Nr. 171. 35. Jahrg.
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Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutfchlands.
Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3. Ferniprecher: Amt Moritples, Nr. 151 90-151 97.
Montag, den 24. Juni 1918.
Expedition: SW. 68, Lindenstraße 3. Fernsprecher: Amt Morisplak, Nr. 151 90-151 97.
Kabinett Seidler geftürzt.
ien, 23. Juni. Der heutige Ministerrat beschloß die Gesamtdemission des Kabinetts.
Das Erwartete, aber bis zur legten Stunde in offiziösen Verlautbarungen Bestrittene ist damit Tatsache geworden. Der gestern gemeldete Beschluß des Polenklubs, dieser Ausdruc absoluten Mißtrauens, hat dem Ministerium Seidler mit einem letzten wuchtigen Ruck den Boden unter den Füßen weggerissen.
Ueber die Situation vor der Entschließung des Ministerrats wurde der Franff. Btg." gestern aus Wien gemeldet: Die Hoffnungen auf Einberufung des Parlaments sind auf den Nullpunkt gesunken. Die gestrigen Beratungen in der Vollversammlung des Polenklubs zeigen, daß im Klub die radikale Strömung vollständig Oberwasser hat. Zum Klubobmann wurde der Abgeordnete Teril gewählt, der seinerzeit für das Zusammengehen mit den Tschechen und den Südslawen eintrat und der Prager Theaterfeier als Gast der Tschechen beiwohnte. Die Verhandlungen, die während der Beratungen des Klubs noch mit der Regierung Seidler geführt wurden, hatten kein Ergebnis. Die legte Aufforderung der deutschen Parteien zum Zusammenarbeiten blieben ohne jeden Eindrud. Die Verhandlungen werden heute fortgesetzt. Wahrscheinlich werden die Krakauer Beschlüsse sanktioniert werden.
Dann kam die Entscheidung des Ministerrats.
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Berlin , 23. Juni 1918, abends. Amtlich. Von den Kampffronten nichts Neues. Amtlich. Großes Hauptquartier, 23. Juni 1918.( 8. 2. B.)
Weftlicher Kriegsschauplatz. Seeresgruppe Kronprinz Rupprecht. Beiderseits der Somme hielt die rege Tätigkeit des Feindes an. Ein nächtlicher Angriff der Engländer bei Mor= lancourt zwischen Ancre und Somme brach in unserem Feuer zusammen.
Heeresgruppe Deutscher Kronprins. Französische Teilangriffe füdöstlich von Mert wurden abgewiesen. Südwestlich von Reims machten wir bei kurzem Infanteriegefecht mit Italienern 36 Gefangene.
Leutnant Löwenhardt errang seinen 28. Luftfieg. Der Erste Generalquartiermeister.
Ludendorff.
Der österreichische Bericht.
Wien , 23. Juni 1918. Amtlich wird verlautbart: Die Rämpfe an der Piave waren auch gestern weniger heftig, nur am Südflügel unserer Armeefront nahm der Feind nachmittags seine Gegenangriffe wieder auf; sonst überall Geschüßtampf. Die schweren, wolfen= bruchartigen Regen, die in der letzten Woche fast täglich über Benetien niedergingen und weite Strecken der Ebene unter Wasser festen, hatten für die Truppen die Lasten und Entbehrungen des Kampfes vervielfältigt. Die Piave ist zu einem reißenden Strom geworden, dessen Wassermassen wiederholt den Verkehr zwischen beiden Ufern auf viele Stunden unterbinden. Es ist nur unter den größten Schwierigkeiten möglich, ben Kämpfern an der Front den nötigsten Bedarf an Muni tion und Verpflegung zuzuführen; um so größere Anerkennung ist den braven Truppen zu zollen, deren Kampfkraft auch in noch härterer Lage ungebrochen blieb.
Der Chef des Generalstabes.
Ein großer Tag?
Eine allgemeine Aussprache ist zu heute im Reichstag angesetzt. Das bedeutet in der parlamentarischen Sprache einen " großen Tag". Der Reichskanzler ist zugegen, vielleicht redet er, sicher reden die Führer der parlamentarischen Fraktionen; es entspinnt sich eine Art Generaldiskussion zur großen Politik. Sachlich ist das Redegebiet fast unbeschränkt, jeder für die Gefamtlage wichtig erscheinende Gegenstand kann in den Kreis der Erörterungen gezogen werden. Die Stellung der Parteien zu den großen aktuellen Problemen, zur Regierung, zueinander wird flargelegt, neue bildkräftige Formulierungen für schwer zu definierende Verhältnisse entstehen, und vor dem zuschauenden Lande entwickelt sich ein farbenreiches und plastisches Bild der politischen Gesamtlage.
Das ist meist das Fazit der großen parlamentarischen Tage". Eine Beschreibung, eine Darstellung dessen, was iſt. Eine Darstellung, oft von Meisterhand, aber kein eigentliches Geschehen. Der mit den politischen Verhältnissen Vertraute erfährt nur, was er schon wußte, vielleicht etwas klarer, etwas fonkreter, als es ihm bis dahin vorschwebte. Nur wenn das sich entwickelnde Bild selten tritt der Fall ein nicht den allgemeinen Erwartungen entspricht, wenn es zu unvorhergesehenen Rusammenstößen, Spaltungen, Entzweiungen oder Vereinigungen kommt, nur dann hat man auch hier den Eindruc einer fortschreitenden Handlung, obwohl sie meist auch nur die Aufhellung eines bisher verborgenen Geschehens, eine Art Expositionsdrama ist.
Doch es kann auch wirkliche Handlung, wirkliche Tat in einer solchen Sigung geben. Das ist freilich der seltenste Fall, aber nur in ihm ist der Name große Sizung" wirklich am Plaze. Wenn von der Sigung eine unmittelbare Einwirkung auf das Weltgeschehen ausgeht, wenn sichtbare Aenderungen der Tatsachen durch sie hervorgerufen werden, erst dann entsteht der Eindruck, daß der große äußere Aufwand zu seinem tatsäch lichen Zweck im Verhältnis steht.
Wir wünschten gern, daß die Situng des Reichstags vom Montag zu dieser lezten Art gehöre, daß sie uns nicht nur schöne Reden bringe, sondern auch ein Geschehen, das dem deutschen Volke nügt. Wir möchten, um es kurz zu sagen, daß der Neichsfanzler die Gelegenheit benutzt, um uns dem Frieden näher zu bringen, indem er Ernst macht mit jener Friedensoffensive, von der in den letzten Wochen soviel die Rede gewesen ist.
Der Beschluß des Bolenklubs war einstimmig und ohne Debatte gefaßt worden. Er hat folgenden Wortlaut: Der Bolenklub nimmt zunächst den Bericht seiner parlamentarischen Kommission zur Kenntnis, protestiert gegen alle Versuche einer Paragraph- 14- Regierung und fordert sowohl grundsätzlich als angesichts der gegenwärtigen Lage nachdrücklich, daß die verfassungsmäßige Ordnung im Staate vollinhaltlich zur Geltung tomme. Geleitet von der Erkenntnis, daß die Erhaltung und Kräftigung der Monarchie im Interesse der polnischen Nation liege, erklärt der Polenklub seine Bereitwilligkeit, dem Staate zu bewilligen, was zur Erhaltung und Verteidi gung seines Daseins förderlich ist. Doch muß er gegen eine Regierung Stellung nehmen, deren Birken er für schädlich hält, wobei er sich von vornherein gegen den unbegründeten Vorwurf verwahrt, durch eine derartige der parlamentarischen Gepflogenheit entsprechende Stellungnahme die Interessen des Staates oder des Parlamentarismus zu gefährden. In der Erwägung, daß Ministerpräsident Dr. v. Seidler zum Schaden des nationalen polnischen Interesses gewirkt hat, daß seine Regierung es nicht ben, aber er will die Reife trosdem nicht abbrechen, derstand, das Ernährungsproblem zu lösen, und inft, weil er beswegen Angriffe in Schweden voraussieht. Uebrigens scheint Branting , welcher die Besserung der daß sein Regime den Parlamentarismus und den Be Kriegsfase ber Entente als Borausfegung einer stand der verfassungsmäßigen Ordnung gefährde, balbigen Berständigung über den Frieden betrachtet, in weiterer Erwägung, daß der Ministerpräsident gleichzeitig wäh- feiner Reise eher Privatcharakter beizulegen, da er sich rend der Verhandlungen mit dem Polenklub sich in Abmach un- wegen seiner Saltung auf der Londoner Konferenz nicht einmal gen einließ, welche den Bebensinteressen des polni mit dem an das vorjährige holländisch- skandinavische Komitee anschen Volkes zuwiderlaufen, sowie trop des noch rechts geschlossenen Agelrod und den unlängst zur Herstellung interträftigen, auch von Kaiser Karl bestätigten Handschreibens Kaiser nationaler Verbindungen hergesandten zwei Bertretern der antiFranz Josefs über die Sonderstellung des ungeteilten Galiziens es bolschewiftischen russischen Parteien ins Einvernehmen ſetzte. unternahm, hinter dem Rücken der Polen bindende Versprechungen Henderson zur Paßverweigerung gegen Troelstra . Graf Hertling wird es allerdings leicht haben, wenn er wegen der Zweiteilung Galiziens zu machen, endlich, daß der Amsterdam , 23. Juni. In einem Interview mit Vorwände sucht, um eine solche Friedensoffensive abzulehnen. Ministerpräsident die von ihm als vollberechtigt anerkannten wirt Neuter hat Arthur Henderson über den Beschluß der engli. Er kann auf die Reden der englischen Staatsmänner verweisen, schaftlichen Forderungen Galiziens nicht berüd- schen Regierung, Troelstra nicht zu erlauben, nach England die in das Ziel des Friedens durch den Sieg ausklingen, auf sichtigte und seine Zusagen nicht erfüllte, versagt der Bolenklub dem Ministerpräsidenten Seidler sein Bertrauen. Der Bobenklub zu kommen, erklärt, daß dieser Beschluß auf der Jahresver- die Verweigerung des Passes an Troelstra , die sicher als Sympsammlung der Arbeiterpartei in der nächsten Woche einige tom von Kriegslust und von Mangel an Verständigungswillen verlangt die sofortige Einberufung des Reichsrats und erklärt fich Enttäuschung hervorrufen werde. Es sei töricht, Troelstra zu werten ist, und auf manches andere mehr. bereit, mit den zur Majoritätsbildung willigen Barteien in Ber- als einen Deutschenfreund zu bezeichnen. Er sei ein Inter. handlung zu treten, um die Grundlagen für eine geordnete parla- nationalist, der unter den schwierigsten Um mentarische Tätigkeit zu vereinbaren.
Die Paßverweigerung gegen
Natürlich darf das nicht eine Friedensoffensive in dem Sinne sein, wie unsere Feinde das Wort auslegen, ein liftiges Friedensmanöver, das nicht auf den Frieden, sondern auf die Uneinigkeit der Gegner berechnet ist. Aber wohl eine Friedensoffensive, wie sie der geheimnisvolle Mitarbeiter der Kreuz zeitung " ganz richtig definierte: ein Friedensangebot, das sich nicht in allgemeinen Wendungen hält, sondern dem Gegner in bestimmter und konkreter Formulierung die Bedingungen ansagt, zu denen man Frieden schließen will.
Aber der große Dichter Dostojewski hat an einer berühmten Stelle einmal die Logit einen„ Stod mit zwei Enden" tänden tets eine neutrale Haltung gegenüber genannt. So find auch fast alle Diplomatenreden ein ,, Stock mit den beiden kriegführenden Parteien eingenommen habe. zwei Enden". Je an welchem Ende man sie anfaßt, nach der Bei der erheblichen Bedeutung, die Lloyd George der Hal- Richtung zeigen sie. Wir pflegen die Reden englischer Staatstung der englischen Arbeiterorganisationen beimißt, nimmt die männer aus psychologisch leicht verständlichem Grunde am Arbeiterpartei hoffentlich die günstige Gelegenheit wahr, dem Kriegsen de anzufaffen, und dann zeigen sie stramm nach Ministerpräsidenten die Taktik der Baßverweigerungen in einer der Richtung„ Krieg". Die Auffassung Brantings. Form anzumerken, die mehr als nur einige Enttäuschung" Immerhin gibt es auch eine Möglichkeit, diese Neden am berrät. Die Paßverweigerung ist in diesem Falle ein Beitschen- Friedensende anzupacken. Wir sehen sie z. B. verwirkStockholm, 23. Jyni.( Eig. Drahtbericht des Berwärtsschlag gegen die Arbeiterpartei, die Troelstra eingeladen hatte. licht in der Erklärung der drei holländischen Abgeordneten Bergens Aftenblad" veröffentlicht ein befremdendes Dresselhuys, Koolen und Rutgers. Dort sind eine Anzahl Reden Interview mit Branting, der vor der Reise nach England Amsterdam , 28. Juni. Arthur Henderson sagte gestern in von Wilson, Balfour , Asquith , Robert Cecil ust. selbst von steht. Branting bezeichnet Troelstras Befprechung mit einer Rede in Brighton , daß die Demokratien der Welt ieht an Smuts am Friedensende angepackt und eine Reihe Zitate aus Scheidemann als eine unvorsichtigkeit, welche die englische einem Kreuzwege ständen und daß eine verkehrte Wahl des ihnen angeführt, die den drei holländischen Friedensfreunden Regierung mißtrauisch machen müsse. Diese Kritik widerspricht eges zur Anarchie und zum Chaos führen könne, so deutlich zu verkündigen scheinen, daß es nicht nur mehr oder seltsam dem neulichen Vorwurf im" Socialdemokrat“, daß die daß dann der Militarismus weiter regieren würde. weniger einflußreiche politische Persönlichkeiten sind, wie der deutsche Partei das Londoner Memorandum unbeantwortet ließ. Von sonstigen Vorzügen abgesehen, ist die mündliche Unter- Wir ziehen den Weg vor, der zu einem Bund von freien Völkern kürzlich verstorbene Lord Courtney of Penwith , Lord Ladsredung bei dem heutigen Stande des Boftverkehrs der einzig und zu einer neuen gesellschaftlichen Ordnung, aufgebaut auf den downe oder Henderson, sondern daß iezt offizielle Bergangbare Weg der Berständigung, und daß die beutsche Grundsäßen der Gerechtigkeit und Gleichheit sönlichkeiten von der Regierung in England Partei ihn selbst aufsuchte, hat Branting, der fie neulich in einem führt. Wir wenden uns von dem zum Chaos führenden Pfade ab, großen Wert darauf legen, mit dem größten Nachdruck zu erZeitungsartikel aus der Internationale ausschloß, selbst taum er- denn wir wünschen nicht, daß die Gewalt an die Stelle der Nede wartet. Branting vermutet indes, daß die englische und deutsche trete. Wir wollen keine Revolution durch Gewalt, sondern eine brauchen um die Worte von Lloyd George zu geflären, erstens Chauvinistenpreffe ihr Möglichstes tat, um Troelstra bei der eng- friedliche Rekonstruktion unseres sozialen und daß lischen Regierung in schlechtestes Licht zu stellen, und hält einstweilen die Regierung fein einziges mögliches Mittel außer acht ge eine Aeußerung über die Ursachen der Baßverweigerung für noch wirtschaftlichen Lebens. Ich habe immer in der Arbeiterlafsen hat, um herauszufinden, ob es irgendeine Möglichkeit gab, nicht möglich, was vermuten läßt, daß er seine Neigung be- bewegung gelebt und ich habe vollkommenes Vertrauen in die auf ehrenvolle Weise aus diesem Krieg zu kommen;" wahrte, der Regierung Lloyd Georges, im Gegensas tonstitutionelle Methode und in die Möglichkeit sozialen und zweitens, daß sie im allgemeinen dem Gedanken nicht abzur Arbeiterpartei, mildernde Umstände zuzubilligen. Fortschritts sowie der Einsetzung einer besseren sozia- geneigt wären, daß der Friede durch Unterhandlungen Bersönlich beklagt Branting Troelstras Fernblei len Ordnung ohne Blutvergießen und Gewalt zustande kommen soll",
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