neue Zeme.
Mein Freund Osterberg ist ein Mann von außerordentlichen Einfällen. Er hat mindestens drei verschiedene Methoden, den Welt- krieg innerhalb Vierzeh» Tagen zu beenden und fast noch bestimmter behauptet er, die Hunderl oder mehr Milliarden, die der Krieg bis- ber dem Deutschen Reiche gekostet habe, seien leicht beizubringen. Es braucht nur auf jedes unnütze, hetzerische und menschenfressende Wort, das während dieser vier Jahre von den daheimgebliebenen Welteroberern und Länderverschlingern gesprochen oder geschrieben worden sei, ein Nickel- oder Eisengroschen Steuer gelegt zu werden. Heute erschien Osterberg in großer Erregung bei mir und trug mir die neueste Idee vor, die natürlich unbedingt in die Tat um- gesetzt werden müsse. .Hast Du gehört/ schrie er fast heraus,.hast Du gelesen, was der Beginn der e r st e n fleischlosen Woche für eine Wickung gehabt hat. Die� Preise für Geflügel, Kaninchen und sonstiges Zeug, daS der öffentlichen Bewirtschaftung nicht unterliegt, sind fabelhaft in die Höhe gesprungen. Huhn bezahlt man jetzt in Berlin mit 12 Mark das Pfund. Vernünftige Schlußfolgerung wäre die Erwartung fallender Preise für diese Sachen gewesen, damit im Interesse des allgemeinen Wohls, der Aufrechterhaltung der Stimmung und des vielbefchrienen DurchHaltens die Masten der Krieger sich eine Erleichterung für die Tage des Entbehrens der rationierten Fleischzuteilung hätten verschaffen können." .Vernünftig", sagt Osterberg immer, wenn er etwa« recht Un- sinniges nach üblicher Auffassung zutage bringt. .Den Massen", fuhr er fort,.hätte das zugestanden. Denn den dicken Kriegsgewinnlern und sonstigen Mitmenschen mit über- schwellendem Portemonnaie, die ihre Fleischkammer auch jetzt gefüllt haben oder sonst einen der bekannten Auswege beschreiten können, tun die fleischlosen Wochen ja nichts. Aber was geschieht? Für alle AuShilfslebenSmiitel wird mit einemmal der doppelte Preis gefordert und kein Mensch rührt sich, um dem Treiben Abbruch zu tun." Ich wagte einen Hinweis Alf die bekannte Lehre von Nach- frage und Angebot.-Aber er fuhr wild auf mich loS: ,WaS Nach- frage, was Angebot I Schamlose Ausbeutung einer Notlage ist es, sonst nichts. Fragt man nach dem Angebot, wenn die Mobil- machung befohlen wird? Oder wie steht es mit der Nachfrage der Spekulanten nach Gewehrschüssen und Granatsplittern, die doch zur Zerstörung ihres Geschäfts abgefeuert werden. Die lasten sie andere auffangen und nützen daheim eine zur Stärkung der Viehbestände getroffene Maßregel, eine Angelegenheit der öffentlichen Wohlfahrt, in der Weise aus, daß sie schleunigst tüchtige Wuchergewinne ein- streichen. Der Versuch einer gemeinnützigen Anordnung wird ins Gegenteil verkehrt, eS wird wieder eine Landplage daraus. Gesetze und Behörden versagen, eS muß die Selbsthilfe einsetzen. Wir müssen eine Feme errichten." schloß er mit dunkel« drohender Stimme. Lachte ich oder habe ich erschrocken ausgesehen? Dachte ich «inen Augenblick, er wäre wirklich übergeschnappt? Jedenfalls winkle er beruhigend mit der Hand und meinte:.Du brauchst nicht solch'«in Gesicht zu machen. Ich bin ganz klar und weiß, was ich spreche." Eigentlich weiß er das immer. Nur klingt eS manchesmal sonderbar..Eine Feme ." fragte ich,.was soll denn daS heißen?" Und Osterberg erklärte:.Entschuldige, wenn ich Dir ein wenig historisch komme. Die Feme , das Freigericht oder wie die Geschichts - forscher und Romanschreiber sie immer zu nennen belieben, war ein gutes, altgermanisches Rechtsinstitut. Sie stammte aus grauer Zeit, vielleicht vor den Karolingern, und wollte nichts anderes, als in Fragen, da das ordnungsmäßige Gericht ver- sagte, dem Verbrechen und der Willkür im Lande steuern. Die Feme.hat meistenteils, jedenfalls zur Zeit ihrer Blüie, die Irrwege vermieden, in denen die zünftige Gerichtsbarkeit oft genug wandelte. Sie verkörperte in den anarchischen Zuständen, die das Nittelalter mehr wie einmal heraufführte, den einfachen Begriff der Gerechtigkeit. Ihr war vom Kaiser der Blutbann übertragen worden zur Aufrechlerhaltung eines angemestenen Richterspruches i« Jahrhunderten, in denen die Aufsässigkeit und der Egoismus der aufkommenden Landesväter und Grundgebieter die Willkür auf den Thron setzten und das Vergewaltigungsprinzip als angeborene Machtvollkommenheit erklärten. Die Feme , die entgegen den Ammenmärchen unkundiger Ge- schichtenerzähler stets offenes Beding hielt und nur ber Nicht- erscheinen des Beklagten geheim verhandelte, war«ine Korrektur für fehlende Ordnung in Tagen des Ueberwuchern« geiler Selbst- sucht, st« setzte daS Wort.Recht " vor das Wort.Macht" und dämpfte den Uebermut der Gewaltmenschen, ohne die Zwickmühlen
juristischer Kniffelei; sie hat nachgewiesenermaßen niemals die Folter angewandt. UebrigenS kannst Du das alles in einem Fachwerk oder in einem Lexikon besser nachlesen. Also, wie gesagt, eine solche Feme brauchen wir." .Mit Blutbann." glaubte ich fragen zu müssen. .Schwätze kein Blech," erwiderte Osterberg.„Verstehst Du Latein? hlutato nomine de te fabula narretur. Das brauchst Du und überhaupt kein vernünftiger Mensch zu verstehen. Ich sags nur der Renommage halber. Also eS heißt: nur mit verändertem Namen handelt die Geschichte von Dir oder von mir oder von unS. Wir sollten eine Gesellschaft gründen, der alle ehrlichen Leute, Schöppen oder Freigrafen oder Fron« boten hießen sie bei der Feme , beitreten können und solle. Diese Gesellschaft sollte sich bemühen, in allen Fällen einnzugreifen, wenn die Gerichte und Behörden versagen in dieser bitteren Epoche. Schweige, wenn Du sagen willst, die ordentlichen Gerichte sind da. Hat doch erst in diesen Tagen ein gelehrter Herr vom Fach, ein wirklicher oder geheimer oder ganz geheimer Rat von der Justiz, öffentlich geschrieben, daß die StaatSanwaltschaslen und die be- rufenen Gerichte sich um offenbare Rechtsbrüche, wie die Landes- grenzenabsperrung oder die Verletzung des Postgeheimnisses, nicht kümmern. Doch kommen wir zur Sache und zum Schluß. Eine Feme , eine Gesellschaft der Ehrlichen wird gebildet. Sie gewinnt Tauiende, Millionen von Mitgliedern, von Schöppen. Sie springt auf den Plan, wenn die beamteten Stellen versagen in der Anarchie, die eingeristen ist. Wenn der Wucher solche Frechheiten begeht, wie jetzt bei den fleischlosen Wochen, ruft die Feme ihre Wissenden zum Stuhlgericht, zum öffentlichen. In den meisten Fällen werden die Beklagten nicht erscheinen. Nun, dann beschließt sie einfach. Z. B.: Der Geflügelhandel hat auS verwerflichen Gründen die Preise erhöht. Damit hat er sich eineS Verbrechens gegen das allgemeine Wohl schuldig gemacht. Der Geflügelzüchter ist mitschuldig an dieser Schandltat. Für ein halbes Jahr darf kein anständiger Mensch mehr Geflügel kaufen. Wer es dennoch tun will, verfällt der Acht und der Oberacht. Seine Bediensteten sollen ihn verlassen, seine Freunde sollen vor ihm auSspeien. Wer Geflügel kauft oder verkauft, ist unehrlich. Aus StandeSgenossenschaflen oder Gewerkschaften wird er auSaeschlossen. Und seinen Namen und die Namen der Wucherer werden in ein Buch eingetragen, daS auf dem Markte liegt oder an einer guten Stelle und das die Aufschrift trägt:„Hier stehen verzeichnet die Schurken, die in der Not des Volkes sich mästeten von den Bluttropfen der Armen." Und noch einige ähnliwe Mittel sollte die neue Feme anwenden gegen die gräßliche Loslösung aller verbrecherischen Instinkte, die der Krieg mir sich gebracht bat. Leb wohl, lieber Freund, ich mutz weiterarbeiten für die Neubelebung der Feme . Stock, Stein, Gras, Grün l" Mit diesem anhero noch unaufgeklärten Kennwort der längst modernden Freischöppen stürzte er' fort. Ob wohl auS seiner modernen Feme etwas werden wird?" HeinrichGoereS.
Die öirch und ihre Grille. Bor 50 Jahren, am 24. August, schoß Charlotte Birch-Pfeiffer , fast ein Menschenalter hindurch die.resolut-zugreifcnde Beherrscherin der Bühne", ihre müden, vom vielen Schreiben schon fast blind ge« wordenen Augen für immer. Sie, die in rastloser Arbeit dem Er- folg und dem Gesde nachjagte, hat viel Enttäuschungen, aber auch große Triumphe erlebt. Von ihren Hunderten von Stücken, deren Titel heule nur noch legendenhaft umgehen, wie„Hinko, der Frei- inecht",„DaS Pfeiferröil",„Die Marguise von Billette",„Franz Adelli und die Leichenräuber" usw. haben sich eigentlich nur drei bis vor kurzem auf der Bühne gehalten:„Dorf und Stadl" nach Auerbachs Roman„Lorle".„Die Waise von Lowood", nach dem typischen englischen Gouvernantenroman„Jane Ehre" und endlich„Die Grille" noch George Sands Roman„Fadette". Dieses Stück, das am 25. Dezember 1856 im Hamburger Thaliatheater das Bühnenlicht erblickte, hat sie endgültig für Jahrzehnte zur Lieblingsdichterin aller jugendlichen Schau- fpielerinnen gemacht. Friederike Goßmann , eine der unvergäng- lichsten Naiven der deutschen Bühne, schuf die„Grille", damit der Birch einen ungeahnten vekuniären Erfolg und sich selbst unsterb- lichen Ruhm und menschliches Glück. Die Bewunderung für die Goßmann, wo immer sie die Rolle spielte, kennt kein Maß und keine Grenzen.„Eine Naturwüchsigkeit dieser Art," heißt e§ in der „Neuen Freien Presse' von ihr,„ist mir noch gar nicht vor- gekommen. Was an ihr entzückt, würde an anderen mißfallen. Dazu ober ein solches Uebersprudeln, ein solches Sichgehenlasien bei der jungen Person, wie eS nur das geniale Naturell eingeben kann."
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eoöz. Das gelobte JTatiö.
I
Roman von W. St. Reymont. „Schade, daß ich nicht vor hundert Jahren gelebt habe." begann er in einem ungewohnten Ton. „Warum?" „Ich hätte mich besser auf der Welt amüsiert. Hundert Jahre her, da war's noch gut. Da gab's noch mächtige In- stinkte und mächtige Leidenschaften; wenn's Verbrecher gab, dann von dem Ausmaß eines Danton, Robespierre und Na- Poleon; wenn's Verräter gab. dann waren es solche, die ganze Völker verrieten; und ivenn's Diebe gab, dann solche, die ganze Staaten stahlen. Na, und heute? Kleine Taschendiebe und Messerhelden!" „Na, und du hättest auch in jener Epoche deine Chemi- kalien nicht zu fabrizieren brauchen." „Ich hätte was anderes zu tun gehabt, ich hätte RobeS- Pierre geholfen, der Gironde und dem Danton die Köpfe ab- zuschlagen, und BarraS hätte ich geholfen, die Rabespierres zu köpfen, um dann die noch ani Leben Gebliebenen mit Stöcken zu erschlagen und sie Hunden vorzuwerfen." „Und dann?" fragte Karl, ihn voll Unruhe anblickend, weil er mit geschlossenen Augen sprach und nicht ganz bei Bewußtsein schien. „Und dann würde ich den Damen Liberts, Fraternite. Egalitö ins Gesicht spucken, weil es ein Nonsens ist und stmtt. und ich würde hingehen und einem Großen helfen, die Welt von dem Gesindel zu säubern." Karl begann zu lachen und nahm gleichzeitig seinen Hut. „Gute Nacht!" „Gehst du schon? Bist ja erst anderthalb Stunden da." „Hast du die Minuten so genau gezählt?" „Aus Angst, daß du nicht noch länger bleibst. Aber jetzt genug von diesem dummen Zeug. Nächsten Sonnabend erwarte ich dich, ich erwarte euch alle." „Ich habe vor. an diesem Tag meine Braut zu be- suchen." ..Schick' einen Vertreter hin und sahre selbst erst Sonn- tag. Ich rechne bestimmt auf dich." Karl ging die Piotrkowerstraße entlang. Er suhlte sich noch mehr aufgeregt und müde, als vorher, bloß die
Sonnabend, 24. Mgust
So wenig man das Verdienst der Goßmann an dem Erfolg der„Grille" unterschätzen darf, so mutz man doch sagen, datz das Stück selbst sich bewährt hat. Nicht blotz so hinreißende Schauspielerinnen wie Friederike Gotzmann und Margarete FotmeS, die die Rolle in Berlin kreierte, neinf alle Nachfolgerinnen dieser ersten Grille haben die„Grille" zum Erfolg getragen. Auch von der beutigen Generation hat noch mancher auf einer Provinzbühne oder eiuem großstädtischen Vorstadltheater eine verspätete Grille zirpen hören. Die Dichterin selbst aber, wenn man dieser braven in Technik und Handiverk ausgezeichneten Schrift- stellerin diesen Ehreniitel geben darf, hat über ihre Stücke viel objektiver und richtiger geurteilk, als die Mitwelt, die sie mit Hätz und Nerd verfolgte. In einem Briefe an Laube, den der Alexander von Weilen in seinem Buche über die Birch-Pfeiffer und Heinrich Laube veröffentlicht, sagt sie:„Stücke, wie die„Grille". die, ohne äutzeren Wert, leinen Anspruch auf die Zukunft haben, rein Sachen der Mode sind, haben eine sehr kurze Zeit. Sind sie erst aus der Mode, so sind sie vorbei und niemand kann sie wieder in Kurs bringen." Ueber die Langlebigkeit der„Grille" hat sie sich getäuscht. Viele Jahrzehnte hat ihr Werl die Verfasserin überlebt, und wenn wir ihrer heute bei der 5l). Wiederkehr ihres Todestages gedenken, so wollen wir gerade mit Rücksicht auf Werke wie„Dorf und � Stadt" und besonders„Die Grille" gern Theodor Fontanes Urteil zustimmen, daß aller Spötterei zum Trotz„sie viel talentvoller gewesen ist, als ihre vornehmen auf sie niederblickenden Gegner." Das Vieöerauftauchen öer schwarzen Störche. ES ist noch gar nicht lange her, da wurde irgendlvo die Be- hauptung aufgestellt, datz der schwarze Storch(Holzstorch. Vicoma nigra L.), der im Laufe der Zeil allerdings immer seliener ge- worden ist, in Deutschland so gut wie ganz ausgestorben setz. Der Holzstorch ist nur an Brust und Bauch weiß. Er brütete früher zahlreich in ruhigen Waldungen der norddeutschen Ebene und blieb gewöhnlich von April bis August bei uns. Während in Nord- deutschland meist nur ein oder wenige Pärchen an einer Stelle beobachtet wurden, gibt eS in Ungarn Siedelungen bis zu zwanzig Nestern. Man kann freilich nicht sagen, datz der Holzstorch nützlich ist, denn er jagt auch auf Niederwild und Fische, aber bei der geringen Anzahl der schwarzen Störche fälli dieser Schaden überhaupt nicht ins Gewicht gegen die Einbutze, die unsere so wie so durch zunehmende Bodenkultur und übereifrige Jäger stark ge- minderte deutsche Fauna bei der gänzlichen Ausrottung des Holzstorchs erleiden würde. Noch ist es nicht zu spät. Er wurde jetzt nach lün- gerer Pause wieder in den Waldungen der Lüneburger Heide bei Celle gesichtet. Vorige? Jahr wurde er einwandfrei in den Oderwaldungcn bei Neusalz i. Schi, sestgestelltt. 1912 wurde er in den sumpfigen Strecken des Primkenauer Bruches nach langer Zeit wieder- gesehen. Noch Mitte der 90er Jahre brütete ein Pärchen rcgcl- mäßig im Horste unweit der Retschmühle bei Frankfurt a. Ol Dies nur einige wenige Beispiele I Nach§ 2 des NeichSgesctzcs vom 22. März 1888 bat der schwarze Storch vom 1. März bis 15. Sep- tember Schonzeit. Da aber bereits 1911 in ganz Deutschland nur noch etwa 120 Paare festgestellt wurden, so verdienen die schwarzen Störche eine größere Schonung, damit sie nicht wie die Reiher so gut wie ganz aussterben.' Notizen. — Im Friedrich-Wilhelntstädhischen Theater gelangt Sonntag, nachmittags 3 Uhr, zu volkstümlichen Preisen die Verdijche Oper„Violetta"(Öa Traviata) zur Aufführung. — Eine K un st anfrage. Von dem Reichstagsabgeordneien Bollert(Frankfurt a. O.) ist an den Reichskanzler folgende Anfrage ge- richtet worden:„Unwidersprochener Zeitungsnachricht zufolge ist-por kurzer Zeit ein Meisterwerk von Rcmbrandt aus dem Museum in Kolmar an das neutrale Ausland verkauft worden. Sind dem Herrn Reichskanzler die näheren Umstände bekannt, unter denen die AuSfuhrerlaubnis in diesem Falle erteilt worden ist, und welche Schritte gedenkt er zu ergreifen, um zu verhindern, datz berühmte alte Kunstgegenstände vor der Abwauderung nach dem Auslande bewahrt werden?" — Der Gibraltar -Tnnnol. Ueber den Plan, einen Tunnel unler der Meerenge von Gibraltar zu bauen, macht eine französische technische Zeitschrift einige nähere Angaben. Danach erscheinen die Schwierigkeiten der Ausführung durchaus nicht un- überwindlich. Die Entfernung zwischen den beiden Küsten beträgt elwa 25 Kilometer. Die Baukosten werden auf 250 Millionen Frank berechnet. Von der Ausführung des Planes verspricht man sich auch in Frankreich einen erheblichen Vorteil für den Handel.
dunkle Unruhe, die Gewissensbisse waren von ihm ge- wichen. Irgend ein Rest der früheren Stimmung steckte noch in seiner Seele. Er vergaß sie aber jeden Augenblick, weil in seinem Hirn die paradoxen Ausführungen KuroloskiS nach- Nangen. Auch ihrer entledigte er sich bald. Er nahm sich vor, gleich nach Hause zu gehen und sich schlafen zu legen, um sich für alle Zeiten auszuschlafen. Matthias spielte auf einer Harmonika, und einige Dienst- boten aus den Nachbarhäusern tanzten eifrig in dem langen, dunklen Gang. Er störte ihnen das Vergnügen und nahm' Matthias in die Wohnung mit. Max Baum war nichts mehr da, nur der zischende Samo- war stand noch auf dem Tisch. Er ließ sich das Bett machen und befahl, im Gang Ruhe zu halten, weil er sich gleich nach dem Tee schlafen legen wolle. Er tat es aber nicht. Als ihn nämlich die Snlle der Wohnung umfing, da packte ihn die Langeweile wie ein plötzlicher Krampf, so daß er nicht wußte, was er mit sich anfangen sollte. Er zog sich aus, legte sich aber nicht hin, sondern sah verschiedene Papiere durch und warf sie wieder unwillig auf den Tisch, blickre in Baums Zimmer, kehrte wieder um und schaute zum Fenster hinaus. Die Straße lag still da und ruhte nach dem Getriebe des Feiertags. Im ganzen Hause herrschte eine erdrückende Stille, und aus jeder Ecke der Wohnung kroch Leere und Langeweile heraus. Er konnte es nicht mehr aushalten in dieser Einsamkeit, zog sich rasch an. dachte nicht mehr an den Verdruß mit Emma und an den Entschluß, ein anderes Leben zu beginnen, sondern fuhr zu Lucy. XIII. Am nächsten Tag stand Borowiecki erst nachmittags auf, ausgeschlafen, erstischt und ganz ruhig nach dem gestrigen Gewitter, das vorübergezogen war. ohne in ihm eine Spur zu hinterlassen außer einem spöttischen Lächeln über sich selbst; heute hatte er vor, Müllers seine Aufwartung zu< machen. Er traf solche Vorbereitungen, daß Max unwillig brummte: „Possenhafter Liebhaber!" Max war heute nicht besonders gut gelaunt. Spät war er nach Hause gekommen, noch später war sr aufgestanden,
um zwei Uhr nachmittags, und schleppte sich jetzt in Morgen- schuhen in der Wohnung umher, schaute in alle Ecken rein und versuchte sich anzuziehen, aber alles war ihm nicht recht. Er warf Wäsche und Kleidungsstücke im ganzen Zimmer her- um, stieß alles wütend mit deni Fuß weg und schimpfte auf Matthias, dann auf die Wäscherin, daß sie ihm die Kragen verbrannt hätte, dann ärgerte er sich über den Schuster, weil mitten in seinen Schuhen scharfe Stifte hcrausragten. „Wonach hast' denn so'nen Katzenjammer heute?" fragte ihn Borowiecki, die Handschuhe anziehend. „Wonach? Der Schlag kann einen treffen von alledem. Gestern Hab' ich mir wegen Kuroivski den Abend verpfuscht. Da war er, empfing aber niemand, weil er irgendein Frauenzimmer bei sich hatte! Schon wütend ging ich nach Haus, na, und da Hab' ich beim Abendessen den Rest bekommen I Der Teufel hole alle Stiefel und alle Schuster!" Wütend schmiß er einen Stiefel zu Boden und fing an, sich schleunigst auszukleiden. „Was machst du?" „Schlafen geh' ich," sagte er finster.„Der Teufel hole alles, hier drückt mich der Schuh, da hat mir diese alte Kuh die Kragen verbrannt, zu Haus hat mau die reinste Hölle. das ist"schon wirklich zu viel. Matthias!" brüllte er aus voller Brust, x„wenn jemand heut' zu mir kommen sollte, bin ich nicht da. Ich war heut überhaupt nicht da, hörst du?" „Freilich hör' ich's. und lv�nn die... wie heißt sie doch gleich, daS Fräulein käme?" „Dann schmeiß sie raus, und wenn du mich weckst, dann dreh' ich dir den Kopf um. Setz' dem Telephon'neu Knebel ins Maul, bring mir den Samowar und alle Zei- tungen her." „Was ist denn bei euch passiert?" fragte Karl, ohne be- sonders über die Art erstaunt zu sein, wie Max die Feiertage und Sonntage verbrachte, weil es sehr oft vorkam. „Was? Von morgen ab verringern wir den Arbeitstag um fünfundzwanzig Prozent. Die Saison ist ganz tot. man verkauft nichts, das Magazin ist vollgestopft, Wechsel werden nicht eingelöst, und dazu kommt noch, datz der Vater, statt schon längst die Arbeitszeit einzuschränken oder die Hälfte der Arbeiter zu entlassen, immer noch, jammert, die armen Kerls würden nichts zu beißen haben, und verschiedenen Lumven Wechsel giriert. In einem Jahr wird er selbst nichts zu essen haben. Mag er verrecken, wenn ihm das so paßt, aber warum soll ich darunter leiden!"(Forts, folgt.)