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Nr. 21 S 1H1S

Unterhaltungsblatt des vorwärts

Sonnabenö, 10. August

Zeffetballon vor!

Kurz nach Mitternacht ging unser Fesselballon hoch. Die Nacht ist sternenklar. Doch sind seltsamerweise keine Flieger zu hören. Langsam setzt sich unser Fug nach vorn in Bewegung. Eine Stunde später beginnt das Trommelfeuer. Es ist ein grogartiges Schauspiel. Dieses Flammen und Blitzen durch das Nachtdunkel. Begleitet von dem Nollcn und Grollen der Geschütze. Aber bald schmerzen die Augen. Geblendet von der Grelle des steten Lichtwechsels. Der Morgen dämmert. Ein leises Kitzeln in der Nase: Der Wind trägt die ersten Gasschwaden zu uns herüber. Der Gas- geruch wird stärker. Wie Nebelschwaden lagert es sich im Tali Steigt langsam den Hügel empor. Gasmaske auf! Bei der Offensive sind wir etwas weit nach vorn gekommen. Wir erwarten täglich, daß der Feind uns beschießt. Aber nicht? geschieht. Allmählich richten wir unS.häuslich' ein in der neuen Stellung. Bis eines Nachmittags als wir es am wenigsten erwarteten hui i i i rrum 1 richtig so eine schwarze Brenn- zünderwolke in der Lust hängt. Der Franzose schießt gut: bereits der zweite Schutz sitzt dicht vor dem Ballon. Aber schon sind auch wir fertig: im Nu ist alles abgebaut. Und als Klügere nachgebend, ziehen wir uns langsam zurück. Alle 3 övst Meier wird halt gemacht. Wird gewartet, bis die Schüsse wieder in unsere Nähe kommen. Dann geht es weiter zurück. Beim Durchschreiten eines kleinen Dorfes kommen einige kritische Minuten. Die engen Dorfstratzen und die vielen Fern- sprechleitungen, die die Straßen überspannen, halten uns auf. Zum Glück sitzen die nächsten Schüsse alle zu weit: rechts am Ballon vorbei. Endlich sind wir aus dem Dorfe heraus und damit glücklich entwischt. Der Gegner beschießt jetzt den Nachbarballon. Auch dieser geht ein Stück zurück. Aber anscheinend kann er nicht weiter ans- weichen. Denn jetzt beginnt er ein anderes Spiel: Schießt der Franzose hock, wird der Ballon tief eingeholt. Schießt der Franzose lief, io geht der Ballon wieder in die Höhe. Es sieht aus. als spielen die zwei Haichen! Ali will der eine den anderen necken I Und man vergißt sür Augenblicke, daß ei kein Spiel ist, sondern bitterer Ernst. * Nicht immer geht es so gut ob. Träge liegt alles in der MiltogSgkut, als der Ruf:.Einholeiil Flicgergefahr und das Bellen des AbwehrgesäiLtzes uns auf- schreckt. Unbekiimmert um die platzenden SchrappnellS, die leuchtenden Kugeln der Rcvolverkanonen, die Brandmuniton der Maschinengewehre stfecn drei Spad mit höher Geschwindigkeit auf den Ballon zu. Ehe dieser auf die vorgeschriebene Höhe heruntergeholt ist, sind die Flieger bereits da. Beschießen sie ihn. Der Beobachter springt heraus. Es ist die höchst« Zeit. Denn im Augenblick darauf fängt die Ballonhülle an zu brennen. Und als ein gewalliges Feuerwerk stürzt die brennende Hülle zu Boden. Ein Stück weiter landet der Fallschirm mit dem Beobachter auf einer kleinen Wiese. * Was für die Artillerie die Munition, ist für die Luftschiffer das Gas. Und so gehört zu den Borbeteitungen einer Offensive auch, daß Flaschen mit Gas so weit wie möglich nach vorn gebracht werden. Natürlich geschieht das nachts, um vom Feinde nicht be- obachtet zu werden. Aber da der Gegner vor einer Offensive meist etwas unruhig wird und vor allem nachts das Gelände und besonders die An- Marschstraßen unter Störungsfeuer nimmt, so ist daS nicht immer ein Vergnügen.... Der S.-Grnnd, durch den wir hindurch müssen, liegt unter schwerem Feindseuer. Hauptsächlich auf das Munitionslager im Dorfe P. hat er es abgesehen. In das Krachen der einschlagenden Granaten mischt sich das der explodierenden Munition. Kartuschen flammen auf in hellroter Glut. Ein Olfizier warnt unS: Halten Sie sich rechts, der Feind schießt in die Gegend links vom Dorf. Zehn Minuten später erklärt uns ein Unteroffizier: Haltet Euch links, der Feind be- schießt daS Dorf. Nun wissen wir überhaupt nicht mehr, woran wir sind. Auf gut Glück gehen wir weiter und kommen auch gut an dem brennenden Lager vorbei.--- Es geht auf Mitternacht. Wir sind noch etwa einen halben Kilometer von unserem Ziel entfernt, als dicht vor unS auf der

Straße einige Granaten einschlagen. Die Splitter fliegen uns um die Ohren, ohne uns zu treffen. Mit unglaublicher Geschwindigleit ist alles von der Straße verschwunden. Duckt sich rechts und link« in die flocken Gräben. Zum Glück erreichen wir gerade unseren Zug, als er an uns vorbei will. Rasch sind die Wagen entladen. Die Flaschen werden aufgestapelt und gegen Fliegersicht mit Gras und Zweigen zugedeckt. Zurück nimmt uns die Kleinbahn mit. Als wir unö auf der Rückfahrt dem Dorfe P. nähern, schießt der Feind gerade wieder mit schwerem Kaliber hinein. Uebcr unsere Kopfe fort sausen und heulen die Granaten. Kaum llX) Meter von der Stelle entfernt, wo das Kleinbahngleis durch den Grund führt, schlagen die Granaten ein. Brennen die Kartuschen. Der Zugführer setzt den Stahlhelm auf. Wie andern legen unS flach auf den Boden der Wagen. Ein paar bange Minuten. Taghell ist alles erleuchtet. Langsam o wie langsam gleiten wir durch die Helle. Tauchen wir wieder in das Dunkel ein. Die Gefahr ist vorbei. Wir atmen auf. Rascher rollt der Zug durch die friedlose Nacht.______ K. H. Lebensmittelfäljchung in alter Zeit. Wer ohne die nötige Erfahrung in Belgien oder in dem an- grenzenden Teile Frankreichs irgend e-tnxis Eßbares ersteht, kann abgesehen von Frischgemüse ziemlich sicher annehmen, einer Täuschung zum Opfer zu fallen. Es ist da völlig gleichgü-ltig, ob eS sich um Kakao handelt, der das wirkliche Aroma des kostbar ge- wordenen Labet runkes aufzuweisen scheint oder um ein verbotenes Sacharin-Tablettchcn, bei dem man eine Fälschung überhaupt kaum sür möglich halten sollte. In jenen Ländern scheint da? HaMver! der Lebensmittel- falscher schon recht früh zu hoher Blüte gelangt zu sein, was um so mehr Wunder nimmt, als die Preise für Lebensmittel dort abgesehen von dem höheren Wertstand des Geldes außerordent­lich niedrig waren. Bemerkenswerte Einzelheiten über solche Fälschungen gibt uns ein alteS Pergament aus dem Jahre 1481, in welchem ein französischer Burgherr, Jacques de Tourzel(Be- sitzcr zahlreicher Ländereien wie derjenigen r«m Allegre , BiverolS, Riols, LivradoiS, Saint-Just und ChomelyS) nachstehende Per- ordnungen erlassen hatte: «Jedem Mann und jeder Frau, die verwässerte oder schmutzige Milch verkauft haben, wird ein Trichter in den Mund gesteckt, die Milch wird ihnen solange eingetrichieri, bis entweder ein Arzt oder ein Bader bescheinigt, daß die Betreffenden, ohne in Todesgefahr zu geraten, nicht mehr davon aufnehmen können." Jeder Mann oder jede Frau,'die Butter verkauft haben, welche Rüben, Steine oder sonst einen Fremdkörper enthielt, wer- den fest an unfern Schandpfahl zu Ponte! gebunden. Die besagte Butter wird ihnen auf den Kopf geworfen und dort belassen, bis sie von der Sonn« zum Schmelzen gebracht worden ist. Man kann die Hund« zum Lecken heranlassen, das nicdeve Volk kann sie nach Belieben init Schiinpfworten belegen, sofern dadurch weder Gott , noch der König, noch andere beleidigt werden." Jeder Mann oder jede Frau, die verfaulte oder verdorbene Eier verkaust haben, werden ergriffen, an unseren Schandpfahl Pontel ausgestellt. Die erwähnten Eier werden den kleinen Kin- dorn überliefert, die sich nach Herzenslust und als fröhliches Spiel- ding damit vergnügen können, ihnen diese Eier ins Gesicht und auf die Kleidungsstücke zu werfen, um den Umstehenden Stoff zum Lachen zu geben; es ist ihnen jedoch nicht erlaubt, mit irgend- welchem anderen Schmutz nach den Leiten zu werfen." Wem steigt beim Lesen dieser Strafandrohungen nicht der Gedanke auf, daß ein Wiederaufleben dieserRechtsmittel" aus weit zurückliegender Zeit für die Gegenwart recht heilsam werden könnte?_ e. r. Eine Esperanto-�lussieUung. In Verbindung mit dem am 6. August eröffneten Esperanto- Kongreß in Gotenburg ist auch eine Ausstellung von Esperanto- büchern,-Zeitschriften usw. veranstaltet norden, die einige tausend Nummern umfaßt. In erster Linie findet man natürlich eine sehr reichhaltige Sammlung von Esperantolehrbüchern in 30 bis 40 Sprachen. Nach ihnen am besten vertreten ist die schöne Lite- ratur, teils durch Originalarbeiton in Esperanto, unter denen sich das fünfaktige Drama eines Deutschen über Gustav Wasa bestn- bot, teils durch zahlreiche llebersetzungen. Viele der hervor- ragendsten Werke der Weltliteratur sind jetzt schon in dcr Espe- ranto-Sprach? erschienen. Nicht einmal von der Usbersetzuna der alten griechischen und römischen Literatur ist man zurückgeschreckt. Werke von Shcakspeare, Moliere , Goethe, Schiller, Heine u. a fehlen nicht. Von den größten modernen Verfassern hat u. a. auch

Strindberg die Esperaitiv-Neberfetzer gelockt. Eine stattliche Ab- teilung innerhalb der Esperanto-Literatur nehmen die lieber- setzungen aus dem Russischen ein. Besonders reichhaltig sind Tur- genjew und Tolstoi vertreten, welch letzterer ja selbst ein Anbän- gar des Esperanto war. Auf Veranlassung der englischen Bibel- gesellschaft ist daS Neue Testament übersetzt worden; vom alten Testament find nur Bruchstücke zugänglich. Unter den ausgestell- ien Broschüren erregt insbesondere eine Reihe von KriegSschristen die Aufmerksamkeit. Zumal die deutsche KricgSliteratur ist fleißig in hie Weltsprache übertragen worden. Die Zeitungen- und Zeit- schristensammlung enthält die verschiedensten Arten von Blättern. Auch in der Politik bedient man sich de? Esperanto, wie u. a.'auS folgendem ZeitungStitel hervorgeht:Volksstimme, chinesische und esperantistische Wochenschrift für alles, waS zur Sozialrevolution führt und die zwischenstaatliche Verständigung fördert".

Einkochen ohne Ancker. In der jetzigen Zeit deS Einmachen« von Obst und Frucht- säfien für den Wintervorrat wird von den Hausfrauen schmerzlich der Zucker vermißt, der gerade zu diesem Zwecke in großen Mengen gebraucht wird. Das Einkochen mit Zucker ist allerdings das beste Mittel, um die Vorräte an Marmelade und Fruchtsäsien für die ganze Dauer des JahreS halkBar zu machen, aber da er jetzt in der nötigen Menge nicht zu beschaffen ist, so müssen eben andere Kdnservierungsmittel angewendet werden, denn eS gilt jetzt vor ollen Dingen nichts umkommen zu lassen, wie eS leiber so viel aus mangelnder Kenntnis der Hausfrau gelchiebt. Alkohol und Salicyl. die ebenfalls als vorzügliche keimtötende Mttel verwandt wurden, gibt eS auch nicht mehr, und die Benzoesäure, die seit langem als gutes Konssrviernngsmittel bekannt ist, kam für den Haushalt seither nicht in Betracht, da sie eine besonders schwierige Zuteilung erforderte. Die Not der Hausfrauen war daher groß, bis es vor kurzem nach Freigabe der nötigen Rohstoffe gestattet worden ist. in großen Mengen Tabletten herzustellen, die aus benzoesaurem Natron bestehen und deren Verwendung außerordentlich einfach ist: man braucht- nämlich immer nur je einem Kilo gekochten Obst oder Fruchtsaft eine Tablette, die einen Gramm Inhalt hat, zuzusetzen. Man löst eine Tablette in etwas warmem Wasser auf und fetzt diese Lösung dem fertig gekochten Material zu, ehe dasselbe erkaltet ist, rührt gut und ouS« reichend durch und füllt dann die Masse in trockene Töpfe oder Gläser, die man gut und dicht verschließt. Die«Benz-Natron- Tabletten', die in Packungen von 20 Stück zu je einem Gramm in allen Apotheken zu haben sind, eignen sich für alle Obsimarmeladen und Fruchtsäfte, die ohne Zucker eingekocht werken, gleich Vorzug- lich. Da die Gummiringe zum dichten Verschluß der Gläser fehlen, legt man am besten ein doppeltes, größeres Stück Peroa« mentpapier über die Oestnung und drückt oder schraubt dann den Deckel möglichst fest an; so behandelte Gläser, an einem kühlen, trockenen Ort auföewahrt, halten sich dann tadellos und ihr Inhalt verändert weder Farbe noch Geschmack. Notizen. Th e at e r ch r on i k. Im Friedrich-Wilhelmstädttschen Theater gelangt Sonntag, nachmittags 3 Uhr, z» volkstümlichen Preisen die Verdische OperVioletta" zur Aufführung. Zeitschriftenschau. Die MonatsschriftDie Weißen Blätter", die von Rene Schickele herausgegeben wird, kann in Deutschland wieder durch die Geschäftsstelle Berlin W. 10, Viktoria», stratze 2, bezogen werden. Eine orientalische Abteilung wird in der ,Kgl. Bibliothek eingerichtet. Sie soll die orientalischen Hand- schristen und Bücher zusammenfassend verwalten. Zu ihrem Leiter ist Dr. Gotthold Weil bestellt, der auch im Seminar für orient»- tische Sprachen tatarische UnterrichtSkurse erteilt. Deutsche K u n st in Bulgarien . Anfang Septem- bcr wird in Sofia eine Ausstellung deutscher Kunst eröffnet wer­den. Die Ausstellung wird ungefähr 400 Gemälde und 40 Werke der Bildhauerkunst der besten deutscheu Künstler aus den letzten!. hundert Jahren umfassen. Die G�'ssbischaft für Volksbildung versandte im Jahre 1917 an die Truppen im Felde und in den Laza- retten völlig unentgeltlich W3 717 Bücher und 36 038 Zeit- schristen, seit Kriegsbeginr. 87107b Bücher und 152 740 Zeit- schriften. Außerdem stellte sie ihre Lichtbild ersammlung (85 000 Lichtbilder) und Lebebilder(75 000 Meter) sowie die erforderlichen Bildwerfer zur Verfügung. Der Bericht hofft, daß die Bücher, Vildiverfer, Lichtbilder und Filme dem Heere auch in der FriedenSzcit erhalten bleiben solltvi. Dadurch würde eine geordnete Geistespflege im Heer« ermöglicht.

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vas gelobte LanS . Roman von W. St. R e y m o n t. Der junge Leopold Landau war einverstanden, es war ihm gleichgültig, wen er heiratete, wenn nur die Frau eine Mitgift in bar und in anständiger Höhe hatte; das Geld benötigte er zur Eröffnung eines eigenen Geschäfts, und weil Mela diese Mitgift hatte und ihm außerdem nach der Photo- graphie, die ihm die Brautwerber im geheimen verschafft hatten, gefiel, war er bereit, sie zu heiraten. Ob sie ihn liebte, ob sie klug oder dumm war, gesund oder krank, gut oder schlecht das war ihm schnuppe! DaS hatte er auch den Vermittlern gesagt. Gestern war er nach Lodz gekommen, um seine zukünftige Frau zu begutachten. Der Papa gefiel ihm sehr. Mela blendete ihn, und die Fabrik machte auf ihn den Eindruck eines glänzenden Ge- schäfts. DaS letztere verriet er aber dem Alten nicht, sondern machte im Gegenteil, alS er sich die Fabrik besah, ein ganz gleichgültiges Gesicht und schaute sich recht verächtlich die schon fertigen Tücher an. Lodzcr Ware!" flüsterte er. mit den Augen zwinkernd. Seien Sie nicht dumm, da« ist ein glänzendes Geschäft," sagte Grünspan hastig. Leopold ließ sich durch die große Offenheit nicht be- leidigen, beim GesckKft gibt's keine Empfindlichkeiten, klopfte dem Papa auf die Schulter, und sie kehrten in größter Eintracht zum Mittagessen zurück. Mela war sehr müde bei Tisch; sie hörte mit haß- erfülltem Herzen die Sosnowicer Komplimente Landau« an und flüchtete, sobald es ging, zu Rosa. Einen halben Tag habe ich gewonnen, aber was morgen sein wird, was später?" dachte sie jetzt, im Dunkeln liegend und auf den Vorhang blickend, durch den der Mond grünliches Licht ins Zimmer goß. das wie ein zitternder Staub auf dem hellen Teppich und auf dem dunklen Majolikaofcn glänzte;sie werden mich doch nicht zwingen? Nein," fügte sie entschieden hinzu uud dachte mit Abscheu au Leopold und an sein Eichhörnchengesicht: mit geradezu physischem Ekel erfüllte sie seine schrille Stimme und die wulstigen, schleimigen Regerlippe«.

Sic schloß die Augen und verbarg ihr Gesicht in den Kissen, um sich dieser Bilder zu entledigen. Nervös schauerte sie zusammen, wie bei der abscheulichen Berührung seiner kalten, schwitzenden Hände, die sie immer noch spürte; un- willkürlich wischte sie sich die Hand an der Bettdecke ab und schaute sie sich lange im Schimmer des Mondes an, voll Angst, ob diese Berührung nicht ihre Hände besudelt hätte. Sie fühlte, daß sie Wysocki mit der ganzen Macht ihrer Seele liebte, daß sie in ihm die ganze Welt, in der sie in Warschau aufgewachsen>var, liebte, die von ihrer heutigen Umgebung so ganz verschiedene Welt. Sie wußte es. niemals durfte sie Leopold heiraten, sie mußte sich allem Drängen des Vaters und der Familie widersetzen; für diesen Entschluß brauchte sie ihre ganze Energie auf. Später dachte sie nur noch an Wysocki, fragte sich nicht einmal, ob er sie liebte; zu sehr liebte sie ihn selbst, um seine Gleichgültigkeit zu merken und sich von ihr überzeugen zu lassen. Nichts hatte sie ihm heute von ihren Leiden erzählt, weil er so nervös und traurig war. Uebrigens fühlte sie sich sonderbar schüchtern in seiner Gegenwart, wie ein Kind, das Angst hat, Aeltcren sein Leid zu klagen. Schmevzlich hatte es sie berührt, daß er nicht mit ihr fahren wollte, aber sein fester Händedruck und der Kuß, den er beim Abschied auf ihre Hand gedrückt, erfüllten sie mit einem wonnigen Schauer. Regungslos lag sie so, lange Stunden, und rief sich die ganze Zeit ihrer Bekanntschaft und den gestrigen Abend in die Erinnerung zurück: ihr Körper straffte sich und sie ver- grub fester den Kopf in die Kissen, als sie sich an die Be rührimg seiner Hände und an �das Streicheln ihres Haares erinnerte. Ein nervöser, süßer Schauer durchlief sie. Und später, als schon die graue Dämmerung das Innere des Zimmers immer mehr erhellte, da dachte sie an die ihr bekannten Aerzte und an ihre Erfolge. Zwei Freundinnen hatten Aerzte geheiratet Und führten ein großes Haus, wie Frauen von Fabrikanten. Das be- ruhigte sie gänzlich, und mit den Gedanken, wie sie selbst ein Haus führen würde, in dem die ganze Lodzer Intelligenz sich versammeln sollte schlief sie ei». Sie wachte sehr spät auf, mit große» Kopfschmerzen. Die ganze Familie war schon beim zweiten Frühstück versammelt, als sie ins Eßzimmer trat. Sie fütterte zuerst die Großmutter und setzte sich an den

I Tisch, ohne aus die erhobene Stimme Sigismunds zu achten der laut etwas schrie. Grünspan ging wie gewöhnlich mit der mit Tee gefüllten Untertasse im Zimmsr auf und ab. Sein Gesicht strahlte. Laut schlürfte er den Tee und sprach zu Sigismund, der sich niit dem Essen sehr beeilte, well er nach Warschan fuhr. Ich sag' dir, Vater," begann Sigismund.Zuwarten ist unnütz, Großmann soll nur gleich raus fahren, er ist wirklich krank. Du nimmst dich mit Regina dcr Geschäfte an." Was fehlt denn Albert?" fragte Mela, die seit dem Fabriksbrand ihre frühere Neigung zu dem Schwager ver- loren hatte. Er hat einen Herzfehler, der Brand hat ihn sehr betrübt." Das war ein großes Feuer, ich hatte selbst Angst." Grünspan hielt die Untertasse hin, daß Mela ihm einschenke, und jetzt sah er erst ihre schwarz umränderten Augen und das graue, wie angeschwollene Gesicht. WaS bist denn heut so blaß, bist du krank? Unser Doktor kommt gleich zu einer Arbeiterfamilie, dann kann er auch dich untersuchen." Mir fehlt nichts, bloß schlafen konnte ich gar nicht." Die liebe Mela. ich weiß, warum du nicht schlafen konntest," rief er freudig und streichelte ihr zärtlich das Ge- ficht.Du hast an ihn bissel denken müssen, ich ver« steh' das." An wen?" fragte sie schroff. An deinen Zukünftigen. Er läßt grüßen durch mich, nachmittags kommt er her." Ich habe keinen Zukünftigen, imd wenn er kommt, dann kannst du ihn empfangen, Sigismund." Hörst du. Dater, waS die Dumme da erzählt?" schrie er wütend. Still, Sigismund, vor der Hochzeit reden alle Mädchen so." Wie heißt demr eigentlich der... Herr?" fragte sie, von einem neuen Gedanken erfaßt. Sie weiß es nicht I Was ist denn das für ein neuer Witz?" Ich rede nicht zu dir, Sigismund, dann laß du mich auch bitte in Ruh." Aber ich red' zu dir und du hast mich auch anzuhören!" schrie er und machte seine Uniform auf. was er immer tat, wenn er erregt war. mm foiuu