fr. 113-1917
Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Das billige Buch.
Donnerstag, 26. April
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meinet:
inzwischen einen stattlichen Umfang erreicht. Sympathisch wirkt, daß das sogenannte bürgerliche Gesellschaftsstück. Etwas Modernität, sie die monotone Uniformierung, die sonst üblich ist, aufgegeben hat, mancherlei Wit , ein Tropfen Satire aber im Grunde ging er und in künstlerisch reizvollen, gezeichneten Einbänden erscheint. allen ernsten Problemen aus dem Wege und blieb der bloße Bevor der Krieg auch im deutschen Verlagsbuchhandel eine neue, Sier ist es vor allem die junge Künstlerin Kasia von Szadurska , Amüseur. Man muß nur daran denken, wie er Jbsen verballhornt gegen die Friedensverhältnisse erheblich verschlechterte Lage schuf, in der der Verlag eine Meisterin für das interessierende, zwischen hat!„ Der Probepfeil"," Die großen Glocken"," Ein Tropfen Gift" war das Prinzip der Verbilligung einer beſtimmten Gruppe von reiner Beichnung und fünstlerischem Plakat stehende Titelblatt bezeichnen diese Epoche, in der immerhin noch eine Spur von GeBüchern zur Verwirklichung gekommen und hatte seine Vorzüge er gefunden hat. Mit der sicheren Kunst ihrer Feder gibt sie halt war. Dann aber ging Blumenthal, der 1888 das Lessingtheater wiefen. In einer Zeit, wo man fast die gesamte Literatur eng- einen bannenden Moment oder ſummiert den geistigen Gehalt des übernahm, zur bloßen Schwantfabrikation( häufig in Kompagnie lischer Sprache in einer guten und im Material gediegenen deutschen Buches in ein Bild von symbolischer Bedeutung. Aus der Fülle ge- mit Kadelburg) über. Er gehörte zu den meistaufgeführten Autoren Ausgabe des Verlags Tauchniz zu einem geringen Preise erwerben nannt seien vor allem Wilhelm von Scholz ' vortreffliche Novellen- dieser geistlosen Machwerke, die zur Schande des deutschen Theaterkonnte, besaß die deutsche Literatur ſelbſt kein entsprechendes bändchen Fähnrich von Braunau“ und„ Die Unwirklichen", Jervens lebens einen so großen Teil der Bühnenspielpläne ausmachen. Gegenstück hierzu. Man wird die Beträchtlichkeit dieses Mangels er prächtige Kalendergeschichten, Schubarts gedankenreiche Tiergeschichten Schmalzig, fentimental, tugendboldig( mit einem Schuß Schwerekennen, wenn man bedenkt, daß das billige Buch der beste Werber und die mit feiner Kunst erzählten Novellen ungarischer Dichter. nöterei) ist die ganze Gattung, und es genügt, das für den Dichter ist und seinen Gedanken und Ideen die größte Ver- In Hans Frands Märchennovelle„ Glockenfranzl", die Otto Sohn- wegen Beste davon zu nennen:„ Das weiße Röß'T". breitung schafft. Aber diese Betrachtung berührt auch zu Rethel mit zwei schönen Titelblättern geschmückt, bezeichnet man Blumenthals Theater der Lebenden" war ein blutiger Hohn gleich die Gefahr, die in der prinzipiellen Verbilligung des Buches vielleicht das dichterisch stärkste Werk dieser Sammlung. In Richard auf seine frühere kritische Forsche: er brachte durch die Bank nuc liegt. Unterliegt das künstlerische Gewissen eines Verlegers seiner Nieß' Trockenem Fisch" kondensiert sich jener Humor, der im Be- Gleichgültiges, jetzt bereits Vergessenes. Nur ein Stüd hat eine kaufmännischen Gewinnsucht, so wird er leicht zum verderblichen reich der Frauentürme gedeiht und der auch die Münchener gewisse Bedeutung behalten: Sudermanns" Chre". Aber das Geld Fälscher geistiger Nahrung der vielen, denen nur das billige Buch Bilderbogen" belebt, die derselbe Verfasser zu einem lustigen floß ihm in Scheffeln zu. Er war ein geschickter Kaufmann, der die erreichbar ist. Zum Glüd waren es bei uns solche Verleger, die sich Panorama zusammengestellt hat. Konjunktur jeweils gut auszubeuten verstand. Nur soll man ihn der Verpflichtung ihres Verufes und der kulturellen Aufgabe Noch bedeutender als buchtechnische Leistung des gleichen Ver- uns deswegen nicht in das Pantheon deutscher Literatur einihres Wirkens vollkommen bewußt waren, als sie daran lages aber ist die bis jetzt in sechs Bänden vorliegende„ Nein schmuggeln wollen! gingen, Sammlungen billiger Bücher in ihrem Verlag born Bücherei". Die in mehrfarbigen Künstlereinbänden Ja, aber sein formales Talent! Gewiß, er fonnte vortrefflich ericheinen zu lassen, die nur Gutes an Inhalt und Ausstattung dargebotenen Bücher normalen Formats fosten 1,50 M. und sind reimen, und seine Verse liefen glatt. Sie hervorzubringen, gehörte bieten sollten, wenn sie auch auf einen weiteren Beserkreis auf gutem Papier schön und sorgfältig gedruckt. Bedeutend für zu seinen Lebensnotwendigkeiten. Seine Berliner Schnoddrigkeit seine fünstlerische Gestaltung und die Betrachtungsweise des und sein jüdischer Witz vermählten sich mit diesen Vers- und ReimIn diesem Sinne schuf der Verlag S. Fischer seine„ Bibliothek Lebens und der menschlichen Schidjale sind die farbigen, fertigkeiten und ergaben eine nie zu erschöpfende Fülle zugespihter zeitgenössischer Romane", die einen wesentlichen Ueberblick über das lebendigen Skizzen, die der Wiener Lyriker Alfons Pezold Kleinigkeiten jene Feuilletonlyrik, in der er seine eigenen Schrifttum der Gegenwart gestattet. soweit es sich in Roman und hier unter dem Titel„ Sil der Wanderer" sammelt. Die reise, die wohllebige jüdische Bourgeoisie, durchhechelte. Er ge= Novelle bekannt gibt. Ein unbegrenzteres Programm verfolgt der Titelnovelle ist voll tiefer Weisheit und mythischen Tonfalls fiel auch hier ein Zeichen, daß die Satire nicht an die Nieren Insel- Verlag mit seiner fleinen Bücherei( 60 Pf.), die sich nicht und offenbart wohl am stärksten das eigentliche Wesen ging. Er hat einmal sich offenbar selbst perfifliert als:
Rücksicht nehmen wollten.
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allein auf nationales Kunstgut beschränkt und auch weitere Stoff- dieses Dichters, der aus den Tiefen der Menschheit fam. Auguste gebiete berücksichtigt, dabei einen bereits fultivierteren Leser Supper, voraussehend und auf rein unterhaltende Literatur so ziem- Fabers Weg" die erdverwachsenen Menschen ihrer schwäbischen die nunmehr Fünfzigjährige, zeichnet in„ Gottfried lich ganz verzichtend. Die jüngsten Erscheinungen der Heimat mit der hegenden gläubigen Liebe einer Dichterin, die das Cammlung wollen das deutsche Publikum mit der sprach Wesen jener Eriſtenzen feinhörig erborcht und mit Blicken, die die Asertvolle und unvergängliche Dokumente der Weltliteratur, gleich- Baul Jig bunte Lebensausschnitte und die frische, frohe Melodie und wesensverwandten Literatur der Flamen bekannt machen. Seele fanden, erschaut und begriffen. In Sonntagsliebe" gibt viel ob philosophisches Manifest, dichterische Bildung oder brieflicher feiner Gedichte. Eine vortreffliche Auswahl aus dem Gesamtwert Gefühls und Gedankenaustausch, bringen in würdiger Form die Star! Stielere, dessen Winteridyll" eben wieder berühmt und beDeutsche Bibliothet" und die Sammlung des Verlags fannt geworden ist, hat Walter Jerben, der Herausgeber auch diefer melang, Leinenbände in Taichenformat für eine Mark. Nicht Sammlung, unter dem Titel„ Das Fingerhadein" zusammengestellt. ohne Einwand anzuerkennen ist die Sammlung der UIIst ein Bücher, Hier wird von einem Sohne Bayerns in anregendem Blauderton die dem Geschmack eines nur Unterhaltung suchenden Publikums manches gesagt, das die Wesensart seiner Landsleute erklärt und allzu bereitwillig Rechnung tragen und daher die unaufdringlich ein Bild ihres Tuns und ihrer sinnvollen altüberkommenen Geerziehliche Wirkung ähnlicher Unternehmungen leicht zerstören oder bräuche gegeben. Das badische Buch", das ebenfalls von Walter auf unsichere Leser, die leicht für Besseres gewonnen werden könnten, Jerven herausgegeben ist, sammelt fleinere, aber für ihr Schaffen geschmacksverbildenden Einfluß gewinnen. charakteristische Prosastücke alemannischer Dichter. Was in dieser Weise vor dem Kriege begonnen war, wurde Ueber die Borzüge des billigen Buches ließe sich noch mancherlei während des Krieges, begünstigt durch die Umwälzung der anführen. Es sei begrüßt, daß viele Verlage sich unter Verzicht Lage im Buchhandel sowohl als auf anderen Gebieten, weiter aus auf einen Gewinn im Umfang des sonst gewohnten zu einer solchen gebaut. Die Leichtigkeit der Anschaffung für jedermann, das hand- Form entschlossen, um fünstlerische Dinge, die eine innere Beliche Format, die gute Verwendungsmöglichkeit machten das billige reicherung des Volkes und einen Ausgleich zu der fortschreitenden Buch zum bevorzugten Begleiter des Frontsoldaten. Hier erfüllte Berindustriealisierung und Mechanisierung des Lebens bedeuten, feinen eigentlichen praktischen Zweck und konnte in den allen erreichbar zu machen, die eine Ablösung von arbeitsreicher, weitesten Kreisen wirken. So entstand gu Anfang mühvolier Alltäglichkeit als Bedürfnis empfinden,
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des Krieges eine Reibe weiterer Sammlungen von billigen Büchern, die größeren Verlage saben sich gezwungen, der Forderung Rechnung zu tragen. Als einer der ersten eröffnete der Verlag Eugen Salzer in Heilbronn seine Taschenbücherei deutscher Dichter, schöne kleine Leinenbändchen für eine Mart. Die vertretenen Werte sind gewählt und volkstümlich, hervorragend unter ibuen Federers Sisto e Sesto" und" Das legte Stündlein des Papites", sowie die unter dem Titel„ Die Karpathen". vereinigten ungarischen Striegsnovellen, die starte Impressionen und Episoden aus dem Stampfe im Osten geben. Direkt als Frontausgabe zeitgenössischer Schriftsteller gedacht sind die Feldbücher des Verlages Egon Fleischel u. Co., die im Verhältnis von Leistung und Preis die vorgenannten noch übertreffen. Schmidtbonns Rovellenbuch Schlaraffenland" mag in dieser einfachen Form viele zu der Kunst dieses großen Dichters führen, der einer der reichsten Schöpfer deutschen Geistes ist. Für ihre Schöpfer werben und zeugen in dieser Sammlung wohl nicht umsonst auch Bocks Flurschi", Klara Biebigs Kinder der Eifel", Münchhausens Balladen", ferner Fleischlens Heimat und Welt" und endlich Auguste Hauschners historischer Roman„ Der Tod des Löwen".
Ein Berlag sei endlich genannt, dessen ganze Entwicklung in die Zeit des Krieges fällt und dessen Biel das gute billige Buch ist: die Konstanzer Berlagsbuchhandlung Neuß u. tta. Beitbücher" nannte sie die Sammlung ihrer Fünfzig- Pfennig- Bücher, die mit einigen aus der ersten Zeit des Kampfes geborenen Werfchen begann, damit vielleicht andeutend, daß sie nur für und mit der Zeit zu wirken gedenke. Sehr bald aber gab sie diese Begrenzung auf und zog veitere Streise, in ihre Veröffentlichungen das beinahe gesamte deutsche Schrifttum der Gegenwart einbeziehend. Die Bücherei hat
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Der Polizeimeister.
Ein russischer Polizeiroman bon Gabryela Zapolska . ( Schluß.)
Plötzlich stieß sie, wie von einer tuneren Gewalt getrieben, die Worte aus: " Durch mich wurde Kazio nach Sibirien geschickt!" Nein, nein, Razio ist in Aratau. Erinnerst du dich
nicht?"
Sie schwieg.
..Soll ich nach Kazjo telegraphieren?" Sie antwortete nicht.
Janka, hab' Erbarmen! Mit dir und mit uns! Gieb' dich nicht wieder dem Wahn hin!"
Janta ringt eine Weile mit sich selbst, schließlich rückt sie, am ganzen Körper zitternd, von ihm fort.
Janta! Sie mich an! Komm zu dir!"
Oskar Blumenthal+
0. M.
Der Bühnenschriftsteller Dstar Blumenthal ist Dienstagabend in Berlin gestorben 65 Jahre alt.
Wenn es nach einigen Berliner liberalen Blättern ginge, möchte man annehmen, ein Großer der Literatur sei mit ihm heimgegangen. Ein unternehmender Kopf, ein geiftvoller Mann, ein betriebsamer Bühnendichter, ein schlagfertiger Epigrammatifer, ein bei gelegentlicher Schärfe liebenswürdiger Mensch so sprudelts in seinen Zirleln.
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Die jungen Naturalisten, denen die Literatur mehr war als ein lustiges Epiel und ein ergiebiges Unternehmen, haben anders über den Mann gedacht. Sie haben ihn einen großen Macher genannt und gemeint, er hätte seine Talente in der wirklichen statt in der literarischen Konfektion ausnuten sollen. Und Alfred Sterr hat ihn und seinen blumeranten Stil zwanzig Jahre später noch verspottet:
Ist er doch ein geborener Plauderer... er plätschert wie ein Bächlein, er zwitschert wie ein Vogel, er duftet wie ein Rosenbusch, er ist blumig wie eine Gartenhede, er ist gewandt wie ein Pony, er redet Gemustertes... er ist ein Liebling. Sturz, er ist, ohne zu schmeicheln, ein leberkommis."
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" Den alten Herrn voll Wiz und Ironie, dienen, können nicht Dauerwirkungen zeugen. der jeden Tratsch uns liebevoll ins Ohr bläst." Talente, die so rasch und erfolgreich Bedürfnissen des Tages Der momentane Erfolg will in der Literatur nichts heißen. Wem er aber genug ist, sich damit ein. der mag noch soviel Tantiemen häufen, in keine Nachwelt kauft er
Der fettlose Braten in der Tüte. Der Fettmangel macht jedes Mittel, das auch ohne Verwendung von Fett die Herstellung eines wirklich schmackhaften Bratens ermöglicht, kostbar, besonders wenn es sich um ein solch einfaches Verfahren handelt, wie das Braten in Papierumhüllung, auf das in der Deutschen Landwirtschaftlichen Presse aufmerksam gemacht wird. Das Braten in fester Umhüllung ist an sich nichts Neues. Das System der Umhüllung erweist seine Rüglichkeit ja auch bei den bei uns bekannten Bratäpfeln, ebenso weiß jedermann, daß die in der Schale gekochten Pellkartoffeln schmackhafter find, als geschälte Kartoffeln. Dieser Gedanke liegt auch den von Valentin Corell erfundenen Tüten zum fettlosen Braten zugrunde. Der Braten kommt in eine Papiertüte, die durch mehrmaliges Umlegen die Tüte mit Inhalt auf eine Schüssel, deckt sie mit einem größeren des Randes ganz fest geschlossen werden muß. Dann legt man Gefäß gut zu und stellt das Ganze in den angeheizten Backofen, to es 1½ bis 2 Stunden verbleibt, ohne daß irgendwelche weitere Obsorge erforderlich sind. Bei diesem Verfahren erübrigt sich auch das sonst notwendige Umwenden. Bei dem Echizen des Bratens entsteht ein durch die Papierhülle erhöhter Druck, der den Fleischfaft nach außen treibt, und die Papierhülle selbst sorgt dafür, daß das Fleisch in seinem eigenen Saft brät. Abgesehen davon, daß also Fett und Arbeit gespart werden, erzielt man hierbei auch eine Mehrausbeute, da bei dieſem fettlosen Braten in der Tüte das Fleisch überhaupt nicht einschrumpft oder an Gewicht verliert.
Notizen.
- Der Polizeimeister, Gabryela Zapolstas spannender Roman, der bei unseren Lesern starkes Intereffe geweckt hat, ist als Buch im Verlag von Desterheld n. Co. in Berlin erschienen. Die Uebersetzung ist aus der bewährten Feder Stefania Goldenrings.
anstaltet am Sonntag, den 29. April, mittags 12 Uhr, zum Besten - Theaterchronit. Eine, Martha- Aufführung berder Witwenkasse der Verein Berliner Preffe" im Königlichen Opernhause .
- 100 Jahre Stat. Die ängstlichen Leser, die schon häufig gewiß Gelegenheit hatten, einen Daueritat zu bewundern, brauchen nicht zu erschrecken in der Befürchtung, daß es sich um Ostar Blumenthal hat als Kritiker begonnen. Der blutige einen solchen von 100jähriger Dauer handle, es soll nur daran erOskar" hieß man ihn dazumal wegen seiner beißenden Wiße. Aber innert werden, daß die Erfindung dieses allgeliebten und berüch bald ging er zur eigenen Produktion über. In den achtziger tigten Kartenspiels gerade vor 100 Jahren fich ereignet hat. 3 Jahren beherrschte er mit Lindau die Berliner Bühne, er lieferte gilt heute als ausgemacht, daß das Statspiel im Jahre 1817 von in Berliner Aufmachung, was zuvor aus Paris importiert wurde: Friedrich Hempel in Altenburg erfunden worden ist.
Der alte Staftent ausnahm. Ihre Augen sind geschlossen, ihr Mund weit ge-| schneller Fahrt, hinter ihr eine andere. öffnet, die Haare färben sich immer röter und bilden einen flapperte unbarmherzig auf dem Pflaster. Auf dem Marktblutigen Glorienschein um ihren Kopf. platz wurde es lebendig. Jossele rannte mit flatterndem Rock der Droschke entgegen:
Selizki hört den Lärm, doch versteht er weder die Worte, noch die an ihn gerichteten Fragen. Er sieht nichts als die große Wunde, durch die ihr Leben und zugleich seine Hoffnung und sein Lebensglück entfliehen.
Plöglich dringt ein Sonnenstrahl durchs Fenster und legt sich breit und wohlgefällig auf die Stirn der Toten.
XIX.
Wieder zu Hause.- Tagejews Nachfolger.
In dem Städtchen, in dem bis vor kurzem Tagejew feines furchtbaren Amtes waltete, bereitete sich etwas vor. Auf dem Marktplatz wimmelte es von Menschen. Man flüsterte und tuschelte. Meist war es die jüdische Bevölkerung, die sich auf den Straßen versammelt hatte.
„ Er kommt!"
Der neue Polizeimeister kam. Woher wurde er versetzt? Gleichviel! Er gehörte zu jenen Typen, die sich weder zu einer patriotischen Ueberzeugung noch zu einer patriotischen Tat aufraffen. In seinem über die Schultern geworfenen Uniformmantel musterte er die Stadt, die seine neue Wirkungsstätte werden sollte. Alle diese kleinen Läden würde er ausbeuten für sich und seine Familie, die in der zweiten Droschke hinter ihm folgte: eine blonde Frau und drei kleine Stinder, halb verhungert, schlecht gekleidet, für irgendeine verdienstvolle Lat des Vaters aus dem Innern Rußlands nach hier„ avanciert".
Der Herr Polizeimeister hielt die Hände bescheiden auf den Knien. Noch hielt er sie bei sich.
Trotz des Sommerwetters war das Straßenpflaster schmutzig. Vom Wall her ertönte fein Schrei, feine Stimme Die an den Straßenecken versammelten Mördergesellen, die die Stadt in Schrecken versetzten, musterten ihn mit Kennerblicken. Auch Frumele Leinbram bildete sich nach dem ersten Eindruck ihr Urteil.
Ihre Augen rollen wie irre Kugeln, ein gellender Schrei mehr, aber noch glaubte niemand an die Dauer des Friedens, entringt sich ihrem Halse: denn noch immer herrschte Tagejews Geist unumschränkt über ,, Tagejem!" das elende, düstere Städtchen.
Nun versucht Klizki nicht mehr, der Kranken den Wahn Jossele Pintas rannte in seinem Feiertagsrod durch die auszureden. Er fürchtet, sie dadurch noch mehr zu reizen. Straßen. In seiner Ohnmacht rennt er zum Portier, beauftragt ihn," Er kommt!" rief er, mit den Augen blinzelnd. Es war einen Arzt zu holen, und eilt wieder nach Jankas Zimmer. ihm gelungen, nach drei Monaten aus dem Gefängnis zu entDoch stürzt ihm schon auf dem Flur das Zimmermädchen kommen. mit einem furchtbaren Schrei entgegen: „ Semipudow in einem neuen Uniformrod hielt Wache Das gnädige Fräulein! Das gnädige Fräulein... auf dem Marktplag und blickte mit schläfrigen Augen Ohne sie anzuhören, eilt Alizki in das Zimmer. umher. Nahe der Tür liegt Janka auf dem Boden. Aus ihrer Nehle Ueber Horstis ehemaligem Laden flatterte von Zeit zu strömt Blut. Ebenso von ihren Händen. Daneben blitt das Beit das vom Wind bewegte Schild. Der geschlossene Laden fortgeworfene, blutige Rasiermesser, das Janka unter Horstis machte den Eindruck einer armseligen Katakombe. Sachen gefunden haben mußte. Klikki eilt auf die Ver- In den anderen Läden herrschte auch nur geringer Verwundete zu, um sie aufzuheben, doch läßt er sie mit einer fehr. Der ganze Handel schien brach zu liegen. unwillkürlichen Bewegung des Entsegens wieder los. Janka An der Ecke stand Frumele Leinbram, anständig gekleidet, hatte sich einen tiefen Schnitt in die Stehle beigebracht, nach- in selbstbewußter Haltung. Ein paar Straßenjungen liefen dem sie sich zuvor die Pulsadern geöffnet hatte. Ihr heißes pfeifend durch die Straßen, hier und dort spielten Kinder mit Blut besudelte Klikti. Nun drangen Menschen zur Tür Steinen, ein Dorshund jagte über den Marktplatz und verherein. Wüster Lärm erhob sich. Niemand wagte sich der schwand in einer Querstraße.
Verwundeten zu nähern, die sich in der Blutlache gräßlich Plöglich näherte sich vom Bahnhof her eine Droschke in
Die Ladenbesizer steckten neugierig, aber hoffnungslos ihre Köpfe heraus, denn sie wußten, daß der alte Lagejew verschwunden war, um einem neuen Platz zu machen. Der neue Tagejew! Dieses Wort flatterte wie die Flügel einer Fledermaus über dem Städtchen. Und wie Schattenbilder schienen die geprügelten Bauern und Juden in zerrissenen Kleidern aufzutauchen. Die bleiche Gestalt der reisenden Konzertsängerin zog vorüber, die unglückliche Juzia, die sich gegen die äußerste Schande wehrte, und so viele andere moralisch zu Tode gequälten und materiell zugrunde gerichteten Geschöpfe.
Wie ein Trauerband schlängelte sich die Tragödie eines fleinen Erdenfleckens, auf das der Reihe nach hungrige Schmarozzer niederfielen, mit gierigem Rachen und den ausgestreckten Armen einer unersättlichen Hydra.
Endlos war diese Tragödie, endlos lastete sie über der unbegrenzten grauen Ebene, auf der mit schweren Schritten Soldaten in ihren grauen Röcken dahinstampften und Kosaken ihre kleinen Pferde tränkten.