Nr. HS—191$
Unterhaltungsblatt öes vorwärts
Mittwoch, 10. �pri!
hunöerttaufenö Millionen. !,| Eine ernste Spielerei von Artur Fürst . ,Ja. meine Herren, das spricht sich so leicht aus: Kundert Milliarden. Haben Sie sich aber auch einmal die unqebeure Größe dieses Lpfers klar gemacht, das unser deutsches Volk dem Vater- land für die Kriegführung darbringt? Wenn wir statt hundert Milliarden hunderttausend Millionen saaen, was dasselbe ist, so bort sich das schon großartiger an. Wir haben hier den zehnten Teil einer Billion vor uns. Nun stellen Sie sich einmal vor, daß Sie eine Strecke vor sich hätten, die nur 100 000 Millionen Milli- meter lang ist. und Sie sollten in einem Schnellzug in ununter- broSener Fahrt vom Anfang bis zum Ende dieser Linie reisen. Die Fahrt würde l�/z Monate dauern. Nun wollen wir uns einmal die gleiche Zahl in Zentimetern ansehen, also auch in einer recht be- fcheidenen Einteilung. Wieviel Zentimeter mögen eS wohl von der Erde bis zum Mond sein?" „Nun sicherlich doch mehr als 100 Milliarden!" „Auch das ist ein außerordentlicher Irrtum. Der Mond ist rund gerechnet, nur vierzig Milliarden Zentimeter von uns entfernt. Eine Länge von 100 000 Millionen Zentimeter stellt also die 2�'zfache Mondentfernung dar. Dabei wisien Sie ja. daß der Mond derjenige Himmelskörper ist, der uns ungeheuer viel näher stellt als alle anderen. Wenn wir den Abstand der Sonne ins Auge fasten, so wird Ihnen gewiß auch das Meter als Grundmaß recht be- ichelden erscheinen. Mehr als ISO 000 Millionen Meter aber das heißt das Anderthalbfache unserer Milliardensumme, ist eS auch zur Sonne nicht."' � 0 Herr Schmidt und Herr Lehinann staunten.„Ja. auf diese Weise werden die hundert Milliarden immer imposanter," sagte der Erste. »Freilich," sprach der Oberlehrer weiter,„man muß nur den richtigen Vergleichsmaßstab wählen. Für gewöhnlich erscheinen unS alle Zahlen, die größer als eine Million sind, zienilich gleich, da ihnen gegenüber unser Vorstellungsvermögen vertagt. Dabei ist in Wirklichkeit der Unterschied zwischen einer Million und hundert Milliarden ganz außerordentlich. Sie verhalten sich nämlich ,u ein- ander wie etwa die Breite des Lüßowplatzes in Berlin zu der Eni- fernung zwischen der deutschen Reichshauptstadt und San Francisco . Und NUN zeigen Sie mir doch einmal Ihren Mittelsinger, Herr Lebmann. Hier habe ich ein Maß. Ihr Finger ist schlank, seine Breite beträgt gerade vierzehn Millimeter. Denken Sie sich nun diese Ihre Fingerbreite bilndert Milliarden mal nebeneinander gelegt. Glauben Sie eine Länge zu kennen, die der so entstehenden gleich ist?" „Nach dem, was Sie uns eben erzählt haben, bin ich ängstlich geworden. Ich will schon etwas ganz Ungeheures nennen: den Durchmesser der Erde! Aber ich glaube,' daß das doch etwas viel ist." „Zu wenig, viel zu wenig, Herr Lehmann! Die so vervielfachte Breite Ihres Fingers erreicht die Länge deS SonnendurchmesterS, und der ist mehr als hundertmal größer als der der Erde." „Wenn S i e es nicht sagten, Herr Doktor, würde ich das für emen scherz halten." „sie können mir schon glauben, daß es richtig ist. Ich würde mich nicht wundern, wenn Ihnen meine Angaben wirklich zwcifel- hast erschienen, da große Zahlen immer etwas Verwirrendes haben. Es ist auch noch gar nicht solange her, daß man sie überhaupt ge- braucht. Das Wort„Million" ist, wie ich in einem Buch von Schubert gelesen habe, vor dem Jahre 1362 nicht bekannt gewesen. In allgemeine Anwendung ist es erst sehr viel später gekommen. Die Bezeichnung„Milliarde" für 1000 Millionen stammt gar erst aus dem Jahre 187l. wo sie anläßlich der Berechnung der von Frankreich an uns zu zahlenden Kriegsentschädigung aufkam. Haben Sie schon einmal darüber nachgesonnen, wieviel Sekunden Ihr Leben bis zum heu- tigen Tag zählt? Sie sind vierzig Jahre alt, also leben Sie rund 210 Millionen Sekunden. Das ist nicht viel im Vergleich zu unserer deutschen Schatzschein- und Anleihezahl. Eine Million Sekunden läuft in weniger als zwei Wochen ab, aber hundert Milliarden Sekunden find gleich 3000 Jahren. Seit der Regierung des schon fast sagenhaften Pharaos Rhampsinit ist also bis heute die genannte Zahl Sekunden noch nicht verflosien. Und zum Schluß möchte ich Ihnen noch eine ganz kleine Berechnung nennen, die mit einfachen Zahlen arbeitet. Insgesamt gibt eS auf der Erde nach ziemlich genauen Schätzungen anderthalb Milliarden Menschen. Von der für Deutschland einschließlich der laufenden Anleihen für den Krieg bereitgestellten Summe könnte daher jeder Mensch auf Erden den recht netten Betrag von 66 Mark und 66 Pfennigen erhalten."
tlsiim Nsthoöen öee wunöbchanölung. Von Dr. Hans Lungwitz, Berlin . Die Statistik zeigt, daß fast 90 Prozent aller in die Lazarette aufgenommenen Kriegsteilnehmer wieder dienstfähig wurden, ein Prozentsatz, der sowohl die mustergültiae Organisation des Militär« sanitätswesens wie auch die Leistungsfähigkeit der ärztlichen Kunst ins rechte Licht setzt. Einen wesentlichen Anteil an diesen glänzenden Ergebnisien bat die Chirurgie, und man sollte meinen, daß die chirurgischen Methoden, insbesondere die Wundbehandlung, um solche Resultate zu erzielen, derart hoch entwickelt sind, daß eine Verbesse- rung kaum noch möglich wäre. Indes arbeitet die Medizin unablässig an ihrer Vervollkomm- nung, und wenn sie auch in diesem Streben zugestandenermaßen nach dieser oder jener Richtung einmal irre gegangen sein mag, so bat sie auch aus solchen Irrtümern neue Erkenntnisse zu gewinnen verstanden Auch ist in der ärztlichen Methodik— wie ja auch auf anderen Gebieten der Wisienschast und des Lebens überhaupt— ein periodischer Wechsel der Anschauungen zu bemerken, und die Aufgabe der Forschung ist es eben, die Zeitbedürsnisie jeweils zu erkennen und ihnen durch Ermittlung der erforderlichen praktischen Metboden gerecht zu werden. Jedermann toeiß, daß in der Wundbehandlung der Verband eine Hauptrolle spielt. Die Wunde selbst wurde früher sorgfältig gereinigt, ein Schußkanal sondiert und ein etwa vorhandenes Ge- schoß entfernt, die Wimdfläche oder-höhle mit desinfizierenden Flüssigkeiten, besonders Karbolsäure bespült ustv. und ein sog. Okklunverband, der die Wunde schützte und bedeckte, angelegt. Das Zeitalter der Antiseptik wurde abgelöst von dem der Aseptik. das beißt man ließ im Prinzip die Wunde, auch wenn bakrerielle Verunreinigungen anzunehmen waren, möglichstin Ruhe, die Reinigung wurde auf das Entfernen grober Teile beschränkt, Sondieren streng vermieden, das Bespülen unterlassen, dagegen im wesentlichen ein„aseptischer" also bakterienfreier, steriler Verband angelegt, die Wunden nicht etwa vernäht, sondern offen gehalten. Neuerdings wendet man in geeigneten Fällen mit Vorliebe die sogen,„offene Wundbehandlung" an, d. h. man vermeidet es. Vor- bandstoffe unmittelbar ans die Wunde zu bringen, sondern schützt nur die Wunde vor Staub usw. durch entsprechende Vorrichtunaen und überläßt die Heilung, unter sorgfältiger Beobachtung aller Umstände und unter Zuhilfenahme des Sonnenlichtes und anderer Hsilfaktorcn, der Natur. Man hat hierbei ein rascheres Nachlasien der Schmerzen, der eitrigen Ausscheidungen der Wunde, wie über- baupt eine Beschleuniaung der Heilung beobachtet. Nur ist es klar, daß die Kriegschirurgie sich dieser Methode nicht an der Front, für den Transport der Verwundeten mw., sondern nur in geeigneten Lazaretten bedienen kann, und daß nicht jeder Fall für diese Be- Handlungsart in Betracht kommt. In letzter Zeit hat die Chirurgie nun wieder einen Schritt vor- wärts getan. Auf Grund der günstigen Erfolge, die der Nobel- Preisträger Baranyi in Upsala'(früher in Wien ) in der Behandlung von Kovsschüsien durch ausgiebige Säuberung der Wunde und un- mittelbare Naht erzielt hat, ist man zu einer allgemeineren An- Wendung dieler Methode überaeganaen, und die bisherigen Ergeb- niste sind derart günstig, daß nach der Erklärung deS berühmten Berliner Chirurgen Prof. Bier die ganze Krieoschirurgie auf eine neue Grund- läge gestellt erscheint, wenn es gelingt, die sofortige Vernähung der Wunde— nach entsprechender Vorbereitung— durchzuführen. Diese Vorbereitung besteht in einer gründlichen Reinigung der Wunde: die Wnndränder werden entfernt, der Schußkanal um- schnitten, je nach dem Falle antiseptische Löi'ung über- oder durchgespült und'die Wunde mit einem Hmitlappen bedeckt und vernäht. In England und Frankreich wird diese Methode als größter Fortschritt der KrieqsÄirurgie angesehen und es sind geradezu verblüffende Resultate erzielt worden. Als Spülflüssigkeit bedienen sich viele Chirurgen— wie einst- mals— wieder der Karbolsäure, deren bakterientötende Kraft sa allgemein bekannt ist. Die Säuren sind überhaupt energische Feinde der Bazillen: wir wisien z. B., daß die Salzsäure des MaqensafteS gefährliche Kleinlebewesen wie Cholera-, Ruhr« bazillen u. a. ablötet und somit dem Körper neben ihrer eiweiß- verdauenden Wirkung noch einen sehr schätzenswerten Schutz� vor Infektionskrankheiten ongedeihen läßt; und dabei ist die Salzsäure im Magensaft nur in starker Verdünnung enthalten. Der Karbolsäure scheinen seit kurzem einige Präparate, die Abkömmlinge deS Chinins find, den Rang streitig zu machen; ihre Verwendung, bei der gewisse Nachteile der Karbolsäure vermieden und ganz bestimmte spezielle Heilwirkungen erzielt werden, dürfte die weitere Einführung der geschilderten„modernsten" Methode der Wundbehandlung wesentlich fördern.
VlaüiwoskoL. Nun scheint ja das japanische Frage- und Antwortipiel sein Ende erreicht zu haben, die Japaner haben Truppen in Wladiwostok gelandet.„Beherrscherin des Ostens": das war der glanzvolle Name, mit dem die Stadt einst bezeichnet wurde, aber die Hoff- nungen, die das zarische Rußland an Wladiwostok geknüpft � hat, haben sich wenig erfüllt. Damals, als die russischen Gefangenel! aus Japan entlassen»nd über Wladiwostok hsimbefördert werden sollten, erhoben sie sich dort zu offener Revolution, waren eine Woche lang Herren der Stadt, schlachteten au die 1000 Menschen hin und'beugten sich erst den an Zahl weit überlegenen Ka- saken MischtschenkoS. Die junge, amerikanisch schnell auf, aeblühte Ansiedelung lag infolge dieses AufsrandeS zum Teil zerstört. Aber freilich besaß sie dank ihrer Lage eine fast unverwüstliche Lebenskraft— ein paar Jahre iväter, und schon florierte die Swetlanskaja, die Hauptstraße der Stadt, wieder im alten Glänze und bemühte sich, ein Paris des äußersten Orients zu spielen. Aber ein paar Schritte weiter nach rechts und nach links— und man war im tiefsten Asien : in einem abgrund- tiefen Kote, in der kläglichsten Unordnung und Jämmerlichkeit, in Schmutz und Dunkelheit. Ob es wohl in der Welt noch eins zweite Stadt gegeben hat, in der sich die schroffsten Gegensätze so unmittcl- bar und nah begegneten? Usppigster Luxus und Vernachlässigung des Allernotwcndigsten. prunkvolle Sckau- und Amtsbauten und böblenartige Wohnstätten, üppige Orgien mit den ausrangierteu Schönen Europas und erbärmliches Kulidasein: Beamte. Sveku - lauten, Spielhalter, Offiziere. Dirnen,.Angehörige aller Völker Europas und Asiens , Weiß und Gelb'— alles bunt durcheinander. Für Abenteurer war daher Wladiwostok ein Paradies. Seine große, nicht zu ertötende Schönheit war seine Natur, seine Lage. E. v. Salzmann hat sie einmal anschaulich geschildert. Fuhr mau von Osten in den Hafen ein, so erinnerte das Bild an Konstanti- nopel. Die breite Fahrrinne der Amur-Bucht konnte an die Meer- enge zwischen Europa und Asien erinnern und„Goldenes Horn" hatte man auch hier den eigentlichen Hafen und Anksrgrund be- nannt. Zu beiden Seiten wird die lange Einfahrt von ab- geflachten Kuppen begleitet, deren jede die Rüsten zu einer Batterie ausgestaltet' hatten. Zu den sie dicht im Kranze ilmgebenden Höhen steigt" die Stadt dann terrassenförmig auf. Von der Amur-Bucht bis zur Uffuri-Bucht, die beide Zweigbuchten der Bai Veters deS Großen sind, zieht sich ein dichter Kranz von Häusern. Nicht minder zauberhaft ist dann das Panorama von der Landseite her. Vorgebirge, Bückten, Spitzen, Grate und Hörner, soweit das Auge reicht; nur eine ganz schmale Landzunge, die die Halbinsel, auf der Wladiwostok liegt, mit dem Festlande verbindet. Und eine gerade Linie führt von hier guer durch Asien schnurstracks nach Europa , das seine Fühlhörner bis in diese zauberhafte Landschaft ausgestreckt hat. Freilich, noch bis in den April hinein ist der Hafen ort vereist, und während des Winters ist nur mit den grüßten Schwierigkeiten eine Fahrrinne und die Schiffahrt offenzuhalten. Das ist das große Abcr, das dem Schicksale Wladiwostoks beigegeben ist.
Nsttzen. — Hans Thoma wurde zum Ehremnitgliede der Freien Sezession ernannt. Sie wird in ihrer nächsten Ausstellung Thomas Frankfurter Wandbild ausstellen. — Im Deutschen Monistenbund spricht Donnerstag, 8V4 Ubr, im Pschocr-HauS, Tauentzienstr. 13, Prof. Friedenthal über „Menschheitskunde". — Der d n f tende Film. Dem Besitzer«ine? großen Newyorker LichtspielthpatorS soll«8 geqlückt fein, die Wirkung der- Filmvorführungen durch eine neue Erfindung zu erhöhen. Der phantasievolle Mann hat nämlich den— duftenden Film erfunden. Stach seinen! System wenden durch Parfümzerstäuber jedesmal Gerüche im Zuschauerraum verbreitet, die der auf der Leinwand gezeigten Landschaft entsprechen.— Sicherlich liegt diese Crftndung nicht auf dem Wege zur Veredelung des Films. — Useber die Verwendung des menschlichen Fettes in der Chirurgie bringt die„Wiener klinische Wochsnichiift" eine interessante Mitteilung. AuS dem menschlichen Körper bei Operationen gewonnenes Fett wurde steril aufbewahrt, und wenn nötig, kurz vor Gebrauch nachsterilisicrt. Ein häufiges BerwendungS- gebiet waren Narben nach Schuß- und anderen Verletzungen, wenn sie tief eingesunken oder mit den Knochen und anderen Teilen fest verwachien waren. Unter die Haut wurde das zuvor auf Blut- wärme gebrachte Fett eingespritzt. Auch bei Sehnennähten und bei großen Defekten von Nerven bat sich die Einspritzung gut bewährt.
71 Pioniere. Roman au? dem Norden von Ernst Didring . Jonsions Gesicht wurde immer düsterer. So ging es jeden Tag. Ein Sturzsee der verschiedensten Arbeiten, die gemacht werden mußten! Dieser Landsrröm verstand es, die Leute anzutreiben l Jonsson wurde bitter und bissig. Er hätte gern den Ingenieur mit einer scharfen Antwort abgefertigt, aber er wagte es nicht. Heute war überhaupt nicht gut mit ihm reden. Die Augenbrauen waren scharf zusammengezogen, so scharf, daß sich eine tiefe Falte zwischen ihnen bildete, und die Finger zerrten ner- vös an den Papieren. Es gab heute augenscheinlich keinen Kognak. „Habt Ihr verstanden, Jonsson?" schnitt der Ingenieur alles weitere ab. Jonsson verschwand mit Sarri durch die Tür schneller als er hereingekommen war. Landström begann in der Hütte auf- und� abzugehen. Lang war die Promenade gerade nicht. Drei Schritte vor- wärts und drei Schritte zurück, und dann muhte er sich noch vorsehen, daß er nicht beim dritten Schritt mit dem Kopf gegen die Dachbalken stieß. Blutwellen kamen und gingen über sein Gesicht, daran war die innerliche Wut schuld, und er fühlte eine über- mächtige Lust, um sich zu schlagen nnd zu stoßen. In Er- mangelung von etwas anderem gab er der Kohlenschaufel vor dem Kamin, an die er stieß, einen Fußttitt, daß sie tief in die Erdwand eindrang. Das lenkte die Wut etwas ab, besonders da er hierdurch an die Wärme erinnert wurde und für eine Weile Beschäftigung hatte, weil er den Kamin füllen mußte. Aber noch lange hinterher ging er aus und ab und murmelte allerhand böse Worte gegen den Schreiber des Briefes, ehe seine Gedanken sich ordnen konnten und zur Ruhe kamen. Dann warf er sich auf die Pritsche und begann zu grübeln. Undank war das gemeinste, was er sich denken konnte. Hier hatte er nun über ein Jahr in einem Erdloch gelebt, das auch der Aermste verschmäht hätte. Hier hatte er ge- froren und zuweilen gehungert, daß das Blut stockte und der Verstand erstarrte und das ganze Gehirn zu einer Glasmasse
wurde. Es hatte Tage gegeben, wo die Finger vor Kälte nicht einmal die Feder halten konnten und wo das kleine Thermometer siebzehn Grad minuS gezeigt hatte, obwohl der Kamin vor Hitze röter gewesen war als ein Theater- teufel. Und tagelang hatte er sich im Schlafsack vor Anker legen müssen, um sich am Leben zu erhalten, als der Koks nicht rechtzeitig mit der Drahtseilbahn herauf- gekonimen war. Und dann kam so ein Idiot und schrieb, er erwarte, daß die Strecke bald fertig sei. Erwarte? Ganz, als sei es die einfachste und natürlichste Sache von der Welt, eine Bahn hundert Meilen nördlich vom nördlichen Polarkreis zu bauen, wo man des Sommers in einer Mückenhölle und ewiger Sonne lebte und des Winters in grausiger Kälte und ewiger Nacht!. Und dann kommen und davon schwatzen, daß der Kostenanschlag nicht überschritten werden dürfe! Als wenn ein Mensch die Schneestürme hier oben berechnen könnte I Und dazu all diese wilden Gesellen, mit denen man fertig zu wenden hatte, die ja in nüchternem Zustand ganz nette Burschen waren, abcr aus Rand und Band kamen, wenn sie Karten und Alkohol in die Finger kriegten; dann schlugen sie alles in Grund und Boden und sich gegenseitig dazu! Na, es war noch gut, daß man den Alkohol hatte. Sonst wären nicht viele hier oben geblieben. Und wie hätte er selbst fertig werden sollen? Landström rieb sich nachdenktlich die Nase und blickte nach der Kognakflasche hinüber. Die Marke hatte ihm über vieles hinweggeholfen, vor allem über die Einsamkeit. Die Ar- beiter hatten es gut. Die hatten Gesellschaft und schnarchten und aßen zusammen. Aber ich glaube, ich möchte doch nicht tauschen, dachte er. Er sah nach der Uhr. Es war bald halb zwölf. Er stand auf und öffnete die Tür einen Spalt weit. Er mußte lachen. Halb zwölf, mitten am Tage, und knapp so hell, daß man lesen konnte. Er zog die Tür wieder zu und setzte sich au den Zeichen- tisch, konnte aber die Gedanken nicht zusammenhalten. Die Zahlen tanzten Karussell, und er mußte den Versuch auf- geben. Aber er hatte ja auch fast sieben Stunden hinter- einander gearbeitet, als Jonsson und der Lappe ihn störten. Zu welcher Tageszeit er arbeitete, war gleichgültig. Es war die ganze Zeit Nacht. Er saß todmüde da und war im Begriff, einzuschlafen.
als ein allzudeutliches Tropfen seine Aufmerksamkeit erregte. Er blickte vom Zeichentisch auf. und während er leicht gähnte, ließ er den Blick forschend nach der Ursache dieses Geräusches suchen. Die Lampe gab nur eine sehr spärliche Beleuchtung in der Hütte. Das Licht konzentrierte sich hauptsächlich aus Zeichnungen, Flasche, Federn, Tabaksdose und Zirkelkasten, der halbgeöffnet an einem Tischende stand. Was sonst noch dalag, war in Dämmer gehüllt. Die Erdwände saugten gc- wissermaßen jeden Lichtstrahl auf, der sich bis zu ihnen hin wagte. Hier und da glänzte es freilich wie Edelsteine an den Wänden; das war das geschmolzene Eis; und bisweilen glitzerte eine lange Silberschlange auf und ringelte sich an der Wand zum Dunkel des Fußbodens hinunter. Um den Kamin stieg die Lust warni und zitternd zur Decke empor und schwamm dort oben wie dünner Rauch umher. Uud gerade von dort oben kamen die Tropfen. Half nun also die Holzverkleidung auch nicht mehr? Nun, eS kam wohl von der Wärme, und die würde sich schon gebeiu Ueber Wärme sollte man sich hier oben nie beklagen— im Winter. Diese'sehr einfache Reflexion bekräftigte er mit einem lauten und deutlichen Nein, das ihn selber zusammenfahren machte. Ich werde verrückt, dachte er. Das wäre höchst un- angenehm, besonders jetzt, wo dte � letzte Sprengung noch nicht fettig ist. Verrückt? Was heißt das übrigens? Das sind ja alle hier oben, mehr oder weniger. Es wäre schlinimer, wenn man klug würde, denn dann--. Ja, was dann? Er stand auf und schüttelte sich. Dann holte er einen Blechkasten hervor, nahmjnn Brot heraus, schnitt eine tüchtige Scheibe ab, säbelte ein Stück von dem Schinken herunter, der neben dem Fenster hing, und verzehrte das. Diese lukullische Mahlzeit beschloß er mit einer Tasse kaltem Tee, der auf dem Bordbrett über der Pritsche stand. Dann zog er den kurzen Pelz an, stülpte eine dicke Fell- mutze auf den Kopf, steckte ein paar von den Schriftstücken in die Tasche, löschte die Lampe aus und ging, um die Arbeiten zu inspizieren. Er hatte wirklich Angst davor, klug zu werden. (Foxts. folgt.)