Nr. 140— 191$
Unterhaltungsblatt öes vorwärts
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Cm Sonnenaufgang. Von Karl Bröger . Als in der dritten Adventswoche ISIS die Franzosen bei Verdun den großen Ausfall machten, drückte der Kampsbericht schwer auf Luise Malchings Herz. Sie suchte noch einmal den letzten Brief ihreö Mannes her, strich die aus der Zeitung geschnittene Karte des mörderischen Geländes glatt und tastete mit zitternden Fingern die schlecht gedruckten Ortsnamen nach. Da stand eS unbarmherzig Douaumonti Vor sechs Tagen hatte August Masching von hieraus «inen Brief geschrieben. Die Frau hob den Brief näher an die brennenden Augen. Vielleicht war der Name doch anders. Gerüchte von schweren Verlusten schlichen durch die Straße. Luise liei hinter dielen Gerüchten her, als verkündeten fie eine neue Himmelsbotschaft. Es war saure, blutsaure Arbeit. Zehnmal zer« rann der Faden unter ihrer Hand. Redereien, mit aller Bestimmt- heit ausgesprochen und belegt, losten sich in Rauch und Nebel auf, und kein Bild schälte sich aus der trüveu Wolke. Frau Luise war hartnäckig und blieb auf der Spur jedes kleinsten Zeichens. Kein Weg zu weit, kein Wetter zu schlecht, wenn irgendwo nur ein Schimmer von Gewißheit aufblitzte. Den ganzen Winter dauerte diese Jagd. Die verstörte Frau sah nicht, daß Frühling am blauen Himmel aufzog, neigte sich keiner Blüte und war erblindet für den Zauber der jungen Erde. In Zeitungen und Zeiifchriften blätternd, irrte ihr Blick über tausend fremde Ge- sichter von vermißten Soldaten. August Masching war nicht dar- unter. Fünf Monate war er schon wie ein Sandkorn von der Erde gefegt. Ein milder Maitag brachte Kunde, die das Blut LuisenS bis zum Grund aufwühlte. Bon einem Gefangenen de» Regiments war ein Gruppenbild aus dem französischen Lager gekommen. Mehrere hundert Männer drängten sich auf dem engen Blatt und starrten in daS junge Frauengesicht, das sich über die Reihen beugte. Wie sab August Masching doch auS? Bald drei Jahr« war er fort. Der Krieg hatte ihn um alle Grenzen deS Lande» gewirbelt. Das konnte einen Menswen schon verändern. Sonderbarl Sie sah ihn bundertfach auf dem Bilde und doch konnte nur einer unter den vielen August Masching sein. Sind die Augen so unvollkommene Werlzeuge unseres Herzen»? Ein Sturm des Gefühls blies dunkles Gewölk über ihren Blick, daß fie da» Bild seufzend aus der Hand legte, ausstand und den guten Leuten mit Schwanken in der Stimme dankl«. Luise ging langsam durch den klaren Tag. voll einer wunder« lichen Gewißheit, daß August lebe. Sie halte ihn nicht auf dem Bild erkannt oder sie hatte ihn vielmehr hundertfach gesehen. Wie aber, wenn ihre Erregung ihr dieses Gefübl nur vortäuschte? Am Sonntag saß Frau Luise wieder über dem Bild. Sie hatte drei Tage aus einer Woge von Empfindungen gerollt, bald auf dem weißen Kamm einer seligen Hoffnung, bald auf dem dunklen Grund eines nagenden Zweifels. Wie Kork hatte die Flut fie durch diese drei Tage gespült. Nun wollte fie Sicherheit und Bestätigung des frohen Glaubens. Ihrer Handtasche entnahm fie«ine große Lupe, wie die Ge- fichter und Gestalten wuchsen vor der unbestechlichen Schärf« deS GlaseS I Die Reiben zogen wie auf dem Paradefeld an den Augen der Frau vorbei. Bis jetzt lauter unbekannte, gleichgültige Züge. Wieder trat eine Reibe in das Blickfeld der Lupe. Mechanisch zählte Frau Luise die Gestatten ab. Sech»-- fieben— acht— neun... Halt, halt! Au« dem hochgeschliffenen Gla« brach ein Schwall von Licht. Ging die Sonne auf? Da» dunkle Bild flammte in Glanz und E-bein. Ein Geficht war Quell« diese» Strom» von Helligkeit. August Masching lebt. Da stand er hinter einem Bire« von Mann. halb verdeckt durch die breiten Schultern. Schaute er nicht vor- wurfsvoll und griesgrämig? Luis« gab schweigend da» Bild zurück. Sie konnte«nr nicken zum Abschied. Worte wollten ihr nicht gehorchen. Ais sie auf der Straß« stand, sah fie ein Stück blaue« Himmel» über sich, von goldenen Lichtern durchhuscht, und wußte plötzlich, daß es Mai war und daß die Sonne mit ihr ging.
Stromabnehmer für öle Serllner Stadtbahn. Für die Berliner Stadtbahn , deren Eleltrifierung in die Wege geleilet ist. sich aber durch den Krieg verzögert hat, ist eine be- sondere Stromabnehmereinrichtung in» Auge gefaßt worden. So- fern man den Strom nicht durch eine unten verlegt« Schiene zuführen kann, wie die« beispielsweise bei der Berliner Hoch- bahn der Fall ist, müflen Mast« errichtet werden, die die elektrische Arbeitskraft aus der Höhe zuleiten. Gewöhnlich fübrt man dann in der Luft Drähte und rüstet die Wagen mit Abnehmern aus. wie man die« bei den elektrischen Straßen-
bahnen steht. Es läßt sich aber anch ein« Einrichtung treffen, bei der zwar Mäste nötig find, wobei aber zwischen ihnen keine Drähte ausgespannt zu werden brauchen. Ueber die Dächer der Zugwagen läuft dann eine Leitung, und diese kommt beim Vorbeifahren an einem Mäste mit einer an dessen oberem Teile angebrachten Vorrichtung in Berührung. Man muß.sich vorstellen, daß der im Boden mittels eines Kabels an dem Gleise entlangesührte Strom gewissermaßen in jedem Mäste bis zu dessen Spitze empordringt, und daß dann oben eine Art Zapfhahn angebracht ist, au» dem der vorbeifahrende Zug solange Elektrfzität schöpft, wie seine oben genannte Leitung in Berührung mit dem betreffenden Mast« steht. Der Abstand der Mäste soll 75 Meter betragen. Ein Zug aber wird M Meter lang sein, infolgedessen muß der Zug immer mit mindestens einem Mäste in Berührung sein, so daß beständig ein Zufließen von Strom zu der Leitung auf den Dächern des Zuges statifindet. Ersichtlich werden dadurch verschiedene Vorzüge erzielt. Der freie Blick über die Strecke wird nicht beeinträchtigt. ES ragen nur Mäste empor, deren Abstand ziemlich groß ist. Auch wird an Draht gespart, weil jede Zugeinbeit eine kurze Leitung mitbringt und eine solche von Mast zu Mast daher unnötig wird. Luch diese Einrichtung ist eine deutsche Erfindung._ die erste deutsche Norüpolforschungsrelse. Am 2». Mai 1868, nachmittag« L>/, Uhr, setzte die Jacht»Grön- land*, Kapitän Karl Koldeweh, in Sanviken Segel, um ein« Reise in das Gebiet des Nordpols anzutreten, die erste, die je von Deutschen unternommen wurde. Die Seele de» Unternehmens war Dr. August Peterinann, der verdienstvolle Leiter der Geographischen Anstalt von Justus Perthes in Gotha , aus dessen Betreiben eine ganze Reihe deutsche Forschungsreisen zurückgehen. Zum ersten Male hatte dieser.Vater der deutschen Nordpolfahrten", wie man ihn genannt hat, im Jahre 1865 den Versuch ge- macht, eine Forschungsfahrt ins Nördliche Eismeer durchzu- führen, aber Neinhold Werner, der Leiter diese« Unternehmens, mußte zwölf Stunden nach der Abfahrt seine» Schiffe« wegen eine« Maschinenunfalle» wieder umkehren. Der Krieg 1866 hatte Peter- mann dann siezwlmgen, einstweilen von seinem Plane Abstand zu nehmen, unmittelbar danach aber kam er wieder darauf zurück, und am 23. Februar 1868 erhielt Karl Kodewey, der damals in Göttingen dem Studium der Astronomie oblag, eine Aufforderung Petermann«, die Leitung einer Forschungsreise nach der grön- ländffchen Ostküste zu übernehmen. Pelermann hatte durch Vor- träge, ZettungSaufsätze und einen Aufruf au» ganz Deutschland so reiche Spenden zusammengebracht, daß die Durchführung des Unternehmens nun gesichert war. Koldeweh war mit Petermann« Plänen durchaus einverstanden und übernahm ihr« weitere Durch- fübrung. Er begab sich nach Bergen, daS als Ausgangspunkt der Reise gewählt wurde. Es gelang, ein geeignetes Schiff zu kaufen und für seine Zwecke herzurichten. Am 24. Mai ging dt« Grön- land mit 12 Mann an Bord in See. Aus Koldeweys Schilderung dieser ersten deutsche« Nordpol- fahrt weiß man, daß ihr wegen des unausgesetzten Kampfe» mit dem Eise keine großen Entdecklmaen glückten: da» Tis hinderte das Schiff, an der grönländischen Ostküste Anker zu werfen, neue Vor- stöße nach Spitzbergen und Ostgröniand scheiterten wiederum an der Undurchdringlichkeit deS Eises, und schließlich mußt« Koldeweh wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit umkehren. Er und Peter- mann machten aber diesen Mißerfolg schon im Jahre darauf wieder gut, denn die zweite große Nordpolsorschung, die im Jahre 1860 mit zwei Schiffen unter Koldeweh und Hegemann ausreiste, hatte große Erfolge und entdeckte unter anderem den Kaiser-Franz- JosephS-Fjord._ Vas der Slktz trifft. welche wert« alljährlich der Blitz vernichtet, darüver bestehen in der Allgemeinheit leine zutreffenden Borstellungen. Ein« Auf- klärung nach dieser Richtung ist aber jetzt besonder» wichtig, weil sowohl das Meuschenleben wie alle anderen Dinge, die durch den Blitz zerstört werde» können, im Wert sehr gestiegen sind. Wie sehr e» nötig ist, den Blitzschaden auf jede mögliche Art einzuschränken, beweisen die statistischen Ausweis« über seine Höhe. Selbstverständlich ist er in den verschiedenen Jahren nicht immer gleich, da ja auch die Zahl der Gewitter nicht nur am einzelnen Ort. sondern auch im all- gemeinen Jahr für Jahr verschieden ist. So schwankte ihre Zahl in den Jahren 1904— 1910 zwischen 19 und 40. Diesen Gegensätzen entsprach die Zahl der Todesfälle durch Blitz- schlag, indem in dem gewitterärmsten Jahr<1904) nur 82, in dem gewiiierrrichsten Jahr ll9l0> aber 236 Menschen allein im König - reich Preußen durch den Blitz getötet wurden. Daraus aber ist nicht zu schließen, daß die Gewitter häufiger oder ihre Gefahr-
lichkeit größer geworben ist, sonder« auch die Bevölkerung hat um S1/, Millionen zugenommen. Freilich entspricht die Zahl der Blitztötungen der Getvitierhäufigkeit nicht ganz genau, da im Jahre 1906 bei einer durchschnittlichen Zahl von nicht ganz 80 Gewittern sogar 250 Menschenleben durch Blitz ver- nichtet wurden und außerdem die Höhe der Verluste an Menschen- leben davon abhängig ist, ob die größte Gewitterhäufigkeit auf das Frühjahr, in den Herbst oder in den Sommer fällt. Je mehr sie mit einer Zeit starler ländlicher Beschäftigung zusammentrifft, um so größer wird die Zahl der Opfer sein, da die weitaus meisten auf Landleute entfallen und zwar während der Arbeit im Freien. Der Sachschaden durch BttÄcklaa wurde schon im Frieden auf rund 12 MMonen Mark jährÄch veranschlagt, wovon nur eine Million auf städtische Siedlungen entfiel. Da auf dem Lande jede Art von Erneuerung und Ausbesserung noch schwieriger zu erreichen ist als in einer Stadt, so ergiebt sich auch daran» der zwingende Schluß, daß überall und schleunigst für eine Ver- stärkung der Blitzsicherung Sorg« getragen werden muß. Der Städter macht fich heute von den Blitzschäden, weil sie eben zum größten Teil auf dem Lande eintreten, nicht den richtigen Begriff und ist über solche Zahlen erstaunt. Sie bleiben übrigens noch weit zurück hinter den Ergebnissen der Statistik in den Vereinigten Staaten , wo durchschnittlich jedes Jahr nicht weniger als 1500 Menschen vom Blitz getroffen und davon 500 getötet werden. Der Sachschaden wird dort alljährlich auf 24 Millionen Mark angegeben. Nottzen« — Theaterchronik. Das Kleine Theater hat der vorgerückten Spielzeit halber im Einverständnis mit den Verfassern die Erstaufsührungen de».Einsamen' von Hann? Johst und des Lustspiels»Adam, Eva und die Schlange' von Paul Eger auf den Herbst verschoben. Vorträge. Prof. Ludwig Stein spricht in den dim der Humboldt-Akademie Freie Hochschule veranstalteten Vorlesungen Sonnabend, den 25. Mai, 8 Uhr im Bürgersaale de« Berliner Rathauses über:»Die Weltanschauung des Orients und die deutsche Philosophie'. — Georgisches. Bis in unsere deutschen Zeitungen schlägt jetzt der Kampf um die künftige Gestaltung kaukasischer Staats- bildung seine Wells«. Die Leser de?.Vorwärts' werden fich der hier abgedruckten Tolstoischen Erzählung.Thadschi Mural' erinnern, die in vergangene Kämpfe jener Bergvölker einführte. Der Sozialist weiß, daß im Kaukasus lange schon eine starke soziallstische Bewegung bestand, die 1905 für einige Zeit die Herrschaft erlangte und auS der u. a. Tscheidse, 1917 Vorfitzender des Allrussischen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrats. Ramischwili, der nach Sibirien verschickte Dumaredner, und Zeretelli, der als Kjerenskis Innenminister den bolschewistischen Juuaufstand niederschlug, her« vowingen. Kaukasische Sozianstengruppen gehörten der Jnter- nationale an und waren auf ihren Kongressen vertreten. Im vorigen Sommer waren auch in Stockholm Vertreter kaukafiswen Selbständigkeitsstrebens anwesend.— Die reiche georgische Literatur wird in einer eigenartigen zierliche», etwas ans Altgriechische erinnernden Schrift gesetzt,— n. — Das Laub in der Futternot. An der Front ist Mangel an Futter. Deutschland befitzt 2'/, Millionen Hektar Laub- Wälder, und mit diesen gewaltigen Laubmengen ist e» sicher mög- lich, den Futtermangel zu beseitigen. Sorgfältig gewonnenes Laub- heu hat einen höheren Futterwert als gute« Wiesenheu. darum rechnet man in der Praxis 8b Kilogramm Laubheu auf 100 Kilo- gramm Wiesenheu. Esche, Ahorn, Linde, Pappel, Ulme und Vogel- beere geben da« beste Futterlaub. Buche, Eiche. Erle und Birke find als Futter etwa mittlerem Wiefenhen gleich. E» kommt darauf an, daß sich überall alle verfügbaren Kräfte, vor allem die Jugend. sofort beim Laubsammeln beteiligen, da e« fich um ungemein große Mengen handelt. Da» Laub wird schattentrocken angeliefert und in Brikett» gepreßt der Front zugeführt. Ein Blick in den Nräheumag«». Um den Grad der Schädlichkeit oder Nützlichkeit der Krähen genau festzustellen, untersuchte man die Nahrung im Körper der toten Krähen. Der Amerikaner E. N. Kalmbach hat für da» Landwirtschaftsininisterium emgehende Untersuchungen angestellt. Es wurden 1340 aus- gewachsene und 776 junge Krähen untersucht. DaS Ergebnis war, daß in der jährlichen Ernährung der ausgewachsenen Krähen 25 Proz. tierische Nahrung und 71,8 Proz. pflanzliche Nahrung war. Die tierische Nahrung besteht zu 18,7 Proz. aus Insekten, die vflanzliche Nahrung zu 51 Proz. au» Getreide und anderen Feidsrüchten, zu 6,7 Proz. aus Gartensrüchte» und zu 17 Proz. auS wilden Früchlen und Samen. Die jungen Krähen verbrauchen mehr tierische Nahrung, nämlich 83,4 Proz., hingegen mir 16,6 Proz. pflanzlich« Nahrung. Da« endgültige Ergebnis fällt, wie man steht, für die Krähen mehr al« ungünstig au«.
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pkonkere.
Roman au» dem Norden von Ernst Didring . Sie verstanden nicht, daß sie vom ersten Lichtstrahl an, den sie gesehen hatte, verurteilt gewesen war, zu leben, wie sie gelebt hatte. Sie glaubten, wie so viele andere, an die schöne Lüge von der Willensfreiheit der Menschen und Wichten nicht, daß viele Königinnen als Dirnen sterben und viele Dirnen als Königinnen. Deshalb ehrte eS sie noch mehr, daß sie in ihr nur den Menschen sahen, der ausgekämpft hatte. Und als Beweis, daß alle Sünden vergeben werden können, legten sie in ihre gefalteten Hände einen Strauß von den letzten Blumen des Spätsommers, der weißen An- dromeda. Dann brachte man die Schwarze Bärin auf den Kirchhof in Torneham und begrub sie bei all den andern, die im Kampf gegen die Wildnis umgekommen waren. Dreizehntes Kapitel. DaS Gespenst erschien im Frühjahr bei der Bahn, als die Arbeit am heißesten war und der Bahndamm seiner Vollendung entgegenging. Die Kippwagcn waren schon auf dem unteren Teil der Bahn mit Schwellen und Schienen, und von dort arbeiteten fich schon Lokomotiven mtt Materialwagen durch. Der obere Teil dor Bahn war noch unbeschwert von Schwellen, und dort wurde die Arbeit mit Hochdruck forciert. Der Winter war hart gewesen und der Bahndamm war überall in großen Buckeln gesroren, man hatte also eine ganz gute Vorstellung davon gehabt, was für Kämpfe einem ein- mal in der Zukunft bevorstanden. Es blieb nichts übrig als den Lehnt und die andern schönen Sachen auszugraben und statt dessen Kies und Moorerde aufzufüllen, um die Frost- sprengungen zu verhindern. Die schlimmste Arbeit hatten sie mit den großen Steinen. die heimtückisch in dem Bahndamm eingebettet lagen und zu mächtigen Frostbeulen aufschwollen, die eine nach der andern wegvpertert werden mutzten. Um daS bißchen Stcitikohlencsichc, womit man die kleineren Unebenheiten ausgleichen konnte, entstanden förmlich« Prügeleien, sonst aber
mußte man so gut wie den ganzen Bahndamm ausgraben und auf dem Grunde einen Entwässerungsgraben mit Steinen und Moos anlegen, um das Wasser seitlich abzuleiten. Die Ingenieure fluchten und froren. Es war ein Kampf, der die Geduld mehr als zuträglich in Anspruch nahm, so erbittert und unberechenbar wurde er. Hatte man in einer Woche auf etwa hundert Meter Länge einen Buckel wegoperiert und die Jsolierungsbetten fertig, dann bildete sich ein Stück davon ein neuer Buckel. Hjort murmelte etwa? davon, das beste, sei, gleich die ganze Bahn zu isolieren, aber dann würde man noch zehn Jahre brauchen, und dann würden die alten Herren im Reichstag aus purer Wut gestorben sein und eS wurden neue Kathederfcvwätzer da sein, die einem das Leben noch mehr verbitterten. Man mußte nur mit aller Kraft schuften, um die Bahn rechtzeitig fertigzustellen. Mitten in diese schlimmste Zeit hinein kam daS Gespenst, leise, unerwartet und heimtückisch, wie Gespenster es an sich haben. Zuerst suchte es den norwegischen Teil der Bahn heim und nahm zweiunddreißig Mann mit. Dann ging daS Gespenst aus die schwedische Seite über und begann hier zu wüten. Die Krankenbaracken unten in Tornehamn waren überfüllt, und die Krankenpflegerinnen und der Doktor brachen sast vor Ueberanstrengung zusammen, als sich in Begleitung deS Gespenstes auch noch Diphtheritts einstellte. Die Arbeiter waren nicht leicht inS Bockshorn zn jagen, aber sie konnten doch nicht umhin, sich etwas fleißiger alS sonst mit dem Gedanken an ihr Abscheiden zu beschästigen. Einige suchten sich mit Alkohol immun zu machen, aber es wurde nicht besser, denn dann liefen sie ganze Tage und übrigens auch Nächte närrisch herum. � Andere schickten ihre durchgeschwitzten Papiergeldbündel auf die Bank im Süden, um aus alles vorbereitet zu sein. Aber keiner verließ seinen Posten und floh. Hier oben hatten sie außerdem so viele Seltsamkeiten erlebt, daß sie gegen das Gespenst abgehärtet waren, und dieser und jener prahlte auch, es gäbe nichts auf der Welt, dem ein Bahnarbeiter nicht in die Augen zu sehen wagte, aber das waren solche, die nicht wußten, daß die ge« sährlichsten Feinde die sind, die man nicht sieht, die man niemals sieht, und am allerwenigsten von Angesicht zu An- gesicht. Die siebenundzwanzigste Schicht war noch verschont ge- blieben. In den benachbarten Barackenlagern hatte daS Gespenst sich gezeigt und einige Arbeiter m jeiner geheimnis
vollen Weis« abberufen, aber in der � Schicht ging alleS seinen gleichen Gang. Man merkte nichts Außergewöhnliches, das einzige war, daß abends
siebenundzwanzigste� ckte nichts manchmal lange Pausen in den Gesprächen entstanden und daß daS Kartenspiel eine bedenkliche Neigung zeigte, einzutrocknen. Hansson prahlte denn auch Hjort gegenüber, als er ihm be- gegnete, daß die siebenundzwanzigste Schicht doch die feinste von allen sei, und daß ihr nichts in der Welt etwas anhaben könne, so lange Sköld mit seinen Riesenarmeu die kleinen Teufel fernhalte. Das Gespenst mußte diese Prahlerei gehört haben, denn am selben Tage fand eS sich in den Baracken der fiebenund- zwanzigsten Schicht ein. Die Arbetter saßen beim Mittagessen um den langen Tisch in der Baracke. Maja hatte ihnen eben Erbssuppe auf die Teller getan. Die Tür zur Diele stand offen und die Außentür auch, denn Maja hatte beim Kochen Malheur -gehabt, und man mußte frische Luft haben an Stelle der brandigen nnd verräucherten, die in einer leichten Wolke um den Herd stand. Die Arbeiter aßen Erbssuppe mit Speck und verspeisten dazu die großen Brotlaibe, die sie so regel- mäßig wie möglich mit den Lebensmittel fuhren aus Nombaks- botten bekamen. DaS Gespenst» daS draußen mngtng, mochte fich durch die offene Tür eingeschlichen haben, denn plötzlich stand ti hinter Sköld und packte ihn bei der Kehle. Sköld wurde blutrot im Gesicht und ließ den Löffel fallen. »Was ist los?' stagte Hansson nnd hielt im Essen wne. Die ganzen Leute hörten auf zu essen. Sköld sah aus, als müßte er ersticken. Er stand auf und riß das Wollhemd auf, daß die Knöpfe über den Tisch sprangen. Er wurde rotblau im Gesicht, und es überlief ihn ein Frostschauer, daß der ganze Tisch, an dem er sich hielt, wie bei einem Erdbeben zitterte. Er schnappte nach Luft, bis die Backen kreideweiß wurden, und schließlich kam ein Brüllen über seine Lippen, daß sogar die Arbeiter zusammen- zuckten. Er rollte die Augen ohne jeden menschlichen Aus- druck, und plötzlich fiel er der Länge nach über den Tisch, so daß der Inhalt der Suppenteller überschwappte. Maja schrie auf. .Na ja," sagte Hansson,.jetzt haben wir es hier." .Es" war das Gespenst, der Byphus. Gorts. folgt)