Nr. 291.
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33. Jahrgang
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Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3. Ferniprecher: Amt Morigplas, Nr. 151 90-151 97.
Sonntag, den 22. Oktober 1916.
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Der Täter Täter- Viktor Adlers Sohn
Der Ministerpräsident Graf Stuergkh ist heute beim Mittagessen vom Herausgeber einer hiesigen Zeitschrift namens Adler erschossen worden.
Eine zweite Meldung besagt:
Ministerpräsident Graf Stuergkh wurde heute mittag das Opfer eines Attentates. Während Graf Stuergkh im Hotel Meißt und Schadu das Mittagessen einnahm, trat der Schriftsteller Friedrich Adler an den Tisch heran und gab rasch hintereinander drei Schüsse auf den Ministerpräsidenten ab. Graf Stuergkh wurde in den Kopf getroffen und war sofort tot.
Und eine dritte erschütternde Meldung fügt hinzu: Der Täter, Dr. Friedrich Adler , ist Herausgeber der Zeitschrift Kampf und Sohn des sozialdemokratischen Parteiführers Dr. Viktor Adler!
Wien , 21. Oktober. ( W. T. B.) Ueber den Revolveranschlag auf den Grafen Stuergkh erfährt die Wiener Allgemeine Zeitung" von einem Augenzeugen folgende Einzelheiten:
Graf Stuergkh saß, wie alltäglich, im Speisesaal des Hotels Meißl und Schadu, diesmal in Gesellschaft des Statthalters von Tirol, Graf Toggenburg, sowie des Barons Achrenthal, Bruder des verstorbenen Ministers des Aeußern. Die Herren hatten ihre Mahlzeit gerade beendet, als
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- irrsinnig!
Bürde eines Amtes genommen, die unendlich schwer zu tragen war. Nicht er nur die Lebenden sind unglücklich! Der greife Kaiser von Desterreich! Ihm fiel der Bruder, der Sohn, die Gattin, der Neffe und Thronfolger die blutigen Bilder von Queretaro , Mayerling, Genf , Sarajewo wirbeln an uns vorbei jezt der Ratgeber in allerschwerster Zeit. Alles menschliche Empfinden neigt sich vor dem Greis auf dem Thron, wer hat erlebt, wer getragen, was er erlebt und getragen hat!'
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Aber auch nicht der Kaiser Franz Josef ist es, der am allerschwersten getroffen ist. Das ist ein Mann, an dem die Herzen aller Arbeiter Deutschlands und Desterreichs in Liebe und Verehrung hängen, das ist unser Viktor Adler , der unglückliche Vater eines irrsinnigen Mörders.
Welche entsetzliche Tragit liegt über diesem großen Leben! Viktor Adler war es, der die österreichische Arbeiterbewegung als ein hilfreicher Arzt aus den wirren Krämpfen eines attentatslüsternen Anarchismus löste, der sie auf die klaren Bahnen strengen politischen Denkens emporführte und sie zum Geiste der Marrschen Lehre erzog. Ein Mann aus Titanengeschlecht, ein Troßer und Stürmer, aber ein von durch dringendem Scharfsinn gebändigtes Temperament, erfüllt vom Geist des Goethewortes:„ Das Geseß nur kann uns Freiheit geben!" So fämpfte er im Staat um den Staat, gegen schlechte Gesetze für bessere Gesetze, so ward er Sieger im Kampf um das allgemeine Wahlrecht.
Und er, der Kämpfer gegen jegliche Anarchie, ward nun selbst das eigentliche grausam tief. getroffene Opfer eines durch Krankheit zügellos gewordenen Menschenhirns. Friz Adlerwarirrsinnig, als er die entsegliche Tat beging, der Wiener Schriftsteller Dr. Friedrich Adler, kein Mensch, der ihn, der seine Familie kennt, kann einen ein Sohn des Reichsratsabgeordneten Dr. Viktor Adler, der Augenblick daran zweifeln. Heute muß vor aller Welt aus drei Tische entfernt saß, plötzlich aufstand, drei Schritte vor- gesprochen werden, was seit Jahrzehnten die tiefverschwiegene wärts auf den Tisch, wo Graf Stuergkh saß, zuging und Tragödie der Familie Adler war: nicht zum erstenma hat diesmal die grausamste aller menschlichen Krankheiten drei Revolverschüsse in diesem unglücklichen Hause ein Opfer gefordert!
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diesem Zusammenhang an die Bestrebungen, die darauf gerichtet waren, den österreichischen Barlamentarismus, wieder in Gang zu bringen. Aber Graf Stuergkh war, wie in allen Dingen, auch hier ein Vertreter nicht des starren, sondern des elastischen Systems, er war wie der Täter bei gesundem Verstand wissen mußte feineswegs der Hort des Widerstandes, der sich diesen Bestrebungen entgegensetzte, und wenn unter seinem Nachfolger die Einberufung des Parlaments möglich sein sollte, so wäre sie unter seiner Zeitung gewiß ebenso möglich gewesen. Zudem war Friz Adler in Zeiten geistiger Gesundheit durchaus kein Fanatiker des Parlamentarismus. Er hätte nicht daran gedacht, für ihn zum Mörder zu werden. Also auch hier steht man vor einem Rätsel; seine einzige Lösung: Wahnsinn!
Niemand wird daran denken, die Arbeiterbewegung oder einen Teil von ihr für diese grauenvolle Tragödie verantwortlich zu machen. Aber die Arbeiter Deutsch lands und die ganze Bevölkerung Desterreichs, in der Viktor Adler herzliche Verehrung genießt, wenden sich mit tiefer, sorgenvoller Teilnahme dem unglücklicheren Vater eines Unglücklichen zu. Unserem teueren Viktor Adler ! Wir wissen in diesen Stunden entsetzlichen Schmerzes kaum, was wir vom Schicksal für ihn erbitten sollen. Aber wir wissen, daß das Leid, das Menschen ertragen können, unermeßlich ist. Wir wünschen ihm, dem kranken, aber doch so starken Manne übermenschliche Kraft! Friedrich Stampfer
Als
Graf Karl von Stuergth wurde am 30. Oftober 1859 in Graz geboren. Er trat 1881 in den Staatsdienst, in dem er zunächst im Ministerium für Kultus und Unterricht tätig war. Dem österreichischen Privilegienparlament gehörte er von 1891 bis 1894 und von 1897 bis zur Wahlreform als Vertreter des verfassungstreuen Großgrundbesizes an. 1909 wurde abfeuerte. Graf Stuergkh sank sofort tot zusammen. Graf Nur ein Frrsinniger konnte auf den Gedanken kommen, Graf Stuergkh im Ministerium Bienerth Kultusminister; als solcher Toggenburg drang mit einem Sessel auf den Täter ein, und seine Mordwaffe gerade gegen den Grafen Stuergth zu richten. blieb er auch unter dessen Nachfolger Gautsch, bis er nach dessen der Oberkellner versuchte, Adler den Revolver zu entwinden. Zeit und Umstände verbieten es, über die politische Lauf- Nüdtritt Anfang November 1911 Ministerpräsident wurde. Dabei gingen zwei weitere Schüsse los, von denen einer den bahn des erschossenen Ministerpräsidenten ein kritisches Urteil folcher trat er lebhaft für eine Reform der Geschäftsordnung ein, Kellner, der andere Baron Aehrental leicht am Fuße verleste. zu sprechen. Aber das eine kann gesagt werden: wenn ein die das österreichische Parlament flott machen sollte. Die NationaliBaron Aehrenthal fing den Grafen Stuergkh auf. Als die Mann nicht geeignet war, der Gegenstand eines bis zum tätengegensäße versagten diesem Bestreben den Erfolg. Während des Baron Aehrenthal fing den Grafen Stuergkh auf. Als die Fanatismus gesteigerten persönlichen Basses zu werden, dann Strieges war Graf Stuergkh der Auffassung, daß eine Ginberufung Schüsse fielen, stürzten sofort anwesende österreichisch- unga- war es eben Graf Stuergth, der selbst die verförperte Leiden- des österreichischen Parlaments unter den beſonderen Verhältnissen rische und deutsche Offiziere sich auf den Attentäter und zogen schaftslosigkeit war, und dessen Wesen alles ferner lag als wilder politischer Kampf. Der Gedanke, ihn aus politischen Gründen zu töten, war aberwikig, und niemand hat wohl an eine solche Möglichkeit weniger gedacht als er. Wie ein einfacher Bürger, vollkommen unbewacht, bewegte er sich unter den Wienern, er war Stammgast in dem Lokal, in dem sich die blutige Tragödie abspielte, so wie er jeden Tag zu beAuf die Frage eines Offiziers, warum er dies getan habe, stimmter Stunde in einem befannten Staffeehaus der inneren antwortete er:„ Das werde ich vor dem Gericht selbst zu ver- Stadt erschien. Nur weil kein Mensch- kein geistig gesunder antworten haben."
ihre Säbel.
Der Täter gab seinen Namen an und sagte:„ Ich bitte, meine Herren,
ich weiß, was ich getan habe; ich lasse mich ruhig verhaften."
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Mensch an die Möglichkeit dieses Attentats denken konnte, nur darum ist das Unfaßbare möglich geworden.
Der eingetroffene Inspektionsarzt der Rettungsgesell schaft konnte nur noch den Eintritt des Todes bei dem Grafen Und eben darum, weil es sich um eine ausgesprochene feststellen. Wenige Minuten später trafen der Leiter des Wahnsinnstat handelt, kann man keine politischen Folgen finden, die sie zeitigen könnte. Gewiß wird es nicht leicht Ministeriums des Innern, Statthalter Bleyleben, Land- sein, für den getöteten Ministerpräsidenten einen geeigneten marschall Prinz Liechtenstein und Polizeipräsident Gorup am Nachfolger zu wählen, aber wir leben in einer Zeit, in der Schauplatz der Tat ein. Der Täter wurde verhaftet und nach dem Sicherheitsbureau gebracht. Die Nachricht, die sich durch Extraausgaben überall rasch in der Stadt verbreitete, rief allenthalben Empörung über die
wahnwißige Tat, welcher der Ministerpräsident zum Opfer gefallen war, her vor. Hierbei gelangten die Sympathien, deren sich der Ermordete bei der Bevölkerung erfreute, allgemein zum Ausdruck.
sich alle Lücken, die der Tod reißt, fast automatisch wieder schließen, so wird auch diese ausgefüllt werden. Dazu kommt, daß das Leben des verbündeten österreichischen Staates mehr als das jedes anderen ganz auf den Kampf nach außen gestellt und militärisch beherrscht ist, daß das Schwergewicht der auswärtigen Politik mehr bei der anderen Reichshälfte liegt, so daß der Posten des Chefs der österreichischen Zivilverwaltung feineswegs von so überragender Bedeutung ist, wie es dem Außenstehenden leicht scheinen mag.
Weder die auswärtige Politik Desterreich- Ungarns kann durch den notwendig gewordenen Ministerwechsel in andere Bahnen gelenkt werden, noch fönnen wie selbstverDie Tragödie der Menschheit, die wir seit dem Tag von ständlich- die militärischen Operationen durch ihn auch nur Sarajewo in unnennbaren Qualen erleben, hat mit der eine Gefunde lang ins Stocken geraten. Desterreich- Ungarns Wahnsinnstat von Wien einen neuen Höhepunkt erklommen, Widerstandskraft wird durch ihn nicht erschüttert, nicht vereinen Höhepunkt, wie ihn die grausamste Phantasie nicht zu mindert. Und so führt jede Ueberlegung immer wieder zu denken vermocht hätte. Der österreichische Ministerpräsident demselben Ergebnis: Kein Mensch, dessen Denken sich noch in Graf Stuerght ist tot, und die Hand, die ihn traf, war geordneten Bahnen bewegte, konnte von dieser Zat irgendFrik Adlers Hand! welche politische Wirkungen erwarten, die ihm wünschenswert erschienen, nur ein Geistes franker fonnte die Tat vollbringen.
Graf Stuergth war ein einsamer Mann, an seiner Bahre trauern nicht Weib und Kinder. Ein rascher Tod, wie er Tausenden draußen auf den Schlachtfeldern beschieden ist, hat ben Ahnungslosen ereilt und hat ihm mit leichter Hand die
Auch der innere Kurs der österreichischen Politik wird sich infolge des Attentats nicht ändern. Man denkt vielleicht in
Desterreichs nicht möglich sei. Darüber ist noch in den letzten Wochen im ungarischen Parlament debattiert worden, als die Einberufung der beiden Reichshälften gemeinsamen Delegationen verlangt wurde.
Mit dem Vater des Attentäters, Viktor Adler , führte den cr= mordeten Ministerpräsidenten seine politische Laufbahn oft zu sammen. Das Verhältnis zwischen den beiden Männern war stets, wie das in Oesterreich auch bei der größten Schärfe der politischen Gegenfäße üblich ist, von kordialer Liebenswürdigkeit getragen. Steiner von beiden hätte das grauenvolle Verhängnis ahnen können, das den Sohn des einen zum Mörder an dem anderen erkoren hatte!
Friedrich Adler ist der älteste Sohn des österreichischen Reichsratsabgeordneten Dr. Viktor Adler und seiner Gattin, der betannten Schriftstellerin Emma Adler . Er selbst steht im Alter von etwa 40 Jahren. Er besuchte das Gymnasium in Wien und studierte an den Universitäten Wien und Zürich Philosophie und Nationalökonomie. Von seiner ursprünglichen Absicht, sich der akademischen Laufbahn zu widmen, kam er ab und wurde in Zürich Arbeitersekretär, später Parteisekretär in Wien . Als solcher war er Mitarbeiter der Wiener Arbeiterzeitung " und der Monatsschrift Kampf", als deren Herausgeber er in Stellvertretung des Genossen Dr. Otto Bauer , der in russischer Kriegsgefangenschaft lebt, eintrat. Er ist Verfasser zahlreicher staatswissenschaftlicher und philosophischer Abhandlungen, die von außerordentlichem Können und Wissen zeugen. Sein Spezialstudium war das Studium der Philosophie, er war ein Schüler von Avenarius und Mach, dem letteren widmete er erst vor wenigen Monaten bei seinem Tode einen ausgezeichneten tiefgründigen Nachruf.
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In seinen Umgangsformen zeigte Fritz Adler liebenswürdige Herzlichkeit, und gegen Andersdenkende erwies er sich im persön lichen Verkehr als höflich und duldsam. Erst in der letzten Zeit traten in seinem erregten Wesen Spuren einer krankhaften Störung auf, die Näherstehenden freilich längst nicht entgangen waren.
Frizz Adler war auch, solange er seinem Leiden nicht völlig erlegen war, ein guter Sohn, und nie hätte er in Tagen der Gefundheit seinen verehrungswürdigen Eltern den grauenbollen Schmerz angetan, den er ihnen als Wahnsinniger bereitet hat.