Nr. 276. 34. Jahrg.
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Montag, den 8. Oftober 1917.
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Der zweite Anfall.
Die Regierung Michaelis hat am Sonnabend ihren
zweiten frisenhaften Anfall erlitten. Er ist schwerer als der erste, beruht aber auf demselben chronischen Leiden.
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Bei dem ersten, im Hauptausschuß, widerfuhr Herrn Michaelis plößlich sein berühmter f a Ischer Zungenschlag". Reute, die Ohren haben zu hören, wollten eine Erflärung des Reichskanzlers vernommen haben, in der er sagte, er habe sich nie zur Friedensentschließung der Mehrheit befannt. Der geheimnisvolle Zwischenfall fand in einer neuen Erklärung seine befriedigende Erledigung. Und seitdem haben sich, mindestens vier Wochen lang, Reichskanzler und Mehrheit sehr gut miteinander vertragen, ja, es hat wenig gefehlt, daß die Mehrheit Herrn Michaelis für seine( oder Herrn v. Kühlmanns) brave Note an den Papst einen Fleißzeftel ausgestellt hätte.
Run aber stehen wir schon wieder vor einem„ Mißverständnis", das schwerer und verhängnisvoller zu sein scheint als das erste. Und auch dieser neueste Konflikt steht keineswegs im Zeichen des Wortes: Nur offen wie ein Mann für oder wider!" Hätten die beiden Regierungsvertreter, die am Sonnabend das Wort ergriffen, einen Hymnus auf die Baterlandspartei" angestimmt und die behördliche Agitation für sie in Schutz genommmen, dann war für den Reichstag und die ganze Deffentlichkeit eine flare Situation gegeben. Mehrheit und Regierung hätten miteinander um ihre Ueberzeugung gerungen, und es hätte sich zeigen müssen, wer von beiden der Stärkere iſt.
Aber davon kann ja gar keine Rede sein. Die Regierungsvertreter dachten gar nicht daran, sich der Mehrheit zum Kampf zu stellen. Sie sagten kein Wort zur Verteidigung der alldeutschen Politik, für die sie wahrscheinlich auch gar keine Begeisterung empfinden, sie gaben zu, daß behördTicher Gesinnungsdruck und parteipolitische Verheyung im Heere unzulässig feien, ja, sie versprachen sogar Abhilfe. Aber das alles geschah in einer Weise, die nicht beruhigend, sondern herausfordernd wirkte und vorhandenes Mißtrauen nicht verscheuchte, sondern steigerte. Die Regierungsvertreter versuchten, diese bitterernste Angelegenheit als Bagatelle zu behandeln und den Reichstag billig zu vertrösten, woraus dieser den Eindruck erhielt, es sollte jezt eben erst recht alles beim alten bleiben.
Es gibt wohl keinen Menschen, der bezweifelt, daß der neueste schwere Mißerfolg der Regierung in dem Mangel einer wirklichen Führung seinen Hauptgrund hat. Bei aller sonstigen Zerrissenheit der Meinungen herrscht doch in allen Kreisen der Wunsch nach einer wirklichen politischen Führung. Die einen denken sich diese Führung streng monarchisch, die anderen demokratisch- parlamentarisch, die einen alldeutsch, die anderen im Sinne des Verständigungsfriedens aber alle Volkskreise empfinden den Mangel eines einheitlich ordnenden Willens an der Spike des Reiches als einen schweren und gefährlichen Fehler. Herr v. Bethmann hatte Gegner rechts wie links, weil man ihm nicht die Energie zutraute, durchzugreifen, sein Abgang wurde rechts wie links mit der Hoffnung auf Besserung begrüßt-- aber ist diese Hoffnung erfüllt worden?
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Artilleriekampf zwischen Poelkapelle und Zandvoorde Der Angriff auf Dün kirchen - Russenangriff in der Bukowina.
Amtlich. Großes Hauptquartier, den 7. Oktober 1917. Weftlicher Kriegsschauplatz.
Bei Regenfällen und Wind blieb die Gefechtstätigkeit bei fast allen Armeen gering.
In Flandern lag starkes Störungsfeuer, durchscht mit einzelnen heftigen Feuerstößen, auf dem Kampffelde zwischen Boelkapelle und Zandvoorde.
Vor Verdun lebte auf dem Oftufer der Maas die Feuer: tätigkeit zeitweilig auf.
Erkundungsgefechte riefen dort und in mehreren anderen Abschnitten vorübergehend eine Steigerung des beiderseitigen Feuers hervor.
Die Auswertung von Lichtbildaufnahmen unserer Flieger bestätigt, daß unsere Bombenangriffe auf die Festung Dün kirchen starke Zerstörungen in mehreren Stadtvierteln, befonders an den Hafen, Speicher und Bahnanlagen verursacht haben. Empfindliche Hemmungen des englischen Nachschubes werden dadurch erreicht worden sein.
Deftlicher Kriegsschauplak. Front Prinz Leopold. Nordöstlich von Riga , bei Dinaburg und am Zbrucz bes fämpften fich mehrfach die Artillerien lebhaft.
In der Bukowina griffen die Russen unter Einsatz von Panzerkraftwagen unsere Stellungen bei St. Onufry und Waschkous an. Der Feind wurde durch Feuer abgewiesen, aus Waschkouz durch Gegenstoß deutscher und österreich - ungarischer Truppen vertrieben.
Gefangene blieben in unserer Hand. Bei der
Heeresgruppe Madensev lebte am unteren Sereth und bei Tulcea die Kampftätigkeit der Artillerien auf.
Mazedonische Front.
Nichts Wesentliches.
Der Erste Generalquartiermeister. Ludendorff.
Abendbericht.
Amtlich. Berlin , 7. Oftober 1917, abends. In Flandern am Abend sich steigernder Feuerkampf zwischen Langemard und Zonnebeke.
An den übrigen Fronten nichts Wesentliches.
Der österreichische Bericht. Wien , 7. Oktober. Amtlich wird verlautbart: Deftlicher Kriegsschauplatz.
Bei Sereth in der Bukowina griff der Feind gestern nach starker Artillerievorbereitung an. Er wurde bei St. Onufry durch Feuer abgewiesen, bei Waschkout von österreichischungarischen und deutschen Truppen im Gegenstoß geworfen. Italienischer Kriegsschauplatz.
Im Gabriele- Abschnitt beschränkten sich die Italiener gestern auf Teilvorstöße; diese blieben erfolglos. Auf der Costabella holten Hochgebirgsabteilungen 21 Bersaglieri aus den feindlichen Gräben.
Nichts Nenes.
Der Chef des Generalfta bcs.
Der Sehnsuchtsruf der Altdeutschen geht nach einem " 3ivil- Hindenburg". In der Tat: wir haben führende Generäle, aber keine führenden Staatsmänner. Hätten wir fie, dann wäre die Kriegführung nur ein Mittel ihrer Politik. Diese Politik könnte dann eine Eroberungs- oder eine Verteidigungspolitik sein, fie fönnte einem Verſtändigungsfrieden oder einer zerschmetternden Kriegsentscheidung zustreben auf alle Fälle würden dann nicht die Generäle, sondern die Staatsmänner das letzte entscheidende Wort haben. Alles, von den Ministerreden und Noten angefangen, bis zum legten amtlichen Aufklärungsblatt an die Soldaten und an die Zivilbevölkerung würde dann von einem einheitlichen Geiste erfüllt sein. Für die Generäle aber fönnte es gar nichts Besseres geben, als die Politik in festen, geschickten der mit ungeheurer Energie die entfesselten Kräfte des Kriegs fein ausschließlich auf dem Feld ihrer eigenen Tüchtigkeit erforderlichen Maße Widerstand zu leisten, noch fortzureißen bewegen zu können. und zu begeistern. Und sein unglücklicher Vertreter Herr Weil aber der starke staatsmännische Wille fehlt, darum Helfferich, der gestern eine noch schlechtere Bresse hatte als find die Grenzen zwischen Kriegführung und Politik, zwischen vorgestern einen schlechten Reichstag? An seinem Beispiel Militärgewalt und 3ivilgewalt unsicher ge- zeigt sich, daß Gescheitheit, Gerissenheit und Geschmeidigkeit, worden. Wäre der Krieg von 70/71 nach Bismards strategi- verbunden mit einem starken Selbstbewußtsein, nicht die schen Plänen geführt worden, so wäre er wahrscheinlich ver- Stoffe find, aus denen die großen Figuren des öffentlichen lorengegangen, und hätte Moltke die deutsche Auslandspolitik Lebens geformt werden. Die Zeit verlangt politische Charafan Bismards Stelle geführt, so wäre das Ergebnis wahr- tere, Stepräsentanten großer Ideen, also etwas, wovon Herr scheinlich nicht weniger fatal gewesen. Die alte Wahrheit! Helfferich bei allen seinen Geschicklichkeiten doch das gerade „ Eines schickt sich nicht für alle, sehe jeder, wie er's treibe, sehe Gegenteil ist. Er ist in hohem Grade verwendungsfähig, von jeder, wo er bleibe, und, wer steht, daß er nicht falle!" erwiesener Unbrauchbarkeit aber als Führer.
politischen Willen beseelt sind. Solche Männer können unter Umständen auch mit der Volksvertretung um ihre Ueberzeugung kämpfen, sie dürfen vor dem Kampf aber auch gegenüber anderen Stellen nicht zurückschreden. Sie müssen dem Grundsatz zur Anerfennung verhelfen, daß die politische Erwägung allein zielseßend wirken darf, und daß sich alle anderen Kräfte im Staat ihr dienstbar zu halten haben.
Daß die Bureaukratie des Obrigkeitsstaates diese Aufgabe nicht erfüllen kann, hat sie vor und nach 3a bern, im Frieden und im Krieg, unter Bethmann und unter Michaelis ungezählte Male bewiesen. Heute aber ist die Herstellung des richtigen Verhältnisses zwischen den physischen Kräften, die sich draußen mächtig entladen, und dem politischen Geist, der alles ordnet und lenkt, das Problem Deutschlands geworden. Daraus erklärt sich die unheilbare Anfälligkeit der Regierung Michaelis'. Es ist nicht nur der Mann, es ist das System, das versagt!
Was weiter?
Zurückweifung des Nachtragsetats an den Haupi ausschuß. Bertagung der Debatte auf Dienstag?
In der Sonnabend- Debatte des Reichstags ist eine sehr wichtige Seite der umstrittenen Interpellations- Angelegen heit nur flüchtig berührt worden. Als Gen. Landsběra die Betriebsamkeit der reichstagsfeindlichen Propaganda im Heere schilderte, kam von der Linken her der Zuruf: Wer bezahlt denn das?" Und Landsberg antwortete mit einem Hinweis auf die letzte Rede des Grafen Bosadowsky, in der gefagt war, es sei erstaunlich, zu welchen Zweden ntitunter Reichsmittel verwendet würden.
Die Reichsmittel werden vom Reichstag bewilligt und über die Art ihrer Verwendung steht ihm die Kontrolle zu. Der Reichstag ist also zu der Frage berechtigt und verpflich tet, ob und in welchem Umfange zum Zwed der erwähnten Propaganda über Reichsmittel verfügt worden ist. Es handelt sich um eine etatrechtliche Frage von großer Bedeutung, mit der sich am besten zunächst der Hauptausschuß be. schäftigen wird.
Der Hauptausschuß hat leßter Tage auch den Nach tragsetat, der die Geldforderung für den neuen Vizefanzferposten enthält, erledigt, der Reichstag hat die zweite Lesung vorgenommen, nur die dritte steht noch aus. Durch die Sonnabend- Debatte ist aber die vielumstritttene Frage der Kanzler- Stellvertretung in eine neue Beleuchtung gerückt worden, Der neue Posten sollte für Herrn Helffe. rich geschaffen werden, der jetzt im Reichstag erklärt hat, da er nicht mehr das Vertrauen des Hauses befize, habe es teine.. Zweck mehr für ihn zu reden. Dem Reichstag fann unmöglich zugemutet werden, das Gehalt für einen„ Sprechminister" zu bewilligen, für den nach seiner eigenen Erkenntnis das Reden überhaupt keinen Zweck mehr hat. So ist es begreiflich, daß man in Mehrheitskreisen mit dem Gedanken umgeht, den Nachtragsetat an den Hauptausschuß 311rückzuberweisen und ihn dort noch einmal auf seine Zweckmäßigkeit gründlich durchzuprüfen.
Gelangt dieser Plan zur Ausführing, so dürfte die für heute angesetzte Vollsitung des Reichstags ausfallen, und statt des Plenums mir der Hauptausschuß tagen. Die Interpellationsdebatte würde dann am Dienstag zu Ende geführt werden. Der zurzeit von Berlin abwesende Reichskanzler würde dann noch eine I ekte Gelegenheit erhalten, seine Stellung vor dem Reichstag ffarzulegen. Ob ein solches Vorgehen taktise richtig ist, darüber werden die Meinungen, auseinandergehen. Soviel wir wissen, besteht in allen Mehrheitsfraktionen eine starke Stimmung dafür, ohne weitere Umstände den Antrag der Unabhängigen anzunehmen. Den Nachtragsetat ablehnen fann man ja auch noch später!:
Händen zu wiffen und sich in diesem angenehmen Bewußt, auf ein vorbedachtes Ziel binlenft. Er vermag weder in dem Die Presse gegen die Regierung.
Herrr Michaelis, auf den wir damit zu sprechen kom- Wirklich geleitet werden kann das Reich in dieser schweren men, ist kein Zivil- Hindenburg. Er ist nicht der Staatsmann, 18eit nur von Männern, die von einem unbeugfamen
Die ganze Presse, von den Blättern der äußersten Rechten abgesehen, nimmt in ausführlichen Besprechungen der letzten Reichstagsfizung energisch gegen die Regierung Stellung. Selbst ein alldeutsches Blatt, wie die Tägl Rundschau", ist mit den Ansichten der Regierungsvertreter unzufrieden. Und wenn sie dem Kriegsminister noch mildernde Umstände zubilligt, so ist sie desto schlechter auf Helfferich zu sprechen, von dem sie sagt:
In dem Augenblick, wo Herr Helfferich an diesem kritischen Sonnabend dem Hohen Hause seine Rockschöße zeigte, hatte man nicht das Gefühl einer unanfechtbaren politischen Handlung. Es ist nicht zum erstenmal, daß man Herrn Helfferich den Gefränften spielen sieht. Aber das ist keineswegs die glüdlichste Rolle, die ein Bolitiker fich wählen kann; sie gewinnt bei Wieder