aus­gabe betrug 1d97 Gulden. Zum PunktMaiseier" wurde folgende Resolution angenommen:Die Genossen verpflichten sich, mit ollen Kräften für die Feier am 1. Mai durch Arbeitsruhe zur Erringung des Achtstundentages und des allgemeinen, gleichen und direkte» Wahlrechtes und der internationalen Völkerver- brüderung einzutreten." Nach langer Diskussion wurde die TcplitzerVolksstimme" als Partei-Organ anerkannt, jedoch gleichzeitig beschlossen, falls Genossen ohne Zustimmung der Organisation ein neues Blatt gründen, gegen dasselbe Stellung zu nehmen. Nachdem noch einige Partei-Angelegenheiten ihre Erledigung gefunden, wurde die Konferenz, welche von einem stetigen Fortschreiten der Partei in Böhmen Zeugniß gegeben, geschlossen. »« Maifeier. Ein reichhaltiges Programm haben zur Mai- feier die Baseler Genoffen aufgestellt. Am 30. April Mittags und Abends sollen Flugblätter zur Vertheilung kommen. Am 1. Mai MoraenS 3 Uhr findet Reveille statt und um 1 Uhr ziehen die Festtheilnehmer vom Marktplatz aus mit Musik durch die Stadt nach dem Festplatz. Die Festrede am Nachmittag aus dem Festplatz hält Genosse Lang aus Zürich , die am Abend im Lokale in der Stadl der Genosse Greulich-Zürich. Vom Festplatz aus nach dem Stadtlokal ziehen die Vereine mit ihren Fahnen ebenfalls wieder in geschlossenem Zuge. Polizeiliches, Gerichtliches tc. Etaatsanwaltlicher als der Staats- an w alt selbst zeigte sich die Strafkammer des Landgerichts Bochum in der Sache wider den Genossen König-Wrtten. König hatte in einer Versammlung am I. Juni v. I. ein Hoch auf dierevoluttonäre" Sozialdemokratie ausgebracht und war deswegen angeklagt, groben Unfug verübt zu haben. Die umfangreiche Zeugenvernehmung ergab jedoch, daß sich durch das Hoch niemandbelästigt" gefühlt hatte. Nur der überwachende Beamte hatte sichbelästigt" gefühlt nur wußte er nicht recht anzugeben, weshalb. Infolge dessen beantragte der Staatsanwalt selbst aus F r e i f p r e ch u n g. Der Präsident des Gerichtshofes jedoch verkündigte nach 35 bis 40 minutenlangem Berathen die Verurtheilung Königs zu 10 M. Geldstrafe event. 2 Tage Haft. Ein Hoch auf dießrevo- lutionäre Sozialdemokratie müsse immer intensiv beunruhigend auf andere Partei-Angehörige wirken. Alle Zeugen hatten das Gegentheil ausgesagt. Gegen das Urtheil wird Revision ein- gelegt. Lxrtmles. Die Berliner Lokalkommisfion hat in ihrer letzten Sitzung beschlossen, daß, um den Raum desVorwärts" nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, fortan nur die gesperrten Lokale in Berlin und Umgegend in der Lokalliste veröffentlicht werden sollen. Im Anschluß an diese Mittheilung ersucht die Berliner Lokalkommission die Lokalkommissionen der Umgegend, die Liste der gesperrten Lokale baldigst an H. Gumpel, Weinstraße 31, 2 Treppen, einzusenden. I. A.: H. G ump el. Achtung! Auf verschiedene Anfragen geben wir bekannt, daß der Feenpalast, St. Wolfgang « und Burgstraßen- Ecke, in welchem die Genossen des ersten Berliner Wahlkreises ihre Mai- feier abhalten, zu jeder Zeit sowohl zu politischen wie gewerk- schaftlichen Versammlungen zur Verfügung steht; mithin alle Bedenken entgegengesetzter Richtung gehoben sind. Die Vertrauenspersonen des ersten Berliner Wahlkreises. DaS Chinesenthum in unserer freisinnigen Verwaltung macht derartige Fortschritte, daß der Magistrat es nunmehr schon zuOberstadtsekretären" gebracht hat. welche, nebenbei be- merkt, acht Mann stark, mit einem Anfangsgehalt von 5100 M. angestellt werden sollen. Leider haben wir nicht erfahren, wer der Mann ist, der daS scheußliche Wort erfunden hat. Rixdorfer Sonntagsbrate». Durch die bürgerlichen Blätter geht zur Zeit eine Notiz folgenden Inhalts: Die Angabe, daß Hundeschlächter in erheblichem Umfange Hundefleisch als Nahrungsmittel verkaufen, wird in weiten Kreisen des Publikums noch immer bezweifelt. Trotzdem kann die That- fache als sicher gelten und unter den Berliner Fleischern ist sie jedenfalls genügend bekannt. Vor einiger Zeit hatte ein aus diese Thatsache bezüglicher Jnjurienprozeß das Gericht beschäftigt. Einem hiesigen Fleischer hatte eine Käuferin mitgetheilt, daß ein neuer Konkurrent das Fleisch zu einem erheblich billigeren Preise verkaufe; hierauf hatte der Fleischer erwidert, es sei unmöglich, sür den angegebenen billigen Preis Fleisch zu liefern, es müßte denn geradeRixdorfer Sonntagsbraten" sein. Dem Konkurrenten wurde diese Zleußerung hinterbracht, und dieser verklagte jenen, indem er ausführte, daß die Beschuldigung,Rixdorfer Sonntags- braten" zu verkaufen, besonders schwer fei und ihn in seinem Erwerbe störe. denn sie enthalte den Vorwurf, daß der Kläger Hundefleisch verkaufe; nur in diesem Sinne sei der Ausdruck unter Fleischern und bei einem großen Theile des Publikums gebräuchlich. Die Angelegenheit wurde damals durch einen Ver- gleich beendet. In unserem Nachbarorte Rixdorf waren aber auch thatsächlich mehrere Personen der Polizei bekannt aus Vor- destrafungen wegen Hundediebstahl. Bei den Ermittelungen hatte sich ergeben, daß sie gewerbsmäßig gestohlene und gekaufte Hunde schlachteten; über den Verbleib des Fleisches war sicheres nicht zu ermitteln; doch kam es wiederholt vor, daß Hunde, die unter verdächtigen Umständen bei solchen Personen beschlagnahmt wurden, ihnen wieder ausgeliefert werden mußten, weil der rechtmäßige Eigenthümer sich nicht meldete, und die Angabe der Hundeschlächter über den Erwerb der Thiere nicht widerlegt werden konnte." In diesem Wortlaut ist uns die Notiz in liberalen und kon- servativen Zeitungen begegnet, ohne daß in irgend einem dieser Blätter ein Zeichen von Schamröthe ob unserer Zeiten Schande vqtnerkbar gewesen wäre. Man scheint es als einengott - gewollten" und natürlichen Zustand zu betrachten, daß der Aus- gebeutete Wochentags Kartosselquark hinunterwürgt und Kartoffel- sprit dazu trinkt, wozu dann als besondere, von Recht? wegen unerlaubte Delikatesse am Sonntag der gestohlene Hnndebratcn kommen möge. Diesegottgewollte" Schattenseite des mensch- liche» Daseins erhält natürlich eine lichtvolle Ergänzung in dem Kapaunenbraten und dem Champagner des ausbeutenden Theils der Gesellschaft, der sich bekanntlich erstreckt vom nothleidendcn Agrarier bis zum Börsenganner und Fabrikbaron. Soweit ist die Sache hübsch ar- rangirt und wir finden es begreiflich, daß man sich in dieser Lage mit Gründen der Gewalt und mit Gründen der Religion sorgfältig der begehrenden Masse des Proletariats gegenüber ver- theidigt. Aber die Interessenten dieses Zustandes sollten ihre Presse doch lieber anweisen, nicht ohne Roth die Schattenseiten der heutigenGesellschaftsordnung", wie in dem obigen Artikel geschehen, vor der Welt auszudecken. Selbst die Ausrede, daß man den mit Ekel erfüllte» Interessenten nur ein die Verdauung förderndes Rülpsen habe verschaffen wollen, ist keine Ent- fchuldigung. Denn die Religion und das Achtmillimetcrgeschoß in allen Ehren, so sicher könnte das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit am Ende doch nicht in die Ewigkeit hinein stabilirt sein, daß die Millionenschaaren der Hungernden und Elenden nicht einmal nach einer anderen Losung agirten, als nach der heutigen, die da lautet: Hie Hundebraten, hie Kapannen- braten! Giebt e» doch einen Nothstand? Der Minister des Inner» hat einer Lokalkorresvondenz zufolge der Berliner Schutz- Mannschaft eine große Freude bereitet. Aus einem Fonds ist, wie gemeldet wird, den Schutzmännern am Freitag eine Theuerungsjulage gewährt worden, die sich aus 35,44 M. sür die Person belaufen hat. Es liegt wenig Konsequenz darin, daß die Unterstellten deS Polizeiministers einer Theuerungszulage für bedürftig erachtet werden, während die Post- und Eisenbahn-Unterbeamte» nach wie vor den kärglichsten Sold erhalten und trotzdem nach Aus- sage ihrer Chefs ein hochidyllisches Leben führen. Hoffentlich dementirt der Minister daher diese Nachricht. Das Geld könnte der Berliner Schutzmnnnschaft ja schließlich aus anderen Gründen, so z. B. für das tapfere Verhalten am 18. Januar als Belohnung zugewiesen werden. Unternehmerthum und Kunst. DaS alte Thema vom Unternehmerthum, das die Kunst lediglich als Spekulationsobjekt betrachtet und den ausübenden Künstler als eine Arbeitskraft, aus der ein möglichst hoher Gewinn ausgepreßt werde, erfährt eine neue Beleuchtung durch die Wirksamkeit des Direktors Dr. Oskar Blumenthal. Längst ist das Lessing-Theater, das Theater der Lebenden", wie er selber es einst taufte, zu klein und so übernimmt er vom Herbst an auch das Berliner Theater. Hüben wird er schärferen Trunk verzapfen, wie er gewissen Kreisen aus dem Thiergartenviertel besonders mundet, drüben wird er mildere, reizlose Kost verabreichen für das mehr klein- bürgerliche Familienpublikum von Süd-West. Fixigkeit ist eben keine Zauberei und künstlerische Ueberzeugungstreue steht nicht auf der Tagesordnung. Aber Herrn Blumenlhal treibt der Unternehmungsgeist selbst über die Grenzen von Deutsch - land hinaus. Nach Moskau war er mit einem Theile seiner Gesellschaft gezogen und deutsche Kunst sollte eine Kulturbrücke schlagen zwischen Rußland und Deutsch - land. So wenigstens war in einem hiesigen Börsen- und Theaterblatte zu lesen, das eine Abladestelle für die widev wärtigste Theaterreklame der Bühnenmachthaber ist. Das heuchle� rische Geschwätz von der versöhnenden Gewalt deutscher Kunst und von den ruhmreichen Erfolgen der Truppen Blumenthal's ging auch in andere Zeitungen über. Wer sollte auch durch russische Blätter des Wahren belehrt worden sein? Es war alles gelogen, wie telegraphirt. Herr Blumenthal machte sein Gefchäst- chen. das ihm vorher garantirt worden war. Im Uebrigen war die russische Presse sehr unfreundlich mit Herrn Blumenthal und seinen Truppen umgesprungen. Bon künstlerischem Erjolg konnte auch keine Rede sein, wo die Vorstellungen nicht von künstle- rischem Geiste aus und in eilfettig geschäftsmäßiger Hast geleitet wurden. Aber der künstlerische Mißerfolg stött Herrn Blumen thal nicht weiter. Er kündigte doch die letzte Sonntagsvor- stellung in seinem Theater so reklamenhaft an, als wäre er an der Spitze einer ruhmbedeckten Schaar als sieghafter Feldoberst heimgekehrt; und was das Fixeste in seiner Unternehmer- laufbahn ist: Seine Schauspieler, die zwei Tage und zwei Nächte unterwegs waren, die einen Monat schwerer Eilarbeit hinter sich hatten, die nach einer Eisenbahnfahrt von über 50 Stunden erst am Sonntag Morgen in Berlin eintrafen, mußten noch am selben Vormittag Proben abhalten und am Abend spielen, damit das Sonntagsgeschäftchen keine Störung erleide. Und solche Ausbeutung an Menschenkraft lassen sich Schauspieler bieten, weil so vielen unter ihnen noch immer nicht das Bewußtsein ihrer Kulistellung aufgedämmert ist. Geradez« miserabel ist das Pflaster in der Alten Jakob« straße zwischen Kommandanten- und Oranienstraße. Das mußte am Sonnabend Nachmittag ein armer Lehrling erfahren, der in einer der zahlreichen Untiefen stolperte und ausrutschte und ein kostbares Glas-Firmenschild im Werthe von ca. 30 M., welches er im Austrage seines Lehrherrn Schmiedel in der Roßstraße nach der Ritterstraße hinschaffen sollte, in Stücke zerbrach. Ab» gesehen davon, daß der Junge sich durch die Scherben die Hände blutig schnitt, wird er wahrscheinlich noch von seinem Meister und dem Vater eine gehörige Tracht Prügel für sein Malheur erhalten haben. Außerdem dürfte der Meister den Vater sür den durch seinen Sohn angerichteten Schaden haftbar machen, während in Wirklichkeit eigentlich der Magistrat der Haupt- und Residenz- stadt Berlin haftbar ist. der wohl für gutes Pflaster in den Prunkstraßen, nicht aber sür solches ,n den Nebenstraßen sorgt. Wichtiger aber als die Verbreiterung der Königstraße. Ver- schönerung der Schloßfayade und Erbauung eines dritten Rath- Hauses ist, namentlich vom sanitären Standpunkte, ein gutes Pflaster in sämmtlichen Straßen. Denn daß das Gegentheil, namentlich für den Gesundheitszustand schwangerer Frauen, die schlimmsten Folgen zeitigen kann und auch zeitigt, kann jeder Arzt bestätigen. RuS Argeutinie» sind am Sonntag Nachmittag, wie eine Lokalkorrespondenz berichtet, gegen 50 Auswanderer auf dem Lehrter Bahnhos eingetroffen. Die Leute haben erzählt, daß sie von Seelenverkäufern in ihrer Heimath Schlesien zur Auswande- rung verführt worden seien; in der neuen Welt wären sie dann von den Gaunern aller Habseligkeiten beraubt worden, sodaß ihnen das Dasein im Lande der Verheißung noch schlechter be- kommen sei, als das alte Hundeleben in der Heimath. Der deutsche Konsul habe sie schließlich wieder ins alte Elend zurück- expediren lassen. Ei» Mord und Selbstmord ist am Sonnabend Nach- mittag in der Hollmannstraße verübt worden. Die 35 Jahre alte Frau Anna Machota, die seit dem Jahre 1839 von ihrem Ehemann getrennt lebte, stand feit dem Monat November 1891 der Häuslichkeit des 37 Jahre alten Kellners Heinrich Hehle vor, der von seiner Ehefrau getrennt lebt und in dem Hause Holl- mannstr. 43 ein Dachstübchen nebst Küche inne hat. Obgleich der Ehemann der Machota, der Schuhmacher war und sich in Rackonitz in Böhmen in dem Schuhgeschäfte seiner verheirateten Schwester Elisabeth John aufhielt, die Schuld an der Trennung trug, so konnte er doch seine Frau nicht vergessen und machte wiederholt den Versuch, feine Gattin zur Rückkehr in sein Heim zu bewegen. Frau Machota hatte aber Furcht vor dem Wütherich, der schon während des Ehelebens mit einem Messer nach ihr geworfen hatte, sodaß dieses in einer Thür stecken blieb und weigerte sich hartnäckig, auf eine Einigung einzugehen. Die Folge vavon war, daß der verschmähte Gatte seine Frau mit Droh- bliesen überschüttete und ihr schon vor etwa zwei Jahren mitthcilte, daß er sie erschießen werde, wenn sie ihm ferner die Rückkehr versage. In dieser Absicht war er auch vor etwa anderthalb Jahren nach Berlin gekommen und hatte sich in der Nähe der damals Besselstraße 3 belegenen Hehle'schen Wohnung umhergetrieben, auch sein Vorhaben unter Vorzeigung eines Revolvers offen ausgesprochen. Dies wurde damals der Polizei hinterbracht und das 35. Revier am Belleallianceplatz nahm Machota fest. Unverrichteter Sache mußte er damals Berlin wieder verlassen. Am Freitag ist er nun wiederum hier eingetroffen und hat seine Frau aufgesucht. Diese hatte indeß dem Kellner Hehle nichts davon verrathen in der Abficht, ihren Mann in Güte zur Wiederabreise zu bewegen. Trotzdem muß sie einen schlimmen Ausgang geahnt haben, denn als Hehle am Sonnabend Morgen die Wohnung verließ, um sich nach seiner Dienststelle in der Markthalle zu begeben, fiel ihm die Unruhe der Frau Machota auf, die sich besonders stürmisch von ihm verabschiedete. Hehle dachte indeß nicht an die etwaige An- Wesenheit Machota's. Während nun die Frau am Sonnabend Vormittag die Wohnung reinigte, trat der Gefürchtete ein. Um ihn nicht zu reizen, wurde er freundlich empfangen; ja die Frau kochte ihm später sein Leibgericht/ bestehend w Sauer» kohl, Klößen und Schweinebraten und holte auch nach ein» ander zwei Flaschen Weißwein vom Kaufmann. Auch mit Liqueur wurde der gesürchtete Gast bewirthet. Frau Machota hatte NachbarSleutm mitgetheilt, daß fie ihren Mann bei guter Stimmung erhalten wolle und ihn auch Abends um 8 Uhr nach dem Bahnhofe begleiten werde. Nachdem das Paar zusammen gespeistshatte, mußsJrau Machota gerade ein mit Liqueur gefülltes Glas an den Mund gesetzt haben, während sie neben ihrem Manne am Tische stand. Da plötzlich fielen um 4 Uhr Nach- mittags zunächst 2 Schüsse, denen gleich ein dtttter folgte. Hausbewohner, deren Räume auf demselben Flur liegen, hatten nun zwar den Knall gehört und begaben sich auch an die Thür der Hehle'schen Wohnung. Da sie aber die Musik der dort vor- handenen Spieluhr hörten und die Thür verschlossen fanden, so nahmen sie an, daß nichts böseS vorgekommen fei, und daß sich beide Personen zur Ruhe niedergelegt hätten. Erst am Abend schöpften sie Verdacht, und Hehle wurde benachrichtigt. In Gegenwart des Vorstandes vom 30. Polizeirevier wurde die Stubenthür mit Hilfe eines Beils erbrochen. Auf dem Fußboden lagen in einer großen Blutlache die Leichen des Machota'schen Ehepaares; die Frau mit dem Gesicht nach unten, mit den Füßen nach dem Fenster, mit dem Kopf nach der Thür zu neben dem Tische. Das Schnapsglas, aus dem sie getrunken hatte, noch in der Hand haltend. Ueber ihrem Rücken lag nun der Ehemann mit dem Gesicht nach oben. Anscheinend hat der verschmähte Gatte die Frau durch einen Schuß unter das linke Ohr, der das Ohrläppchen mit dem Ohr- ring abriß, zuerst meuchlings getödtet und fich dann durch einen Schuß in die rechte Schläfe selbst entleibt. Neben ihm lag ein Revolver, in dem von Hehle an dem Elsenbeingriff dieselbe Waffe erkannt worden ist, mittelst deren Machota schon damals den Mord auszuführen beabsichtigt hat. Die beiden Leichen wurden noch in der Nacht nach dem Schauhause gebracht. Machota war noch im Besitz von etwa 30 M.(ein Zwanzig- markstück, ein Fünf- und ein Einguldenschein, wie ein Silber- gülden), hatte auch noch zwei Ringe bei sich. Dies ist in der Hehle'schen Wohnung zurückgeblieben. Die Angehörigen waren am Sonntag Mittag noch nicht benachrichtigt. Bezüglich der vermißte» zehnjährigen Emma Firneisen. , die auS der elterlichen Wohnung in der Kirchstr. 21 feit längerer Zeit verschwunden ist, wurde bereis die Vermuthung laut, daß eS