Nr. 298. 34. Jahrg.
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B
Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3.
Fernfbrecher: Amt Moritplas, Nr. 151 90-151 97.
Dienstag, den 30. Oftober 1917.
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Der Kanzlerwechfel.
Michaelis geftürzt.
Der Kaiser hat dem bayerischen Ministerpräsi
angeboten. Graf v. Hertling ist daraufhin mit den Parteien des Reichstags in Verhandlungen eingetreten, die noch nicht abgeschlossen sind. Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, daß sie zu einem positiven Ergebnis führen werden.
Dertlings Miffion und geringe Husfichten.
Bei Digmnden heftiges Feuer. Frandenten Grafen v. Hertling das Reichskanzleramt zosenangriffe bei Braye. Die ganze italienische Isonzofront zusammengestürzt. Rückzug gegen den Tagliamento und an der adriatischen Küste. Aumarsch auf Udine . Cormons genommen. Amtlich. Großes Hauptquartier, 29. Oftober 1917.( 2. T. B.)
Shon nach dem Sturze Bethmanns hat der Kaiser dem 74jährigen Grafen Hertling das Reichskanzleramt angeboten, dos dieser jedoch unter Berufung auf sein hohes Alter und feinen geschwächten Gesundheitszustand ablehnte. Wenn sich der Graf diesmal trotzdem zur Verfügung stellte, so verdient das ebenso Anerkennung wie sein loyales Verhalten den Reichstagsparteien gegenüber, mit denen er sich, bevor er sein lettes Wort sprechen wollte, ins Benehmen sette. Wir wollen es gleich sagen: Wir hoffen, daß dieses Wort ein Nein fein möge.
Unser Verhältnis zum Grafen Hertling iff das einer achtungsvollen Gegnerschaft. Der bayerische Ministerpräsident ist ein Mann von geistigen Qualitäten, und wäre er in jüngeren Jahren und in Friedenszeiten zur Regierung gekommen, so hätte der damalige Reichstagsabgeordnete und Profeffor der Philosophie Freiherr v. Hertling als ReichsJanzler sicher Teine schlechtere Figur gemacht als irgendeiner von Bismards Nachfolgern. Wir aber wären zweifellos im schärfsten Kampfe mit ihm gestanden, denn Hertling gehörte dem rechten Flügel des Zentrums an und war in feiner Grundgesinnung fonservativ.
Seine Tätigkeit als bayerischer Ministerpräsident läßt nicht darauf schließen, daß sich in dieser Gesinnung ein grundfäßlicher Wandel vollzogen hat. In lebhafter Erinnerung steht, welchen hartnädigen, geradezu fanatischen Widerstand er dem verfassungsrechtlichen Fortschritt entgegengesetzt hat, der in der Beseitigung des Artikels 9 der Reichsverfassung besteht. Graf Hertling will auf keinen Fall, daß ein Reichstagsabgeordneter Mitglied des Bundesrats werden kann, ohne fein Mandat niederzulegen, während der Reichstag , wie man weiß, großes Gewicht gerade auf diese Forderung legt. So wäre schon von vornherein ein Gegenstand des Konflikts gegeben, und weitere würden folgen.
lich stellt?
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Westlicher Kriegsschauplah. Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht. Dunst und Nebel schränkten in Flandern die Kampftätigfeit ein.
Trotzdem war längs der ser das Feuer lebhaft; es erreichte befonders bei Dirmude nachts große Heftigkeit. Borstöße fcindlicher Abteilungen nördlich der Stadt scheiterten.
Zwischen dem Houthonister Walde und der Lys belegte der Gegner unsere Kampfzone mit einzelnen starken Feuerwelleu. Englische Infanterie, hinter Trommelfeuer von Rauchgranaten vorgehend, griff nördlich der Bahn Bocsinghe- Stade an; in unserer Abwehrwirtung brachen die Sturmwellen zusammen.
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz.
Amt Chemin- des- Dames stürmten fiarte französische Kräfte nach heftiger Artillerievorbereitung zweimal bei Braye an. Von unserem Feuer, an einzelnen Stellen, durch Gegenstoß unserer Grabenbesaßung gefaßt, mußte der Feind zurückweichen; er hatte schwere Verlufte und ließ Gefangene in unserer Hand.
Bei den anderen Armeen nur stellenweise auflebende Gefechtstätigkeit.
Seit dem 22. 10. verloren die Gegner durch Luftkampf und Abwehrfeuer 48 Flugzeuge, davon 3 im Heimatgebiet. Leutuant Müller schoß den 30. und 31., Leutnant von Bülow den 22. und 23. feindlichen Flieger ab. Deftlicher Kriegsschauplatz. Keine Ereignisse von Bedeutung.
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Mazedonische Front.
Jun Becken von Monastir , im Cerna- Bogen und vom Vardar bis zum Dojran- See bekämpften sich die Artillerien lebhaft. Italienische Front.
Der durch die Erfolge beflügelte Angriffsgeist der deutschen unt österreichisch- ungarischen Divisionen der Armee des Generals der Infanterie Otto von Below hat die ganze italienische IsonzoFront zum Zusammensturz gebracht.
Die geschlagene 2. italienische Armee ist im Zurückfluten gegen den Tagliamento .
Die 3. italienische Armee hat sich dem Angriff auf ihre Stellungen von der Wippach bis zum Meer nur furze Zeit geftelt; sie ist in eiligem Rückzuge längs der adriatischen Küste.
Auch nördlich des breiten Durchbruches ist die italienische Front in Kärnten bis zum Ploecken- Paß ins Wanken gekommen. Feindliche Nachhuten versuchten bisher vergeblich, das ungestüme Borwärtsdrängen der verbündeten Armeen zu hemmen.
Deutsche und österreichisch- ungarische Truppen flehen vor Udine , dem bisherigen Großen Hauptquartier der Italiener.
Desterreichisch- ungari sche Divisionen haben Cormons genommen und nähern sich im Küstenstrich der Landesgrenze.
Alle Straßen sind von regellos flüchtenden Fahrzeugkolonnen. der italienischen Armeen und Bevölkerung bedeckt; die Gefangenenund Beutezahlen sind dauernd im Anwachfen.
Heftige Gewitter, verbunden mit schweren Niederschlägen, entladen sich gestern über dem gewaltigen Kampffelde der zwölften Isonzo - Schlacht.
Der Erste Generalquartiermeister.
Ludendorff.
Abendbericht.
Berlin , 29. Oftober 1917, abends. Amtlich. In einzelnen Abschnitten der flandrischen Front und des Chemin- des- Dames lebhafter Artilleriekampf. Im Osten nichts Wesentliches.
In der italienischen Ebene gute Fort schritte.
Auch in anderen Fragen darf man dem kommenden hauptes eingreifen, von eigenen positiven Vorschlägen abge- erfährt, wenn nicht jemand auf die Idee gekommen wäre, den Ministerpräsidenten eine widerwillige Unterwerfung unter fehen, wir glauben aber, daß sie, wenn sie um solche Vorschläge Mann als Reichskanzler vorzuschlagen. Als Leiter der fremde Ueberzeugung nicht zumuten. Wer glaubt, daß Graf gefragt würden, eine Antwort zu finden wüßten. Daß dabei Reichsgetreidestelle hat er Tüchtiges geleistet, soll es wenigHertling als Reichstanzler ein ganz anderer werden könnte, das Ablehnungsrecht des Staatsoberhauptes gewahrt bleiben stens geleistet haben. Als er in seiner Eigenschaft als preußischer Ernährungschef im Abgeordnetenhaus an die Deffentdaß er in seinem hohen Alter die Elastizität besäße, sich müßte, ist ganz selbstverständlich. innerlich ganz den Forderungen anzupassen, die eine neue einbarung beschritten worden ist, wäre es nur ein Un- Hoffnungen auf ihn. Wer will mich beirren?" Hinter Nachdem aber in gewissen Formen der Weg der Berlichkeit trat, sette sogar das Volk eine furze Zeitlang leise Zeit an einen leitenden Staatsmann nun einmal unerbitt- beil, wenn er wieder verlassen würde. und nicht darauf diesem Wort schien Tatkraft und Energie zu stecken. Heute, Was aber ganz besonders gegen die Kandidatur Hertlings kommt es heute an, um Rechte zu feilschen, sondern nur nachdem ein ähnliches Wort desselben Wannes: Ich laffe mir spricht, ist der Umstand, daß mit ihr der Plan einer Tei- darauf, diesen Weg abzukürzen und ihn weiterzugehen zu die Führung nicht aus der Hand nehmen!" bei seiner Wiederholung auf dem Würzburger Parteitage nur noch stürmische lung zwischen Reichsfanzleramt und preußi- einem Ziel, das für das Ganze gedeihlich ist. schem Ministerpräsidium verknüpft ist. Daß die Wir Sozialdemokraten stehen nicht auf dem Standpunkt, Heiterkeit ausgelöst hat, wird man auch den Wert der frühepreußische Frage eine deutsche Frage ist, das wird sogar von daß der neue Kangler unbedingt dem Parlament ren viel beachteten Redensart nicht mehr sehr hoch einschätzen. Wie dieser bestenfalls tüchtige Reffortbeamte auf den den Nationalliberalen anerkannt, nur ein deutscher Reichs- Parteien entnommen werden muß die Wahl einer außerhalb der fanzler, der gleichzeitig preußischer Ministerpräsident ist, kann Parteien stehenden Persönlichkeit hat unter den gegebenen für Bismarckiche Dimensionen eingerichteten Reichskanzlersit fie lösen. Angenommen aber selbst, Graf Hertling würde auch Umständen auch ihre Vorzüge noch weniger aber glauben fam, ist immer noch eins der ungelöften Nätsel dieser ereignisdas Ministerpräsidium übernehmen, so wären die inneren wir, daß bei der Auswahl des geeigneten Mannes Reich 8- reichen Zeit. Alle Beteiligten leugnen beute, die AufmertWiderstände durch die Berufung eines Bayern an die Spite tagsabgeordnete von vornherein ausge- famfeit auf seine Perion gelenkt zu haben. Sicher ist, daß des preußischen Staates erhöht, und diese Differenz würde ichloffen sein sollen. Es gibt unter den bürgerlichen Mehr- dieser Reichskanzler schon eine persönliche Unmöglichkeit des preußischen Staates erhöht, und diese Differenz würde heitsparteien, und nur die kommen heute in Betracht, gewiß war, noch ehe er eine politische wurde. Seine Kanzlerschwerlich durch einen Ueberschuß der Energie und Kampf- Männer, denen es möglich wäre, ebenso gut zu einem Ein- fchaft war von allen bisherigen die weitaus fürzeste. Mit freudigkeit auf der Gegenseite ausgeglichen werden. Aus dem Verhalten des Grafen Hertling, der vor seiner verständnis mit allen Mehrheitsparteien zu gelangen, wie einer Regierungszeit von 105 Tagen war Herr Dr. Michaelis endgültigen Entschließung mit den Reichstagsparteien ver- einem der Diplomaten- oder Beamtenfarriere entstannmenden der kurzlebigste Kanzler des Deutschen Reiches. Die Sozialdemokratie hat aber in Dr. Michaelis auch handelt, darf geschlossen werden, daß die Krone den Entschluß Kandidaten. Ebensogut, vielleicht noch besser! gefaßt hat, im Einbernehmen mit dem Reichstag Heute können wir nur den Wunsch aussprechen, daß das einen politischen Gegner bekämpfen müssen. Schon sein Zuzur definitiven Ernennung des neuen Kanzlers zu schreiten. deutsche Volk nach der Lösung dieser ernsten Strife vor der fab zu der Friedensresolution des Reichstags wie ich sie aufDieser Entschluß, der lebhaft zu begrüßen ist, er darf nur nicht Welt und vor sich selber als ein Volk daftehen möge, das im faffe", und feine zwei wideritreitenden Erklärungen im Hauswieder durch unterirdische Einflüsse, wie den des Herrn Aufstieg zu freiheitlichen Regierungsformen baltausschuß mußten Zweifel an der Offenheit seiner Politik Helfferich, durchkreuzt werden! Aber kann er es noch wer- hinter feinem anderen zurücksteht. Alle, die fich an einer aufkommen lassen. Vollends als Reaktionär der Gesinnung den? Da Graf Hertling mit den Parteien verhandelt, ist es solchen Lösung verdient machten, würden damit den Dank des entpuppte fich Herr Dr. Michaelis bei seinem lebten öffentziemlich undenkbar, daß er das Amt annimmt, ohne daß eine deutschen Wolfes erwerben und zugleich das befreiende Gefühl, lichen Auftreten im Reichstag, als er mit Hilfe der Capelleschen Einigung erfolgt wäre, denn sonst würde er ja sein Amt gleich in schwerer Zeit das Ihre getan zu haben für das Wohl der Enthüllungen" einer Partei die Gleichberechtigung absprechen Einigung erfolgt wäre, denn sonst würde er ja sein Amt gleich Gesamtheit, für eine bessere Zukunft! Das Volk, das auf und das alte System der politischen Verfemungen wieder in mit einer Brüsfierung des Reichstags antreten. Zehnt aber Graf Hertling ab und wird ein anderer berufen, dann kann diese bessere Zukunft hofft, wird es feinem vergessen, wie er Deutschland einführen wollte. Was sich dann hinter den Seuliffen zwischen Herrn Michaelis und Herrn v. Capelle abgewiederum dieser andere kaum noch den Weg vermeiden, den sich in dieser schweren Zeit zu ihm gestellt hat! spielt hat, spricht gleichfalls nicht für den gewesenen ReichsGraf Hertling vor ihm betreten hat. Auch er wird mit den fangler, am allerwenigsten aber spricht für ihn sein hartnädiges Kleben am Amte, als er für die ganze Oeffentlichkeit schon ein toter Mann war.
Parteien verhandeln müssen, und auch er wird den ihm er- Gestern nachmittag hat im Reichstagsgebäude eine interfrattioGestern nachmittag hat im Reichstagsgebäude eine interfraktioteilten Auftrag nur dann annehmen können, wenn er aus den nelle Besprechung stattgefunden. Die Beratungen waren streng Besprechungen mit den Parteien den Eindrud gewonnen hat, bertraulich. daß ein gutes Einbernehmen zwischen ihm und dem Reichstag möglich sein werde.
Es liegt im Interesse des ganzen Volkes, daß auch hier
Michaelis.
ein Verfahren eingeschlagen wird, das mit dem geringsten Es ist unrecht, hinter dem Gestürzten herzuspotten. Beit- und Kraftverlust zum besten Ergebnis führt. Die Sein Leben wäre genau so ruhig und normal verlaufen, wie Reichstagsparteien haben, um auch nur dem Verdacht keine das irgendeines anderen tüchtigen Beamten, von dessen Stüße zu leihen, sie wollten in die Rechte des Staatsober- Gristenz die Deffentlichkeit nur gelegentlich etwas Spärliches
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Es liegt im Wesen der Politik, daß sie die Schwächen der Menschen schnell und sicher enthüllt. Wäre Serr Dr. Michaelis in einer für feine Person normalen Laufbahn ge blieben, so würde er feine Gegner gehabt haben. Daß er ein weit über seine Begabung hinausgehendes Amt annahm, offenbarte gleichzeitia auch die tieferen Mängel feiner Veranlagung. Und deshalb ist es schwer, bei seinem Weggang eine ungeheuchelte Freundlichkeit für ihn zu finden.