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Nr.5S Unterhaltungsblatt öes vorwärts Mtkvoch, 27. Zebruae Die Bartflechte. Wenn jemand wegen eine» Hautausschlags, z. B. auf dem Handiücken, zum Arzte geht und dort hört, das, eS fich um eine Laristechte handelt, wird er darüber sehr verwundert sein. Und doch ist gar nichts Wunderbares dabei, denn die BartfleSte wird durch kleme Pilze verursach?, welche fich überall auf der Haut des menschltchea Körpers ansiedeln und Entzündungen hervorrufen können, die man da sie zuerst und am bäufigsten in der Bart- k!-gend beobachtet wurden alsBartflechten' bezeichnet. Datz klerne Pilze Krankheiten der Haut und der Haare verursachen können, ist bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von verschiedeneu Gelehrten entdeckt worden, aber erst in den letzten Jahrzehnten haben zahlreiche Forscher besonders Sabouroud in Paris   nachgewiesen.- daß viele Pilz- arten, die nahe uriteinander verwandt sind, Hautkrankheiten her- vorbringe« können. Die Pilze sind nur bei mehrhundertfacher Ver- grösierung unter dem Mikroskop sichtbar: sie bilden lange Wurzel- wden. welch« in die Haut und in den Haaren wachsen und Frucht- zellen(Sporen) bilden, durch welche sie fich fortpflanzen. Bringt rnan erkrankte Haare oder Hautschüppchen aus geeignete Nährböden, z. B. Kanoffelschnute. bestimmte präparierte Zuckerlösungen usw., so sieht man ein charakteristisches Wachstum der Pilze(Kulturen). Kommen nun diese Pilze aus die Haut, so entstehen zuerst kreis« runde rote Stellen, welche fich schnell vergrößern und bald am Rande weiße Schüppchen und Bläschen zeigen. Auf der behaarten Haut dringen sie an den Haaren m die Haar wurzelbälge ein und können dann dicke Schwellungen der Haut und Eilerungen hervorrufen. Es bilden sich dann Geschwulste, welche mit dicken Borken aus angetrocknetem Eiter belegt find und sich über das Gesicht verbreiten können. Die Erkrankung ist dann äußerst lang- wierig und dauert oft viele Monate, ja Jahre. Wird dagegen am Anfang eine richtige ärztlich« Behandlung eingeleitet, so kann man die Erkrankung in kurzer Zeit zur Heilung bringen. Es soll daher ssder, der eine schnell entstandene Hautentzündung an fich bemerkt. sofort ärztlich« Hilfe nachsuche«! Gerade in den letzten Kriegs- iahren ist die Bartflechte, die ja auch im Frieden durchaus nicht selten vorkam, erheblich häufiger aufgetreten und hat bisweilen schon «inen epidemischen Charakter angenommen. Die Erklärung daiür liegt ja auch auf der Hand: je sparsamer man mit Seife, frischer Wäsche usw. umgeben muß. je geringer die reinigende Kraft der durch Ton gestreckten Kriegsseisen ist, um so leichter ist die Heber- tragung der Pilze von dem Erkrankten au? andere Personen möglich. Die Hauptguelle der Ansteckuiig find die Barbier- 'luben. Dort ist natürlich die UebertragungSmöglichkeit durch .Kamme, Bürsten, Rasierpinsel, Tücher, Mäntel ustv. am leichtesten, und sicherlich holen fich die meisten Menschen auch dort ihre Krankheir. ES bestehen ja allerdings zahlreiche polizeiliche Bor- ichrifien. die genügende Sauberkeit von den Barbieren verlange«, die verbieten, daß derselbe Rasierpinsel aus die Haut verschiedener Kunden gebrach: werden darf uiw., aber selbst in den.besseren' Raficrftnbcn werden diese Borschriften vielfach nur sehr mangelhaft be- iölgt. Es ist daher dringend notwendig, daß die polizeilichen Vor- schriften in den Geschäften für jedermann sichtbar angebracht und auch jeder darauf achtet, daß sie befolgt werden. Gerade >n den letzten Monaten ist v»n ärztlicher Seite zur Be- kämpfung der jetzt häufiger auftretenden Bartflechte hierauf hingewiesen worden und es steht auch zu erwarten, daß eine Per- ickärfung der polizeilichen Borschristen und eine Uebci wachung der Barbierstuben aus deren Durchiührung erfolgt. Natürlich kann auch eine llebertragung der Krankheit durch Kleidungsstücke. Mütze!,, Halstücher usw. leicht vermittelt werden. Deshalb sollen auch in der Scdule die Kinder angewiesen werden, nicht sremde KleidungS- stücke anzuziehen. Sind in den Schulen Kinder mit Bartflechten «nideckt, so sollen sie ans der Schule bis zur Heilung fortbleiben oder nur mit gut abschließenden Verbänden am Unterricht teil- nehmen. Sache der Lehrer und Schulärzte ist«s, geeignete weiter« Maßnahmen zu treffen. Man muß aber auch wissen, daß die Bartflechte vielfach durch Pilze hervorgerufen wird, weiche von erkrankten Tieren stammen. So find Pferde. Hunde, Katzen. Vögel, auch Mäuse und andere Tiere. mit denen der Mensch in Berührung kommt, oft der Ausgangspunkt der Erkrankung. Besonders aus dem Lande findet man häufig, daß die Krankheit von Tieren auf den Menschen übertragen wird. Wenn auch die Bartflechte eine ungefährlich« Krankheit ist und keinerlei bleibenden Schaden- verursacht, so ist eS doch notwendig, die Kenntnis ihrer Entstehung und Verhütung in den weitesten Kreisen zu verbreiten, zumal die Heilung oft lange Zeit beansprucht und manchmal eine Behinderung der Berufstätigkeit bedingt. Für die Behandlung der schon länger bestehenden Bartflechte hat sich die Röntgenbestrahlung als ein ganz vorzügliches Mittel gezeigt. vr. C. Dorpat. Dorpat  , die alte deutsche Universitätsstadt, in die jetzt die deutsche« Truppen eingerückt find, hat eine so bedeutsame Stolle in der Kultur deS Baltenlandes gespielt und ist erst im letzte» Menschen- alier gewaltsam von den zarischen Machthaber» rusfifiziert worden Aber der Despotismus zweier Zaren hat eS nicht vermocht, völlig die Saat zu zertreten, die hier solange Zeit hindurch die reichsten Früchte getragen hat; trotz allen Verfolgungen und Gewalt­maßregeln ist die Bewohnerschaft deutschen Stammes im Herzen deutsch   gebliebM. Die Russen vermochten im öffentlichen Leben die deutsch  ««spräche zu unterdrücken, die Universilät zu russi- fizieren; die in ihrem Wesen deutsche Stadt zu vsrrusien, das gelang ihnen nicht. Diese Mittelstadt, gleich reiz- voll in ihrer Lage am Embach wie in ihrem Auf- bau, trägt in hundert Einzelheiten deutsche Physiognomie, und jetzt werden fich die Bewohner wie die deutschen Truppen in einer deutschen Stadt fühlen. Ohnehin ist die große Mehrzahl der etwa SO 000 Seelen zählenden Einwohner deutschen Stammes: nur eine Minderheit besteht aus Esten, und die in Dorpat   ansässigen Russen stehen an Zahl den Esten noch nach. Liebliche Hügel umschließen das Stadtbild, breite Promenaden beiderseits längs des Einbachs dienen gleichzeitig als Deiche gegen die zur Zeit der Schneeschmelze stets mächtig anschwellenden Flute« des WafierlausS. Auf seiner rechten Seite erhebt fich der Dom- berg, einstmals Dorpats Zitadelle, auf dem sich die Domkirche und der bischöfliche Palost erhoben. Der Dom selbst freilich ist eine Ruine. Der srübgotische Backsteiubau wurde im Jahre 1S24 am JobantttStage ein Raub der Flammen. Der Chor wurde später wieder aufgebaut; man beherbergt heute dort die UniversitätS- bibliothek mit ihren reichen Schätzen. Die Uitiverfität bildet den Kern, wn den sich DorpatS neuer« Geschichte gruppiert; ihre Baulichkeiten liegen zu Füßen deS Dom- bergeS, und ringS um dielen schließe« sich die zur Hochschule ge- hörenden wiffenschafilichen Institute, wie die Kliniken, die berühmte Dorpater Sternwarte an. Gustav Adolf von Schweden   war es, der im Jahre 1632 die Universilät gründete. Im Jahre 1710. während des nordischen Krieges, erlosch sie auf beinahe ein Jahrhundert, und erst im Jahre 1802 wurde sie von Kaiser Alexander I. wieder eröffnet. Seither bilde!« sie den geistigen Mittel- Punkt des ganzen Baltenlandes und die Pflanzstätte deutschen Geistes und deutscher Wissenschaft. Ihr erster Kurator war Älinger, GoeiheS Jugendfreund und einstiger Sturm- und Drang- dichter, der freilich zu der Zeit, als er Universitätskurator wurde, ichon ei« griesgrämiger General und Pedant war. Die Dorpater Universität war in ihrem Ausbau und in ihren Methoden völlig deutsch  ; von anderen deutschen Hochschulen wurden berühmte Lehrkräfte herangezogen; auch das studentische Leben und Treiben entsprach ganz dem in den deulichen UniverfitätSstädleu. Ein große Zahl deuischer Gelehrter von Weltruf hat in Dorpat   gewirkt und ist zum Teil dort geboren, so die berühmten Astronomen Mädler und Struve, der große Chirurg Ernst v. Bergmann, Adolf Harnack  . Theodor Schiemann   und Adolf Wagner. Nachdem schon unter Kaiser Nikolaus l. Versuche der Russifizierung der Universität gemacht worden waren, wurden unter Alexander H. die alten deutschen Pri- vilegien wieder hergestellt, aber unter seinem Nachfolger, etwa um das Jahr 1L8ö. begann die zielbewußte Unterdrückung des Deutsch- tums in Dorpat  , die schließlich zu Beginn dieses Jahrhunderts aus der berühmte» Pflegestätte deutschen Geistes eine völlig russische Universität»nachte, an der die deutsche Sprache auss strengste Ver- pönt war. Nur die evangelisch-theologische Fakultät dutfle noch vereinzelt deutsche Vorlesungen abhakten; im Lause deS Krieges fanden auch diese ein Ende. Eine Zentralbücherei für ölinöe.- Da die Zahl der Blinden  , die im Jahre 1300 in Deutschland  rund 35 000 betrug, durch den Krieg leider stark zugenommen hat, ist die Versorgung der Blinden   mir Lesestoff besonders wichtig g«. worden. Sie ist mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden, da alle Bücher in Blindenschrift übertragen und ganz neu hergestellt wdrden müssen. Die Blindenanstalten unterhalten zwar eigene Büchereien, sie sind aber meist recht einseitig und können dem Be- dürsniS ge-stig reger Renschen nicht genügen. Außerdem stehen sie den Erblindeten, die weder in einer Anstalt leben noch in einer solchen ausgebildet sind, nicht zur Beringung. Unter diesen Um- ständen ist die Ausbildung einer Volksbücherei von be- sonderer Bedeutung, die allen Blinden ohne jede Einschränkung zu- gänglich ist. Da? ist das Ziel der Deutschen Zentralbücheret für Blinde z« Leipzig  , über die der MusenwSdirektor Prof. Dr. Schramm(Leipzig  ) in einer kürzlich erschienenen Schrift berichtet. Schon im Jahre 1894 wurde in Leipzig   einVerein zur Be- schaffung von Hochdruck schriften für Blinde' gegründet, der mit 38 geschenkten Bänden seine Tätigkeit aufnahm. Durch Ankauf von Werten in Blindendruck wurde de?- Bestand bis zum Jahre 1901 auf 346 Bände gesteigert. Marie Lontiuß-Klamroih. die in diesem Jahre die Leitung übernahm, warb durch einen Aufruf für eine Abschreibergruppe, die bis jetzt auf 300 Mitarbeiter gewachsen ist. Dadurch gelang es, nicht nur die Erzeugung von Blindenbucheru zu steigern, scnwern auch die Bücher besser auszuführen. Im Jahre 1895 war bereits eine Mindendruckerei errichtet worden, auf die ebenfalls die strengeren Grundsätze der Bücherherstellung ange- wendet worden. So gelang es uicht nur, den Bücherbestand zu vermehren, auch die Zahl der Leser wuchs sehr rasch an. 1903 wurden 624 Bände ausgeliehen, 1916 7000 und 1917(nach dem ..Bibliothekar') 12 488. Jm� Jahre 1916 konnte die Zentralbücherei ans längst unzulänglich gewordenen Verhältnissen befreit �und ihr durch die Mitwirkung deS neugegründetenVereins zur Förderung der Deutschen Zentralbücherci für Alinde zu �Leipzig  ' ein aus- reichendes und würdiges Heim in der Buchhändlerborse an der Hospitalstraße gegeben werden. Reben dem Büchermagazin, dem Ausleiheraum, einer besonderen Abteilung für Musikalien, der Druckerei usw. ist noch ein freundliches Lesezichmer eingerichtet, das sich steigenden Zuspruches erfreut. Als Vorzug der Zentralbücheret nennt Prof. Schräm«, daß sie in ihrem Bestand recht vielseitig und vor allem wissenschaftlich ist. Schon von Anfang an war daraus gesehen worden, nicht nur Unterhaltungsliteratur zu schaffen, sondern auch wissenschaftliche und belehrende Werke zu kaufen und herzustellen.' Alle Arien der Literatur, wie sie die moderne Volksbücherei verarbeitet, find hier vertreten; auch Jugendschriften und zeitgemäß« Bücher fehlen nicht. Mit der Zentralbücherei ist auch eine Auskunststelle für alle Blindenfragen und eine MuseumSabteilung für Blinvvischrift und Blindendruck verbunden, die nickt nur die geschichtliche Entwicklung des Schrift- und Buchwesens der Blinden  , sondern auch deren Technik mit Gegenüberstellung von guten und schlechten Beispielen enthält.____ Notizen. DaS alte Berliner   Volksstück, da« nnseren Vätern mtd Großvätern in so guter Erinnerung ist und immer wieder im Gegensatz zum modernen Operetten- und äbnlichen.Betrieb' ge- priesen wird, kommt von Zeit zu Zeit neubelebt wieder zum Bor- ichein. Einen recht guten Griff hat das Charlottenburger   Schiller- Theater mit der Auffrischung von Heinrich WilkenS Volksstück Hopfenraths Erben' gemacht. WaS bei dem Erfolg auf Kosten des alten, was auf den des neuen kommt, ist gleichgültig: das Ganze schlägt mit seiner harmlosen Lustigkeit, den von Fritz Steineck munter komponierten neuen Couplets, der flotten Auf- führung vortrefflich ein. Die Darsteller sind mit Lust und Liebe bei der Sache, vor allem stellen Alfted Braun und Karl El, er Typen der gerissenen und braven Menschenart, wie das Volkstum sie liebt, vortrefflich die Fühlung mit dem Volke im Zuschauerraum her. Gesellschaft für Volksbildung. Im Kunst- gewerbs-Museum: Donnerstag(8 Uhr):Großstädtische Erziehung' von I. TewS. Sonntag(7 Uhr):Goethes Faust' von Dr. Pohlmeyer. Im Tbsatersaal, Jnvalidenstr. 57 62: Mittwoch(8 Uhr): Bunter Abend. Freitag(8 Uhr):Die deutsche Stadt in, Mittelalter'(Prof. Schubring). Sonntag(7 Uhr): Lieder zur Laut: und Dichtungen. München  « neuer Kunstpalast. Der König von Bayern hat 1 200 000 M. für ein neues KunstauSstellungShauS ge- stiftet. Die deutschen   Zivilsefangeue« im Säger von Wakefield  (England) veranstalteten diesen Winter, wie«nS ein erst jetzt zugegangenes Borlesungsverzeichnis zeigt, wissenschaftliche Fortbi'ldungskurs« im großen Etil. AlS Rektor ist Prof. H. Waetjen tätig. Di« Kurse verfolgen neben den weiterbestehenden Abiturienten- und Einjährigen kursen praktische Zwecke, sie sollen zur gründlichen Arbeit anregen. ES wird eine geringe Gebühr er­hoben. doch gibt eS auch ganz freie Vorlesungen. Lehrbücher wurden auS Deutschland   beschafft. Die Kurse bieten erstaunlich viel auS den Gebieten der Rechts- und HandelSwisienschaften, der neueren Sprachen, der Technik, der Natur- und Geisteswissenschaften. Man kann Türkisch lernet» so gut wie Anatomie, man kann eine Vor- lesung über PlatoS Staat hören oder über Kolonial- oder Gewerbe« Politik.   Der(englischen) christlichen Vereinigung junger Männer verdankt da? Unternehmen tatkräftige Beihilfe. *4] Töchter öer hekuba. Ein Roman ans unserer Zeit von Clara Viebig  . Jemand harte ihr das geraten. Und sie hatte den Rat seinerzeit auch gut befunden. Bielleicht war der Gustav doch nicht in Kwrfika, sondern wo anders. Leicht mög- (ich, in Sibirien  . Da kriegte ja niemand eine Nachricht her. Sie war zu mehreren Versammlunge» in Berlin   ge- wesen, wo alle die sich zusammenfanden, die keine Nachricht erhielten. Man war wie eine Familie. Die Mütter saßen zusammen, als wären sie Schwestern, die Väter berieten ge- meinfam. Einer erzählte dem andern seine Geschichte: am Ende wußte der andere doch einen Rat. Da ging sie nun längst nicht mehr hin. Von denen hatte schon mancher sein Kind wiedergefunden. Als sie das letzte Mal die Elternversanunlung besucht hatte, war eine Mutter dagewesen, sie hatte vor Freude laut geweint: heut, heut hatte sie einen Brief erhalten von ihrem Sohn. Aus Sibirien  . Hie durch ein Wunder. Kaum leserlich, zerfetzt, über un- zäylige Meilen gegangen. Erst hatte der Sohn im Lazarett gelegen wo. wußte er selber nicht nun mußte er Bäuine fällen in einem Urwald, es war eiskalt; er hatte es unsäg- kich schwpr, aber er lebte. Er lebte! Es war ihm gelungen. einem Schweden   den Brief zuzustecken, der hatte ihn weiter befördert. Die Mutter war wie außer sich vor Glück:.Mein Sohn lebt!' Sie schrie es in den Saal. Darin war zu anderen Zeiten getanzt worden, von der Tribüne herab, auf der die Musik flotte Tänze geschmettert hatte, sollte sie den Brief vorlesen, aber sie� konnte es nicht, die Freudenträncn erstickieu sie. Sie hielt nur das Blatt empor und schwenkte es:Lebt, lebt!" und dann sank sie auf die Kniee. Betete sie? Sic falteten alle die Hände. Keiner sprach ein Wort. Die hatte also doch Nachricht bekommen und sie? Die Krüger war nicht mehr hingegangen. Auch in die Zeitungen würde sie es nicht mehr setzen lasten, schon sehr viel Geld hatte das gekostet wozu? Es war bester, sie legte das beiseite für Gustav. Wer weiß, wie er wiederkam! Ob er es nicht nötiger brauchte; er war vielleicht krank. Dder er kam als Krüppel, ohne Arme, ohne Beine. Gleichviel, wenn er nur da war! Sie würde schon für ihn sorgen, ihn aus Händen tragen, ihm an den Augen absehen, was er sich wünschte. Mit jugendlicher Kraft stieß die alte Frau den gewichttgen Spaten ein und hob Scholle auf Scholle. Hier sollten Früh- kartoffeln her. Kaiserkronen, die er so gerne. Ob er wohl schon da war, wenn sie die ausbuddelte? Die Krüger war wirklich nicht bei Trost, daß die noch immer auf ihren Jungen hoffte. Da war doch nichts mehr zu hosten. Kein Mensch glaubte mehr daran, daß Gustav Krüger   wiederkommen könnte. Man sagte es der Mutter bloß nicht ins Gesicht, aber man ließ sie es doch durchfühlen. und das brachte die Frau in eine fast feindselige Stimmung. Sie nahm es den Leuten übel, daß die nicht mit ihr warteten und glaubten. Grollend zog sie sich in ihren Garten zurück. zu ihren Tieren: die waren bester als die Menschen. Und doch hielt sie es jetzt wiederum kaum mehr auS in ihrer Ein­samkeit; ein unsägliches Verlangen trieb sie zu fragen:.Glaubt ihr. daß er wiederkommt?' Diese Frage bestättgen zu hören mit:.Ja. gewiß!' Hedwig Bertholdi sah die alte Frau in ihrem Garten arbeiten: wie weiß die geworden war. Arme Frau! Mußte man jetzt nicht Mitleid mit jeder Mutter haben? Mit der, die schon um Verlorenes trauert mit der, die noch zu ver- lieren fürchtet. Welche war schlimmer daran? ES war für beide gleich schwer. War diese Zeit für Mütter nicht noch schwerer als für Gattinnen? Die Hingabe der Gattin kommt nicht der Hingabe der Mutter gleich. Die alternde Frau hat nichts zu erhoffen mehr, was bleibt ihr noch? Jugend Schönheit, Leidenschaft sind nicht mehr, sie selber begehrt uicht und wird auch nicht mehr begehrt. All das, was sie einst be- glückt hat. beglückt sie jetzt nicht mehr, ihre Sinne sind kühler geworden, ihre Wünsche kleiner; sie hat sich bescheiden gelernt, bescheiden lernen müssen, die Welt geht an ihr vorbei, sie steht beiseite. Die Alternde kann nicht noch einmal tvie die Junge von neuem beginnen. Der Sohn ist ihr das letzte: die Hoff- nung, das Glück. Wenn Hedwig Bertholdi darüber nachdachte, überkam sie ein großes Mitgefühl. Obgleich die Schwiegertochter neben ihr lebte, war sie sehr einsam; dieses junge Geschöpf ver- stand sie nicht und sie verstand es nicht mehr. Jugend muß erst durch tieseS Leid gehen, um nachzufühlen, wie die empfindet, die schon jenseitS der Grenze steht. Es war ihr ganz natürllch, daß sie die Hand hinüberstreckte:Frau Krüger, wie geht es Fhnen?' Die Emsige blickte auf. Zögernd legte sie ihre arbettS- harten Fmger in die weiche, geschonte Hand. AS sie aber in daS Gesicht der Dame blickte, wurde der Druck ihrer Hand fester: die sah auch aus. als ob sie wüßte, waS.Kummer ist. Und den Söhnen ging eS doch noch gut; die schrieben ihr. �Dic Frau Rossi hat es mir gesagt, Ihr Aeltester ist unter die Flieger gegangen. Di« junge Frau von Herrn Rudolf ist ja noch ganz vergnügt. Ich höre ihr singen. Mein Gustav hat noch immer nicht geschrieben.' Eine angstvolle Klage zitterte bei den letzten Worten in der müden Sttmme. Sollte sie dieser armen Mutter die letzte Hoffnung nehmen?In viele« Gefangenenlagern dürfen sie nicht schreiben', sagte Hedwig Bertholdi.Das ist grausam. Aber da es bekannt ist, ist es wiederum ein Trost. Man tveiß nun doch, woran eS liegt, wenn man keine Nachricht bekommt.' Glauben Sie denn noch, daß mein Sohn lebt?' fragte die Krüger und sah die andere durchbohrend au au» ihren eingesunkenen glanzlosen Augen., Und wiederum überkam es Hedwig, sie konnte nicht anders, sie mußte lügen.Warum soll ich es denn nicht glauben?' sagte sie eifrig.Aber, Frau Krüger, Sie »varen doch sonst so voll Zuversicht wissen Sie noch, wie Sie zu mir kamen, ihn erkannt hatten auf dem Gefangenen- bilde?' ES ist schon so lange her', murmelte die Frau.  Es wird immer länger. Manchmal denke ich, er is am Ende doch tot.' Sie blickte düfter vor sich nieder. Aber nun fuhr sie ans;DaS häct' ich doch erfahren müssen, nich wahr? Man kann doch ein Kind nich einfach einscharren, ohne es seiner Mutter zu wissen zu tun, nich wahr?" E» überlief Hedwig. Ach. nun kam der peinvolle Zweifel!Machen Sie sich keine solchen Gedanken.' sagte sie herzlich.WaS nützt uns alles Denken, alles Hinundher zwischen Zuversicht und Zweifel. Jetzt spielt das Schicksal mit uns so unbegreiflich wie nie zuvor!' Ach was. Sie weichen mir nur auS!' Die Krüger blickte argwöhnisch.Sagen Sie mir. glauben Sie. daß mein Gustav noch am Leben is?" Sie hatte sich aufgerichtet, ihre hager gewordene Gestalt reckte sich am Zaun, ihre Hand ballte sich zur Faust:Verfluchter Krieg! Lebt mein Sohn, oder lebt er nicht?' Ihr Ton war drohend. Hedwig nickte beängstigt.Sicherlich lebt er noch. Sonst hätten Sie. doch etwas zu hören bekommen.' (Forts, folgt.,