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1917
Unterhaltungsblatt öes vorwärts
Sonnabend, 12. Mai
Stille Fronten.
Nicht überall brausen die Stürme, zieht sich daZ Gewölk am Krieg-Zhimmcl zu brausenden Gewittern zusammen. Ist eZ ein Naturgesetz des ilrieges geworden, daß nicht zu gleicher Zeit ans allen Fronten der Kampf entbrennt? Mars scheint'doch noch etwas beitragen zu wollen zur Erhaltung jener Art auf Erden, die man Mensch nennt, und Darwins Theorie triumphiert in dem Moment, wo Millionen von Menschen, die Stärksten und Besten, ihr Blut verspritzen. Und so ist es gut, daß es noch zwischen all dem gigantischen Vernichten und Zerstören stille Winkel gibt, wo noch Kraft gedeiht, Leben pulsiert als Speicher sür die Zukunft der Rosse, die Kraft und Gesundheit braucht zu neuem Aufbauen und Blühen.... Der alte, harte Winter liegt begraben, trotzdem er sich sträubte und noch in der ersten Maiennacht seinen letzten Schnee wie ein Leichentuch über die werdende Natur breitete. Die Sonne hat ge- siegt! Und in einem Taumel von Glück und Triumph atmet nach der Zeit der Erstarrung jeder Lungenzug neues Leben und stärkende Hoffnung. In Schützengräben   und Stollen, Unterstände und Schlupf- winkeln flutet neues Licht und ein Kamerad sagt dem anderen:Du, wir sind nun Menschen geworden!' In verschlammten Granat- trichtern schläft aller Haß und in den lauernden Kanonenschlünden und Maschinengewehrläusen flüstert das Esperanto der Weltnot und universellen Elends: es ist noch nicht vollbracht!... Und der blaue Maienbimmel läßt uns träumen vom kommenden Tag, der alle Sehnsucht der Menschen stillen soll.... Erholung und Frieden! Das mag paradox klingen, aber es gibt auch Frieden im Kriege, Tags und Stunden, wo man den Krieg vergißt: und sogar friedvolle, stille Nächte. Mag auch hie und da ein Kanonenschuß an die rauhe Wirklichkeit erinnern: Die Seele, die Nerven reagieren auf Kleinigkeiten nicht mehr und suchen und genießen Stunden der Menschlichkeit am Rande des Grabes noch... Feuchtes, faulendes Stroh, Decken und Wäsche, alles sieigt zum Licht; die Unterstände werden gesäubert und renoviert: ein Kalk- Pinsel klettert an Balken und Wänden entlang: hie Schmutz I hie Ungezieser! Und in die dunkelsten Winkel trägt der Kalk Helligkeit, und an den weißen Pfosten der Türen und Lichtschächte tanzt die Sonne in schäumenden Reflexen, Strahlen werfend auf entlegenste Pritschen in dunkeln Winkeln... Wir lachen wie die Kinder und gedenken ihrer daheim, der Kinder, die uns so nottun. Denn die Welt ohne Kinder und Frauen hier draußen war im harten Winter dabei. unS das Lachen zu rauben. Heule aber hören wir im Geiste den Jubel der Kinder: Mutter, cS wird schönes Wetter, wir ziehen in's Freie 1' Denken wir an dieser Kinder Freuden, die fort sind von Muttern auf die Felder der Bauern. Hoffentlich finden sie in der Natur das, an dem es unS in der Stadt mangelt mit Liebe gewürzt! Nickt nur die Unterstände und der äußere Mensch werden neu hergerichtet, auch im geistigen Leben herrscht Frühlingsstimmung. Noch niemals halten tue Feldbuchhandlungen in dem Umfange zu tun als jetzt. Und jeder läßt sich dazu noch von Freunden und Be- kannlen Bücher senden. Am grünen Rand des Grabens, am Anger der Wiesen und stillen Plätzen hinter deckenden Wällen sucht und finde: auch der Geist icine Nahrung. Er. auf denen Zustand und Vmasiung alles Geschehen der Weltgeschichte basiert, wird nicht in Munitionsfabriken hergestellt: er lebt im weilen All und guten Büchern. An den Fronten, an denen Goethe, Schiller, Heine, Otto Ludwig  . Strind- berg, Hauptmann und die Lagerlöf u. a. m. mit uns spazieren gehen, wohnen nicht nur raube Krieger, sondern Menschen, Staatsbürger, die nur für die Staatsexistenz.streiten. Viele Männer sind erst im Kriege Leser, Denker, Staatsbürger und Politiker geworden, die nach dem Kriege mit dem neuen Staat auchStaat" machen wollen, Nicht Stillstand und alte Dumpfheit beherrscht die Köpfe, nein, so mancher hat sich empor gelesen I Und so atmen wir Sonne und Luft auch geistig an diesen stillen Fronten, gedenkend der Brüder, die jetzt im Westen sterben.(z) E. P.
Die Zukunft üer deutschen Sühne. Der Schutzverband deutscher Schriftsteller hat am Donnerstag im gemeinsamen Vorgehen mit einer Reihe anderer interessierter Verbände eine Kulturfrage zur Erörterung gestellt, die für jetzt und später von der größten Bedeutung ist: die Zukunft unserer Bühne.
Vortreffliche Reden sind zu diesem Thema gehalten worden. Vom Standpunkt der Kultur aus behandelte Profi W a l z e l s Dresden) die Frage. Er stellte weitgehende Forderungen zum Besten der jungen und jüngsten Bühnenschriftsteller auf. Der Staat soll eingreifen. Versuchsvorstellungen und sogar unentgeltliche werden verlangt. Weniger vertrauensselig, dafür aber zielbewußt und vom Boden der praktischen Politik aus faßte Wolfgang Heine   das Thema an. Seine Rede überdie Freiheit als Voraussetzung der künstlerischen EntWickelung" erinnerte an die großen Programmreden, mit denen bor 17 Jahren der Goetbe-Bund ins Leben trat. Aber indem hieran erinnert wird, steigt auch sofort die unleugbare Tatsache auf, daß loir seitdem so gut wie keinen Schritt weiter gekommen sind. Die tox Heinze ist zwar nicht Gesetz geworden, aber in den Aus- legungskünsten unterer Juristen ist sie leider immer noch herrschend lebendig. Heine fordert daher mit Recht vor allem: Freiheit der Kunst vor allen staatlichen Eingriffen und die Beseitigung jeder Zensur. DieZukunft" der deutschen Bühne umfaßt viele Probleme. Einige davon: das Verhältnis zum Ausland, die Beziehung zwischen Bühne und Publikum(die Organisation der Konsumenten) werden von Herbert Eulenberg  , Franz Servaes   und dem Königsberger Direktor L. Jeßner berührt. Aber die eigentlichen wirtschaftlichen Grundfragen fanden nicht die gebührende-Beachtung. Vorläufig ist und bleibt unser Theater zum größten Teil eine Privatunter- nehmung, die denn auch den allgemeinen kapitalistischen   Entwicklung?- gesetzen folgend, jetzt die thpischen Züge deS kapitalistischen   Betriebs annimmt(Vereinigung mehrerer Bühnen in einer Hand, wachsende Abhängigkeit von den Tbeaterhausbesitzern und den Vertriebs- anstalten, Verarmung des Spielplans, Vernachlässigung der Jungen usw.). Die Gegenwehr gegen diese verhängnisvolle Entwicklung kann nur von der Organisation der Theaterbesucher (Volksbühnen) und dem kulturellen Eingreifen der Stadtverwaltungen erfolgen von den Hoftheatern ist vor der Hand wenig zu er- warten. Die Mithilfe der Bühnengenossenschaft kann natürlich gute Dienste leisten. Nun ist ja ein Theaterkulturverband ins Leben gerufen worden, dessen Haltung freilich noch zumindest zweifelhaft ist, der aber ge- wiß wenn er in richtigen Händen ist fördernd einwirken kann. Es kam denn auch zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen den Vertretern dieses Verbandes und den Versammlungsrednern. Trotz aller guten Versicherungen wird man gut tun, die weitere Entwicklung dieser Bewegung kritisch im Auge zu behalten. Folgende Resolution faßte das Ergebnis des Abends zu« fammen: Die Zukunft der deutschen Bühnen darf und kann nicht ab- hängig gemacht werden von obrigkeitlicher Bevormundung noch von Stimmung und Willensäußerung einzelner Gruppen oder organisierter Mafien, sie kann nur in der Freiheit geistiger Entioickelung dem Volke Kraft und Erhebung zuführen. Diese Freiheit verlangt, daß die deutschen Bühnen sich mehr wie bisher den jungen schöpferischen Begabungen öffnen und den deutschen dramatischen Eigenbau nicht zugunsten der ausländischen Bühnen- schriftsteller zurückdrängen. Wenn auch die Pflege der Wellliteratur im Sinne Goethes ein stolzes Erbteil der deutschen Bühnen bleiben muß, so darf doch keine Kraft des eigenen Bodens durch die Teil« nahmlosigkeit der Bühnenmachlhaber verkümmern."
/Inatole France über den frieden ohne Sieg. In Paris   hat eine Gruppe junger Schriftsteller am 1. Mai ein Kampfblatt erscheinen lassen, das den TitelDa tranchee repu- blicaine"(der republikanische Schützengräben) führt. Sein Pro- gramm lautet:Für die Zivilisation gegen die Barbarei," wobei aber zu bemerken ist, daß das neue Blatt die beiden abgegriffenen Schlagworte nicht etwa in dem Sinne verstanden wissen will, den ihm die Ententephilologen von heute unterlegen wollen. Als Hauptstück wollte derRepublikanische Schützengraben" einen offenen Brief von Anatole France   veröffentlichen, der, nach den Stichproben zu urteilen, ganz dazu angetan gewesen wäre, allen denen eine angenehme Enttäuschung zu bereiten, die mit Be- dauern wahrnehmen, daß der geistvolle Skeptiker auf dem besten Wege schien, seine Ironie in dem Nebelmeer der Henri Barbusse  und Genossen zu ertränken. Indessen, die Redaktion denkt, und die Zensur lenkt. Sie hat von Anatole France  ' Brief nur einige
Stellen stehen laffen, immerhin aber noch genug, um den Leser davon zu überzeugen, daß der geistige Näbrvater des Monsieur Bergeret seine gute Laune und Spottsucht wiedergesunden hat. Die gutgespiclte Entrüstung über die sozialistischen   Befürworter der FormelFrieden ohne Sieg" trägt nur noch dazu bei, die feine Ironie des geistvollen Spötters zu unterstreichen. Allein Anschein nach," heißt es in dem Bricffragment, da? die Zensur übrig gelassen hat,steht es in unserem Belieben, einen Frieden zu haben, wie wir ihn wünschen. Es handelt sich nur darum, Zeit zu gewinnen, sonst hätten ja wohl die Gegner auch ihre Friedensbcdingungen genannt. Da es uns also gestattet ist, zwischen einem Frieden ohne oder mit dem Sieg zu wählen, so nehme ich keinen Anstand, einen Frieden ohne Sieg mit Entrüstung zurückzuweisen. Ein Frieden ohne Sieg? Das kann uns nicht ge- nügen. Ein Frieden ohne Sieg ist wie das Brot ohne Sauerteig  , der Hasenpfeffer ohne Wein, der Fisch ohne Kapern, die Liebe ohne Streit, das Kamel ohne Höcker, die Nacht ohne Mond, das Dach ohne Schornstein, die Stadt ohne Bordell, das Pökelfleisch ohne Salz, die Perle ohne Loch, die Rose ohne Duft, die Republik   ohne Geldvergeudung, die Katze ohne Fell, der Aal ohne Gurkensalat, kurz, er ist eine unmögliche, sinnlose Sache. ES kann ja freilich sein, daß die Sozialisten angesichts der Schwierigkeit, zwischen den vielen Frieden, die sich bieten, einen zu wählen, die Hand nach diesem Frieden ohne Sieg ausgestreckt haben, auf diesen hinkenden Frieden, wie man sich vnlgär auszudrücken beliebt. Aber was sage ich: einen hinkenden Frieden? In Wahrheit ist es ein Friede ohne Beine, der nicht einmal auf Krücken vorwärtskommen kann, eine ekelhafte, schmutzige Sache, mit einem Wort eben ein Friede ohne Sieg. Aber was soll man denn auch von jenen Unholden anders erwarten, die nicht einmal davor zurückschrecken, das Einkommen zu besteuern und die Reichen zur Kriegsgewimrsteuer heranzuziehen? Mit Fug und Recht hat deshalb auch derTemps  " erbarmungslos diese Feinde des Menschengeschlechtes gebrandmarkt. Wie schön und erschrecklich zugleich ist doch die kochende Entrüstung der anständigen Leute!" Nach diesen Proben zu urteilen, muß man eS doppelt bedauern. daß die Zensur den Hauptteil des Briefes unterschlagen hat. Es müssen recht erbauliche Dinge darin gestanden haben, daß man es für notwendig befand, die Prosa eines Mitgliedes der Akademie von dem Range eines Anatole France   der Oeffentlichkeit vorzu- enthalten._ Das Aluminium im Kriege. Als vor W Jahren das von dem Chemiker Wähler cntdeckie Aluminium zum ersten Male fabrikmäßig in größeren Mengen ge« Wonnen wurde, bestach es durch seinen Glanz und seine Leichiig- teit,»nd man setzte große Hofftiungcn auf diesesSilber aus Lehm". Aber das Metall war ursprünglich recht teuer, das Kilo kostete gegen 800 Mark. Später erst kam die Elektrizität zur Hilfe. Das Aluminium floß reichlich aus dem elektrischen Ofen. Sein Preis sank bis auf wenige Mark für das Kilo. Nun konnte es von der Technik verwendet werden. Aber der Hauptnutzen, den es der Menschheit spendete, bestand nicht, Ivic man anfangs plante, in der Herstellung leichten glänzenden Kochgeschirrs. Es wurde vielmehr zu einem Glutspcnder ersten Ranges. Vermischt man zu Pulver zerkleinertes Aluminium uiit einem Metalloxhd, z. B. Eisenoxyd, so entsteht ein Gemenge, das man mit Hilfe geeigneter Mittel leicht entzünden kann. Es tritt alsdann eine überaus heftige Reaktion ein, das Aluminium entzieht dem Eisenoxyd den Sauer- ftoff und- verbindet sich mit ihm zu Äluminiumoxyd od?r Korund, während das Eisen sich als Metallmasse flüssig ausscheidet. Dabei entwickelt sich die bedeutende- Hitze von 8000 Grad Celsius.-Dieses von Dr. Hans Gvldschmidt in Essen erfundene undThermit" ge» nannte Gemenge erregte so großes Aufsehen, daß es der berühmte Chemiker Ostwaldein Schmiedefeuer und einen Hochofen in der Westentasche" nannte. Will man nun z. B. eiserne oder stählerne Teile zusammenschweißen, so dringt man ihre Enden aneinander und umgibt sie mit einer passenden Sandform, lieber dieser wird ein Tiegel angebracht, in dem sich Thermit befindet. Das Gemenge wird angezündet, und durch die untere Oeffnung des Tiegels fließt das geschmolzene Eisen in die Form und schweißt die Teile fest an- einander. Die größten Triumphe feierte die Aluminothcrmie auf See. Zur Ausbesserung gebrochener Teile brauchte man früher Monate, jetzt wird sie in Stunden hergestellt, und Beschädigungen, die früher die Schiffe manövrierunfähig und darum kampfunfähig machten, kann man heute rasch und prompt beseitigen.(z)
Arbeiter. Von S.tijn Streuvels.
14] Die Männer waren schon beim Plaudern über andere Sachen; sie tranken Kaffee, und später kamen sie auf die Ar- beitsfrage zu sprechen: Sag', Kamerad," fragte Rylandt,was meinst du, was du im Winter tust? Hast du schon eine Arbeit?" 5!ec," antwortete Ivo überrascht.Warum fragst du das?" Du wirst es hören! Wir kommen überall zu spät, hörst du; die Kameraden sind uns überall vor, die Plätze sind be- setzt, wir haben es uns sagen lassen und haben es auch selbst erfahren. Bei Brakels, Parmentiers, Verschures, alle Höfe haben wir abgefragt..." Und die Wannyns und die Calmehns?" fragte Ivo. Dahin müssen wir noch, aber..." Und an's Weben iL auch nich zu denken," erklärte Ver- daccke.Du solltest die unsrigen hören. Miel und Warden sind zurückgekehrt, ohne etwas bekommen zu haben sie sollen warten!" Ka, ja, so is es immer..." machte Ivo bedenklich. Weißt du was?" rief Rylandt;ich sür meine Person gehe lieber zu den Walen in die Zuckerfabrik und wenn wir dahin wollen, is es auch hohe Zeit, da heißt es nich zaudern; morgen kommen die letzten Nachzügler, und der ganze Schwärm läuft dann direkt drauf zu dann stehen wir wieder da und gaffen." Ivo war zu sehr überrascht, um an seine eigene Eni- täuschung zu denken, er wollte noch nicht dran glauben. Ach was, keine Arbeit finden?!" Geht ihr mit?" schlug er vor.Wir wollen erst zu Wannyns gehen und dann weiter. Zu den Walen geh ich nich," erklärte er entschieden. Dieser Gedanke war ihm noch zu neu, er kam ihm zu unerwartet, und gegen diese Gegend und gegen diese Arbeit hatte er einen Widerwillen er kannte beides! Ueberdies war er jetzt zu sehr darauf versessen, daheim zu bleiben. Dieser Vorsatz war unbewußt zu einem festen Entschluß geworden, obwohl er nicht untersuchte, ob Gründe vorhanden seien, so stark daran festzuhalten... aber niemals hatte er daran gedacht, daß irgend ein Zweifel bestehen könne über die Mög- lichkeit, seinen Wunsch zu erfüllen jetzt dachte er nicht daran. Manse hatte kein Wort dazu gesagt, aber das Verlangen.
Ivo zu Hause zu haben, war ihr nicht mehr gekommen; nachdem jetzt die Aussicht bestand, arbeitslos zu bleiben, ver- zichtete sie von selber auf ihren eigenen Wunsch, und ihr eigenes Vergnügen zählte nicht mehr, sobald irgend eine Ge­fahr oder Befürchtung für den Unterhalt der Familie auf­tauchte. Mit der Armut hatte sie schon Bekanntschaft ge­macht, und um dieser Plage zu entrinne;, opferte sie instinktiv alles, was ihr lieb war, und sie erwartete das auch von Ivo. Während sie ihren Mann betrachtete, der seine Schuhe anzog, wagte sie zu äußern: Es wird doch ivohl was zu finden sein, du mußt auch mal bei Seynaeves vorkommen. Und wenn nun nirgends...?" Sie sprach es nicht aus. Um Ivo zu über- reden, dennoch zu den Walen zu gehen, war es noch zu früh, jetzt traute sie sich uicht. Ihr Spürsinn einer besorgten Mutter gab es ihr ein, daß sie noch warten müsse, aber sie blieb doch in Furcht vor dem eiligen Entschluß ihres Mannes und war bange, daß er erst gehen würde, wenn es schon zu spät sei. Bei allen diesen Leuten erwachte plötzlich das Angstgefühl, als ob die Not schon drohte, als ob sie im kalten, düsteren Winter dasitzen müßten ohne Rettungsmittel, eng zusammen- gedrängt, um sich gegenseitig zu beschützen. Du wirst doch nich zu lang ausbleiben?" fragte sie, weil sie nicht wußte, was sie fragen sollte, und gleichzeitig fand sie ihre Frage unpassend, denn sie fühlte das Bedanern über die zerstörte Feststinimung mit. Sie waren so trefflich geeignet, zusammen einen schönen Abend zu verleben, diese Kerle, ein wenig zu trinken und zu rauchen, und nun sollte es hinausgehen auf ein Umherlaufen und Suchen nach Arbeit, während sie selber ängstlich hier sitzen und auf den Erfolg warten würde. Ivo sagte nichts, und die drei Männer entfernten sich ohne Umsehen, jeder mit jeinen eigenen Gedanken be- schäftigt. Alle ihre Maßnahmen, ihr ganzer schöner Eifer, alle ihre Erwartungen auf den glücklichen, ruhigen, frohen Tag des Wiedersehens und der Heimkehr waren dahin. Die Buben waren draußen beim Spiel, und sie blieb allein zurück und wiegte das Kindlein, das immerfort schrie und nicht schlafen wollte. Dabei gingen ihre Gedanken suchend umher, um irgend eine Hilfe oder einen Ausweg zu finden. Sie überlief die ganze Gegend und verwellte überall, wo einige Möglichkeit bestand, Arbeit zu finden, aber eS blieb bei bloßen Vermutungen. Sie hatte selbst früher nie daran gedacht. In
ihrer Unruhe und in ihrem Drang, doch irgend etwas zu tun, hob sie den Zwerchsack ans und leerte ihn aus. Eine alte Hose, eine Jacke, einige abgerissene Hemden, ein blauer Kittel alles in Fetzen, bis ans den Faden verschlissen, ab- getragen, stinkend nach Schweiß und Schmutz. Mit ihrem Wirklichkeitssinn und mit dem Trieb ihres weiblichen Spür- geistes sah sie doch die Möglichkeit voraus, daß Ivo zu den Walen werde wandern müssen... daß sie vielleicht noch diesen Abend aufbrechen würden, und schnell und ohne Zaudern verdrängte die Wirklichkell die Einbildung; seine Sachen mußten bereit sein! Sic suchte in dem Koffer, der Ivos alte Kleider barg, um etwas zu finden, das noch getragen werden konnte ein Riß mußte geflickt, Knöpfe mußten angenäht und ausgerissene Knopflöcher ausgebessert werden; Strümpfe waren noch da, und zum Glück waren die Hemden gerade gewaschen. Eine Schüssel Speck  , Brot das Kuchenbrot waren gleichfalls vorhanden l In dein Maße, wie Mause vortvärts kam, gingen ihr die Erwägungen durch den Kopf, bis sie endlich definitive Eni- schlüsse faßte und sich in Eile daran machte, das Nötige zu­sammen zu raffen. Solange sie mit der Arbeit beschäftigt war und ihre Gedanken gerichtet hielt auf das, was in dem Sack bereit sein mußte für den Fall, daß Ivo noch diesen Abend fort mußte, empfand sie keine Unruhe oder Ver- wunderung über ihre Tätigkeit. Sie hatte keine Zeit, über die Möglichkeit eines Ausgangs nachzudenken, der vielleicht alle ihre Erwartungen über den Haufen warf. Als aber einmal der Sack gefüllt ivar und sie nichts mehr finden konnte, was noch fehlte, setzte sie sich mit den Händen in den Schoß hin. und dann erschrak sie plötzlich über das, was sie getan hatte. Es tvar ja möglich, daß Ivo noch am gleichen Abend wieder fort mußte er war eigentlich gar nicht zu Hause gewesen! Hatte nicht einmal daheim geschlafen! Es war so plötzlich gekommen, daß sie nicht daran glauben konnte. Einem rasch auftauchenden Trieb nachgebend, wollte sie das Zeug wieder auspacken, denn in einem Gefühl des Aberglaubens meinte sie, das Herrichten des Sackes werde verschulden, daß Ivo wieder fort müsse. Sie blieb aber sitzen,>vie gelähmt durch Auf- regung und Angst. Ein wenig später ging sie bis zur Türe. um Ausschau zu halten. Sie merkte nicht, daß sich der Wind erhob und schlechtes Wetter drohte. Sie antwortete nicht auf die Fragen ihrer Buben; sie ließ das Kleine schreien und starrte auf ihre Fußspitzen und dann auf das Zifferblatt der Wanduhr, sie war aber so verstört, daß sie nicht einmal sah, wie st>ät es war.(Forts, folgt.)