Nr.NS— 1917
Unterhaltungsblatt öes vorwärts
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dienstag, 30. Gktobee
die Schrift als Spiegelbilö geistiger Erkrankung. Die Kunst der Schriftdeutung, der Schlußfolgerungen ouS Sinzelheiten einer Schrift auf psychische Eigenschaften de« Schreibers, ist ziemlich lange in Mißkredit gewesen, da sie hauptsächlich von Laien ausgeübt wurde, während die Wissenschaft, wie meist in der- artigen Fällen, sich lange Zeit hindurch mißtrauisch verhielt. Erst in den allerletzten Jahren haben Psychologen. Aerzte und Patho - logen wie H. Busse, Ludwig Klages , Schwitdlond, Schneidemühl und so weiter sich der Graphologie Zugewandt und den Weg ihrer nicht nur theoretischen, sondern auch sehr praktischen Wissenschast- lickiin Verwertung gewiesen. Da es sich bei der Graphologie um nichts anderes als ein Erkennungsmittel seelischer Zustände und Vorgänge bandelt, ist ste besonders für den Nervenarzt bedeutungs- voll, der bei entsprechender Schulung in der Schrift ein Spiegelbild geistiger Erkrankungen zu erblicken vermag. Um seelische Zustände zu erkennen, müssen vor allem die sogenannten„Ausdrucksbewegun- gen' studiert werden. Das Gebärdenspiel ist aber zu flüchtig, um ein« einigermaßen gründliche Analyse zu gestatten, vorzüglich eignet fich dazu hingegen die Handschrift, die ja als eine organische Auseinanderfolge kleiner und kleinster Gebärden bezeichnet werden kann. Interessante Einzelheiten über die Beziehungen zwischen Schrift und geistiger Erkrankungen erörtert auf Gnind dieser voraus- fetzungen der Nervenarzt und Graphologe Dr. Georg Lomer in der Zeitschrist.Ueber Land und Meer'. Die Schriftdeutung ist für den Psychiater vor allem darum von höchster Bedeutung, weil durch sie auch die schleichenden, auf andere Weis« meist schwer erkenn- baren Anfangsstadien einer geistigen Erkrankung festzustellen find, so daß durch rechtzeitig« Gegenmaßnahmen einer loeueren Verschlimmerung vorgebeugt werden kann. Dr. Lamer weist an Schrift- proben nach, wie zum Beispiel die Stadien zunehmender Paralyse in den Scbristzügen des Patienten deutlich zum Ausdruck kommen. Bei dem Paralytiker wird die Schrift allmählich druckstärker, enger und klecksiger, die Zeilen sinken, die Neigungswinkel werden immer geringer, und dies kann bei genauestem Studium zu einer Zeit erkannt werden, wo der Patient im übrigen noch keinen stärkeren Anlaß zur Beachtung gibt. Auch sonst finden sich die Eigenheiten der verschiedensteir Wahnideen in den Schriften wieder. Bei Leuten, die an Sinnestäuschungen leiden, fallen Schriftgröße. Zitteriormen und übertriebene Schleifen- bildung auf. Größenwahnsinnige schreiben meist sehr pathetisch wirkende Buchstaben und bemühen fich auch häufig, dieselben auf übertriebene Weise auszuschmücken. Schwachsinnig«, die sich Haupt- sächlich in der Art selbstgesäkliger Schwätzer gebärden, find dnrch sehr große Schrift mit geschmacklosen Nerschnerkelungen gekennzeichnet. Sie verwenden oft»iel Zeit und Mühe daranf, einen einzigen Aach - staben durch ausfallende Schnörkel zu verzier»,»ie Schrift de* Idioten ist immer ein» Kinderschrist und dedurch am dichtesten im psychiatrischen Sinn zu entziffern. Die Vorteile, die die Graphologie dem Nervenarzt vietet, liegen auf der Hand. Während wegen der oft äußerst zarten Uebergänge vom gesunden in den krankhaften Zustand die Diagnose nicht selten zu spät gestellt wird, befähigt das Schriststudium den Psychiater. möglichst ftüh mit derBehandlung einzusetzen. Die vestenDienste leistet die Graphologie zur Entlarvung von Simulanten. Selbst Krampf» anfülle lasten sich bei einiger Geschicklichkeit so gut nachahmen, daß der Arzt getäuscht werden kann, die Schrift des Geisteskranken kann jedoch nie von einem Gesunden vorgetäuscht werden. Endlich ge- stattet die Graphologie auch die Stellung von Ferndiagnosen bei Patienten, die nicht persönlich zum Erscheinen zu einer direkten körperlich-geistigen Untersuchung zu bewegen sind. TS ist daher zu erwarten, daß die Nervenärzte immer mehr eine spezialistische graphologische Ausbildung pflegen werden. Auf jeden Fall ist die Zeit, da man die Graphologie für eine interestante, aber utt Grunde wissenschaftlich wertlose Mode hielt, entgültig vorbei.
Hristophtmes als Zrieöensapostel. Hugo Blümner. der Philolog der Zürcher Hochschule, ein treff- sicher Uebersetzer antiker Dichtung, hat zwei Stück« des Spötters ArsttophaneS für die Bühne bearbeitet. Die Uraufführung, die im Zürcher Pfauen-Theater stattfand, hatte großen Erfolg, denn die beiden SristophaneS-Slücke sind sehr.aktuell' und enthalten zahl- reiche Anspielungen, die auf die Zeit, die wir durchleben, gemünzt sein könnten: beider Grundgedanke ist die Sehnsucht nach Frieden, die Hoffnung auf eine Rückkehr der Zustände vor dem furchtbaren .Krieg. Nur daß es sich bei AristophaneS nicht um den Weltkrieg, sondern um den Peloponnesischen Krieg handelt. Do» erste der in Frage stehenden Stücke heißt.Die
Acharner'. Mit den meisten anderen. Komödien des Dichters verglichen, sind.Die Acharner' ein barmloses Slück, das zum Haupt- zweck hat, die tiefe Sehnsucht auszumalen, die damals solche Athener , welche am Morttgeschwätz keine Freude hatten und wider ihren Willen durch PerifleS' Kriegsplan in die Stadt getrieben worden waren, nach einem friedlichen Landleben«mvianden. Das Haupt der FriedenSpartei ist der alte ehrliche DikäopoliS, der sich über die kriegslustigen Demagogen lustig macht und auf eigene Rechnung einen Gesandten, den AmphitheoS, nach Sparta schickt, damit er von dort den Frieden hole. AmphitheoS bringt verschiedene Sorten von Frieden. Frieden auf längere und Frieden aus kürzere Zeit, und olle» aus... Weinflaschen, wie man sie bei Friedensschlüssen zur Libation brauchte, gezogen. Aus dieser Flaschensammlung wählt DikäopoliS einen dreißigjährigen Frieden zu Wasser und zu Lande auS. Dadurch überwirft er sich aber mit den kriegseifrigen Acharnern, die den Ebor des Stücke» bilden und ihm hart zusetzen, bis er sie überzeugt, daß der ganz« Peloponnesische.Krieg ein Unsinn wäre und nur wegen eine» heruntergekommenen Weibsbilde« aus Megara angezettelt worden sei. Der zweite Teil de» Stücke» ist nun weiter nichts als eine höchst lustige, von Witz und launigen Erfindungen überströmende Ausführung de» Glückes, da? der Frieden dem wackeren DikäopoliS gewährt... Da? zweite der von Hugo Blümner bearbeiteten Stücke ist die .Eirene' fDer Frieden). Die Komödie wurde in Athen im Jahr« 421 an den großen Dionyfien aufgeführt, also kurze Zeit vor dem Abschluß des sogenannten Friedens de« Nikia«, der den ersten Teil � de» Peloponnesischen Kriegt» beendigte und dem ganzen zerstörenden Kampfe der griechischen Staaten ein Ende machen sollte..Eirene ' bat im Grunde mit den.Acharnern' gleichen Inhalt, bloß daß dort der Friede nur als Gegen- stand der Wünsche eine» einzelnen, hier aber als all- gemeine» Verlangen erscheint. In den.Acharnern' war der Chor gegen den Frieden, im.Frieden' besteht er aus Landleuten von Attila , die von Sehnsucht nach dem Frieden erfüllt sind. Die Friedensgöttin wird von TrygäoS unter vielen Gefahren und trotz allem Wüten des KrftgSdämonS auf einem... Mistkäfer vom Himmel heruntergeholt. Den Schluß der.Eirene' bildet das Gebet an die Götter, sie möchten den Griechen die Wiedersammlung all der Güter gewähren, die durch den Krieg vernichtet worden sind und das eiserne Zeitalter möchte endlich aufhören.■— Yans Glöe f. Da ist ein echter deutscher Künstler dahingegangen! Er hatte in PäriS studiert, wo er ebenso wie Corinth und viele andere Deutsche die Akademie Julian besuchte, und er hatte dort die neuen Errungenschaften de« Impressionismus in sich aufgenommen, an denen er auch weiterhin festgehalten bat— aber bei alledem ist er grnnd- und kerndeutsch geblieben. Oder, um die Sache noch ge- nonec zu bezeichnen: norddeutsch ist er gewesen und geblieben: SchleSwig -Holfteiner. Jene zähe Bodenständigkeit, die die Söhne der Nordmark kennzeichnet und die man bei Storm und Groth und so vielen anderen begegnet— sie war auch OldeS Erbteil. Eigentlich war er in Weimar und dann in Kastel, wo er zuletzt die Kunstakademie leitete, ausgepflanzt: er gehörte dem Norden zu. Der.Schnitter', den das Museum in Weimar besitzt, atmet die ganze herbe Kraft nordischer Sommerlandschast, und das Gegenstück dazu bildet da» Winterbild der Berliner Nationalgalerie mit seinem strahlenden Schnee und der kaltglänzenden Sonne. Aber das Höchste hat Olde in den Bildnisten seiner Landsleute erreicht: Liliencron . Falk«— vor allem aber Klaus Groth . Wie er den alten stillen Dichter im lichten Scheine seines Garten» dar- stellt, schlicht und tief, ernst und besinnlich, so konnte nur der Holsteiner den Holsteiner wiedergeben, so. tief konnte sich kein anderer in die Menschen- und Dichterseele versenken. Au» seiner Weimeraner Zeit ist schließlich seine zuerst im.Pan' erschienen« Radierung von Nietzsche zu erwähnen, in ihrer eindringlichen und schlichten Wahrhastigkeit wohl die beste Wiedergabe des charaktervollen und zerwühlten Philosophenkopfes. So hat Olde seine Pariser Erleb- niste ganz und gar in deutsches, nordisches Empfinden und Erleben eingehen lasten._ Salzlose kost. Infolge von Transportschwierigkeiten ist in der letzten Zeit in größeren Städten ein glücklicherweise nur vorübergehender Salz- mangel eingetreten. Einen dauernden würden wir nicht ertragen könne». DaS Kochsalz ist keine entbehrliche Würze, fondern ein Stoff, der sich in unserem Körper befindet, und den wir unserem Organismus immer wieder zuführen müsten, wenn wir nicht er- kranken wollen. Man hat berechnet, daß der Mensch durchschnittlich etwa Pfund Kochsalz in sich enthält, und daß er jährlich ungefähr
12— 1b Pfund verbraucht. Uebrigens richtet sich der Salzbedarf nach der Ernährungsweise. Je vegetarischer diese ist. desto mehr Salz brauchen wir, je mehr animalische Kost— die bekanntlich an Salzen reich ist— desto weniger Kochsalz kommt in Frage. Daher erklärt eS sich, daß Völlerstämme mit vorwiegend animalischer Ernährung da§ Salz entbehren können, während andere wieder es zum Leben so wenig missen können, daß um des Salzes will?« schon Kämpfe und Kriege auf Erden geführt worden sind. Zu den grausamsten Strafen früherer Zeiten gehörte es, Sklaven und Gefangenen nur ungesalzene Speisen zu verabreichen. Sic gingen allmählich zugrunde. Von der Unentoehrsichkelt des Salzes reden auch Sprichwort und Märchen. Eine reizende Säge, deren Anfang an König Lear erinnert, und die bei verschiedenen Vöikern anzutreffen ist, erzählt von einem König, der seine drei Töchter fragte, wie sehr sie ihn liebten..Wie das Salz!' sagte die Jüngste. Der Bater hält die Antwort für Spott und verstößt die Tochter. In dem Hause, in dem sie Unterkunft findet, bereitet sie bald darauf als Köchin ein Mahl, an dein unter anderen Gästen auch ihr Vater teilnimmt. Die Speisen sind köstlich— doch ohne alles Salz be- reitet! Niemand ißt sie. Da erkennt der alte König, wie recht seine Tochter gehabt hat und beginnt weinend von ihr zu erzählen. Man ruft sie herbei, und die Versöhnung erfolgt.— �Auch daS Sprichwort betont die Notwendigkeit de? Eelzgenusfes.»Salz macht Knochen', sagt der Volksmund, oder: »Salz und Sonnenschein Sind der Armen Fleisch und Bein.' Ja, weil das Salz zur Erhaltung des Leben? unentbehrlich ist, hat es in manchen Ländern der Sprachgebranch an die Stelle de».tag- lichen Brotes" gesetzt. So sagt man in Indien z. B. statt„Er ißt mein Brot'—»Er ißt mein Salz'. Ebenso heißt es in Holland »Er verdankt mir sein Salz'. Die<krnte öes Svtmentcms. Allenthalben waren in diesem Sommer die Weitzsinge so zahl- reich, daß sie durch ihre Nachkommenschaft zu einer förmlichen Land- plage wurden und ihre Ranpon der Landwirtichast erheblichen Schaden zugefügt haben. I. Reißner berichtet nun in der„Natur- wissenschaftlichen Wochenschrift" von einem feil«, w« eine Pflanze im großen Maßstabe sich die Schmetterlinge zur Sftrhrung einfing, Die Pflanze, um die es sich dabei hendelt, ist«me unserer ein- heimischen Sonnen tauarten ivroge» intermeäi»), und der Schau- platz der Beobachtun» ein Moor beim Perfe Winkel im Kreise Gifhorn . Dort war, begtnstigt durch die Wit!erAn»»»erhäl!nistc. ans einer großen Fläche der Sonnentau s» üppig««piehen, daß da» weithin leuchtende Rot der Wimpern seiner Nlätter,«n deren Spitzen Tröpchen im Sonnenschein funkelten, eine sinmengc Schmetterling« anlockte, vorzugsweise Weißlinge. Zunächst waren es nur einige, die sich dort einfanden,«m den klebe Aden Tröpfchen hängen blieben und sogleich von den Tentakeln am Kopf« um- klammert ivurden, wobei sich das Blatt bald Wer den Kopf des Insekts krümmte, um das Opfer sicher festzuhulten und dann zu verdauen. Die Anwesenheit einiger Weißling« war«0»ielleicht, die andere Artgenossen verlockt«, sich an dem vermeintbichen leckeren Mahle zu beteiligen; auch sie ereilte das gleiche Schicksal, und schließlich, bereits im Ansang« d«S Julis, war die ganze tpeitc Sonnentausläche von Weißlingen wie übersät— ein cigeniümliche? Bild für den Beschauer!____■ Notizen. — ReformationSseiern. Zur Feier de» RefonnaiioiiS- sesteS Mittwoch abends 8 Uhr, Kantaienabend mit dem Blüthner- Orchester in der Jerusalemer Kirche sowie Konzert in der Georgen- Kirche.— Im Lcssing-Museum findet die Feier ani DonnerZiag statt. (Vortrag. Rezitation. Chor.) — Hugo KaunS„Sappho ", ein Musikdrama aus sym- phonischer Unterlage, erzielte bei seiner Uraufführung im Leipziger Stadttheater rauschenden Erfolg. Der Symphoniker hatte früher bereits zweimal— vergeblich— die Bühne zu erobern versucht. — Eine Liebig-Ebrung. Der König von Bayern hat die Ausstellung der Büste des großen Meister? der chemischen Wissenschaften Justus L i e b i g, dessen hohe Verdienste um die deutsche Volkswirischast gerode während dieses Krieges f» eindrucks- voll hervorgetreten sind, in der Walhalla angeordnet. — Norwegische Sympathien. Dem Beispiel de» SüdpolentdcckerS Roald Ainundsen folgend, hat auch der Nordpol- fahrer Otto Sverdmp dem deutschen Gesandten in Kristiania seine deutschen Orden zurückgegeben. In einem Begleitschreiben bemerkt Sverdrup, daß er diesen Schritt als einen Protest gegen da» Vor- gehen der deutschen Marine getan habe. Gegen die Aushungerung wehrlaser Frauen und Kinder haben diese und andere Protestler nicht pretesiiert. tteßrifeu»: Demokraten und— Orden I
Die welfthe Nachtigall. Der Roman eine» sterbenden Jahrhunderts. 241 Bon R. France. Lautes Murren erhob sich. Der Student Nieberl(Bejl kannte seine Stimme wohl) schnellte empor und fuchtelte um sich. „Co spricht ein echter Junker und Erzaristokrat. Natür- lich muß ein Solms so spreche», weil er von Solms ist. Darum glaubt er, es gebe schon im Mutterleib Herren und Knechte. Mir imgoniert so eine Hochnäsigkeit nicht. Wenn er auch glaubt, mich zu treffen, weil ich ein Schufte rssohn bin, so habe ich doch einen Onkel, der Domherr zu Neiffe im Schlesi« schen ist.' SolmS trat sofort mit edlem Anstand vor. Er atmete tief: „Ich bin jeden Augenblick bereit, den Adel und seine . Borrechte abzulegen und tu's hiermit vor dem Parlament der Assessores unseres Ordens feierlich.— Wer wenn der Plebs den Herren mit Gewalt daS Recht, daS sie ererbt haben, nehmen will, dann wehrt sich mein Gerechtigkeitsgefühl da- gegen— denn"— hier erhob er die Stimme in sichtlich wachsender Erregung—„ich habe heute eine Rede gegen den Bolksbetrug der Klubisten in Frankreich hier verlesen wollen, aber ich sehe, die Debatte ist entgleist nnd hier ist weder Zeft noch Ort zu einem vernünftigen Wort— aber das eine muß ich doch sagen: wer historische Bildung hat. der weiß eS: die Rechte deS Adels sind älter, alS die des BolkeS. Denn der Adel, die alten Könige und ihre Berater haben den Staat geschaffen und damit die Ordnung, in der erst die ganze Bildung wachsen konnte, in deren Namen man jetzt den Kerker für alle Bor« nehmen forderst Zuerst der Vornehmen, dann aller Gebil- deten, so wie man es ja"— er kramte in seinen Papieren —„schon im Pere DucheSne oder gar in dem famosen BolkSfremtd deS Marat jeden Tag in dem vielgepriesenen Paris lesen kann." Er hob ein FlugMttchen in die Hohe und laß dar- aus vor: „Da habt Jht den„Ami du Peuple' vom 2. Januar 1792. Hört, was die Freihett und Egalits in Frankreich bedeutet: „Ja hört, hört" umdrängten ihn die Studenten, auf welche seine Worte nicht ohne Eindruck blieben.
„Ernennt einen Kriegstribunen, bewaffnet ihn nur auf drei Tage mit der Staatsgewalt, unterwerft euch seiner Ge walt... „DaS ist die französische Freiheit" unterbrach er mit der ächtlicher Geste seine Vorlesung. „unterwerft euch seiner Gewalt, auf daß er die vcr- brecherischen Häupter aller derer fälle, die gegen euch ver schworen sind: vor allen Dingen aber fliegt nach St. Cloud, bringt in eure Mauern den König und den Dauphin, ver haftet die Oesterreicherin, nehmt ihren Schwager, den Maire, den General gefangen und werft die Minister in Ketten." Schweigen entstand. Offenbar waren die da unten von einem solchen Ton betroffen. „Man muß ja nicht so radikal sein," meldete sich dann die schon öfters gehörte helle Stimme,„ivenn man den red- lichsten. Mann im Land zum König macht, brauchten wir keine Revolution und alle sind gleichberechtigt." Alle lachten, aber Solms knüpfte doch an die Zwischen- rede an: „Die Egalitö, Freunde, haben auch nicht der Feuillanten- klub und die Klubisten von St. Jaqucs oder von Landau er- funden, die war längst viel schöner und edler verwirklicht und ist's in unserem Vaterland und überall, wo Christen wohne». Die Kirche hat jeden Menschen, auch den elendesten und ärmsten stets als ihren Sohn und als Bruder von allen be- trachtet und hat unermüdlich allen Menschen Brüderlichkeit gepredigt und jedem Bettler den Weg offen gelassen zum Bischof und Kardinal—" „Das ist eine Gemeinheit, nieiu Onkel war nie ein Bettler," brüllte Nibcrl. Aber die Studenten traten da- zwischen nnd verschafften Solms Ruhe, der mit begeisterter Stimnie sprach: „Freunde, glaubt nur, nicht dnrch Revolutionen tvird der Sieg des Edlen in der Welt erreicht! Roch nie ist eine Re- Volution bis zum Ende sieghaft gewesen I Rur durch' Arbeit an uns seihst kommt daS Gute zum Siege. Die brennenden Schlösser in der Dauphine zeigen nnS, wie der Pöbel die Gleichheit auffaßt,'wenn ihr ihm Macht gebt. Alle sollen dann Lumpen sein. Wenn ihr klagt, daß eure Regierung euch bedrückt, so müßt ihr den Fürsten aufklären und von selbst wird dann seine Hand leichter, sein Szepter nur zu eurem Heile werden."
Er ergriff sein Heft.„Der Sieg des Guten in uns ist der Sieg des Guten" in der Welt," las er.„Nie hat Gewalt etwas anderes erreicht, als Gegengewalt und keine Tyrannei der alten und neuen Welt hat jemals eine solche Schändlich- keit ausgeheckt wie die Revolutionäre von Avrgnon erst vor wenig Wochen. Haben sie nicht— der Prior eiqeS Klosters zu Rom , der durchreiste, hat es selbst unserem Statthalterei- rat erzählt— es ist also wahr— die papflireuen Truppen zerstreut und dann alle, Frauen und Kittoer. über hundert Menschen in einen Brunnen geworfen und dir Sterbenden und Zerschmetterten mit siedendem Waffer übrraoffcn! So wüten die Frciheitshelden gegen die, welche der Welt Ivirklich mit dem Streben nach dem Guten die innere Freiheit und wahre Gleichheit gebracht haben." Ein dumpfes Murren drang herauf. Da erschien Plötzlich der Kopf MichalanSkys im Guckroch.— „Freunde, teure Gesinnungsgenossen, bin ich auch nur euer Gast, so laßt mich doch euch meine Freunde nennen", rief er aufgeregt. „Ja. er soll reden", schrie begeistert Peißer-, er wird'S der Schlappschivanzerci geben, er ist ei» guter Patriot. Er hat mir zugeredet, den heutigen schönen KemmevS anzusagen, er zahlt's Freibier!" „Brav, brav", schrie man—„Höft ihn," „Ihr habt ein Loblied auf die Pfäfferci ruhig angehört, trotzdem euer Blut kochte. Das zeirgt von einer erhabenen Gesinnung und Mönnerwürde, vor der ich mich beuge", be- gann der Redner theatralisch. Besl sperrte in seinem Bersteck den Mund ans. „Ich darf hier Wohl als Gast?.. Auf seine verbindlich fragende Geste erhielt er allseits Zustimmung, „Ich darf doch wohl als Saft hier etwas«uS der genialen Rede vorlesen, die der Tepufterte JS»«f am 14. November in der Konstituante gehalten ßat und dir t*«fo* Städten unseres großen und edlen Nachdarreiche« aaf den«raßen an- geschlagen ist." Michalanskh holte ein Manuskript hervor und la?; „Ihr ivaret Zeuge» der jüngsten Unglücksfälle zu Brabant und ihr glaubt, daß eine Revolution, welche den? Despotismus sein Szepter, der Aristokratie ihre Geißel" „Vivat!" schrie Niberl und sein Anhang als Michalansky dabei scharf auf SolmS blickte.(Forts, folgt.)