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Reichstag.
ö4. Sitzung. Donnerstag, den 2S. Mai ISIS, nachmittags 2 Uhr. Die Debatte über die Frage der Zensur wird fortgesetzt. Abg. Dr. Oertel(k.): Mit dem Abg. Dr. Pfleger stimme ich im wesentlichen überein. Allerdings darf man über die kommandierenden Generale und ihre Verordnungen nicht in Bausch und Bogen aburteilen, sie haben auch sehr viel Gutes gewirkt; ich erinnere nur an den Erlasi gegen den Uniug der Modeklcider gewisser Damen, an den Erlag gegen den Gebrauch der Fremdwörter. Darin sollte man in den hohen und höchsten Kreisen dem Volke mit gutem Beispiel vorangehen. Ob wir bei Zeitungsverboten besser fahren würden, wenn sie nur mit Zustimmung des Reichskanzlers erfolgen dürfen, wie die Kommission wünscht, scheint mir zweifelhaft.— Herrn Pfleger stimme ich voll- kommen zu in Verurteilung der Angriffe gegen den Katholizismus; solche Entgleisungen verurteilen wir ebenso scharf wie er. Wer in der gegenwärtigen Zeit den Kamps zwischen den verschiedenen Bekenntnissen entfacht, versündigt sich am Vaterlande.(Beifall rechts und im Zentrum.) Auch in bezug auf die Petition des Professors Schäfer bin ich vollständig einverstanden mit dem Abg. Pfleger.— Herr Liesching warf einem kommandierenden General vor, er habe Nötigung verübt, indem er die Zurücknahme des Verbotes an die Bedingung der Entlassung des Schriftleiters knüpfte. Die Sache liegt anders. Der Verleger bot ohne jede Anregung seitens des Generals die Entlassung des Schriftleiters an als Zeichen dafür, daß er künftig Verstöste gegen den Burgfrieden nicht durchlassen werde. Wegen solcher Verstöße gegen den Burgfrieden, die in den Artikeln der Abgeordneten Müller-Meiningen und Gothein enthalten waren, war das Verbot der Zeitung erfolgt; dieses Verbot Halle ich für gerechtfertigt.(Widerspruch links.)— Im allgemeinen leidet aber die Presse aller Parteirichtungen schwer unter den jetzigen Zuständeen. Die Erörterung der Kriegsziele wird sogar gehindert, wenn sie in vertraulichen Denkschriften erfolgt. Das dürfte doch etwas zu weit gehen. Auf der anderen Seite ist ein Blatt, das die Wiederherstellung und Entschädigung Belgiens verlangte, nicht der Beschlagnahme verfallen. Die Verbreitung einer Rede des Abg. v. Heydebrandt, die die Erwartung anssprach, daß die Anlloort der Regieruug auf die amerikanische Note unseres Landes und der großen Stunde würdig sein werde, wurde verboten. Ich frage das Auswärtige Amt, aus welchen Gründen das Verbot erfolgt ist. Als eine hiesige Wochenschrift die Rede zu matzlosen Angriffen gegen den Abg. v. Heydebrandt benutzte, nahm das Aus- wältige Amt keine Gelegenheit, einzuschreiten.(Hörtl hört l) Man unterbindet nicht nur die freie Meinungsäußerung, sondern man will auch durch Verbote erreichen, daß diese Unterbindung nicht im Auslände bekannt wird. Glaubt man wirklich, daß man im Auslande so wenig politisch orientiert ist, um aus der äußeren Uebereinsiimmung zu schließen, daß wirkliche Uebercinstimmung in allen Teilen des Volkes herrscht. Geben Sie dem Volke mehr Freiheit, mehr Freiheit, sich die Sorgen der KricgSzeit wenigstens vom Herzen zu reden. Sie bessern die Stimmung nicht.(Abg. Haus- mann sVp.s: Sie auch nicht!) Wenn Sie dem Volke die freie Meinungsäußerung auch dann vorenthalten, wenn diese Meinungs- äußerung durchaus vaterländisch ist, durchaus dem Burgfrieden Rech- nung trägt und dafür sorgen will, daß eine gute, frische, kämpf» freudige Stimmung erhalten bleibt.(Abg. Ledcbour sSoz. Arbg.s: .Sie wollen die Zensur nur für die anderen I) Unsere Kämpfer draußen klagen darüber, daß sie aus den deutschen Zeitungen zu wenig Erhebendes erfahren.(Zuruf:«Deutsche Tageszeitung"! Heiterkeit.) Zu Scherzen ist die Sache zu ernst.(Unruhe links, Zu- rufe: Sie machen ständig Scherze!) Sollen wir' nicht in an- gemessener Form fordern dürfen, daß diesen schweren Leiden bald ein Ende gemacht werden soll? Dieses erzwungene Schweigen erzeugt nicht die Stille der Stärke, sondeen die unheimliche Ruhe des dumpfen Druckes. Unser Zweck ist nicht erreicht, unsere Feinde sind nickt zum Frieden geneigter geworden, die Neutralen uns nicht wohl- wollender. Auch wir sehnen uns nach dem Frieden, aber wir wollen keinen faulen Frieden. Wir wollen den Frieden nur durch den Sieg und wir wollen den Sieg mit allen Mitteln der Kriegskunst herbei- führen. Wir wollen uns keine Waffe aus der Hand winden, uns auch durch keine Vermittlung um den Siegespreis betrügen lasien. (Bravo ! rechts.) Das Volk hat ein Recht auf eine Presse, die frei und offen seine Meinung widerspiegelt.(Lebhaftes Bravo! rechts.) Staatssekretär des Auswärtigen Amts v. Jagow: Als der von dem Vorredner erwähnte Artikel des Abgeordneten v. Heydebrandt in der„Kreuz-Zeitung " erschien, waren die Verhand- lungen mit Amerika noch nicht abgeschlossen. In diesem Moment wäre die Verbreitung dieses Artikels aus so temperamentvoller und angesehener Feder zweifellos geeignet gewesen, große Erregung in der öffentlichen Meinung herbeizuführen und die Verhandlungen mit Amerika zu erschweren. Daher war das Auswärtige Amt. daS im unmittelbaren Zusammenhang mit der KriegSführung wirkt und diese nicht in kritischen Momenten durchkreuzen lassen darf, durchaus zu einer Maßnahme berechtigt, für die ich die volle Verantwortung übernehme. Der Artikel der„Zukunft" dagegen erschien in einem Moment, als er auf die Entscheidung keinen störenden Einfluß mehr ausüben konnte. Daher lag vom Standpunl: meines Ressorts kein Grund vor, gegen ihn irgendwelche Maßnahmen zu beantragen. (Bravo ! bei der Fortschrittlichen Volkspartei .) Abg. Hirfch'Essen(natl.): Eine Beseitigung des Belagerungszustandes können meine Parteifreunde nicht empfehlen, wohl aber wünschen wir eine andere Handhabung. Sowohl bei Versammlungen wie bei der Zensur haben wir Erfahrungen gemacht, daß man beinahe sagen mutz. eS gehört zum Kennzeichen eines anständigen Menschen, irgendwie unter Zensur zu stehen. Wir verlangen, daß die Zensur in die richtigen Grenzen gewiesen wird, sie muß sich auf das militärische Gebiet be- schränken. Große Klage wird auch geführt über die Ungleichmäßig« keit der Zensur, sowohl örtlich wie sachlich. Die Zensur muß so beschränkt werden, daß die Freudigkeit des DurchhaltenS im Volk nicht erstickt und im Ausland nicht die Meinung erweckt wird, daß dem deutschen Michel alles geboten werden darf. Auch über die Gefahren, die von«neutralen" FricdenSvermittlern auS- gehen, muß das Volk aufgeklärt werden, sonst könnte mau auch in bezug aus diese Vermitilung sogen:«Nur die ollergrößten Kälber wählen ihre Metzger selber".(Sehr gut I bei den Nationalliberalen.) Eine gesetzliche Regelung der Zensur ist nötig; es kann nicht ge- duldet werden, daß Reden des Herrn v. Heydebrand verboten werden, die Anpöbelei gegen diesen Mann aber verbreitet werden darf.— Der Ministerialdirektor Lewald bestritt, daß in dem Falle Schäfer ein Angriff gegen das Petitionsrecht geschehen sei. Daß ein solcher aber vorlag, ist ganz unzweifelhaft und hier muß man ganz entschieden schon den ersten derartigen Versuch zurückweisen.(Leb- hafte Zustimmung b. d. Natl.) Eine Entschließung des nationalliberalen Zentralvorstandes zur Note an Amerika ist auch teilweise der Zensur verfallen. Der Redner verliest die Entschließung. Die Entschließung hält sich dabei emsach
an den klaren Wortlaut des Schlusses der Note. Das„Berliner Tage- blatt" aber nennt das eine.Unideutung" der Note. DaS beste Stück der Zensur ist, daß sie auch verboten hat, den Eindruck zu erwecken, als ob die Zensur die freie Meinungsäußerung unterbinde.(Heiterkeit.) Wenn das deutsche Volk noch immer bereit ist. durchzuhalten, so ist das sicher kein Verdienst der Zensur.(Sehr richtig I) Staatssekretär Dr. Helfferich: Ich halte es nicht für nützlich, daß Maßnahmen der Militär» behörde hier gewissermaßen dadurch durchkreuzt werden, daß von der Zensur verbotene Sachen hier öffentlich verlesen werden. DaS sollte besser in der Kommission geschehen. Die Zensur ist ein not- wendiges Uebel. Auch in streng parlamentarisch regierten und in republikanischen Ländern wird die Zensur in denselben Umfange wie bei unS geübt. Sie arbeitet natürlich mit verschiedenen Me- thoden und mit einem verschieden gearteten Publikum. Sie arbeitet dort am besten, wo sie am gewissenlosesten arbeitet. Zweifellos ist, daß sie von den militärischen Stellen gehandhabt werden muß. Man hat gesagt, das sei mit der Würde des Reichskanzlers nicht vereinbar. Fürst Bismarck war nicht dieser Ansicht. Er hat in einem Schreiben an Johann Jacobi vom 8. September 1370 ausdrücklich betont, daß ihm eine direkte Einwirkung auf die militärische» Stellen nicht zu- stehe. Wenn Fürst Bismarck das mit seiner Würde für vereinbar gehalten hat, wird daS der gegenwärtige Kanzler wohl auch.— Man kann auch nicht dies oder jenes Gebier auS der Zensur ausscheiden. denn der Krieg umsaht alle Gebiete unseres öffentlichen LebenS. Er wird z. V. auch mit Druckerschwärze geführt und von unseren Gegnern sehr oft gegen uns mit unserer eigenen Druckerschwärze. Härten und Mißhelligkeiten sind bei der Handhabung der Zensur nicht zu vermeiden. ES ist noch viel schwerer, die geistige Ernährung eines Volkes zu reglerüentieren. als die materielle.(Sehr gut!> Die Reichsleitung ist seit langem bemüht, die Handhabung der Zensur zu bessern. Ich hoffe, daß die Verhältnisse eS gestatten werden, in dieser Richtung weiter zu arbeiten. Diejenigen, die oft sehr un- angenehm durch die Zensur betroffen werden, werden auch ihrerseits durch Selbstzensur dazu beitragen können, daß dieser Abbau sich weiter vollzieht. Ministerialdirektor Dr. Lewald: Im Kriegsfall geht die Zivilgewalt auf Grund des Belagerungs- zustandeS an die Militärgewalt über unter persönlicher Ver- a n t w o r t u n g der militärischen Befehlshaber. Der Reichskanzler trägt nach der Verfassung lediglich für die gegengezeichneten Erlasse des Kaisers und Bundesrats die Verantworcung. Für Maßnahmen von Exekutivorganen der Bundesstaaten hat der Reichskanzler die Verantwortung stets abgelehnt. Ebenso kann er keine Verantwortung übernehmen für Handlungen der Militärgewalten, auf welche die Zivilgewalt jetzt übergegangen ist. Auch die Minister der Einzel- staaten, auch der preußische Minister des Innern kann eine Ver- antwortung nur so weil übernehmen, als sein Wirkungsbereich durch die Militärgewalt nicht eingeschränkt wird. Mit dieser Auffassung verkriecht sich der Reichskanzler nicht etwa hinter die Militärgewalt, sondern stellt sich auf den Boden der Verfassung und des geltenden Rechts.— In dem Falle Schäfer liegt eine Beschränkung des PetitionS - rechts nicht vor. Die Herren haben einen Artikel, den eine Zeitung nicht drucken durste, in 750 000 Exemplaren drucken lassen und ver- breiten wollen. Diese Umgehung einer von den Militärbehörden getroffenen Anordnung ist verhindert worden. daS Agitationsrecht des Herrn Dr. Schäfer ist beschränkt worden, dagegen ist er in keiner Weise gehindert worden, seine Petition dem Reichstage ein- zureichen. Die Verhängung der S ch u tz h a f t ist sicherlich für unser Rechts- empfinden verletzend. Aber im Kriege gilt das Recht der Notwendig- keit, und was die Resolution fordert, die Schutzhaft auf das aus rein militärischen Gründen absolut gebotene Maß zu beschränken, ge schieht bereits; der Reichskanzler ist mit dem Kriegsministerium in Verbindung getreten und entsprechende Verfügungen des Kriegs- Ministeriums sind ergangen und werden beachtet. Dagegen kann dem in Schutzhaft Genommenen nicht das volle Recht des Unter- suchungsgefangenen gewährt werden, das geht nicht an, weil eS sich um Spionagefälle handelt, wo das Beweismaterial zuweilen nicht herangeschafft werden kann, weil es im Ausland liegt. Die vom Abg. Emmel beklagte Beschränkung der Verhandlungen des reichsländischen Landtages erklärt sich aus der Tatsache, daß die Tagung innerhalb des KriegSgebieies stattfinden mußte. Auch die in'Mülhausen getroffenen Maßnahmen erklären sich in derselben Weise. Daß daS Verbot einer Zeitung nur mit Zustimmung deS Reichs- kanzlers erfolgen soll, wie die Resolution der Kommission wünscht, ist nach der ganzen Rechtslage und Organisation unmöglich. Auch die zweite Resolution, die Sicherheiten gegen Eingriffe der Militär- gewalt in das bürgerliche Leben fordert, bitte ich abzulehnen. Eine Aenderung deS gesetzlichen Zusiandes kann während der Dauer des Krieges jedenfalls nicht in Frage kommen. Abg. Mertiu-Oels(Deutschs Fraktion): Namens meiner Fraktion muß ich mich den von den Abgeordneten Oertel und Pflüger erhobenen Klagen und den von ihnen vertretenen Anschauungen vollständig anschließen, speziell auch der Auffassung. daß im Falle Schäfer ein Eingriff ins Pelitionsrecht vorliegt.— Dem Staatssekretär v. Jagow erwidere ich. daß der unterdrückte Artikel des Herrn v. Heydebrand absolut nicht schaden und die Ver- Handlungen stören konnte. Uebcrhaupt hat das Volk nach l�/zjähriger KriegSzeit ein Recht darauf, die Kriegsziele der Regierung zu er- fahren. Sehr ernste Männer befürchten, daß die Regierung in dieser Beziehung sich nicht in Ucbereinstimmung mit dem Volke be- findet.(Zustimmung rechts.) Abg. Dittmann(Soz. Arbg.): Die Rede des neuen Staatssekretärs Helfferich hat Aufklärung über den zukünftigen Kurs der inneren Politik gegeben: es bleibt alles beim alten.(Sehr wahr! bei der Soz. Arbg.) Bei seiner Entwicklung der absolutistischen Theorie von der Un- Verantwortlichkeit der militärischenBefehlshaber gegenüber Regierung und Parlament mußte ich an das Wort aus Wallenstein denken: Wie er sich räuspert und wie er spuckt, das hat er ihm glücklich abgeguckt. Aber so wenig sich damals das Parlament von Bismarck imponieren ließ, so wenig sollte das Parlament es heute tun. DaS Gericht hat später Jacobi und nicht Bismarck recht gegeben. Daß die militärischen Befehlshaber nur dem Kaiser verantwortlich sind, ist eine spätere Auslegung, das Gesetz über den Belagerungszustand von 18S1 selbst besagt das nicht. In allen Debatten von 1349—51 wird als absolut selbstverständlich behandelt sowohl die Verantwortlichkeit der militärischen Befehlshaber gegenüber der Staatsregierung als die Verantwortlichkeit der Staatsregierung gegenüber dem Parlament.(Hört! hört!) Nack dem Ministerialdirektor Dr. Lewald liegt es im Wesen des Kriegszustandes, daß der Reichskanzler ausgeschaltet ist.(Dr. Lewald nickt zustimmend.) Danach sollen also Recht und Gesetz durch die Willkür der militärischen Befehlshaber ersetzt werden. Bei der Beratung deS Gesetzes aber wollte man ausdrücklich nicht einm willkürlichen und gesetzlosen Zustand eintreten lassen, sondern
eine gesetzliche Regelung, um den Machtvollkommenheiten der»nilitärischen Befehlshaber Grenzen zu ziehen.(Hört! hört! bei der Sozialdemokratischen Arbg .) Sonst hätte ja auch das Gesetz ganz kurz lauten können: alle Gesetze sind aufgehoben, auf die militärischen Befehlshaber geht jede Gewalt über, diese sind nur dem Könige verantwortlich. Statt dessen sagt der 8 17 ausdrücklich, daß von jeder Suöpendicrung eines Gesetzes den Kammern sofort Rechenschaft gegeben werden muß. Wie aber soll die Regierung Rechenschaft geben, wenn sie keine Rechenschaft fordern kann, wenn die militärischen Befehlshaber ihr nicht verantwortlich fein sollen. In der preußischen und in der ReichSverfassuug ist auch schlechtweg von der Verantwortlichkeit der Minister und des Reichskanzlers die Rede und niemand zweifelt, daß diese Verantwortlich- keit dem Landtage respektive dem Reichstage gegenüber b e st e h t. Auch im Gesetz über den Belagerungszustand handelt eS sich selbstverständlich um die staatsrechtliche und politische Verantwortlichkeit.(Sehr richtig! bei der Soz. Arbg.) In der Kommission wurden Anträge gestellt, um die Vcrantivort- lichkeit noch strenger festzulegen, doch ließ man die Verschärfungen fallen, weil man sie für überflüssig hielt. Dagegen heißt es im KommissionSbcricht, daß den Kaminern Bericht zu erstatten sei, da- mit sie nötigenfalls die Erhebung einer Anklage veranlaffen.(Hört! hört! bei der Soz. Arbg.) Auch die preußische Regierung hat damals denselben Standpunkt als ganz selbstverständlich vertreten. Was will es demgegenüber besagen, daß Fürst Bismarck nachträglich 1870 versucht hat, dem Gesetz eine andere Auslegung zu geben. Bismarck hat oft den Ausweg gesucht, den obersten Kriegsherrn als Kriegsschild zu benutzen. Der Fall ist ein Schulbeispiel dafür, wie der Reichstag ausgeschaltet werden soll. 1870 hat fast der gesamte Reichstag dagegen Stellung genommen. Wegen der Gewaltakte gegen den sozialdemokratischen Parteivorstand und Johann Jacobi forderte damals die freisinnige Demokra- tische Partei in einer Interpellation: Aufschluß über die Suspendierung der Verfassung, Rechcnschast gemäß des tz 17 des Gesetzes über den Velagernngszustand, Aufschluß darüber, wie die Regierung die persönliche Verantwortlichkeit der militärischen Befehls- habcr durchführte.(Hört! hört! bei der Soz. Arbg.) Bei der Be- gründung der Interpellation, die mitten im Kriege stattfand, führte der freisinnige Abg. Duncker aus, daß der Reichstag über die Aus- führung des Belagerungszustandes die Kontrolle auszuüben habe.(Hört! hört! bei der Soz. Arbg.) Auf das Schreiben Bismarcks mit der Theorie von der Unverantwortlichleit der Regierung sagte er, es handelt sich nicht um eine Maßnahme der militärischen Kommandos, um Truppenbewegungen, sondern um Maßnahmen der Verwaltiing gegenüber den Bürgern. Und wenn solche Ueberschreitungen vor- gekommen sind, so müsse auch Ernst gemacht werden mit der persön- lichen Verantwortlichkeit, von der das Gesetz spricht, ohne Ansehen der Person müsse sie gehandhabt werden, und die davon betroffenen Militärs werden nichts an ihrer Ehre verlieren, wenn sie das Gesetz des Vaterlandes für ebenso unantastbar erklären, wie den Boden des Vaterlandes. Der Abg. Windthor st sekundierte dieser Auffassung und charakterisierte die Bismarckiche Aus- legung als die Wachtstubcn-Jurisprudcnz. (Lebhaftes Hört! hört! und Sehr gut! bei der Soz. Arbg.) Und diese Wachtstuben-Jurisprudenz tischt man uns heute von neuem auf. Auch der National liberale Miguel wandte sich gegen die Bismarcksche Auslegung. Bebel natürlich ebenfalls, nur der Konservative Wagner trat der Auslegung Bismarcks bei. Hätte die Debatte mit einein Mißtrauensvotum abschließen können, so wäre es der Regierung erteilt worden. Ob sich heute eine NeichStagsmehr- heit dazu aufschwingen könnte, ist mir trotz aller großen Worte in der Kommission nicht klar.(Lebhafte Zustimmung bei der Soz. Arbg.) Die Verhängung des Kriegszustandes ist vom Reichs- kanzlcr gegengezeichnet, und damit hat er die Ver- anlwortlichkeit für die Beachtung der Gesetze übernommen. Gerado im Kriegszustand muß sich die Bedeutung der Gesetze zeigen, wie Wiudthorst damals treffend hervorgehoben hat. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann aber der B c- l a g c r u n g s z r« st a n d gar nicht mehr aufrecht er- halten werden. Seine Verhängniig ist nach dem tz 1 nur in dem vom Feinde bedrohten oder teilweise besetzten Gebiet vorgesehen. Seine Aufrcchtcrhaltung im g a n z e n Reiche ist daher g e s c tz- widrig.(Sehr wahr! b. d. Soz. Arbg.) Auch 1870 wurde nur in den einer feindlichen Bedrohung ausgesetzten Teilen der BelagerungS- zustand verhängt. Der Reichstag muß also der Regierung zurusen, indem er unseren Antrag annimmt: Zurück zum Gesetz! (Lebhaftes Sehr richtig! bei der Soz. Arbg.) Ist für Elsaß- Lothringen ganz oder teilweise der Belagerungszustand noch nötig. s? ist iiil Gesetz über den Belagerungszustand in Elsaß- Lothringen von 1892 die Handhabe dazu geboten. Nur gegen äußere Feinde ist die Verhängung des BelagennigszustandcS gc- statiet. Ist es aber eine Sicherung gegen äußere Feinde, wenn man im Innern Recht und Gesetz aufhebt, und die eigenen Staats- bürger als Heloten bebandelt? Selbst wenn der Belagerungszustand zu Recht bestände, dürften die kommandierenden Generale nicht so verfahren, wie sie es tun, denn auch dann stünde ihnen nur die vollziehende Gewalt zu, nicht aber die Mißachtung und Auf- Hebung der Gesetze. Alle ihre Anordnungen müssen stets die ünmittelbare militärische Verteidigung im Auge haben. Nur daraus erklären sich auch die drakonischen Strajandrobuiigen im tz 9 des Gesetzes.(Sehr wahr! bei der Sozialdem. Arbeitsg.) ES kann keine Rede davon sein, daß die Militärbehörde berechtigt sei, das Bricfgchciimiis zu verletze», wie cS j e tz l unausgesetzt geschieht. Artikel 81 der preußischen Ver- fassung sagt:„DaS Briefgeheimnis ist unverletzlich". Dieser Artikel gehört aber nicht zu denen, die die Militärbehörde während des Belagerungszustandes aufheben darf.(Hörtl hörtl bei den Sozial- demotraten.) Die demnach ungesetzliche Verletzung des Briefgeheim- nisses erinnert an die schlimmsten Zeilen des Absolutismus mit ihren „schwarzen Kabinetten". Es steht fest, daß viele meiner Partei- genossen unter Briefkontrolle stehen.(Hört! hört! bei den Sozial- dcmokraten.) Ebenso gesetzwidrig wie die Bricfsperre sind die indivi- duellcn Redeverbote. Dem davon Betroffenen wird sogar das Reden in internen Funklionärsttzungen verboten, auch wenn cS sich um rein organisatorische Fragen handelt, deren Erörterung die militärische Sicherheit in keiner Weise berührt.(Hört! hört! bei den Sozial- demokraten.) Sogar Mitglieder deS sozialdemokratischen Partei- vorstandeS sind davon betroffen worden. Dem Redakteur Münster wurde vom Polizeikommiffar selbst das Verlesen einer schriftlichen Erklärung in einer Funltionärversammlung verboten, in derer sich persönlich rechtfertigen wollte gegen Angriffe, die zu seiner Entlassung als Redakteur gefübrt hatten.(Lebhaftes Hört! hört! bei der Soz. Arbg.) ES handelt sich bei diesem Vorgehen geradezu um Verletzung der Menschenwürde. WaS haben die Redenverbote mit der militärischen Sicherheit des Reiches zu tun? Unserer Genossin Z i e tz ist wegen»Verhctzuug"