nicht mehr für nöthig erachtet, den zur Entlassung kommenden Mannschaften eine Uniform zu belasse». Diese neue Maßregel dürfte, für den Fall sie strikt durchgeführt wird, für mittellose Reservisten recht empfindlich sein. Wer es weiß, welche Zu- stände oft bei dem ärmsten Theil unserer Bevölkerung herrschen, der wird zugeben, daß es für manchen aus jenen Schichten stammenden Soldaten nicht leicht ist, bei seiner Entlassung sich ohne weiteres einen Anzug zu verschaffe»; seine alten Kleider sind kaum mehr vorhanden, die jüngeren Geschwister haben sie vielleicht verlragen, verbraucht, und Geld zum Kaufen neuer Kleider bringt der Reservist auch nicht vom Militär mit. In solchen Fällen kam ihm früher die alte Uniform immerhin zu statten, aber in Zukunft wird ihm auch diese Vergünstigung anscheinend entzogen. Nach berühmten Mustern. Im Sprechsaal der »Essener Volkszeitung" schreibt ein Arbeiter: „Bennigsen-Spende! Nachdem die„Nationalen" seiner Zeit die Bismarck-Spende glücklich unter Dach und Fach gebracht haben, beschäftigt man sich jetzt mit einer Bennigsen-Spende. Zu diesem Zwecke wurde auf Zeche Karl durch Anschlag bekannt gemacht, daß der siebzigste Geburtstag des Reichstags-Abgcordneten Bennigsen bevorsteht. Gleichzeitig werden die Anhänger der liberalen Partei aufgefordert,„dem Abgeordneten Bennigsen für sein segensreiches Wirken ein Geschenk zu machen".„Gaben von 10—20 Pf. werden entgegengenommen."„Liste zum Ein- zeichnen liegt auf dem Bureau offen." Da wird sicher am Lohntage bereits die ganze Belegschaft der Zeche zur liberalen Partei gehören und sich mit einem Betrage in die Liste ein» zeichnen; denn wer sich nicht einzeichnet, ist ein Ultramontaner oder Sozialdemokrat. Man sollte doch bei den jetzigen niedrigen Löhnen(auf Zeche Karl wurden vorigen Monat nur 22 Schichten gefördert, wofür heute der Lohn gezahlt wird) den armen Bergleuten nicht zumuthen, ja dieselben Halberwegs zwingen, zu einem Geschenk für einen reichen Rittergutsbesitzer beizutragen! Ueber uns Katholiken rümpft man verächtlich die Nase, weil wir zum Andenken an unfern verstorbenen Zentrumssührer Windlhorst ein Gotteshaus bauen(für seine Person hat derselbe nie etwas acceptirt, wie das bei unfern Führern überhaupt gute Sitte ist), während man selbst mit Arbeitergroschen reichbegüterten Parteihäuptern der„Nationalen" großartige Geschenke macht, ja zu Lebzeilen derselben ihnen schon ein Denkmal errichten will." Neueste Nachricht. Zwischen der sozialdemokratischen Partei und den Buchdruckern„tobt trotz aller Beschwich- tigungsversuche der Kampf weiter". Also schreibt die nationalliberale Presse. Zittere Byzantium! Packt ein, Ihr Sozialdemokraten! Auf der einen Flanke der Bierring, auf der anderen die„mächtige Buchdruckeroraanisation"— da sind wir ja unrettbar verloren! Nämlich, wenn die Nationalliberalen nicht Lügerpeter wären. In Wahrheit ist der Leipziger Konflikt beigelegt. Und die Privatkouflikte einer oder der anderen Druckerei gehen die Partei nichts an. Frankfurter Zeitungs-Logik. Unser Urtheil, daß sie„durch Dick und Dünn" für den Brauring„im Sumpf hcrumpatscht", will die„Frankfurter Zeitung " dadurch über den Haufen werfen, daß sie eine andere Stelle des„Vor- wärts" zitirt, in der es heißt, die„Frankfurter Zeitung " habe anerkannt, daß bis zur Maßregelung der Braucrei-Arbeiter die sozialdemokratische Partei Zurück- Haltung bewahrt habe. Gewiß, das hat die„Frankfurter Zeitung " anerkannt, und in der Notiz, über die sie sich ärgert, ist das ausdrücklich erwähnt(nur heißt es statt „zurückhaltend": kühl). Aber das hindert doch nicht, daß die„Frankfurter Zeitung "„durch Dick und Dünn" im Sumpfe des Braurings herumpatscht, und kann nur als erschwerender Umstand gelten.— Die Stelle eines NeichstagS-Bibliothekars ist demnächst zu besetzen. Die Bibliothekskomniission hielt nach Ostern eine Sitzung und empfahl von den zahlreichen Bewerbern drei dem Präsidenten zur Auswahl— und zwar geschah dies einstimmig. Vor Kurzem nun wurde eine außerordentliche Sitzung der Kam- Mission berufen, um über eine vierte,„sehr hoch empfohlene Persönlichkeit", die sich nachträglich noch beworben hatte, zu be< cathen. In einem hiesigen Blatt heißt es, der Reichstags-Präsi- dent habe diesen ungewöhnlichen Schritt veranlaßt, und es wird nahe gelegt, daß das aus Liebedienerei geschehen sei. Die Ge- cechtigkeil zwingt uns, obgleich die ganze Sache zu einer ver- traulichen gemacht worden ist, diese Insinuation als eine ganz unbegründete zu bezeichnen. Die Einberufung der außerordenl- lichen Sitzung wurde durch ein Mitglied der Kommission ver- anlaßt und Herr Levetzow hat für den hochempfohlenen Bewerber keinerlei Vorliebe gezeigt. Es ist auch bei dem früheren Beschluß der Bibliothekskomnnsflon geblieben.—- Ucber die Prcstreform debattirte gestern das öfter reichische Abgeordnetenhaus. Die Regierung will auf keine ihrer reaktionären Befugnisse verzichten. Eine wesentliche Verbesserung der russischen Preßzustände in Oesterreich ist semnach nicht zu erwarten.— Tie französische Ministerkrise— stehe den heutigen Leitartikel— zieht sich in die Länge. Als am 27. No- vember vorigen Jahres D u p u y fiel, dauerte es sechs Tage, bis das Ministerium Casimir Pcrier fertig war— am B. Dezember. Das Ministerium Casimir Perier ist am 22. Mai gestürzt und heute zählen wir schon den 29.— die Ministerkrise dauert also schon 7 Tage, und im Augen- blick, wo wir dies schreiben, wissen wir noch nicht, ob Herr Dupuy, der als letzter Nothanker von Herrn Carnot herbei- geholt ward, im stände sein wird, ein Verlegenheits- Ministerium zu bilden. Denn weiter wäre es nichts.— Der Jahrestag der blutige» Maiwoche. Aus Paris wird uns unterm 27. Mai geschrieben: Die Regierung, obwohl fiefturzt oder weil gestürzt, aber noch immer die Geschäfte ührend bis zur Bildung des neuen Kabinets, wollle heute, am Jahrestag der blutigen Maiwoche, ihren„Tag" haben. Sie wollt« Frankreich von der Nolhwendigkeit einer„starken" Re- gierung überzeugen und that darum alles, um die verschiedenen sozialistischen Organisationen, die alljährlich am letzten Sonntag im Monat Mai sich auf dem Pere-Lachaise zur„Föderirten- Mauer" begeben, zu irgend welchen Ausschreitungen zu provoziren. Sie wollte noch nachträglich als„Gesellichaslsretierin" auftreten und einer Faustregierung die Wege ebnen. Schon gester» ließ der Polizei- präfekt wissen, daßeraufdeiiiPere-Lachaiseweder rothe Fahnen, noch irgend welche Reden, noch den Ruf„Es lebe die Kommune!" dulden würde. Und heute wimmelte es sowohl vor und auf dem Päre-Lachaise wie auf den dahin führenden Straßen von Stadt- sergeanten und Munizipalgardisten, von letzteren ein großer Theil zu Pferde. Es war somit alles zu einer blutigen Repression vorbereitet. Die Sozialisten sind aber der Regierung nicht in die Falle gegangen. Der Rendezvousort der verschiedenen sozialistischen Organisationen war der an dem Friedhofe grenzende Saal Excellent, wo sie sich um halb zwei Uhr einzu- finden hatten. Der Zuzug der verschiedenen Arbeiter- gruppen mit ihren durchgehends rothen, theils aus Im- morlellen, theils aus lebenden Blumen gebildeten und Trauerschleifen versehenen Todtenkränzen war ein so großer. daß schon lange vor der anberaumten Zeit Saal und Garten des Zusammenkunstsortes überfüllt waren. Um 2 Uhr sollte sich der Zug bilden. Um ledoch jede Schlächterei zu verhmdern, begaben sich vorerst mehrere sozialistische Abgeordnete und Ge» meinderäthe zu dem vor dem Haupteingange des Pöre- Lachaise postirren Polizeipräfekten, um seine Anordnungen zu kennen. Der Präfekt, Lepine mit Namen, antwortete ihnen, daß die ihm ertheilten Instruktionen, die er seinerseits wieder seinen Leuten gab, dahin gehen, daß höchstens 200 Personen gleich- zeitig den Friedhof betreten dürfen, daß diesen nur gestattet würde, ihre Kränze niederzulegen, ohne jedoch eine Rede zu halten oder einen Ruf auszustoßen. Im entgegengesetzten Falle würden sie mit bewaffneter Gewalt zurückgetrieben werden. Nachdem die erste Gruppe den Friedhof verlassen, könnte wieder eine zweite Gruppe von höchstens 200 Personen eintreten und so fort; aber immer unter der Bedingung, sich stumm zu ver- halten. Wer konnte aber garantiren, daß wenn sich auch die Sozialisten zwingen würden, angesichts der„Föderirtenmauer" und der dort postirten Sladtsergeanten und Munizipalgardisten, lautlos ihre Kränze niederzulegen, nicht der eine oder andere Agent Provokateur den gesuchten Borwand zu einer Metzelei geben würde? Nachdem die Delegation vom Polizeipräsekten zurück- gekehrt war, hat denn die Versammlung im Saal Excellent, aus An- trag des Genossen Eduard Vaillant, Abgeordneten desPöre-Lachaise- Viertels, und unterstützt von Comeau, Vizepräsidenten des Pariser Gemeinderaths, beschlossen, von jeder Manifestation auf dem'Pere-Lachaise abzusehen und in dem zur Verfügung stehenden Lokale des„Concert Parisien" eine Protestversammlung abzu- halten. Man dürfe der Regierung nicht in die Falle gehen, dürfe nicht die sozialistische Partei, die sie fürchte, zerstören und deren besten Männer nutzlos hinmorden lassen, was aber unzweifelhaft die Absicht der Regierung sei und dies auch er- reichen würde, sobald man sich aus dem Friedhof begäbe. Und indem die sozialisiische Partei dies nicht that, hat sie ihre Stärke bewiesen und de» Sieg über die Regierung davongetragen. Diese gab ihr Spiel noch nicht auf. Denn kaum war die Ver- sanimlung im„Concert Parisien " durch Genoffen Hamelin eröffnet worden, als ein Polizeikommiffär auf der Estrade erschien, um dieselbe— es war eine Privat-Versammlung— zu verbieten. Da erhob sich aber Genosse Fonrnisre, mit" seiner Gemeindcrath-schärpe umgürtet,»m zu erklären, daß die Ver- sammlilug gesetzlich tage, und wenn jemand das Gesetz übertrete, es der Kommissär sei. Da nun derselbe erklärte, den Präsidenten für die Tagung der Versammlung verantworilich zu machen, und Genosse Hamelin unter stürmischem Beifall der Ver- sammelten antwortete, daß er bereit sei, diese Ver- anlwortung zu tragen, ist denn auch dieselbe zu Ende geführt worden. Es halten daselbst u. a. die Abgeordneten Chauvin, Faberot, Sembat, Coutant und Walter, die Gemeinderälbe Fourniäre und Walter, sowie die Genossen Allemane und I. B. Element, ehemaliges Mitglied der Kommune, das Wort ergriffen, nm die Regierung und deren Anordnungen gebührend zu gel- ßeln, was denn auch schließlich in einer einstimmig angenomme- nen Resolution besonderen Ausdruck fand. Aebnliche Bersamm- lungen fanden auch in anderen Vierteln statt. So war die Regierung— jedenfalls zur Galle der gesammten Plutokraiie, des gesammten Ausbeuterthums um ihren„Tag" gebracht. Stambulow hat sich nun in Bulgarien unmöglich ge- macht, er hat seine Demission eingereicht.— In Serbien wird fortge st aats streichelt. Aus Belgrad wird tclegraphirt: Ungeheures Aussehen erregt eine Extra-Ansgabe des„Amts- blattes", welche einen königlichen Ukas�veröffentlicht, der unter Berufung auf die große Gefahr für die Ruhe des Landes die Thätigkeit der Gerichte zum Theil suspendirt und dieselben unter den Wirkungskreis der Präfekten stellt. Patfematfmdjten. Ein kurzer aber heißer Kampf wird von unseren Ge- Nossen im 23. sächsischen Wahlkreise in den wenigen Tagen noch ausgekämpft werden müssen; die Stichwahl findet bereits am nächsten Freitag statt. Die Genossen Auer und Liebknecht haben sich heute nach Plauen begeben, um die Kandidatur G e r i s ch' s zu unterstützen. »» Ans dem L. schleswig- holsteinischen Wahlkreis wird mitgetheilt: Reges Leben herrschte am gestrigen Sonntag im hie- sigen Wahlkreise. In 22 öffentlichen Wählerversammlungen sprachen Redner unserer Partei für die Kandidatur v. E l m s. In den meisten gegnerischen Versammlungen war die Sozial- demokratie gleichfalls durch Redner vertreten.— In einigen dieser Ortschaften hatte bisher ewe Versammlung überhaupt noch nicht stattgefunden. »« Das Parteifest der Sozialdemokratischen Partei von Altona -Ottensen , welches am letzten Sonntage in vier Lokalitäten Bahrenfelds abgehalten wurde, erfreute sich eines außerordentlich große» Zuspruchs. Eine wahre Völker- Wanderung bewegte sich dorthin. Das Fest nahm einen wirklich guten Verlauf, kein Mißton trübte dasselbe. *-*» Von der Agitation. In Breslau fanden am Sonntag, den 27. Mai, zwei große Volksversammlungen statt, in denen der Reichstags-Abgeordnete für Brcslau-West, Genosse Dr. Bruno Schoenlank, den Rechenschaftsbericht über die Thätigkeit des Reichstages 1893/94 ablegte. Die erste Versammlung fand früh von 7—9 Uhr in Rösler's Lokal statt und war trotz des strömenden Regens äußerst stark besucht. Nach Schluß des mit Beifall aufgenommenen Referats wurden zwei Resolutionen ver- lesen und einstimmig angenommen. Die erste erklärte, daß die Versammlung mit dem Rechenschaftsbericht des Referenten im Besonderen wie mit der Thätigkeit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion einverstanden sei und dem Abg. Dr. Schoenlank besondere Anerkennung für sein Eintreten im Parlament zolle. Die zweite Resolution sprach sich dahin aus, daß die Genossen die Verbreitung der Presse als Ehrensache betrachten und für sie agitircn mögen. Die zweite Versammlung fand Vormittags von 11—2 Uhr im Saale der„Concordia" statt und nahm denselben würdigen Ver- lauf. In der hier angenommenen Resolution war ausgesprochen, daß sich die Anwesenden mit ihren beiden Vertretern für Breslau Ost und West, Genossen T u tz a u e r und Echoen- lank, einverstanden erklären und daß überall die Parteigenossen bestrebt sein sollen, dem Sozialismus freie Bahn zu schaffen. Zur Erwerbung der sächsischen Staatsangehörigkeit und des Leipziger Bürgerrechts fordert„Der Wähler" die Arbeiter Leipzigs auf. Zur Hilfeleistung bei de» dazu nöthigen schriftlichen Arbeiten hat sich eine ganze Reihe von Parteigenossen Leipzigs und der Vororte freiwillig erboten und werden dieselben im Parleiorgan veröffentlicht.— So arbeitet unsere Partei unaufhörlich daran, die Zahl der Wahlberechtigten zu ver- mehren. ** Die Wahlen zum Gewerbe-Schiedsgericht zu H a l b e r- st a d t, so weil solche die Arbeitgeber betrifft, bei denen die sozialdemokratische Liste mit 120 gegen 106 Stimmen gesiegt— sind auf Beschwerde des Vorsitzenden der dentschfreisinnigen Partei, Malzfabrikant Bödcher, vom Magdeburger Bezirksausschuß für un giltig erklärt, weil sowohl bei den Wählern als auch bei den Gewählten solche Arbeitgeber sich befinden sollen, welche zur Zeit der Wahl(also am Wahltage selbst) Arbeiter nicht be- schäfligt haben. Gegen das Urtheil ist Berufung eingelegt. Ueber eine VersammluugSauflösung in Stötteritz bei Leipzig , in welcher Frau Klara Zetkin über„Die Gesetzgebung im Klasseustaal" sprach, schreibt„Der Wähler": Die beliebte Reduerin sührte aus, daß,„wenn die herrschenden Gesellschaftsklassen mit den ihnen zur Verfügung stehenden gesetz- lichen Machtmitteln nicht mehr ausreichten, um das ausstrebende Volk nieder zu halten, sie zu Ausnahmegesetzen griffen. Das schreiendste Unrecht und die Ungerechtigkeit werde dann durch Gesetzeskraft verherrlicht und geheiligt". Nach diesen Worten sprang der überwachende Gemeindevorstand von Stötteritz , Michael, von seinem Sitze auf und verlangte von der Vorsitzenden Genossin Röder, sie solle der Nednerin, die„die Gesetzgebung beleidigt habe," das Wort entziehen. Als diesem Verlangen nicht sofort Folge gegeben und die Frage aufgeworfen wurde, ob der U eberwackende sich in dieser seiner Eigenschaft legitimirt habe, löste er die Versammlung auf. Das Verlangen zur Wort- entziehung war unseres Erachtens gänzlich ungerechtfertigt. Die Rednerin hatte ihre„staatsgefährlichen" Ausführungen ganz all- gemein gehalten und weder vom sächsischen noch von deutschen Gesetzgebungskörpern gesprochen. Eine Beleidigung der„Gesetz- gebung" an sich dürfte wohl das allerneueste Novum in Sachsen sein, das wir dem Herrn Gemeindevorstand Michael zu danken haben. Gegen die von ihm beliebten Maßregeln wird Beschwerde geführt werden. »» Der Landesborstand der* sozialdemokratischen Partei Württembergs hat kürzlich einen interessanten Preßprozeß aus- zufechten gehabt. Die fünf Mitglieder desselben waren angeklagt, gegen den Z 6 des Preßgesetzes verstoßen zu haben, welcher ver- langt, daß bei einer öffeiulichen Druckschrift Name und Wohnung des Herausgebers angegeben werden muß. Nun waren aber die in Frage kommenden Flugblätter mit dem Vermerk versehen: Herausgegeben vom Landesvorstand der sozialdemokratischen Partei, Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart . Die Verhandlung ergab, daß nicht die Herausgeber, sondern die Verlagsbuchhandlung die Zentralstelle für die Verbreitung gewesen war, daß von der Druckerei des Genoffen Dietz aus der Ver- trieb der Flugblätter vor sich gegangen war. Der Staats- anwalt ließ schließlich selbst die Anklage fallen und der Staats- lasse wurden auch noch die Kosten der Vertheidigung aus- erlegt. Das Interessanteste— obgleich es nichts Neues— an dem Prozeß bildete aber die Enlhüllung der Thatsache, daß das Flugblatt in den höheren Regionen arg verschnupft hatte und nun alle Instanzen durchwandert hatte, um unter die Lupe der Slrafgesetze genommen zu werden. Schließlich hatte, nachdem trotz aller Mühe nichts gefunden werden konnte, was den In- hall hätte strafbar machen können, man noch einen kühnen Griff gewagt und die äußere Form als ungenügend erachtet, mit welchem Erfolg haben wir oben gezeigt. Parteikonferenz der LandeS- Organisation Elsast- Lothringens . In Neumühl, einem b a d i s ch e n Orte un- weil der Stätte, wo Bebel am 6. Mai vor vielen Tausenden ge- sprachen, fand am Sonntag, den 27. Mai, die Landeskonferenz der elsaß -lolhringischen Delegirten statt. Dieser Zeitpunkt war gewählt worden, um eine gegenseitige Aussprache über die Schritte zu ermöglichen, welche nach der Unterdrückung des elsaß - lothringischen Partei-Organs geboten erscheinen. 3S Delegirte aus allen Gauen des Eliasses und Lothringens waren eingetroffen; auch Genosse Geck aus Offenburg folgte der an ihn ergangenen Einladung. Nachdem Genosse Doppler(Mülhausen ) im Namen des Landesvorstandes die Sitzung eröffnet, wurde das Bureau gewählt: Die Genoffen Spingler und Röttinger als Vorsitzende und Ge- »osse Jaeckh als Schriftführer. Die Tagesordnung lautete: l. Rechenschaftsbericht des Kassirers, 2. Presse, 3. Organisation, 4. Anträge und Verschiedenes. Zum ersten Punkt wurde dem Kassirer Wilcke nach vorgenommener Revision Decharge ertheilt. Genosse Bueb nahm zum zweiten Punkt„Presse" das Wort, um in kurzenWorten aus die Thalsache der Unterdrückung der„Volks- zeitung" und die infolge dessen von der Partei gethanen Schritte zu referiren. Nachdem im Verlaufe der Debatte über die Preßverhältnifse des Reichslandes manch' bitteres Wort gefallen, stellte Genosse Geck die politische Bedeulung der gedachten Maßregel in das richtige Licht, erinnerte an das Ansnahmegesetz von 1378, das mit einem Federzng die ganze Parteipreffe von der Bildfläche weggefegt habe, und die Schwierigkeiten, welche die Agitation damals ge- habt habe. Dennoch sei die Sozialdemokratie gerade durch daK Sozialistengesetz zu einer einheitlichen Partei zusammengeschweißt morden, und so werden auch die Ausnahmezustände im Reichs- land nur die Wirkung haben, die tüchtigen Elemente der dortigen Partei zu einmülhigem, klassenbewußtem Handeln zu rufen, und die verhällnißmäßig noch junge Bewegung Elsaß -Lothringens zu stählen. JmPunkte derPreffe niahnte er zurGeduld undRücksichtnahme auf die vorhandenen, nun einmal gegebenen Verhältnisse. Gen. Bueb schloß sich diesen Ausführungen an und Genosse Jaeckh konstatirte, daß die verwegenen, oft fast ausschweifenden Wünsche, welche in Bezug auf die Presse in der Versammlung zu Tage getreten seien, offenbar dafür sprechen, daß der Wagemuth der Genoffen durch die Willkürakte der Regierung noch nicht gebrochen sei. Dem Andrängen der Delegirren auf Versuchs von Neugrün- düngen eines Blattes wurde mit dem Hinweis auf die Lage und die Aufforderung zur mündlichen Agitation entgegengetreten. Zum dritten Punkt der Tagesordnung„Organisatton" schildert Brucker(Metz ) die Empfänglichkeit der lothringischen Bevölkerung für den Sozialtsmus, und erinnert an den Beschluß des Kölner Parteitags, Flugblätter in beiden Sprachen» deutsch und französisch erscheinen zn lassen. Ein Antrag Doppler überweist diese Frage dem nächsten Landesvorstand zur schnellsten Erledigung. Bühle beantragt hierauf, den Landesvorstand zu beauftragen, eine regere persönliche Agitation zu organisiren. Der Antrag wird durch Genossen Wilcke dahin abgeändert, daß in den einzelnen Orlen Agitationskomitees gewählt werden sollen zur Betreibung der lokalen Agitation, welche auch die Kosten der Agitation zu bestreiten hätten. Dieser Antrag wird mit einem Zusatzantrag Jaeckh angenommen, daß zu dieser Aufgabe in erster Linie ein- geborene Elsässer zuzuziehen sein. Eine Anfrage des Genossen Sagl(Straßburg ) über die oberelsässtschen„Klubs" wird von Bueb befriedigend beantwortet. Von Thann liegen zwei Anträge vor. Der erste, dessen Inhalt wir der Oeffentlichkeit nicht übergeben können, wird dem demnächstigen Landesvorstand überwiesen. Ein zweiter Antrag geht auf Befürwortung Buebs an das Agitationskomitee Mühlhausen . Zuletzt gab die Frage des Sitzes des Landesvorslauds noch Anlaß zu einer Debatte. Mit überwältigender Ma;orilät wurde Mühlhausen bestimmt. Nach sechsstündiger Berathung wurde die Sitzung ge- schloffen. Sie Halle besonders in die theilweise verworrenen Anschauungen über die Preßverhältnisse Klärung gebracht und hier viel zur Beruhigung der durch das Vorgehen der Regierung ausgeregten Gemülher beigetragen. Polizeiliches, Gerichtliches»e. — W egen Verst oß gegen z 6 des Preßgesetzes. begangen durch Nichtangabe des Verlegers auf dem Flugblatt „An das arbeitende Volk von Stadt und Land im Großherzog» lhum Sachsen-Weimar-Eisenach " fand am Sonnabend, den 26. Mai Verhandlung vor dem Schöffengericht zu Apolda gegen den Vertreter und Mitinhaber der Firma Fr. Brandt u. Komp., Genossen Stegmann, statt. Der Einwand unseres Genoffen wegen Nichtzuständigkeit des Apoldaer Gerichts, da doch die angebliche Strafthal in Erfurt geschehen, woselbst auch die Pflichtexemplare aller Druckschriften einzureichen sind, wurde, weil nach Meinung des Gerichtshofes zu spät gestellt, abgelehnt und die Firma zu>0 M. Geldstrafe verurtheilr. Der Amtsan- walt beantragte 2ä M. event. 5 Tage Gesängniß. — Eingestellt ist das Verfahren gegen den Genossen E r ch h o r n, früheren„Verantwortlichen" der„Sächsischen Ar- beiter-Zeiwng", das wegen Beleidigung des Gemeindevorstands Lemke in Pieschen(einer der berühmten 42 er) gegen ihn eingeleitet worden war.
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