Ir. 74.- 1917.
Unterhaltungsblatt öes Vorwärts
lreitag, 16. Mörz.
vor öem Sturm. Briefe aus Petersburg . Aus Genf wird geichrieben: Eine Anzahl russischer Persönlich- keiten, die zum Teil in Arankreich, zum Teil auf fSweizerischem Boden leben, haben alarmierende Zlachricbten aus ihrer Heimat erhalten und bezeichnen die Lage für die Petersburger Regierung als außerordentlich gefährdet. Der Inhalt verschiedener Telegramme, die im Lause des 10. und 11. März hier eingetroffen sind, hat höchste Bestürzung unter den russischen Gästen am Genier See hervorgerufen. Aber auch aus Paris kommen� Meldungen von Russen, die die größte Besorgnis wegen des Schicksals ihrer Angehörigen in der Heimat äußern. Eine Dame, deren Gatte ein höherer Ofsizier in Petersburg ist, und die erst vor wenigen Dachen am Genfer See «ingetroffen war, gab mir die letzte Depesche ihres Manne» zu lesen. So schonend die Mitteilungen auch gehalten, so geht doch aus ihnen hervor, daß man w Peters burg erst am Anfang einer schrecklichen Zeit zu stehen glaubt. Der Offizier bittet seine Gattin u. a.. übertriebenen Darstellungen. denen sie in der Preffe begegnen würde, kein großes Gewicht bei- zulegen, er selber wäre gerettet worden und befände sich in Sicher- heit, er hoffe zuversichtlich, daß der mit neuen Vollmachten ausge- stattete Kommandant in einigen Tagen die Ruhe in der Stadt wiederherstellen könne. Die Depesche ist in der Nacht zum 10. März in K r o n st a d t aufgegeben worden. Der Offizier muß sich mit Zielen anderen Kameraden in großer Lebensgefahr befunden haben. ES scheint, daß zahlreiches Militär aufgeboten werden mußte, um ein Uebergreisen der Bewegung von Petersburg nach Kronstadt zu verhüten. Wieder andere Telegramme lassen nur eine Deutung zu, daß in einigen Kasernen in Petersburg Meutereien stattgesunden haben. Sonst würde z. B. der Satz in einer Depesche:„lln- zuverlässige Elemente in Kasernen radikal beseitigt I* keinen Sinn ergeben. Die Rervofität wird gesteigert durch das völlige Aus- bleiben von Nachrichten und Geldmitteln, die telegraphisch auf die erste am 8. März eingetroffene Kunde von revolutionären Be- wegungen gefordert worden sind. Die lleberzeugung ist hier allgemein, daß die meisten Peters- burger Kreditanstalten geschlossen halten. Denn sie geben weder selbst, noch durw ihre Vertretungen in Paris und London auch nur das geringste Lebenszeichen. Dagegen laufen aus Frank- reich wie England sortgesetzt Meldungen ein, daß alle Ver- suche, mit Petersburg oder Moskau eins telegraphische Ver- bindung zu erhalten, gescheitert sind. Hier wohnende An- gehörige von bekannten Petersburger Bankiers stehen Tag und?tocht auf dem Telegraphenamt, geben Depeschen über Depeschen aus, find über das Ausbleiben jeder Antwort ganz verzweifelt und rüsten sich zur Rückreise nach Paris in der stillen Hoffnung, daß sie dort«her aus ihrer Unruhe erlöst werden könnten. ES fällt all- gemein out, daß nur diejenigen Gäste in der Schweiz Nachricht aus Rußland erhalten, die Offiziere oder hohe Staatsbeamte unter ihren Familtenangehörigen in der Heimal befitzen. Auch dieser vielsagende Umstand trägt zur Erhöhung der Unruhe bei. Schon vor acht Tagen waren Briefe und Telegramme ein- getroffen, die auf das Bevorstehen von schweren Ereigniffen auf- merksam machten. Ich bekam einen Brief emeS wohlhabenden Russen aus Petersburg zu lesen, der folgende Momente zur Bcur- terlung der Lage hervorhebt: Der Mangel an wichtigen Lebensmitteln und Rohstoffen hat die zeitweise Schließung von Munitionswerkstätten und damit die BefchäftigungSlosigkeit von Hunderttausenden von Ar- beitern in zahlreichen Städten zur unmittelbaren Folge ge- • habt. Die Arbeiter erblickten in den ungezählten Chinesen " und Japanern, die vor einigen Monaten in Riesenmasscn 'i herangeführt winden, nicht nur Lohndrücker, sondern auch unnütze Münder, die in ihrer Vielheit zur Steigerung der Lebensmittelpreise beitragen. Bei den wiederholten Lohnstreitigkeiten mußten die einheimischen Arbeiter durch den Druck der Gelben den Kürzeren ziehen. Die Gärung bat schon um Weihnachten herum bedrohliche Formen angenommen. Immerhin konnte man für schweres Geld damals toenigstens noch Lebensmittel auftreiben. Dazu kam mit der Vermehrung der einwandernden Gelben noch eine unerwartete Wohnungsnot, die namentlich in Petersburg schon vor einem halben Jahre beängstigend groß geworden war. Sowie die einheimischen Arbeiter in Lobn- streltigkeiten gerieten, begünstigten die Arbeitgeber die Kulis sowohl auf dem Gebiete des WohnwesenS wie auch hinsichtlich der Ber- pflcgung. Streikenden Arbeitern wurde durch ein raffiniertes System. das durch die Militärbehörden begünstigt wurde, die mit den Heereslieferanten Hand in Hand arbeitet«:, die billigen Wohmrngen entzogen, in die dann die Kulis wie Sklaven gelegt wurden. Ebenso ging eS mu den Lebensmitteln.' Diese kamen für die willigen Arbeiter, besonders für die Gelben, als Prämie stets zur reckten Zeit an. Die einheimischen Arbeiter merkten,
daß Behörden und Fabrikanten mit Zuckerbrot und Peitsche vor- gingen. Mehrere Ausstände in den Putilowschen Werken endeten mit einer Niederlage der Angreifer, deren Wut dann keine Grenze mehr kannte. Seit vier Monaten sind die Löhne nicht mehr gestiegen, obwohl die Preise für die wichtigsten und unentbehrlichsten Lebensmittel sich in derselben Zeit verdreifachten und sür die Wohnungen verdoppelten. Als e° ruchbar geworden war, daß die Regierung zur Rationierung und Tarifierung von einzelnen Lebens- mittelarien ichreiten würde, setzte die Hamsterei der Wohlhabenden in so großem Stil ein, daß für die Armen wenig übrig und dieses Wenige außerordentlich teuer wurde. Mit den Preisen stieg aber auch die allgemeine Verbitterung des kleinen Volks, das fich durch die Politik der Reichen betrogen sab. Das Maß wurde voll, als die HeercS- Verwaltung infolge des Leriagens der TransvorlmiUel sich genötigt sah, auf dem Lande das Getreide und Fleisch zu beschlagnahmen, das sür die Städter bestimmt war. Strinöberg:»Toteatanz� 2. Teil. Die Darstellung des 2. Teils von Strindbergs„Torentanz' im Theater in der Kcniogrätzer Straße stand künstlerisch auf gleicher Höhe wie die des ersten Abends. Am Schlüsse gab es Ovationen von einer Dauer, wie man sie sonst nur in der Reinhardt-Bühne zu erleben pflegt. Ob sich indes da? Werk als Doppeldrama in dem Repertoire wird behaupten können, ist freilich eine andere Frage. Der haßerfüllte Kampf der beiden Gatten, die doch, so furcht- bar sie sich peinigen, nicht voneinander können, ist in dem ersten Teil bis in die letzten Möglichkeiten ausgeschöpft. Die Fäden, die in dieser Richtung weiter laufen, vermögen nur ein mäßiges Jnter- esse zu erregen.'Das Pathologische in dem Charakter des in fcind- selige Wahnideen eingemauerten ergrauten Artilleriekapitäns, daS als Moment der Eheschilderung von starker Wirkung war und Anteilnahme weckte, versteinert hier, von diesem Hinlergrunde abgelöst, zu einer kaum noch verständlichen Art Besessenheit: der Kontolr des Menschlichen verliert sich. Die Wut, mit der er dem Jugendfreunde nachstellt, der olS Zeuge seiner ehelichen Kämpfe ihm so viel Güte erwiesen, trägt das Gepräge deS Verfolgungs- Wahns, erlötet auch die letzten Sympathien. Das Unverständliche wird durch die geheimnisvolle Macht, zu schaden, die Strindberg diesem offenkundig Kranken andichtet, dessen Intrigen ganz ins Phantasti'che verlaufen, noch erhöht. Und bei dem Fehlen alles Versöhnlichen in dem Charakter bleibt auch dem Ausgang, der plötzlich völlig andere Töne anschlägt, jede Ueberzeugungskraft ver- sagt. Dieser Elende, den der lange drohende Schlagansall nun endlich doch auf Nimmerwiedersehen zu Boden streckt, scheidet im Stück mit den Worten: Ich verzeihe allen, sie wiiien nicht, was sie tun, aus dem Leben. Mehr noch, dieses Wort soll seinen Schatten unS verklären. Der Leutnant, der es horte, wie der Jugendfreund bezeugen vor dem erstaunten Hörer, daß in der Seele des Verstorbenen Gutes log: ja selbst t:r grimme Haß der Frau schmilzt nunmehr bin und sie entdeckt, da;, sie im Grunde ihn stets geliebt hat! Gewiß, des Todes Majestät vermag viel. Doch diese Wandlung ist ein leeres Wunder, so leer wie etwa die günstige Zusallssügung, die der fromm gewordene Strindberg in seinem Festspiel„Ostern' zu einer Fügung Gotteö �stempeln wollte. Auch der Tod kann nur auslösen, was in den seelen vorbereitet liegt. So hol ein anderer. Gerhart Hauptmann , des Todes Wirkung dar- gestellt, in der herrlichen Klage seines Michael Kramer an der Leiche des mißratenen und doch so tief geliebten Sohnes, von dem er die Erfüllung seiner eigenen Künstlerträume hoffte. Was da den Hörer als Erlebnis packt, berührt hier nur als seltsam fremde Zumutung. Merkwürdig kontrastiert mit der Entmenschlichung des Mannes, der in dem ersten Teil de: Dichtung dem Mitgefühl so nahe steht, die Frau, die dort ganz Teufelin, hier mehr menschlicher er- scheint. Die wilde Begier, in der sie um den Jugendfreund geworben, hat einer ruhig ehrlichen Kameradschaft Platz gemacht. Sie warnt ihn vor den Anschlözen des Galten und fit der Tochter Judith eine zärtliche, ja auch verständige Mutter. Ihr Haß wider den Mann, im ersten Teil den Grundton verstockter Tücke tragend, stellt fich hier mehr als die natürliche Vergeltung einer bösen Despotenwillkür dar. Die Art. wie Irene Driesch das Bild der Frau— schon in dem ersten Teile die Bosheit durch gewisse weiche Klänge mildernd— angelegt, erwies sich so im Einklang mit dem ganzen Plan der Dichtung, die freilich in fich selbst durch eine Ilmbiegnng der Gestalt Einbuße an Geschlossenheit erleidet.— Psychologisch am interessantesten, das anfangs angeschlagene Thema in neuer Beleuchtung weiterführend, waren die ersten von Maria O r s k a und Fritz Schulz vorzüglich dargestellten Streit- und Schmollszenen der beiden jungen Leute: der kleinen Judith und des Sohnes des Jugendfreundes. In der kalten Bcrech- nung, womit die frühreif dreiste� Göre, ihrer Macht bewußt, den treuherzig verliebten Burschen guält, empfand man etwas wie den
Hauch von Jbienschen Gespenstern. So mußte die Mutter, als sie selber noch ein halbes Kind war, gewesen sein' Die Ehe, die am Horizont aufsteigt, läßt eine Fortsetzung der Tragik, die in dem Bund der beiden Alten waltete, erwarten. Doch dies bedeutsame Motiv wird von dem Dichter später ganz beiseite geschoben. Seine Judith wandelt sich, als wäre die heirschsüchlige Lust am Kränken nur eine Laune ihrer Backfischjahre, in eine Schwärmerei der großen Liebe, die eher alles opfern, wie vom Geliebten lassen will. Eine Wendung, die bei mancher dichterischen Schönheit doch jedes näheren Bezugs zu der Vergangenheit und zur Idee des Stücks ermangelt. — H a r t a u führte den Alren im Stile, den er ihm am ersten Abend gab, bortrefflich bis zum Ende durch. Im Spiel Paul Ottos trat die sichere Rechlschaffenheit und gütige Milde des Jugendfreundes eindrucksvoll hervor. dt. Ibsens„Sordman" im Deutschen Theater. Man beginnt von einer Jbsen-Dämmerung zu sprechen. Und in der Tat: manche von den späteren Werken halten sich nicht mehr in der Bahn, sie fallen allmählich aus. Aber die anderen zieben unverrückbar ihre Kreise.„John. Gabriel Borkman', das vorletzte Spätwerl Ibsens gehört zu ihnen. DaS hat uns die Aufführung des Deutschen Theaters kraftvoll erhärtet. Strindberg steht auch im „Totentanz' nur im Schatten Ibsens , so sehr er ihn zu übersteigen sucht. Lebenswahr, mit weiterem Horizont bat Ibsen hier Lebens- Probleme gestaltet. Die Mächte, die er verkörpern wollte, wuchsen über das Persönliche hinaus und verlangten nach der symbolischen Formgebung. Ist Borkman nur das Drama der kraftvollsten Einzclpersön- lichkeil, die in ihrem Machtstreben alles opfert, oder ist eS nicht auch das hohe Lied des Kapitalismus? We gener legte alles Schwer- gewicht auf Betonung des Krastkerls, der nur fich kennt und seine Machtgier. Unheimlich prägte er seine Monomanie aus, wild und wüst auch im gewaltigen Hoarschopf und Bart, ein Rübezahl, der in menschliche Gestalt gezwungen. Wenn er rastlos seine Schritte den Boden stampfte, glaubte man das Raubtier zu sehen, das losge- lassen alles bedroht. Im letzten Akte aber kam die starre Erloschenheit zum Ausdruck: ein toter Krater zeugt er noch von der elenieniaren Größe. Aber das Visionäre. das entzückte Schauen, das hypnotisierte Lauschen aus die verführerischen Stimmen der Tiefe,— das stieg nicht so mitreißend empor, und dadurch verlor das Ganze qn symbolischer Auswirkung. Else Lehmann und Rose Berten? erneuten den Glanz der BrahmSschen Tradition und führten de« Kontrast der beiden Frauen, die um Bater wie Sohn ringen, zur vollen Höhe: auf- opfernde Liebe, Güte mrd Verzeihen hier, dort trotzige Herrschsucht — bcidesmal höchst individuell und bedeutend gestaltet. Die leise Parodie des großen John Gabriel, die sein getreuer Knappe Foldol darstellen soll, wurde in Pallenbergs unvermeidlichen Manieren— wie quetscht er monckeS, wie peitscht er anderes auf mit einer Stimme, die wie e'.ne Kreissäge klingt— übersteigert. Maria Fein gab der abenteuernden Frau Wllton zwar exotisches Parfüm, aber auch die ganze Nasalität, deren sie fähig ist. Fortreißend jugendfrisch war Hart manns Erhard. Unter Reinhardts Regie hatten die Zimmer Leben gewonnen, sie spiegelten das Wesen ihrer Bewohner wieder, sowohl unten wie oben. Der volle Zauber sternfunkelnder Winternacht war aus- gegossen über die letzte Szene. Aber kein Ausblick eröffnete sich und so mußte Borkman seinen Zaubergesang vom lockenden Erz im BcrgeSschacht— inS Parterre richten.— r. Suüermanns �Johannes". Vor neunzehn Jahren wurde dies biblische Drama Hermann Sudermanns zum erstenmal am Deutschen Theater au'gesiibrt. Seitdem, unseres Wissens, an keiner Berliner Bühne mehr. Das erscheint um so sonderbarer, als das Stück gut ist. Wie konnte e-Z so lange und so völlig übergangen werden, daß man beinah von gänzlicher Vergessenheit reden'möchte? Stun, die Leitung des Schiller-TheaterS besann sich des Guten, das ja dem Volke nie zur Unzeit geboten werden kann, und bringt jetzr dies halb verschollene Drama. Die Aufführung war, technisch wie künstlerisch genommen, in allen Teilen sorgfällig vorbereitet und vorzüglich. Johannes, der Wegbereiter, aber immer Zweiselndc, wurde von Alfred Braun , der diese Gestalt zum Kernpunkt der Handlung zu machen verstand. trefflich charakterisiert. Der so ganz von seiner Buhlerin HerodiaS , deren Charakter und Wesen Hedwig P a u l y ungemein plastische Schärfe verlieh, beherrschte HerodeS fand in Nähert Aßmann einen schauspielerisch eigenen Gestalter. Reu ist Gertrud K anitz, eine junge und, soweit es ihre Rolle als Salome beurteilen läßt. sehr talentvolle Pragerin. Gut waren daneben noch einige Charakter- typen. Auch dekorativ und szenisch steht die Aufführung auf neu- zeitlicher Höbe. sk.
43] Der polizeimeifter. Ein russischer Polizei roman von Gabrhela Zapolöka. Diese Wone waren plötzlich niedergefallen nnd klärten Tagejclv die ganze Situation auf. Er begriff vor allem, daß Markomski die ganze Schuld aus seinen Vorgesetzten abwälzte, und daß die Situation wirklich bedenklich sein müsse, wenn Markowski innerhalb weniger Tage seine Taktik so vollständig geändert hatte. Er kniff ein Auge zusammen und trat dicht an seinen Untergebenen heran. „Was reden Sie für Zeug?" begann er heftig,„haben Sie nicht auf eigene Hand eine ganze Menge Gewalttaten verübt? Glauben Sie. ich habe es nicht gesehen?' „Meine Gewalttaten, wie Sie das nennen, waren nur die Aolgen Ihres Handelns. Ich nrußte Sic schützen und mir Ihr System aneignen,' erwiderte MarkowSkr mit unfag. barer Verachtung. Ich wiederhole noch einmal,' fuhr qx fort, „daß ich nichts selbständig unternommen habe. Merken Sie sich das!" Dieses Selbstbewußtsein und der kalte, entschlossene Ton imponierten Tagejew. Einen Augenblick war er wie verdutzt. Er sah sich verlassen, und es wurde ihm klar, daß er sich allein würde verteidigen müssen. Wie ein von seinen Verfolgern umringtes wildes Tier raffte er alle Geisteskraft zusammen und versuchte zu übersehen, ob er imstande sein toürde, dem Angriff die Stirne zu bieten. Tie Rechnung inußte offeitbar zu seinen Gunsten ausgefallen sein, denn Tagejew trat zurück und nahm die Haltung des Vorgesetzten an, der dem Untergebenen Befehle erteilte. „Ja... Sic sagen, daß Sie meine Befehle ausführen, aber ich muß Ihnen sagen, daß Sic den Dienst sehr vernach- lässigt haben,' begann er harr.„In der Stadt sind Unruhen. die Pässe sind in Unordnung... So kann es nicht bleiben! Ich muß strenger gegen Sie vorgehen, sonst geht die Stadt zum Teufel. Ich bin mit Ihnen sehr unzufrieden... hören Sie?... Sehr unzufrieden!' In seiner mangelhaften Bekleidung und der Haftung eines Generals, der Tadel austeilte, wirkte er unsagbar komisch. Markowsti nahm sofort eine offizielle Mene an und reagierte nicht im geringste« auf die Borwürfe.
„Ich werde heute die Kanzlei revidieren," schloß Tagejew hochmütig und winkte mit der Hand ab, zum Zeichen, daß das Verhör beendet sei. Martowski neigte den Kopf und begab sich nach dem Ausgang. ..Erlauben Sie!" rief Tagejew ihm nach,„nicht durch den Borderausgang. In Dienstsachen benutzt man die Hinter- treppe. Das sollten sich meine Angestellten merken." Ohne Widerstand zu leisten, kehrte Markowski um und betrat den nach der Hintertreppe führenden Korridor, der von Semipudow und PluSkin bewacht war. Unten drehte er sich noch einmal um und seine Lippen verzerrte ein undefinico bares Lächeln. „Für diese Hintertreppe werde, ich dir auszahlen, du nichtswürdiger Schuft!" dachte er und ließ im Gedanken eine ganze Reihe jener ruffischen Flüche folgen, um die Europa Rußland mit Recht beneidet. V. Horskis ASreiie.— Doppelter Frühling.— Mädchengeständnisse.— DaS erhoffte Wiedersehen.— Kazjo.— JankaS Nedcnmtt.— Der reizende Student. Am Morgen erhielt Horski ein Telegramm von seiner Schwester, die ihm die Erkrankung ihres Gatten mitteilte und ihn bat, zu ihr zu kommen, um ihr zur Seite zu stehen und manche Geschäfte zu ordnen, die infolge der Krankheit des Mannes vernachlässigt waren. Horski begann sofort zur Abreise zu rüsten. Er wollte zwei Tage fortbleiben und nach seiner Rückkehr mit jenem Protest persönlich zum Gouverneur reisen. Er fühlte eine ungewöhnliche Tatkraft und Energie. Als inan ihn fragte, ob er nicht fürchte, Tckgejews Rache auf sich zu laden, erwiderte er: „Vor dein allgemeinen Wohl müssen alle persönlichen Rücksichten weichen." Dabei suchte er seinen Sohn mit den Blicken. Kazjo er- hob seine großen, schönen Augen zum Vater und es schien, als spiegele sich in ihnen eine dankbare Anerkennung. DaS schürte H>orSkiS Eifer noch mehr. „Lebt wohl! In drei Tagen bin ich wieder da, dann soll Herr Tagejew erkennen, wör ich bin." Er umarmte seine.Kinder mit inniger Zärtlichkeit und umfaßte, bevor er ging, mit liebevollem Blick das stille, traute
HauS, in dem er so viele Jahre verbracht hatte. Ein seit- samcs Gefühl bedrückte sein Herz. Er stieg in die Droschke und bemühte sich, die traurige Stimmung abzuschütteln. „Man wird ja wie ein sentimentales Weib, wenn man immer zu Haufe sitzt. Eine Reise für zwei Tage bringt einen förmlich aus dem Gleichgewicht!" Er gab sich einen Ruck und bemühte sich, an den Protest zu denken. „Warte... Dir will ich es beibringen!" dachte er. als er an dem Gebäude vorbeifuhr, in dem Tagejew mit seinen Polizisten hauste. Die hellerlcuchteton Fenster schimmerten in die dunklen Straßen hinein. „Du sollst deine Illumination haben dachte Horski lachend.
Inzwischen hatte Iänka den Vespertisch abgeräumt und sich in ihr Stäbchen begeben, wo sie zum ungezählten Male Klitzkis Briese zu lesen begann, die er ihr aus Krakau gr- schrieben hatte. Sie holte aus einem.Kasten Klitzkis Brld hervor und betrachtete es mit der ganzen Hingabe eines zum ersten Male liebenden Mädchens. Wie sie so, den schönsten Zukunftsträumen hingegeben, dem Frühling gleich, da saß, schlich sich ganz leise ein anderes junges Geschöpf in ihr Zimmer. „Haiina!" „Janka!"■ Sie küßten sich herzlich. Die Freundin erriet das Geheimnis, und bald war das Mädchenstübchen voll fröhlichen Gezwitschers. Und Jankas Wangen erglühten. „Wann kommt er wieder?" „Sehr bald! Ich erwarte ihn jeden Tag!' „Wann schrieb er zuletzt?' „Gestern!" „Schreibt er täglich?� „Fast täglich!" In jugendlicher Anmut saßen diese beiden jungen Men'chentinder beisammen, dem Schicksal entgegenharrend, das aus ihren bunten Mädchenträumen horvortauchte. (Zorti. folgtj