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ttr.rn 1917

Unterhaltungsblatt öes vorwärts

donnerstag,12.�ulk

vier Tagebuchblätter.

Tie läßt sich auf einen Schemel fallen, seufzt, veugt sich vorn- über und klagt:.So schlapp bin ich heule. Und keine Lust, was zu tun. Wie konnte man früher arbeiten. Wann bloh wird der Jammer ein Ende haben? Die olle Hitze und nicht« Gescheite« im Magen. Von meinem Mann habe ich gestern wieder einen Brief gekriegt. Natürlich klagt er wieder. Er tut mir so leid, der arme Kerl. Ach, ist da« eine Not. Man möchte sich am liebsten hin- schmeißen, um nie wieder aufzustehen I .Schmeißen Sie sich hin. Immer zu. Ich lege mich gerne nebenbei.' .Da« möchte Ihnen so passen, Sie Von wegen.' Sie lacht, erhebt sich und arbeitet weiter. Hinter un« wird die große Exzenter- stanze, die auch ihre Launen hat und ab und zu aussetzt, wieder in Gang gebracht. Da« rollt wie der Donner. Rollt und grollt. Die leistet seit Tagen wieder ein Stück Arbeit. Eilige Krieg«- arbeit. IL .Also wann« nöt Deutsch verstebn, werd ich mit Ihnen in Ihrer Muttersprache reden. Zurücktreten folln'S da! Sakra! Kein einziger mehr wird lonskribiert. Wann« wisien, daß Sie zur Musterung müssen, dann ham« zur Zeit da zu sein. S' gibt ka Extravor« stellung für die Bummligen. Also zurücktreten solln«, Sie!' »Entschuldigen Sie, Herr Feldwebel,' stammelt ein rotbücklger, mit einem Kastan bekleideter Galizier ,.vielleicht könn ich heut schon gemustert werden. Morgen darf ich nicht schreiben. Morgen ist doch Samstag.' .Schon wieder wa« Neue«. Welcher Jahrgang. .Achtzig, Herr Feldwebel.' .Also, dann kommen'« am Montag. Und jetzt die vortreten, die nicht in Berlin wohnen. Dös gibt'S doch nöt, daß an jeder kommt, wann er will. Wir sind doch hier nöt z' HauS.' Er wischt sich den Schweiß von der Stirne und dem kohlen Schädel, steckt sich eine Zigarette an und setzt sich wieder an den Tisch. »Wo wohnen Sie', fragt er meinen Bordcrmann. .In Brandenburg .' »Und Sie?' .Neukölln,' antwortete ich. »Machen's, daß Sie rauskommen. Vielleicht weiß ich noch nöt, daß Neukölln zu Berlin g'hört. Sie. RrauS!' HL Morgen früh muß ich wieder weg. Um sieben. Anhalter Bahnhof . TaS Kommen ist ja ganz schön, aber da« Wiederweg- müssen. Und so ein paar Tage Urlaub, die vergehn wie nichts. Ich soll doch lieber noch hier bleiben, hat der Junge gestern vor'm Einschlafen zu mir gesagt; und die Frau weenl. so oft man sie an- kiekt. Das ist gerade keen schöner Sonntag. Am liebsten wäre ich schon een Ende Iveg von Berlin .' .Sie haben aber doch bi« jetzt immer noch Schwein gehabt,' sagt die Frau des Barbiers, die mir die Schaumreste au« dem Ge- ficht wäscht. »Jolt, was heißt Schwein gehabt. Die kleene Verletzung im Winter in der Schompanje. Da bin ich in ein Lazarett een paar Kilometer hinter der Front gekommen, und nifcht war. Vierzehn Tage später lag ich wieder vorn. Im Schützengraben. Eine kleine Verletzung der Kniescheibe. Da« war alles. Ich danke und erhebe mich.»Der Nächste, bitte, kann Platz nehmen!' ruft der Barbier. Ter Urlauber ist dran. IV. Nun sind Sie wieder hier. Gefiel ei Ihnen in der Kronen- straße nicht?" Es gefiel mir schon. Da« heißt zum Teil. Tai Arbeiten war ganz schön. Ich war dort als Expedientin tätig- Hier bin ich wieder nur Arbeiterin. Aber was tut'S l" So denke ich auch." Drei Chefs hatte ich dort." Drei? Nicht weniger?" .Zwei aber waren sehr häufig unterwegs. Sie reisten von einem Armeekommando nach dem anderen. Nur der dritte, der ver- beiratet ist, rührte sich nicht au« dem Bau. Und gerade der war der schlimmste.' Wieso? Schnauzte er viel?' »Im Gegenteil. Er war sehr liebenswürdig, zu liebenswürdig. Um Halbneun erst begann die Geschäftszeit, ich aber sollte schon um sieben kommen. Er wollte ungestört Verschiedenes mit mir erledigen. Und Wasierpartien sollte ich auch mit ihm macheu. Er hat ein

Segelboot in Schlachtensee. Einmal wurde er so dreist, daß ich ihm eine Ohrfeige gab. Ich hätte alles Mögliche von ihm haben können. Geld, Schmucksachen, ein höheres Gehalt. Alles. Die Leute haben nur Heereslieferungen. Die verdienen.' Sie sind ein standhaftes Mädchen.' Sie errötete und ihre Lippen schlofien sich, ein Halbrund kräf- iiger, weißer Zähne entblößend. »Ich will lieber hier den ganzen Tag stehen und die olle Niet- Maschine treten, als die Mätresse eines Armeelieferanten werden. Ein häßlicher Kerl war er ja gerade nicht. Gefallen konnte er mir schon. Gut zwei Köpfe größer als Sie und braun wie'n Mulatte. Das gefällt mir. Sie müßten auch mehr Sport treiben. Rudern, wandern, schwimmen. Sie sitzen zu viel zu Hause. Sie sehen schlecht aus. Sind Sie krank?' Wie sollt ich'« nicht sein? Ich leide. Es ist doch Krieg. Soll ich da etwa ein blühendes Aussehen haben? Und wer noch ein Herz im Leibe hat und ein ehrlicher Sozialist ist, leidet gleich mir.' lz) Joseph Adler.

Insektenstiche. Wilhelm Busch hat uns von den Mücken daS Verslein ge­sungen: Drückst du auch in die Kisten Dein wertes Angesicht, Dich wird zu finden wisten Der Rüssel, welcher sticht. In der Tot gehören im Sommer die MüSen zu unseren ärgsten Plagegeistern. Je nach ihrer Art und ihrer Menge können sie aber auch' zu Schädigern unserer Gesundheit werden. Bei un« kommen hauptsächlich die beiden Arten Oulex und Anopheles in Betracht. Letztere ist die Ueberträgerin der Malaria; Culex-Stiche in größerer Menge können bei Kindern und schwächlichen Personen neben etwaigen schädlichen Folgen des Juckreize« die Er- scheinungen einer leichten Vergiftung auslösen. Kleine Kinder schütze man daher grundsätzlich durch Ueberhängen von Schleiern über Wagen und Bett! Waldarbeiter und Jäger sollten wenigstens in Malariagegenden einen Schutzschleier tragen. Jäger wissen auch von der kleinen Kriebelmücke ein Lied zu singen, die gern in Ohr und Nase kriecht. Ihre Stiche können in größeren Mengen auch dem Vieh gefährlich werden, und in der Tat fallen ihr auch bei uns jährlich eine Anzahl Rinder zum Opfer. In ungeheuren, wölken- ähnlichen Zügen tritt sie zum Schaden der Viehherden in Serbien auf. Mückenschwärme sind aber auch bei uns gelegentlich so groß, daß sie, an Kirchtürmen fliegend, wohl ein Feuer vorgetäuscht haben. Viel zu wenig beachtet wird in Deutschland eine stechende Fliege, Stomoxis genannt. Sie lebt hauptsächlich in Vichställen, kommt aber zum Blutsaugen gern in menschliche Wohnungen und führt den bezeichnenden Beinamen.Wadenstecher". An der Wand sitzt sie mit dem Kopf nach oben, die gewöhnliche Stubenfliege mit dem Kopf nach unten. Weiter unterscheidet sie eben ihr Stechrüssel, der rechtwinklig nach vorne abgebogen ist. Als Ueberträgerin zahlreicher Krankheiten verdient sie ernstere Beachtung. Aehnliches gilt für Wanzen, Läuse und in gewissem Sinne auch für unseren Floh. Sie alle bringen nach neueren Forschungen den Erdenwaller nicht nur häufig um seine Nachtruhe, sondern können ihm auch Krankheiten einimpfen. Der jetzt im Kriege im großen gegen sie durchgeführte Kampf hat unser Heer und unser Volk vor verderblichen Seuchen bisher bewahrt. An diesem Kampf sollte sich auch der einzelne noch mehr beteiligen. �cht Tage ohne Nahrung im öoot. Das finnische BlattAbo Underrättelscr' veröffentlicht die Er« zählung von der wunderbaren Seereise zweier jungen Männer, eine Erzählung, die in ihrer abenteuerlichen Grausigkeit schier unglaublich anmutet. Am S. Juni fuhren danach im offenen Segelboot der lldjährige Seemann Karl Leopold Bromels und sein Freund, der 21jährige Karl Gunnar Gröning von Christinestad ab. Sie wollten einen TageiauSflug unternehmen und hatten es deshalb nicht für notwendig gehalten, mehr als ein paar belegte Brote al« Imbiß mitzunehmen. Sie waren indes nicht lange unterwegs, als sich ein schwerer nordöstlicher Sturm erhob, der das steuerlose Boot immer weiter meerwärtS trieb. Zwei Tage und Nächte wurde das Fahrzeug so vom Sturm hin und her geworfen, und e« geriet immer Weiler in« offene Meer hinaus. Die Lage wurde auch da- durch verschlimmert, daß Gröning schwer seekrank wurde, so daß BromelS die größte Mühe hatte, zugleich das Boot mit Hilfe der Ruder durch die Wogen zu steuern und zu verhindern, daß Gröning in seinem Fieberdelirium sich über Bord warf oder, wie er selbst es ausdrückte.an Land ging'. Endlich legte sich der Sturm und damit auch Gröning« Seekrankheit*, dafür tauchte da« Hungergespenst

immer bedrohlicher und erschreckender vor ihnen auf. Die Oual wurde noch dadurch erhöht, daß die Sonne bei Tag stechende Strahlen hernieder schoß, wärend die Nächte eisig kalt waren. Ohne jedwede Decke lagen die beiden jungen Leute im Boot, zuweilen mit durchnäßten Kleidern. So verfloffen Tage und Nächte. Noch immer trieb da« Boot weiter in die See hinaus. In weiter Ferne zeigten sich zwei andere Segler; doch die Verschlagenen konnten sich ihnen nicht bemerkbar machen, obwohl sie mit Hilfe ihrer Röcke Flaggensignale abgaben. Endlich, am siebenten Tage, als die beiden schon mehr tot als lebendig waren, glaubten sie am fernen Horizont einen dunklen Streifen zu sehen, den sie für Land hielten. Sie beschloffen, mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte einen Versuch zu machen, es zu erreichen. Wie aber sollte der vom Hunger geschwächte BromelS Kraft zum Rudern finden? Da verfielen sie auf einen Ausweg, der erkennen läßt, wie furchtbar ihre Lage gewesen sein muß. Bromels öffnete die Pulsader seines Gefährten und zapfte ihm nach seiner Schätzung etwa einen halben Liter Blut ab, da? er sodann trank, um sich zu stärken..Da« klingt schauderhaft', sagte Bramel selbst,aber ich versichere Sie, daß ich in diesem Augenblick Menschenfleisch hätte essen können, um neue Kräfte für eine mögliche Rettung zu sammeln". Wie bitter muß die Ent« täuschung gewesen sein, als es sich nach zwanzigstündigem unab- lässigem Rudern herausstellte, daß der.Landstreifen' eine Luft- spiegelung gewesen war!Es war eine Stunde grenzenloser Ver- zweiflung", setzte der Seemann seinen Bericht fort.Nunmehr glaubten wir un« rettungslos verloren. Unsere Kräfte waren so erschöpft, daß wir kaum noch zu sprechen vermochten. Wir waren vollkommen zum Sterben bereit und versanken in eine Art Traum« zustand, der uns über 24 Stunden lang gefangen hielt. Da kam am achten Tage unsere wunderbare Rettung zustande. Um 1 Uhr nach- mittags wachten wir auf und sahen zwei Niesenvögel boch über uns kreisen. ES waren Wafferflugzeuge. Als sie unS erblickten, ließen sie sich nieder und riefen uns an. Wir erklärten in Kürze unsere unglückliche Lage und baten um Hilfe. Die Besatzung der Flug- zeuge erklärte sich bereit, unS etwas Essen und eine Flasche Milch zu überlassen; wir erwiderten jedoch, daß dieS so gut wie gar nichts für zwei nahezu Verhungerte sei, und baten, un« in den Flugzeugen mitzunehmen. DaS wurde unS nach kurzer Beratung bewilligt. Jeder der Lnftvögel nahm einen von un« auf, und dann ging eS durch die Luft davon. Wir waren gerettet!'

Notizen. Das Jubiläum deSFahrrade«. Am 12. Juli 1817 fuhr der Mannheimer Forstmeister Baron Karl Drais von Sauerbronn die Probefahrt auf dem von ihm erfundenen Fahrrad, ver ehemals beliebtenDraisine'. Drais war ein Laienerfinder. ein Idealist. Er sah nicht, daß die Wege für das Fahrrad noch zu schlecht waren. Die ersten Erfolge seiner Erfindung verblendeten ihn. Im Jardin de Luxembourg zu Paris und im Hydepark zu London fuhren Herren und Damen von Welt um 1820 sportsmäßig Fahrrad. Drais war ein berühmter Mann und wurde gar für seine FahrraderfindungProfessor der Mechanik".?-gK stieg ihm zu Kopf. Er verlegte sich aufsErfinden". Jahr-Kan-A arbeitete er an einer der frühesten Schreimaschinen, aber nirgends war sein Tun bedacht, nie von Dauer. So kam ein Mißerfolg nach dem andern; der Erfinder wurde verbittert und trank. Als armer vergessener Mann starb er 1861 zu Karlsruhe . Lange nach seinem Tode entstand das Fahrrad neu, von Franzosen , dann von den Engländern verbessert. EineUhr mit ewigem Gang' will der Schwede Theodor Dieben in KarlSlund erfunden haben. DaS Werk wird durch die Luftdruck« und Temperatur- schwankungen getrieben, auf die sieben kommunizierende Meialldoien reagieren. Dieie Dosen sind übereinander aus- gestellt und bestehen au« Millimeter starlem, gewelltem Neu- silberblech; sie stehen, außer untereinander, noch mit dem unter ihnen angebrachten Behälter zum Ausgleich des Luftdrucks in Ver- bindung. DaS ganze elastische System ist mit Lust von 757 Milli- meter atmosphärischem Druck und 18 Grad Celsius gefüllt und hermetisch verschlossen. Wenn der Luftdruck steigt oder die Tempe-' ratur fällt, so werden die Dosen zusammengedrückt und umgekehrt; diese Betvegungen, die eine Ausdehnung bis zu 28 Zentimeter erreichen können, werden auf das Rädersystem de« Uhrwerks über- tragen und wirken so als motorische Kraft. Eierin Gräbern. Bei Herstellung von Gräbern auf dem Ehrensriedhof zu Frankenthal wurde eine Urne ausgegraben, in der sich unter andern auch Gänseeier fanden. Im nahen Worms hatte man in Gräbern der römischen Kaiserzeit zwei bemalte Eier in dem Sieinsarg eine« Mädchens gefunden. Auch in alemanischen und bajuvarischen Gräbern haben sich Eier gefunden. Der Sinn der Mitgäbe ist strittig.

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Der starte Mann.

Eine schweizerische Offiziersgeschichte von Paul Jlg. Dicht beim Sattelplatz, wo sich die Mitglieder de8 Dacht- und Reitklubs zusammenfanden, hatten auch die Geschwister Steiger Posten gefaßt. Renee stand auf einer Bank neben dem eleganten, auffallend geschmeidigen Leutnant de Rimathöe, der zu den Favoriten des TageS zählte. Sie trug ein kost- bares Spitzcnkleid, dazu Hut und Sonnenschirm im gleichen zarten Pastellton; ein entzückendes Bild, das auch ohne die eifrige Werbetrommel ihres kecken Mundwerks Bewunderung erregt hätte. Mit einer erstaunlichen Unbefangenheit übte sie Kritik an den Reitern oder am Publikum und schien glück- selig, aller Welt ihre welsche Zungenfertigkeit beweisen zu können. Wer kannte sie nicht? Welcher von den jungen Herren, die ihre Aufmerksamkeit zu erringen suchten, indem sie unermüdlich unter ihr Vorbeistrichen, wäre nicht glücklich gewesen, der schönen Patrizierin vorgestellt zu werden? Sie wußte das. Darum liebte sie nichts mehr als solche Anlässe, bei denen sie ihre Macht und Anziehungskraft wie eine prächtige Wasserkunst spielen lassen konnte. Nur einer hielt sich halbverborgen in ihrer Nähe auf, der sie weder mit bewundernden noch mit verliebten Augen anschaute. Seit die Prinzessin von Trcustadt mit ihrem Gc- folge den Platz betreten hatte, verfolgte sie dieser Mann ohne Unterlaß gleich einem Detektiv, der nur auf eine günstige Minute harrte, um ihre Hand zu packen und zu gebieten; Folgen Sie mir!" Adolf Lenggenhager tat alles was er vermochte, um den zahlreichen Bekannten, die seinen Zustand offen oder heimlich zu erforschen suchten, die Uebcrzeuguug beizubringen, daß er vom Scheitel bis zur Sohle noch gang der Alte sei. Er schüttelte viele Hände und stand auch Leuten Rede, denen er früher kaum ein gutes Wort gegönnt hätte. Die Neu- gier, ja selbst die Schadenfreude, mußte dem gebräunten und gereckten Gesellen wohl trauen, wenn er mit trockenem Spott seinen Spruch hinwarf:Mir hat der Krach nichts geschadet; hoffentlich ist dafür aber das Vaterland gerettet!' Er scheute auch die Begegnung mit seinen früheren Vor- gesetzten nicht und hatte sogar die Genugtuung, bei diesem und jenem ein ungchcuchclteS Wohlwollen zu spüren.

Es Ivärc doch schade, wenn so ein im Geist unserer Sache versammelter" Kerl ivegen einem dummen Streich den An- schluß nicht mehr finden könnte!" sagte der Platzkommandant mit aufrichtigem Bedauern zu seinem AdlatuS, dem kritischen Major Zieglcr. Dieser, der einen schärferen Blick für das rein Menschliche besaß, schüttelte jedoch Hugentoblers milde Ge- sinnung unlvillig ab, sägte einigemalc mit dem schmalen Hand­rücken energisch durch die Luft und erwiderte:Ich dente darüber so: ist dieser Lenggenhager der entschlossene Mensch. für den er angesehen sein will, dann wird er auch in den ver- änderten Verhältnissen eine angemessene Aufgabe finden und lösen. Wenn nicht, so hat er eben wie viele seinesgleichen nur die MaSke des starken Mannes getragen, an die man glaubte, weil er zufällig Macht und Mittel dazu besaß." Der kleine Herr Oberst wiegte bedenklich das Haupt. Frägt sich nur. ob da die Liebe zum Beruf nicht das Ent- scheidende ist! Bekanntlich gibt es einseitig tüchtige Naturen, die zu einem Geschäft wie geboren und zu jedem andern ein- fach untauglich sind." Sehr richtig, Herr Oberst,", lächelte der überlegene Aristokrat, das ist dann aber sozusagen Dutzendware eine ganz gewöhnliche Sorte Mensch. Wo so einer kopfüberschießt, springen zehn zum Ersatz ein. Willenskraft, persönlicher Mut, körperliche Gewandtheit daß ist alles dem Manne ent- schieden nicht abzusprechen. Aber diese drei berühmten Soldatentugenden können auch einen Dummkopf zieren und sind zudem nicht selten von weit weniger sympathischen Eigen- schaften, wie Ehrsucht, Hochmut und Eitelkeit begleitet. Finden Sie es zum Beispiel am Platze, daß Lenggenhager heute allen Ereignissen zum Trotz in die Arena reitet?" Teufel auch! Warum denn nicht?" ereiferte sich der andere.Daran erweist sich ja gerade seine Unverwüstlich- keit. Versteht sich, hier kann er sich dem Völklein wieder ein- mal von der gefälligen Seite zeigen. Der Mann will sich nun einmal nicht verkriechen. Und geben Sie acht" lachte der Oberst prophetisch auf,er wird nicht schlecht ab- schneiden!" Inzwischen hatte die Konkurrenz für den Damenprcis begonnen. Oberleutnant Lenggenhager, der dreiundzwanzigste in der Teilnehmcrliste. lehnte mit verschränkten Armen ab-

seits an einem Baum und schien sich um Erfolg oder Mißerfolg seiner Vorgänger nicht im geringsten zu kümmern. Wer ihn jedoch aufmerksam beobachtete, konnte sehen, daß ihn keines- wegs Gleichgültigkeit abhielt, dem Rennen zu folgen. Er ließ die Bank an der Eintrittsstelle nicht eine Sekunde aus den Augen, obgleich ihm die daraufstehenden Zuschauer den Rücken kehrten. Der Ausdruck feines Gcsichjs verriet zuweilen eine furchtbare seelische Spannung. Als am Signalmast die Zahl Fünf erschien, dehnte sich seine Brust von einem langen, schweren Atemzug. Der Nächstsolgende war der Genfer Rimathöe. Lenggenhager sah, wie sich sein Rivale von Rennee Steiger mit tändedruck lachend verabschiedete; er hörte auch ihre fröhliche timme:Bonns cbanceP rief sie dem schlanken Dragoncrzu, der sodann eine hochbeinige Rappstute bestieg und die elegante Freundin im Vorbeireiten niit romanischer Grazie grüßte. Sie winkte dem flotten Reiter, der sein Pferd ihr zu Ehren ein wenig steigen ließ, mit ihrem Spitzcntuch. Harmlose Vorgänge. Sie taten eine verheerende Wirkung auf den heimlichen Beschauer. Adolf Lenggenhager blickte noch eine Weile ivie versteinert hinüber, den Rücken gegen den Baum gestemmt, die Finger beider Hände in die Rinde gekrallt... Eine Minute später stand er neben dem bezaubernden Götzenbild, das er bis zu dieser Stunde unselig genug an- gebetet hatte. Gestatten Sie, Fräulein Renee, der vormärzliche Freund und Reitgefährte meldet sich zur Stelle. Wie geht es Ihnen? wenn ich noch fragen darf!" grüßte er die abgefallene Lieb- schaft, die Aug' in Aug' sogleich gewahr wurde, wie kläglich cS um den sonst so selbstbewußten Mann, stand. Seine von Bitternis und ohnmächtigem Grimm erschütterte Baßstimnie war nur noch eine Knarre von Heiserkeit, die Augen flackerten gleich Funzeln im Wind, die Hand fühlte sich fieberhaft feucht und schlaff an. Was ging in dem Unglücklichen vor? Wollte er sie vor aller Augen zur Rede stellen? Von merklicher Angst erfaßt, sah sich Rcnöe Steiger hastig nach ihrem Bruder, den übrigen Bekannten um. Es war keiner in der Nähe. Das bange Herz irrte wie ein Verfolgter am Ufer auf und ab, um den rettenden Steg zu erreichen. (Schluß folgt.)