die bisher als Sänitätsmannichasten verwendeten Geistlichen in die Fronttruppen einzureihen. Abel Ferry hat seine Demission als Bericht- ' erstatter über die E r e i g n i s s e b e i V e r d u n, die er eingereicht hatte, weil ihm die versprochenen amtlichen Urkunden vom Äriegsministerium nicht zur Verfügung gestellt waren, zurückgenommen. Bei Beginn der gestrigen Kammersitzung wurden zwei neue Interpellationen eingebracht, eine über die Vorgänge bei Verdun und eine von Maginot über die Mittel, welche die Regierung zu ergreifen gedenke, um den Sieg zu sichern. Beide werden wahrscheinlich in Ver- bindung von Favre in der geheimen Sitzung am 16. Juni erörtert werden. Dee Einfluß ües Parlaments in Frankreich . Aus Amsterdam schreibt man uns: In einenr Artikel, worin der Herausgeber der„Daily News". A. G. Gardiner, seine Eindrücke von einer Reise nach Frankreich widergibt, lesen wir: „Das Parlament hat einen Grad der Macht erreicht, der hier(d. h. in England) unbekannt ist. Das Publikum kennt die Wahrheit über den Krieg weit weniger als wir, aber das Parlament weiß viel mehr als das unsere. Durch die Armee -, die Marine-, die Finanzkommission usw. hat die ganze Mit- gliedschast eine genaue Bekanntschaft mit den Tatsachen und übt einen bedeutenden Einfluß auf die Politik und die Er- eignisse aus. Jeder, der die zwei Länder kennt, muß zum Urteil kommen, daß das französische System fiir eine in einem Kampf auf Leben und Tod stehende Demokratie das richtige ist." Daß ein System, das die Preßfreiheit aufhebt, für eine Demokratie das richtige sei, darüber werden konsequente De- mokrateu anderer Meinung sein als der Herausgeber der „Daily News", der in seinem Zorn über die skrupellose 5!orthcliff-Presse recht unbesonnene Dinge schreibt. Aber welches Urteil wird man über Länder fällen, wo weder die Prcßfreiheit noch die Macht der Volksvertretung vorhanden ist? Die parlamentarische Opposition in Frankreich . Aus Zürich wird uns geschrieben: Außer Blanc, Brizon und Rasfin-Dugens, die sich auf den Boden der Zimmer- walder Konferenz stellen, gehören zur Opposition, die sich um Longuct gebildet hat, die folgenden Abgeordneten: Betouille, Bernard, Bubras, Buisson, Barabant, Jean Bon, Deguise, Aubriot, Giray, Goudc, Manus, Mayeras, Mistral, Laval, Jean Longuet , Poncet, Valisre, Sabin, Balm, Valette, Morin, Vaillot, Pressemane, Sixte-Onentin und einige andere, die sich aber nicht mit gleicher Entschiedenheit als die obenerwähnten für die Wiederaufnahme internationalen Beziehungen aus gesprochen, deren Opposition sich vielmehr auf die inner politischen Verhältnisie bezieht und die somit nicht vollständig zur Opposition gehören._ Die englische Arbeiterschaft
im Kriege.
Vor kurzem sind die offiziellen Berichte deZ englischen Handels amtes für 1913 erschienen, die au/ Grund reichbaitigen statistischen Maierialö einen Einblick in die Lebensverhältnisse jenes immerhin recht beträchtlichen Teils der englischen Arbeiterklasse gewähren, der von der amtlichen Statistik erfaßt wird. Da uns die Berichte selbst nich: zugänglich waren, benutzen wir einen Auszug aus ihnen, den Genosse R a i s k r in einein russischen Blatt veröffentlicht, um die Arbeits- und Lohnverhällnisse der englischen Arbeiterschaft in den ersten Kriegsjabren zu kennzeichnen. In erster Linie kommt hier der Beschäftigungsgrad der Arbeiterschaft in Betracht. Auch in England hat der Krieg nicht jene katastrophale Arbeitslosigkeit bervorgerufen, wie man befürchtet harte. Einesteils entlasteten die Millionen der Heeresangehörigen den heimischen Arbeitsmarkt, der absolut wie relativ in allen krieg« führenden Ländern zusammengeschrumpft ist, andererseits machten die ungeheuren technischen Bedürfnisse des Krieges eine solche An- spannung der Produktionskräfte erforderlich, daß die Angehörigen der stillstehenden oder schlechtgehenden Industriezweige trotzdem Be- schäfligung fanden. � Nach den amtlichen englischen Berichten belief sich die Zahl der Arbeitslosen sqegenüber der Gesamtzahl) auf: Juli 1914. 2.8 Proz.«vril 1913. 1.2 Proz. August„. 7,1, Mai.. 1,2. September,. 5,9, Juni,. 1,0, Oktober.. 4,4, Juli„. 0,9, November,. 2,9, August.. 1,0, Dezember,. 2,5, September.. 0,9, Januar 1915. 1,9, Oktober.. 0,8. Februar.. 1,6, November,. 0,6, März„. 1,3. Dezember,. 0.6. Im Durchschnitt des Jahres 1915 belief sich die Arbeitslosig- keit in England auf 1,1 Proz. Tiefe Zahl steht in der englischen Statistik einzig da, denn selbst in den Jahren der größten in- dustriellcn Prosperität belief sich die Zahl der Arbeitslosen auf 2 bis 3 Proz. Viel weniger günstig liegen die Verhältnisie auf dem Gebiet der A r b e i l s I ö h n e. Allerdings zirkulieren auch in Eirgland in den bürgerlichen Kreisen Gerüchte über fabelhaft hohe Ärbeiterlöhne, und es ertönen Lamentationen über den Luxus der Arbeiter und Arbeiicrsrauen, und staatliche Institutionen erwägen forlgesetzt Maß- nahmen, die die Arbeiter zum.Sporen" anhalten sollen. Allein im Lichte der amtlichen Statistik erscheint das rosige Bild des Plötz« lichen.Wohlstandes" der Arbeiter als eine gewaltige lieber- treibung. Freilich gibt es eine Schicht der Arbeiter— vorwiegend in der Rüstungsindustrie— deren Löhne außerordentlich ge- stiegen sind. Aber auf die wirtschaftliche Lage der breiten Massen haben diese Lohnstcigerungen keinen wesentlichen Einfluß ausgeübt. Die amtliche Statistik liefert hier folgendes Bild. Insgesamt stellt sie im Jahre 1915 Lohnveränderungen bei 3 165 000 Arbeitern fest, und zwar belief sich die durchschnittliche Steigerung ihrer Lohnsumme pro Woche auf 603 000 Pfund Sterling(= 12 3 Millionen Mark) oder pro Person aus 3 Schilling 10 Pencs(= 3,90 Mark). Das ist im Durchschnitt eine Lohnsteigerung von nicht mehr als 10 bis 15 Prozent. Nach den einzelnen Industriezweigen geordnet ergibt die Lohnsteigerung pro Person und Woche folgendes Bild: Zahl der Arbeiter Lohnsteigerung mit Lohnerhöhung pro Person u. Woche Kohlenbergbau... 859000 6 Sch. 8 Pence l--- 6,37 M.) Stahl und Eisen.. III v«) 5 Sch. 9 Pence(= 5,86 M.) Maschinen- u Schiffbau 600 000 3 Sch. 8 Pence<--- 3,74 M.) Textilindustrie... 597 000 1 Sch. 6 Pence 1,53 M.) Nun ist allerdings diese Lohnsteigerung höher als in jedem der vorhergehenden Jahre, auch ist die absolute Steigerung der Löhne infolge der mehr als sonst angewandten Ueberstunden höher als au» der obigen Tabelle hervorgeht sin keinem Falle aber höber als 30 Proz.), und etwa 1>/g Millionen Arbeiter und Angestellte sSeeleute. Eisen- bahnangestellle. Handlungsgehilfen usw.). die im Jahre 1915 Lohn- erhöhungen erhielten, find in die obige Statistik nicht eingeschlossen.
Trotzdem kann festgestellt werden, daß die imVorjahrr erzielten Lohnerhöhungen weit hinler den im Umlaufe befindlichen übertriebenen Vorstellungen zurückbleiben. Nun kommt ober noch hinzu, daß nach den Angaben derselben amtlichen Statistik die Durchschnittspreise der wichtigsten Lebens- mittel(im Kleinhandel) im Dezember 1915 um 44 Proz. höher standen als im Juli 1914 und um 28 Proz. höher als im Januar 1915. Daraus folgt aber, daß selbst die L o h n st e i g e r u n g der am besten bezahlten Arbeiter kaum ausreichte, um die erhöhten Kosten der Lebenshaltung zu decken. Noch schlimmer ist natürlich die Lage der breiten Massen der Arbeiter, deren Nominallohn gar nicht oder nur wenig gestiegen ist(von ins- gesamt 12 Millionen Arbeitern registriert die amtliche Statistik eine Lohnsleigerung nur bei Millionen.) Der Effekt ist, daß der Reallohn bei den bestbezahlten Arbeitern etwa auf derselben Höhe geblieben, bei der großen Mehrheit jedoch stark gesunken ist. Berücksichtigt man noch, daß ein großer Teil der Lohnerhöhung nur um den Preis hartnäckiger Kämpfe gegen das Kapital durchgesetzt worden ist. das sich nur ungern dazu bequemte, den Arbeitern mindestens einen Teil der erhöhten Kosten der Lebenshaltung zu ersetzen, so erkennt man, daß selbst in England, wo die Arbeiter- klaffe sich relativ die größte Bewegungsfreiheit im wirtschaftlichen Kampf bewahrt hat, der Hinweis auf die„Segnungen" des Krieges für die Arbeiterschaft in das Reich der Fabel verwiesen werden nmß.___ ßrauenarbeit und ßrauenstimmrecht. Ein längerer Aufsatz in der„N a t i o n" vom 27. Mai kommt zu folgenden Schlußfolgerungen: Allgemein herrscht die Auffasiung, daß die Frauen Englands währeich des Krieges hervorragende Dienste geleistet und sich als eine Reserve erwiesen haben, die allerdings bisher nur halbwegs benutzt wurde, und die die Nation zu ihrem Schaden vernachlässigt hat. Das Problem des Frauen- stimmrechts taucht erneut auf. Die Nation hat gesehen, daß sie ihr eigenes Leben schädigt, wenn sie dem der ganzen Fähigkeit und der Allgemeinheit dienenden Geist der Frauen nicht volle Entwicklungs- Möglichkeit bietet. Wir können nicht der Zukunft entgegensehen, wenn wir nur die Hälfte der Geisteskraft des Volkes in Anspruch nehmen. Gegen das Frauenstimmrccht zu sagen, daß der Staat auf physischer Kraft beruht, nennen wir jetzt Preußentum. Die Umformung der Industrie durch Mobilisierung der Frauen, die während des Krieges stattgefunden hat, wird teilweise dauernd bleiben und muß uns im Frieden Fragen der Neuordnung vor- legen, die sich auf Arbeitsteilung, Lohnhöhe und ähnliches er- strecken. Wenn wir die Frauen nicht an der Lösung dieser Fragen teilnehmen lasten, die für ihre und unsere Zukunft matzgebend sind, laufen wir Gefahr, eine einseitige Lösung zu finden. Die Nation hat den Willen, die Frauenstimmrechtsfrage bald und' entgegen- kommend zu lösen. Zur italienischen Kammereröffnung. Lugano , 9. Juni. (T. U.) Die Vorgänge bei der Kammer- eröffnung haben gezeigt, daß die parlamentarischen Verhältnisse innerhalb der Kammer und die Stimmung in den Parteien doch eine ganz andere ist als während der letzten Session im März, wenn auch die kriegshetzerischen Lärmmacher in den Tumulten die Oberhand behalten und die Regierungsgegner terrorisiert haben, Die sozialdemokratischen Blätter weisen darauf hin, daß diesmal die Journalisten der Pressetribüne, von denen fast alle mit ein- zelncn Ausnahmen Vertreter der Äriegspolitik sind, eS waren, die durch ihr skandalöses Eingreifen in die Vorgänge und Verhandln»- gen im Sitzungssaale den Kricgsrummel anzettelten und damit Salandra keinen Dienst erwiesen. Salandras eigenes Benehmen während des Tumultes habe den besten Beweis dafür gegeben, denn er sei in jenem Augenblick furchtbar blaß und nervös geworden. Das Organ Sonninos, das offiziöse„Giornale d'Jtalia", ver- sucht die Unruhestifter, deren Unterstützung das Kabinett ja bedarf, auf der einen Seite, und die sozialistischen Antikricgsinterpcllanten, deren Vorgehen nicht mehr ignoriert werden kann, auf der anderen Seite, zu beruhigen und zu beschwichtigen. Das Blatt appelliert an den Patriotismus beider Teile und beschwört geradezu die Abge- ordneten und Journalisten, daß es höchste Pflickit und Klugheit sei, zu schweigen. Wenn die Regierung den richtigen Moment für gekommen halte, werde sie schon reden.— Ter„Avanti" gebt nun mit diesem Beschwörungsartikel des„Giornale d'Jtalia" und dem Verhalten der Regierung scharf ins Gericht. Es sei wohl zu ver- stehen, daß die Regierung wünsche, das Volk und die Abgeordneten möchten schweigen, denn sie fühle und wisse, daß, wenn das Schwei gen gebrochen werde, ihre Handlungen ein schweres Verdammungs urteil über sich ergehen lassen müßten.„ Avant i" bemerkt weiter, es gebe aber doch eine größere Klugheit und größere Pflicht des Volkes, die Handlungen der Regierung zu kontrollieren. Den Rat de s„Giornale dlJtalia ", über die militärischen Ereignisse und deren Ergebnisse zu schweigen, könne man unter keinen Umständen annehmen. Den journalistischen Organen der Kriegshetzer sei ge- stattet, zu reden und zu schreiben, so viel sie wollten, namentlich hinsichtlich der Verteidigung und Lobpreisung der Regiernngs Handlungen, aber die Kriegsgegner müßten schweigen. Ten Kriegs Hetzern der Presse sei die Freiheit gewährt, zu mhstifizieren, die Wahrheit dürfe aber nicht gedruckt werden. Die offiziösen Blätter hätten das Recht, jeden Tag die verschiedensten langen Ruhm. redereien zu fabrizieren, aber niemand dürfe in Italien verbreiten, was beispielsweise die Engländer über die Seeschlacht in der Nord- see selber drucken. Niemand in Italien dürfe die Wahrheit über die Offensive im Trentino veröffentlichen. Ter„A v a n t i" er- klärt: Für uns besteht die Pflicht, zu schweigen, für die anderen das Recht, zu lügen und das Volk irre zu führen. Die parlamen- tarische Gruppe der Sozialisten werde aber ihre Pflicht erfüllen und die Regierung, ob sie nun wolle oder nicht wolle, für'die Er- eignisse verantwortlich machen, weshalb sie unter allen Umständen ein« Diskussion herbeiführen werde. �us öer ltaliemschen Kammer. Rom , 8. Juni. (W. T, B.) In der heutigen Kammersitzung schlug der republikanische Abgeordnete Chiesa vor, die De- batte über den Etat des Innern zu unterbrechen, um .der Regierung Gelegenheit zu geben, in einer ihr genehmen Form die erforderlichen Mitteilungen über die mili- tärische Lage sowie über die zur Sicherung des Sieges getroffenen Z>! atznahmen zn machen. Der offizielle Sozialist Modigliani schloß sich, obgleich von einem anderen Standpunkt ausgehend, dem Vorschlag Chiesas an, und fügt« hinzu: Wenn die Regierung der Meinung ist, daß geheime Sitzungen zweckmäßig sind, werden die Sozialisten dem zustim- men. Der reformistische Sozialist B i s s o l a t i bemerkte, daß die Regierung der Kammer über die militärisch« Lage nicht viel mehr sagen könnte, als was die amtlichen Heeresberichte dem Lande be- kanntgegeben hätten. Italien verfüge über mehr als ausreichende Kräfte, um die Lage zu beherrschen. Bissolati schlug daher der Kammer vor. die Arbeiten fortzusetzen, bis die Regierung greif- bare Vorschläge mache. Ministerpräsident Salandra sagte: Wir müssen uns selbst die größte äußere und innere Ruhe aufer- legen. Ich freue mich, in öffentlicher Sitzung sagen zu können, daß es trotz der Schwere dieses Krieges, die wir vorausgesehen hatten, und trotz der Kraft des Feindes keinen Grund dafür gibt, daß das Land in Aufregung gerät. Salandra betonte die linzweck- Mäßigkeit einer übereilten Debatte. Die Regierung wünsche, daß die Debatte über die vorläufige Budgetzwölftel am Montag stattfinde, was somit Gelegenheit bieten werde, die allgemeine und die militärische Politik der Regierung in einzelnen zu besprechen. Chiesa zog seinen Antrag zurück, indem er sein Vertrauen dar- über ausdrückte, daß die Regierung bald dem Parlament den von ihr gewählten Weg mitteilen werde. Damit war der Zwischenfall erledigt. Die Kammer ging zur Erörterung des Etats der Kolo- nien über, in deren Verlaufe Kolouialminister Martini erklärte, die Verhältnisse in Tripolitanien besserten sich. Was die Kyrenaika betreffe, so glaube er an eine baldige Pazisizierung.
die Sozialiflen in öer italienischen Kammer. In der Kammersitzung vom 7. d. M. kam es nach einem Tele- gramm des„Verl . Tagebl." zu überaus heftigen Szenen. Ms gleich zu Anfang G allenga KitchensrS Gedächtnis feierte und einen Hymnus auf Englands Heer und Englands Flotte anstimmte, welche die Herrschaft über das Meer besitze,»varf der Sozialist Mazzoni höhnisch ein:„Man sieht es!" Wildes Protestgeschrci der Mehrheit und Rufe, wie:„Hinaus mit den Oesterreichern. hinaus mit den österreichischen Agenten!" waren die Antwort. Gallenga fährt fort, indem er voll Entrüstung die„Hinterlist" der deutschen Flotte geißelt. Aber die Sozialisten unterbrechen ihn mit dem Zuruf:„Hören Sie doch mit dies en Albern- heiten auf." Neuer Lärm. Gallenga:„Könnt ihr vielleicht leugnen, daß die deutsche Flotte vor der englischen floh?" Stür- Mischer Beifall der Mehrheit, Spottrufe der Sozialisten. Darauf beantoortet Salandra die Interpellation Turatis über die Internierten. Natürlich beschönigt der Minister- Präsident das Verfahren der Regierung, erntet aber seitens der Sozialisten scharfe Angriffe. Brunelli ruft:„Sie haben ein Polizeishstem wie in Rußland ." Die Mehrheit schreit: .Halt' den Mund, Oesterreicher!" Andere rufen:„Ihr verteidigt die Spione!"„Schande über euch!" Die Sozialisten antworten: „UndihrhabtdieOesterreicherinsLandgerufen, ihr Kanaillen. Spitzbuben, Affaristen, Wuche- rer, Schwindelpatrioten!" Toben im ganzen Hause. Turati zu Salandra:„Haben Sie nicht eine ganze Anzahl Bürger nur darum deportiert, weil sie deutsche Frauen haben? Warum haben Sie dann nicht auch einen gewissen hohen Herrn deportiert, der eine deutsche Prinzessin geheiratet hat?" Bon mehreren Seiten wird gefragt:„Wer ist das?" Turati:„Es ist der Statt- Halter d«s Königreiches, Herzog von Genua ." Große Heiterkeit, in die auch Salandra«instimmt. Nachdem die Kammer Turatis Tagesordnung mit 216 gegen 45 abgelehnt, verlangt M i g l i o l i dringend, daß die Regierung seine Interpellation über die Ab- setzung des Generals Brufati beantworte. AIS trotz Salandras Weigerung Miglioli hierauf beharrt, wird er vom Präsidenten zur Ordnung gerufen, fährt aber unentwegt fort, in- dem er die heftigsten Angriffe gegen die Regierung und die Heeresleitung schleudert, so daß unter ungeheurer Erregung des Hauses das ganze Ministerium den Saal verlätzt. Mazzoni ruft dem abziehenden Salandra nach: „Gehen Sie doch zu Ihren Russen! Zu denen ge- hören Sie!" Gleichzeitig werfen die Sozialisten ganze Stöße Postkarten mit Bildern der nach Sibirien deportier- ten gefesselten Duma Mitglieder in den Saal, worauf unter neuem gewaltigen Lärm der Präsident die Sitzung aushebt und die Tribünen räumen läßt. Starke Unruhen in Orenburg . In der Zeitung„Orenburgskoje Slowo" finden wir einen aus- führlichen Bericht über die Unruhen, die Mitte Mai in Oren- bürg stattgefunden haben und über die die hauptstädtische Presse noch keine Meldungen gebracht hat. Nach diesem Bericht spielten sich am 15. Mai in Oreuburg folgende Ereignisse ab: Um die Mittagsstunde versammelten sich zähtreiche Krieger- frauen vor dem Hause des Gouverneurs und verlangten ihn zu sprechen. Der stellvertretende Gouverneur Puschkin erschien und nahm die Klage der Frauen entgegen, daß sie infolge der Nicht- auszahlung der städtischen Unterstützungszuschläge Not leiden müßten. Der Gouverneur verwies auf den Mangel an städtischen Mitteln und vertröstete sie auf die Zukunft. Kurz darauf begab sich ein Teil der Kriegerfrauen nach dem Getreidemarkt, drang in einige Mehlhandlungen ein und eignete sich die dort lagernden Mehlvor- rate an. Sebr schnell schwoll die Menschenmenge an, die nun auch in andere Läden einzudringen begann. Fast zu gleicher Zeit be- gann die Plünderung der größten Läden im Geschäftsviertel der Stadt lGostinny Twor). Kosaken sprengten heran, konnten aber der Plünderung nicht Einhalt gebieten. Kurz daraus wurden Truppen herangezogen, die auf die Menge feuerten. Gegen 4 Uhr kamen große Verstärkungen in der Stadt an, und der Chef der Garnison , General Podgoretzky, übernahm das Kom- maudo über die Truppen. Bis zum späten Abend tobte der Kampf auf den Straßen. Immer wieder drang die Menge gegen die Truppen vor und beantwortete die Salven mit einem Hagel von Steinwürfen. Aus anfänglichen Plünderuligsversuchen war so all- mählich ein regelrechter Kampf in den Straßen entstanden. Ueber die Zahl der Opfer liegen keine Nachrichten vor. Offiziell wird verbreitet, daß es zwar Verwundete, aber keine Toten gebe. Ver- wundet wurden u. a. der Staatsanwalt KarbowSky, sein Gehilfe Podresan und der Chef der Geheimpolizei Feer-Potaki. Zahlreiche Personen wurden verhaftet; die Stadt wurde vom Militär besetzt. Aus Anlaß dieser Vorgänge haben die Orenburger Arbeiter einen Aufruf an die Bevölkerung veröffentlicht, in dem vor Be- teiligung an Plünderungen usw. gewarnt und dagegen Protest er- hoben wird, daß den Arbeitern die Mitschuld an den Vorgängen zu- geschrieben wird.„Im Kampf für die Sache des Volkes— heißt es in dem Aufruf— im Kampf für die Volksrechte stehen die Arbeiter in den ersten Reihen. Aber mit der Plünderung von Kauf- mannöläden besudeln wir Arbeiter unsere Hände nicht." Wolle die Bevölkerung, so heißt es im Aufruf weiter, gegen den Wucher und die Teuerung einschreiten, so möge sie energischer darauf dringen, daß ihr die Freiheit der Presse und der Versamm- lungen zugestanden werde. Keinesfalls aber solle man den Ein- flüsterungen von Leuten folgen, die aus reaktionären Spekulationen heraus die unzufriedene Menge zu Gewalttätigkeiten aufstacheln. Wie die Orenburger Zeitungen vom 18. Mai berichten, macht die Stadt den Eindruck eine» bewaffneten Lagers. Die Straß«n sind vom Militär besetzt, in einig« Straßen werden nur die Inhaber von Passierscheinen hineingelassen. Nach 9 Uhr abends darf niemand die Straßen betreten. Die Stadtverordnetenversammlung von Orenburg beschloß, daS Ministerium des Innern um die Einleitung einer Unter- s u ch u n g der Ereignisse vor und nach dem Ausbruche der Unruhen wie auch der Art ihrer Unterdrückung zu ersuchen. Es liegen also offenbar genügend Anzeichen für eine planmäßige Förderung der Unruhen von bestimmter Seite vor.
Letzte Nachrichten. Zum Hochverratsprozeß Kramarsch. Wien , 9. Juni. (W. T. B.) In dem Prozeß gegen Kramarsch und Genossen haben die Verteidiger Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil beim obersten Landwehrgericht angemeldet. Das Landwehrdivisionsgericht in Wien hatte nach mehrmonatiger öffentlicher Hauptverhandlung die beiden jungtschechischen Reiche- ratsabgeordnetcn Dr. Kramarsch und Dr. R a s ch i n wegen Hochverrats und Verbrechens gegen die Kriegsmacht und den Sekre- tär des jungtschechischen Blattes„Narodni Listy" Vincenz Cer- v i n k a und den Buchhalter Josef Z a m a z a l wegen Verbrechens der Ausspähung zum Tode verurteilt.