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Nr. 307. 33. Zakrmg
Dienstag. 7. November 1916.
Polens   Wirtschaftskräfte. Wie schwer auch das russische Regiment oft auf dem politischen Leben Polens   lastete, hat doch in den letzten Jahrzehnten seine Industrie und sein Handel einen raschen Aufschwung genommen. Zu einem wesentliche» Teil verdankt Polen   das seiner günstigen geographischen Lage zwischen den großen Agrargebieten des euro  - paischen Rußlands   sowie wichtigen Industriegebieten Deutschlands  und Oesterreich  -Ungarns  . Es gewann dadurch das östliche Rußland  als wertvolles Absatzgebiet für seine aufblühende Industrie, wäh- rcnd zugleich der Handelsverkehr des Zarenreiches mit Mittel- curopa seinen Weg vornehmlich über Polen   einschlug. Polen  wurde gewissermaßen ein Vorposten und eine Durchgangsstation des russischen Außenhandels. Und innerhalb Polens   wieder wuchs sich bald das heute über eine Million zählende Warschau   zu einer mächtigen Zentrale des Großhandels, der Industrie und deS Geld- Verkehrs aus, in der bereits vor dem Kriege nicht weniger als Lg große Banken. Bankfilialen und Kreditgenossenschaften ihren Sitz hatten. Als Industrieland ist Polen   noch recht jugendlichen Alters. Bis 1831 stand das jetzt wieder zu politischer Selbständigkeit gc- langende Russisch-Polen außerhalb der russischen Zollgrenze. Fast noch reines Agrarland, spielte seine manufakturmäßige Produktion selbst auf dem eigenen inneren Absatzmarkt eine recht unterge- ordnete Rolle. Erst nach dem Krimkriege und der Abschaffung der Hörigkeit(18l>t) vollzog sich eine bedeutsame Umwälzung. Die ländlichen Grundbesitzer sahen sich nun darauf angewiesen, einen wesentlichen Teil der Jndustrieprodukte, die sie bisher auf ihren Fronhöfen hatten herstellen lassen, in den Städten einzukaufen, und neben ihnen traten die nun zu Geld gelangten Bauern als Käufer auf. Die maschinelle Großindustrie entstand. Als erste und wichtigste die Textilindustrie, die bis dahin noch durchweg als primitive Hausindustrie betrieben worden war. Erst 1854 war der erste mechanische Webstuhl nach Polen   gekornmeu. Dann setzte der Eisenbahnbau in Polen   ein und öffnete dem Handel Wege: 1832 wurde Polen   mit Petersburg  , 1836 mit Wolhynien  , Weiß- rußland und Podolien, 1870 mit Moskau  , 1871 mit Kiew   ver- Kunden usw. Darauf folgte 1877 der Uebergang Ruß- l a n d Z z u m H o ch s ch u tz z o l l. Er brachte eine Periode fieber- hafter industrieller Gründungen, da er der Konkurrenz der aus- wältigen Textilindustriellen zu einem großen Teil den inneren Markt verschloß. Auch heute noch ist die Textilindustrie die wirtschaftlich be- deutcndste in Polen  . Sie beschäftigt ungefähr die Hälfte aller polnischen Industriearbeiter und erzeugte vor dem Kriege rund 1,20 Millionen Doppelzentner Fabrikate verschiedenster Art. Davon entfielen ungefähr drei Fünftel auf Baumwollwaren und zwei Fünftel auf Wollwaren. Meist werden Massenartikel und sogen. schwere Stoffe hergestellt, vornehmlich weiße und bunte Barchente, Weißwaren, Futterstoffe in Baumwolle, wollene Herren- und Tamenkleiderstoffe usw. Von geringerer Bedeutung ist die Her- stellung von Wirkwaren, Stickereien und Spitzcnstoffen. Größten- teils werden diese au? Teutschland eingeführt. Das wichtigste Revier der Textilindustrie ist Lodz   mit Um- gebung vor hundert Jahren noch ein elendes Landstädtchcn mit nur 1200 Einwohnern, jetzt eine Großstadt mit einer halben Mil- lion Einwohner. Ihre industrielle Bedeutung geht zur Genüge daraus hervor, daß in ihr vor dem Kriege über 000 000 Spindeln (fast ein Achtel der Gcsamtspindelzahl.des ganzen Russischen Reichs) und nahezu eine Million Webstuhle, darunter freilich noch manche Handwebstühle arbeiteten. Lodz   ist heute der drittgrößte Baum- wollspinnerciplatz des europäischen   Festlandes und wird nur von Petersburg   und Gent übertrofscn. Nächst Lodz kommt als Revier der Textilindustrie vor allem der Sosnowice-Czenstochauer Bezirk mit ungefähr 220 000 Kamm- garnspindeln, 200 000 Baumwollspindcln und 6000 Webstühlen in Betracht, ferner der Warschauer   Bezirk, in dem jedoch nur die Lettiwandindustrie eine größere Bedeutung besitzt. Neben der Textilindustrie ist die polirische Bergwerksindustrie in den letzten Jahrzehnten immermehr aufgeblüht. Sie hat ihre Hauptsitzc in Sosnovice und Dombrowa  -Gornioe. Die Kohlen­ausbeute hat im Jahre 1912 0,32 Millionen Tonnen(zu 20 Zent- nern), im Jahre 1013 6,04 Millionen Tonnen betragen, während sich die Produktion von Roheisen(1913). auf 420 033 Tonnen, von eisernen Halbfabrikaten auf 605 250 Tonnen und von Fcrtigfabri- katen auf 451 467 Tonnen stellte. Auch die Zementfabrikation Polens   wies in den letzten Jahren ständig steigerrde Ziffern auf. Im Jahre 10l3 wurden fast zwei Millionen Faß Zement gewonnen; eine Menge, die sich durch bessere Ausnutzung der Gruben leicht auf das Drei- und Vierfache steigern ließe. Ebenso hat auch die Zuckcrindustrie(1013 gab es in Polen  53 Zuckerfabriken) und die Branntweinbrennerei einen deträcht- lichen Aufschwung genommen. Zwar hat letztere, was die Erzcu- gungSmenge anbelangt, in den letzten beiden Jahren vor dem Kriege einen Rückgang erlitten, 1012/13 betrug die Gesamterzeugung nur 143 Millionen Liter gegen 162 Millionen Liter im Jahre 1010/11, doch erklärt sich diese Abnahme lediglich aus der schlechten Kartoffel- ernte des Jahres 1912. Trotz dieser raschen industriellen Entwicklung muß Polen   noch immer als Agrarland gelten, und zwar haben sich vielfach in manchen Landesteilen noch recht primitive Anbaumethodcn erhalten. Bon Bedeutung für den Außenhandel ist der Holzreichtum. Seitdem vor etwa 80 Jahren zum ersten Male Holz aus Polen   und Rußland   auf der Weichsel   nach Deutschland   geflößt wurde, hat der Exportholz- Handel ständig an Wichtigkeit gewonnen. Alljährlich passierten Roh- Hölzer im Werte von 25 bis 30 Millionen Mark auf dem Wege nach Thorn   den Weichselmarkt von Warschau  , in dem sich vor dem Kriege wohl an 30 große Holzfirmen mit dem Holzeinkauf und der Holz- ausfuhr beschäftigten. Die Abtrennung Polen  ? von Rußland   wird natürlich in diese Wirtschaftsverhältnisse tief eingreifen. Mit Sicherheit ist darauf zu rechnen, daß die polnische Industrie einen Teil ihres russischen Absatz- gebiete» verlieren wird. Die Moskauer   Industriellen, die so oft gegen die polnische Konkurcnz geeifert haben, loerden sich innerlich freuen, daß ihnen diese Konkurrenz fortan vom Leibe gehalten wird, denn sicherlich wird Rußland  , sobald die politische Selbständigkeit Polens  gesichert ist, gegen dieses seine Zollschranken auftichten. Aber mit ebensolcher Sicherheit kann Polen   darauf rechnen, daß sein Handels- verkehr mit Mitteleuropa   wachsen und den Verlust ausgleichen wird.
Parteigenossen! Werbt in Bekannten. fctifen für L Blatt, dmVorwärts"
Meinungen über polen  . Die Aufnahme des Polcnmanifests in der deutschen  Presse nennt das ,.Berl. Tagebl."im allgemeinen zurück- haltend". Die alldeutscheTägl. Rundschau" findet siekühl und frostig". Beide Urteile sind zutreffend. Am wärmsten ist das Urteil nock bei den Liberalen, die mitteleuropäisch denken, und im Zentrum, dem die Errichtung eines katholischen Staates sehr erfreulich ist. Von rechts und links dagegen weht ein kritischer Wind. Ueberall wird in mehr oder minder scharfer Form daran erinnert, daß der Reichskanzler die Freigabe der Kriegsziele vor einer endgültigen Festlegung der deutschen   Politik ausdrücklich zugesagt hatte, überall ivird betont, daß das deutsche   Volk, das diesen Krieg mit seinem Blute führt, auch dort mitzureden haben müsse, wo die Kriegs­entscheidungen eine feste Form anzunehmen beginnen. Die Deutsche Tagesztg." sagt der Regierung ins Gesicht, daß sie ihre Zusage nicht eingehalten habe. Sehr stark und berechtigt ist auch der Unmut darüber, daß der Reichstag   nach Hause geschickt wurde, ehe man das, was dieNordd. Nllgem. Zeitung" dengroße« Wurf" nennt, in Szene setzte. Der Reichskanzler wird ja nun die Rede, die er im Reichstage nicht hielt, in dessen Haupt- ausschuß halten, und dann wird wohl auch eine Diskussion darüber erlaubt sein hinter verschlossenen Türen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Reichskanzler dort nur Annehmlich- leiten zu erwarten hat. Die Bedenken, die von rechts und links geäußert werden, entspringen zwei gänzlich verschiedenen Denkrichtungen. Um den Gegensatz auf eine kurze Formel zu bringen: die Kon- scrvativcn fürchten zu viel Freiheit für Polen   und die Sozialdemokraten zu wenig. Die Konservativen sind auch hier die Vertreter einer reinen Machtpolitik, deren Träger die militärische Organisation und deren Hilfsorgan die Polizei ist. Die Sozialdemokraten hingegen wollen die Polen   einzig und allein durch die Macht der freiheitlichen Idee gewinnen. DieTägliche Rundschau" nennt den österreichischen Erzherzog Franz Stefan   als mutmaßlichen ersten Träger der neuen Königskrone. Sie macht auch sonst ganz interessante Bemerkungen. Die preußische Polenpresse, so führt sie aus, habe den Kriegsereignissen gegenüber nicht einmal eine wohlwollende Neutralität bekundet, ihr Anteil an der Zeichnung von 5kriegsanleihen und an der Werbetätigkeit sei geringfügig gewesen. In der Posener Stadtverordneten- Versammlung sei die Gründung eines Hindenburgmuseums abgelehnt worden,von Schlimmerem zu schweigen". Das alldeutsche Blatt und die ihm nahestehenden Organe vergessen nur zu untersuchen, woraus diese beklagenswerte Stimmung der Polen   e n t st a n d e n ist. Sehr bemerkenswert ist auch eine Aeußerung des Präsi­denten der Zweiten elsaß  -lothringischen Kammer, Dr. Ricklin, in einem Interview deSBerliner Tageblatts". Ricklin sieht die polnischen Dinge mit den Augen deS Elsaß- Lothringers und er blickt mit einem gewissen allerdings etwas"voreiligen Neid auf das entstehende selbständige Polen  . Sein Beitrag klingt in den Wunsch aus. daß Elsaß- Lothringen   im Kähmen des Reiches dieselbe Selbständigkeit zugestanden werden möge. Eine Uebersicht der wichtigsten Stimmen lassen wir folgen. Konservative. DieKreuz-Z ei ung" protestiert gegen die Verhinderung einer freien Aussprache und sag: von der Warschauer   Kundgebung: Anderen Möglichkeiten der Lösung vorgreifend, nimmt sie einen wesentlichen Teil der Kriegs- ergebniise vorweg und schiebt unsere äußere und innere Politik in Fragen ersten Ranges dauernd ans f e st e Gleise." Das Ziel der Grenzsicherung würdenauch diejenigen als das ihrige bezeichnen und für erreichbar halten, die der jetzigen Lösung nicht zustimmen können und andere Wege zu dem- selben Ziele für gangbar halten." Mit diesen anderen Wegen meün bieKreuz- Zeitung  ", wenn wir sie recht verstehen, die Annexion. DieDeutsche Tageszeitung" protestiert gleichfalls gegen die Unterbindung der Kriegszielerörterung, die jetzt noch drückender empfunden werde als bisher und sagt dann weiter: Wir stehen der Errichtung eines selbständigen polnischen Staats- Wesens nach den Umwälzungen, die dieser Weltkrieg gebracht hat, nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Aber ein solcher Schritt rollt nicht nur polnische, sondern auch deutsche Lebensfragen auf; ob und wie dem Rechnung getragen wird, läßt sich erst übersehen, wenn die G e s a m t w i r k u n g e n des Krieges auf die europäische Landkarte und die deutsche Macht, und wenn die Sicherheiten bekannt sein werden, die hjer im deutschen   Interesse notwendig sind." DieBerliner Neuesten Nachrichten" find sehr kurz und poetisch:Drei Wochen zuvor hatten wir hier davon ge- schriebe»!, daß einKelch" ein st weilen an uns vor- übergegangen zu sein scheine. Jetzt ward sichtbar auf erhöheter Tafel, wovon wir damals geschrieben haben. Politischer Bürgschaften bedarf es an erster Stelle sie müssen entweder in den Dingen selber liegen oder durch Slaatsmannskunsi den Dingen aufgezwungen werden, an zweiter Stelle sind dann militärische Bürgschaften nötig. Hier endet schon, was wir zu sagen haben.Mit Ekkehard ging es zu Ende." DiePost" nennt die Lösung der Polenfrageein Produkt' autokratischer Regierungsweise" und ist überhaupt sehr unzu- frieden:Die ganze Frage ist noch nicht genügend in der Oeffent- lichkeit geklärt, ja, sie war zu sehr uiiter offenbarer Mißachtung des Rechts der O efsentlichkeit betrieben worden, als daß sich breite Schichten des Volkes ohne weiteres bereit erklären könnten, freudig und unbedenklich mit Hand ans Werk zu legen. Wo es kein Mitraten und Mitsorgcn gab, da gibt es auch kein Mit- haften." In demselben Blatt äußert sich der freikonservative Freiherr V.Zedlitz dahin:Die staatsrechtliche Stellung Polens  zum Deutschen   Reiche muß von vornherein so gestaltet werden, daß unsere militärischen und wirtschaftlichen Interessen auch wirklich restlos und dauernd ge- sichert sind." Die Verbindung Polens   mit Deutschland   aus Gedeih und Verderb sei die unumstößliche Bedingung, ohne die das neue Polen   eine Existenzberechtigung verlieren würde. Das müßte den Polen   nötigenfallsvöllig klar gemacht" werden. Zentrum. DieG e r m a n i a" äußert über die Wicderaufrichtung Polens  große Freude. Sie meint, gegen andere Auffassungen polennsierend: Die anderen Lösungen der polnischen Frage, die in der Annexion oder in der Vertagung der Entscheidungen bis zum großen Friedensschluß alle» Heil sahen, haben sich als nicht der Forderung
unserer Tage entsprechend erwiesen. Es lag und liegt in dem Interesse des polnischen Volkes so sehr wie in unserem eigenen, daß schon jetzt die Entwicklung einsetzen kann, die nach dem Friedensschluß die notwendigen Garantien für ein heilsames Zu- sammenwirken der gesamten Mittelmächte einschließlich Polens   in sich birgt." Liberale. DieVos fische Zeitung" stellt fest, daß das deutsche  Volk nicht um seine Meinung gefragt wurde, und meint dann: Die Tatsachen selbst stehen fertig geformt vor uns. Wir müssen sie als unabänderlich hinnehmen und wir können jetzt nicht einmal mehr in Erörterungen eintreten, die in diesem Augenblick mehr Ber  « stimmung hervorrufen als nützen würden. Wir können nur an- nehmen, daß die völlige Tragweite der augenblicklich gc- wählten Lösung von der verantwortlichen Stelle überlegt ist, und wir müssen an diese Annahme die Hoffnung anschließen, daß die Verwickelungen und Verschie- Hungen, die theoretisch durch die gewählte Lösung der Polen  - frage möglich sind, praktisch nicht eintreten werden. Wir gönnen dem Polenvolke die Erfüllung seiner Wünsche. Und wir hoffen, daß wir es nie bereuen werden, ihre Wünsche erfüllt zu haben." DasBerl. Tageblatt" schreibt:So wenig wir die Politik der Alldeutschen   und der von ihnen geistig befruchteten Kreise mitmachen, die auch für die Zeit nach dem Kriege die Feindschasr zwischen Deutschland   und England unter allen Umständen aufrecht erhalten wollen, ebensowenig können wir wünschen, eine dauernde, unüberbrückbare Kluft zwischen Deutschland   und Ruß- land entstehen zu sehen. Die Wiederherstellung des polnischen Staates wird uns unter der Voraussetzung willkommen sein, daß es beim Friedensschlüsse und in den Verhandlungen gelingen wird, die dauernde Gefahr russischer Revanche- st i nr ni u n g e n zu vermeiden. Auch nach der Neugründung des Königreichs Polen   sind verschiedene Möglichkeiten denkbar, die zu einer späteren Verständigung führen können." Dasselbe Blatt veröffentlicht eine Reihe von Unterredungen mit bekannten Politikern. Friedrich Naumann  (Vp.) freut sich im mitteleuropäischen Interesse über das enge Zusaimuenarbeiten zwischen Berlin   und Wien  , findet aber in der Proklamationbeträchtliche Dunkelheiten". Wenn nicht auf beiden Seiten, auf der polnischen wie der deutschen  , der gute Wille vorhanden sei, werdedie Sache schief gehen, aber wir hoffen, daß er da sein wird". Frhr. v, Richthofen(natl.) erkennt in der Proklamation einen Bund mit der Polenpolitik seit Friedrich dem Großen. Aber die weit überwiegende Biehrheit des deutschen   Volkes wird, nach- dem der Entschluß einmal gefaßt ist, die Wiederherstellung Polens  einer erneuten Teilung bei weitem vorziehen." Otto W i e m e r(Vp.) hält die angekündigte Regelung der Polensrage für eine glückliche Lösung, er sieht in ihr einen ersten Schritt zu einem starken und festen Block der mitteleuropä- ischen Mächte. Sozialdemokraten. Philipp S ch e i d e m a n n(in den Unterredungen desB. T."): Ich wünsche ein vollkommen freies Polen  , und ich wünsche, daß dieses Polen   Deutschlands   Freund sei. Wer zu Liebe kann man keinen zwingen. Brauchen wir Polens   Freund- ichast, so müssen wir eine entsprechende Politik treiben. Bindungen, die nicht aus beiderseitigem freien Willen erfolgen, sind schäd« lich. Auch der Frieden ist keine einseitige Willenserklärung, sondern ein Vertrag. Alle Regelungen, die beute getroffen werden, können nur vorläufig sein. Zur Wiederherstellung des Friedens mutz das deutsche   Volk alles tun. was mit seiner SelbsU erhalt ung und Selbstachtung vereinbar ist. Jeder Frieden wird ihm recht sein, der. kein Frieden der Niederlage ist. Wie die Polen   und die aufgeklärten Russen selbst hassen, wir den Zarismus, aber wir sind durchaus keine Feinde deS r u f s i- scheu Volkes. Wir wollen keine Revanche stimmung des O st e n s. Das ideale Ziel ist die Errichtung eines freien Polens   nach den Wünschen des polnischen Volkes selbst und mit Z-u st i m m u n g aller an den Friedensverhandlungen be- teiligten Mächte. Ob dieses Ziel erreicht wird, hängt nicht von uns allein ab. Wir wollen nach dem Kriege mit allen Völkern in Frieden und Freundschaft leben, ganz besonders auch mit einem freien polnischen Volk. Eduard Bernstein  (in den Unterredungen deSB. T."): Die Herstellung Polens  , das heißt, die Sicherung der Selbst- bestiminung und Selbstregierung des polnischen Volkes, ist eine alte Forderung der Demokratie, für die die deutsche Sozialdemokratie niemals unterlassen hat, ihre Stimme zu erheben. Sie ist das Erbe unserer großen Vorkämpfer Marx und Engels, Lassalle und Liebknecht, das wir hochgehalten haben, als alles um uns herum den Gedanken als unmöglich und Schlimmeres ver- spottete. Wir haben stets in der Herstellung eines freien, über sein eigenes Geschick bestimmenden Polens   eine der unerläßlichen Bedingungen eines wahrhaft freien Europa   erblickt, und was dieser Krieg offenbart hat, konnte nach meiner lieber- zeilgung die Sozialdemokratie nur in dieser Auffassung bestärken. Wir wurde» es daher freudig begrüßen, wenn aus diesem Krieg ein solches freies Polen   hervorginge, und werden es als unsere Aufgabe zu betrachten haben, nach unseren Möglichkeiten dafür ein- zutreten, daß der Gedanke in dc� vollen Tragweite der Grundsätze der Demokratie zur Verwirklichung k o ni m t. Jedes Abweichen von diesen Grundsätzen, jeder Versuch, Polen   ein« andere Gestalt zu geben, als sie diesen Grundsätzen ent- spricht, würde sich, das hat die Geschichte gezeigt, in den Wirkungen als ein Unglück für Europa   und für Polen   erweisen. Nur alS ein Bindeglied zwischen den Nationen des Westens und deS Osten? kann Polen   in unserer Epoche wahrhaft frei sein und gedeihen." Korrespondenz Stampfer:Ein Tanzen auf dermittleren Linie" Krischen der konservativen Machtpolitik und der sozialdemo- kratischcn Freiheitspolitik ist unmöglich. Der Konservative sagt: Ihr nrüßt tun, was ich will!" Der Sozialdemokrat:Ihr seid frei!" Die Regierung aber, ganz gescheit, wie sie nun einmal ist, sagt:Ihr seid frei, wenn Ihr tut, was ich will!" Das ist eine Unklarheit, eine Halbheit, und dergleichen rächt sich immer. Die mißlichen Folgen treten zunächst nur in der Haltung der Presse hervor, die sich, bei aller Meinungsverschiedenheit, ihre Pflicht doch von niemand anderem vorschreiben lassen will, als von ihrem Gewissen. Wir fiirchten, daß es bei diesen mißlichen Folgen nicht bleiben wird. Die Polenpolitik der Regierung hätte, wenn sie wirklichkühn und groß" gewesen wäre, wie dieNordd. Allgem. Zeitung" ihr attestiert hat, leidenschaftlich« Gegner, aber auch be- geisterte Aiil>änger gefunden. Weil sie in Wirklichkeit zaudernd und vieldeutig ist, findet sie nur laues Lob in der Mitte, entschied» neu Tadel aber aus beiden Seiten."
politische Ueberflcht. Für die Einigung des Liberalismus. In derVoss. Ztg." war jüngst ein Artikel von Richard May zu lesen, der für die Schaffung einereinheitlichen l i b e- ralen Front" eintrat. Dazu äußern sich nun in demselben Blatte von der Fortschrittspartei die Abgg. M ü I l e r- Meiningen und Hcckschcr, von den Nationalliberalcn der Abg. Strese- mann.