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Nr. 146.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­fährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 6 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Oesterreichs Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonna und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner

Bolksblatt.

Bentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Mittwoch, den 27. Juni 1894.

Expedition: SW. 19, 33euth- Straße 3.

Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!

Das Attentat auf Carnot.

Das ganze politische Interesse wird durch die Nach richten aus Paris und Lyon absorbirt. Die Zeitungen und die Politiker scheinen blos dem Attentat auf Carnot Auf­merksamkeit zu schenken. Gegenüber den Schilderungen der Einzelheiten des Attentates und der Aufzählung der Bei­leidskundgebungen der Regierungen und deren Häupter traten in der Bourgeoispresse selbst die Dis­kussion über die Aussichten bei der morgen in Paris stattfindenden Wahl des Präsidenten der Republik, die Motive des Attentäters, die große Bewegung gegen die Italiener in Frankreich und die Einwirkung auf die Beziehungen Frankreichs zu Italien in den Hinter­grund.

hinweg ihm eine Papierrolle entgegenstrecte, machte er ein Zeichen, ihn herankommen zu laffen. Der junge Mann eilte dem Wagen zu, ergriff die Hand, die ihm Carnot entgegenstreckte, und stieß blizschnell die Papierrolle in die Brust Carnot's. Die Rolle enthielt einen scharfen 25 Zentimeter langen Dolch.

Lyon , 26. Juni. Nach einem turzen Todestampfe ver­schied der Ermordete. Während des Todeskampfes waren die Eingeweide aus der von den Aerzten gemachten Erweiterung der Wunde herausgetreten.

Lyon, 25. Juni. Das von den Aerzten unterzeichnete Protokoll über den Leichenbefund lautet: Die Verwundung ist eine der Entschlichsten, die man je gesehen. Die Leber war in einer Tiefe von 12 Centimetern vollständig durchschnitten. Das große Blutgefäß war an zwei Stellen zerschnitten; eine Rippe war gebrochen. Die Waffe war in ihrer ganzen Länge von 18 Centimetern eingedrungen. In der Bauchhöhle wurden 2 Liter Blut gefunden."

Das Leichenbegängniß Carnot's findet am nächsten Sonntag statt.-

Sehr beachtenswerth ist die folgende Meldung des Berliner Tageblatts" aus Rom :

Die Tribuna veröffentlicht ein Interview mit dem ältesten Bruder des Mörders Cesario, welcher als Befizer zweier Wein­handlungen und wohlhabender Mann in Mailand wohnt. Der Mörder ist 1873 geboren, genoß eine gute Familienerziehung und galt als weichherziger religiös gefinnter junger Mensch, der bei Kirchenfesten gern als Satriftan funktionirte. Zuweilen spielte er auch bei Prozessionen die Rolle Santt Johannis, wozu er wegen seiner herrlichen blonden Locken besonders geeignet war. Nach Mai­ land gekommen, gerieth der unerfahrene junge Mann, der über allzu viel freie Zeit verfügte, unter den Einfluß des anar­chistischen Advokaten Gori. Es bestehe tein Zweifel, daß Cefario durch das Loos zur Ermordung Carnot's bestimmt war. Alle Verwandten und Freunde des Mörders sind voll Lobes über sein gutes Herz und einen angeb lich braven Charakter!

Was sagt dazu die katholische Kirche , die sich so gerite als St. Georg aller Revolutionäre aufspielt.

Auch Mitwisser an der Vorbereitung des Attentats will man entdeckt haben. Wenigstens meldet das Herold- Bureau aus Lyon :

Die Polizei hat gestern einen Friseur verhaftet, welcher für den Mitschuldigen Cesario's gilt. Der Verhaftete äußerte vor acht Tagen, wenn Carnot nach acht Tagen nach Lyon komme, werde sich jemand auf seinen Wagen stürzen und ihn tödten.

An' dies wird noch auf Wochen hinaus die Politiker beschäftigen, wird Gegenstand der Erörterung in der Presse fein. Wir begnügen uns heute, die zahlreich einlaufenden Draht berichte systematisch geordnet unseren Lesern vorzuführen, wobei Ueber die Person des Attentäters fehlen zuverlässige wir die Sympathie und Beileidskundgebungen der ver­schiedenen Botentaten, Regierungen und Parlamente, da Mittheilungen. Die geschäftigen Handlanger der Reaktion fie lediglich Ausdruck der diplomatischen Höflichkeit sind, sind eifrig an der Arbeit, Beziehungen desselben mit An­nicht weiter erwähnen und lediglich auf den Umstand auf archisten aufzuspüren. Um unseren Lesern nichts wesent­merksam machen, daß der nationalliberale Präsident und liches, was zur Beurtheilung der Situation erforderlich ist, die nationalliberale Majorität der jett allein vorzuenthalten, theilen wir, natürlich unter allem Vor­tagenden deutschen parlamentarischen Körperschaft, des behalt, die bezüglichen Meldungen auch mit. Wolff's badischen Landtages, sich weigerten, eine Sympathiekund- Depeschenbureau wird telegraphirt: Mailand , 25. Juni. Der Mörder Carnot's ist der gebung für das einem Attentate zum Opfer gefallene Haupt Sohn einer gewissen Marie Broglio und eines Mannes namens Ueber die Motive des Attentäters liegen selbstver­der französischen Republik zuzulassen. Antonio Cefario. Derselbe hat sich im Januar 1892 den An- ständlich nur wenige Behauptungen vor, die sich wahrs archisten angeschlossen und hier mit zwei anderen gefährlichen scheinlich später als vage Vermuthungen herausstellen Anarchisten versucht, ein anarchistisches Blatt herauszugeben. Er fand jedoch nicht die erforderlichen Geldmittel. Die werden. Der Registrirung werth erscheint uns blos die italienische Polizei überwachte ihn bis Ende 1898, zu welcher folgende Depesche: Zeit er sich nach der Schweiz begab.

Wir legen unseren Lesern in Ergänzung unserer aus­führlichen Berichterstattung in der letzten Nummer noch die folgenden Meldungen vor.

Ueber die Borgänge beim Attentat und die Todesursache liegen die folgenden Depeschen vor:

Paris , 25. Juni. Der Polizeipräfett Lepine, welcher heute früh aus Lyon zurückgekehrt war, theilte einem Reporter mit, daß der Attentäter Cesario dem Wagen Carnot's nachlief und dabei mit beiden Händen ein Bouquet hielt. Am Wagen angelangt bot er Carnot mit der linken Hand das Bouquet. Carnot beugte sich vor, um das Bouquet zu erfassen. In diesem Augenblick zog Cefario den Dolch, der in der Man­schette des Bouquets verborgen war, und stieß denselben Carnot von oben nach unten in den Leib.

Paris , 25. Juni. ( Depesche der Frankfurter Zeitung ".) Der Deputirte Chauden, der neben Carnot im Wagen saß, erzählt noch über den Mord: Carnot war glücklich über die begeisterte Aufnahme bei der Menge und hatte befohlen, die Menge fich dem Wagen nähern zu laffen. Er hat beim Durch­fahren der Straßen mehrere Bittschriften empfangen. Als er einen jungen Mann erblickte, der über die Köpfe der Menge

Feuilleton.

Der Inde.

Deutsches Sittengemälde

aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.

Von E. Spindler.

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Paris , 26. Juni. Wie die Morgenblätter versichern, habe der Mörder Carnot's in Paris unter falschem Namen bei einem italienischen Weinhändler Namens Berti in der Rue Traver­fière gewohnt. Auf der Polizeipräfettur scheint man davon überzeugt zu sein, daß Santo mit gefährlichen Anarchisten in Verbindung stand.

Aus Mailand wird der Frankfurter Zeitung " hierzu telegraphirt:

Ein Cesario Giovanni Santo, gebürtig aus Motta Vis: conti, einem Dorf der Provinz Pavia , arbeitete hier als Bäcker­geselle im Jahre 1890. Wegen Vertheilung von anarchistischen Schriften wurde er zu fünf Monaten Gefängniß verurtheilt. In der Prozeßverhandlung wurde er seinem Meister als ein ruhiger und tüchtiger Ar= beiter geschildert. Er verließ Mailand vor ungefähr zwei Jahren.

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Lyon , 26. Juni. Der Untersuchungsrichter ist der Ansicht, daß die Ermordung Carnot's mit den Vor­gängen von Aigues- Mortes in Verbindung fte he. Der Attentäter Cesario habe die Anarchisten und zu gleich seine Landsleute rächen wollen.

Aehnlich lautet eine dem Berliner Tageblatt" zue gehende Pariser Depesche:

"

Ein Beamter der Polizeipräfektur bestätigte einem Bericht erstatter des Journal", die Präfektur glaube, daß Cesario in die Affaire von Aigues- Mortes verwickeit gewesen, und daß hierin das Ausgangsmotiv seiner Miffethat zu suchen sei. Das Organ der Herren Stumm, Kardorff u. s. w., Die Post", meldet dagegen ans Paris :

Festgestellt scheint nunmehr, daß der Mörder ein eifriger Anarchist sei und mit Henry intim verkehrte, sowie daß eine geplante Mordthat vorlag, deren Mitwissern und Helfern man auf der Fährte zu sein glaubt. Den Dolch kaufte der Mörder.

verstehen. Ihr mögt indessen Eurem Ehegemahl berichten, übrigen Tafelgenossen reihten sich nach Rang und Würden daß Bersehen und Irrthum nur diese Geschenke, für andere, um den Tisch, und hinter den Stühlen der Frauen und geschätte Freundinnen bestimmt, in ihren Bereich gebracht, Töchter sammelten sich die jungen Männer, die entweder und daß ich mich zu hoch dünke, an dem Honig zu naschen, zu spät gekommen waren, um einen Sitz zu finden, oder in welchem ein alterschwacher Thor, und ein lasterhafter deren Lebhaftigkeit es vorzog, sich an teinen Ort binden Stiefsohn geschwelgt. Seid übrigens versichert, guter zu lassen. Sie stellten sich entweder gleichwie Edelknechte Schöffe," setzte er mit dem freundlichsten Lächeln hinzu, bereit, auf den ersten Wink der Dame von dannen zu um die neugierigen Gaffer irre zu führen, daß ich Euch fliegen, und auszurichten, was sie empfohlen, oder sie den heutigen Abend nach Kräften gedenken werde."-tauerten und knieten nieder auf gepolsterten Schemeln, um Mit nichten, Herr," versetzte Diether:" Doch zweierlei Diese Worte, mit welchen der Ritter dem Altbürger den ihren Bräuten, Liebchen oder Freundinnen furzweilige Botschaft bringe ich, die Frau Margarethen angeht, und Rücken kehrte, demüthigten Margarethen's Gatten um so Reden und zärtlich Geflüster in die Ohren zu wispern. von der ich auch reden muß, ehe Ihr zu Tische sitt. empfindlicher, je stolzer er in dem Gefühle seines Rechts, Nach und nach sammelte sich jedoch der große Schwarm Ihr habt neulich eine Rose in meinem Hause zurück- und des vom Schultheißen beabsichtigten Unrechts gewesen um das untere Ende der Tafel, wo ein junger Mann in gelassen,... ein feines Kleinod, und viel zu kostbar für war. Dürr ausgesprochen, schonungslos herausgesagt, hatte feiner Kleidung das Wort führte, und allerlei lustige meine Wirthin, die es Euch durch mich zurückstellen läßt. er nur den Verdacht gehört, den er schon längst im stillen Sprüche und Fündlein an die Reihe kommen ließ. Der Ferner habt Ihr die Güte gehabt, heute morgen Euern Herzen bewahrt, und von Empörung und Scham zugleich fröhliche Erzähler war Dagobert, der erst vor kurzem eina Buben in mein Haus zu senden, der ein blankes Körblein bedrängt, wollte er die Trintstube verlassen, als der Schult- getreten und seinen Standpunkt hinter dem Lehnstuhle der trug, mit diesem filbernen Granatapfel, angefüllt von heiß an der Spitze der paarweise gehenden Gäste wieder Frau von Dürningen genommen, einer Adeligen aus der wohlriechender Essenz, und verziert mit einem Minnespruch. eintrat, und ihn so vertraulich unter dem Arme nahm, Gegend von Friedberg , die, nur zum Besuch, über das Fest Der alte Diether, der, wie alle Sechziger, wenig schläft, als wäre niemals etwas zwischen ihnen vorgefallen. nach Frankfurt gekommen war. Mit ihr, der freundlich und früh das Lager verläßt, fand den Buben, der an Frau Biedrer und ehrsamer Freund," sprach der gestrenge Herr und gemüthlich gestimmten Wittib in dem besten Alter, Margarethens Thüre harrte, und nahm ihm das zarte mit lauter Stimme und freundlicher Geberde, daß alle Um- und mit ihrer Tochter, einem gar munteren und lieblichen Geschent ab. Er bringt Euch nun beides wieder: die Rose stehende seine Worte vernehmen mußten: es ist schon Mägdelein von vierzehn Jahren höchstens, beschäftigte sich von Gold, den Apfel von Silber, mit der Bitte, seinen lange her, seit Euer Unfall Euch hinderte, an unserem ge- Dagobert vorzüglich, da, den trockenen Better der Dame fleinen Hausstand mit solcher Freigebigkeit ferner nicht zu selligen Mahle Theil zu nehmen. Da hr nun gewisser- ausgenommen, beinahe niemand der Anwesenden ein Wort beschämen. Sein Haus war stets ein Wohnsitz der Zucht maßen heute auch das Fest der Auferstehung feiert, so be- an die Fremden richtete. Die Mutter wußte den Liebes, und Ehrbarkeit, und wird und soll es ferner bleiben, wozu liebe es Euch, hier zwischen den Stühlen der Stubenmeister dienst des ehrlichen Junkers zu schätzen, und hörte seinem Gott helfe!" und an meiner Seite Platz zu nehmen. Wir haben oft zu Gespräche gern zu; mit größerer Theilnahme jedoch die holde Der Schultheiß, der schon vorausgesehen, was des Alten sammen gesessen im Rathe, zusammen gestritten im Felde; Regina, welche den hellen Blick kaum von des angenehmen grämliche Miene verkündete, nahm heftig die Kleinodien laßt uns nach geraumer Zeit wieder zusammen tafeln." Gesellschafters Lippen verwendete, lächelnd seinen Worten aus Diether's Hand, und sagte halblaut zu dem Schöffen:- Ehe noch der greise Diether ein Wort des Widerstrebens mit dem lauschenden Dhre folgte, und züchtig erröthete, sa " Ihr habt recht gut die Zeit gewählt, mich zu beleidigen, zu finden vermochte, hatten ihn schon die übrigen Stuben- oft seine Augen auf ihrem Antlig verweilten. Der schel benn rings um uns wandeln Leute hin und her, die mit meister zu einem Sessel geführt, und ihn mit freundschaft- mische Jüngling schien es nicht zu bemerken, und machte. ihren Falkenblicken in Eurem zornigen Antlig zu lesen licher Gewalt genöthigt, fich darauf niederzulassen. Die sich ein Vergnügen daraus, seine Scherze fast immer an,