Nr. 244. 35. Jahrg. 35. Jahrg.
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Donnerstag, den 5. September 1918.
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Hertling über Wahlreform und Monarchie.
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Kleinkämpfe beiderseits der Lys- Nückverlegung der Linien zwischen Scarpe und Somme im Französische Angriffe beiderseits Noyon abgewiesen.
Der Reichskanzler hat gestern im Verfassungsausschuß des Herrenhauses in seiner Weise ganz klar und ehrlich gesprochen. Er hat gesagt, daß er für das gleiche Wahlrecht eintritt, nicht etwa, weil er selbst sein überzeugter Anhänger wäre Gegenteil weiß auch er die Bedenken zu würdigen", sondern nur deshalb, weil es vom König versprochen ist. Das ist für den Grafen Hertling der entscheidende Bunft, und darum steht und fällt er mit der preußischen Wohlreform.
Mit überraschender Offenheit hat Graf Hertling gesagt, um was es sich hier nach seiner Ueberzeugung handelt: um nicht mehr und nicht weniger als um die Erhaltung von Krone und Dynastie. Der Gedankengang, den er hier leise berührt hat, ließe sich vielleicht nicht ohne Gewinn noch näher ausführen. Der Weltkrieg hat das monarchische Regierungssystem ins Wanken gebracht, er hat sein stärkstes Bollwert, den russischen Zarenthron, zertrümmert. Bleibt der monarchischen Gegenrevolution der Erfolg versagt, dann wird man von Lissabon bis Wiadiwostok durch Republiken reisen mit den beiden Unterbrechungen Spanien und Deutschland .
A
Im Weltkrieg selbst haben sich die Gegner aus dem demofratisch republikanischen Gedanken eine politische Angriffswaffe geschmiedet; die bescheidene Rolle, die die Könige von England, Italien und Belgien spielen, hat sie nicht gehindert, ihr Bündnis als einen Block der Weltdemokratie erscheinen zu lassen, der gegen Militarismus und Autokratie fämpft. Dies alles muß in irgendeiner Art und Weise seine Südwirkungen haben, auch nach Deutschland hinein, Rückwirkungen, über deren Wesen und Umfang man ein zutreffendes Urteil erst gewinnen wird, wenn die Drahtverhaue abgetragen find und nicht mehr bloß feindliche Fliegerposten einen seltsam berzerrten Gedankenaustausch zwischen den Bölfern vermitteln. Deutschland wird anders aus dem Kriege hervorgehen als es in ihn hineingegangen ist, und auch die Monarchie wird sich diesem Umwandlungsprozeß nicht zu entziehen vermögen.
Man begreift also, daß ein so eifriger Anhänger der monarchischen Staatsform, wie der alte Graf Hertling , nicht ohne Sorge um die Zukunft ist, und daß diese Sorge auf sein ganzes politisches Handeln bestimmend einwirft. Daraus erklärt sich auch seine Aufrichtigkeit, die über den Rahmen der politischen Klugheit vielleicht schon ein wenig hinausgreift, und sein inständiger Appell an die„ Edlen und Erlauchten", die Monarchie doch nicht einer allzu harten Belastungsprobe auszusehen.
Aber bei aller Aufrichtigkeit bleibt Hertlings Rede und noch mehr sein Handeln infonsequent. Gerade als Monarchist, der um die Zukunft der Monarchie besorgt ist, hätte Graf Hertling seinem König raten müssen, an seiner Stelle einen überzeugten Anhänger des gleichen Wahlrechts zum Kanzler zu machen, einen Mann, der gegen das Prinzip staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit feine antiquierten Bedenken hat, sondern seine Durchführung im schnellsten Tempo über alle Hindernisse hinivegbringt und der dies alles nicht der regierenden Familie, sondern dem Volfe zuliebe tut.
Ein solcher Mann hätte zugleich auch den von Hertling angestrebten Zwed ohne Bruch und Widerspruch erfüllen können. Hertling fann es nicht, denn jener Zweck kann doch nur nebenbei erreicht werden. Wird er aber als der eigentliche Hauptzweck hingestellt, so bekommt die ganze Sache sofort ein anderes Gesicht. Dann erscheint die Wahlreform nur noch als Mittel zum Zweck, als ein Bugeständnis, das von der Not der Zeit erzwungen ist und mit innerem Widerstreben gemacht wird, sie muß dann vollständig die Wirkung verfehlen, die dem Grafen Hertling als die wichtigste erscheint.
Ja, im September 1918 denft man in Preußen- Deutschland daran, Herrenhausrechte zu erweitern, um einer zuweitgehenden Radikalisierung" vorzubeugen!
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Berlin , 4. September 1918, abends. Amtlich.
Bisher sind keine größeren Kampfhandlungen gemeldet. Zwischen Scarpe und Somme fühlte der Feind an unsere neuen Linien heran. Zwischen Ailette und Aisne wurden erneute Angriffe der Franzosen abgewiesen.
Amtlich. Großes Hauptquartier, 4. Sep. tember 1918.( WTB)
Weftlicher Kriegsschauplak. Heeresgruppen Kronprinz Rupprecht und Boehn.
Beiderseits der Lys hat sich der Feind in ständigem Kampf mit unseren Bortruppen bis in Linie WulvergemNieppe- Bac St. Maur- Laventie- Richebourg vorgearbeitet. Unsere gemischten Abteilungen haben ihn in diesen Kleinkämpfen wirksam geschädigt und ihn durch Borstoß und Angriff Gefangene abgenommen.
An der Schlachtfrent zwischen Scarpe und Somme verlief der Tag ruhig. Wir hatten während der vorletzten Nacht unsere Truppen in Linie Ateng- Moeuvres- mnnancourt zurückgenommen. Diese seit einigen Tagen schon vorbereiteten Bewegungen wurden plangemäß und ungestört vom Feinde durchgeführt. Der Gegner ist erst am Nachmittage zögernd gefolgt. An der Front zwischen Moislains und Beronne hat der Feind seine Angriffe gestern nicht wiederholt.
Beiderseits von Noyon führte der Franzose stärkere Angriffe, die sich im befonderen gegen das höhengelände zwischen Champagne und Bussy richteten. Der Feind, der hier viermal am Vormittage und am Nachmittage vergeblich gegen die bewährte 231: Infanterie- Division austürmte, wurde ebenso wie an den übrigen Angriffsabschnitten rest los abgewiesen.
An der Ailette Erkundungsgefechte. Borstöße des Feindes gegen Coucy le Chataen scheiterten. Zwischen Ailette und Aisne sette der Franzose im Verein mit Amerikanern und Italienern nach stärkster Feuerwirkung zu ernenten Angriffen an; sie wurden vielfach nach erbittertem Nahkampf abgewiesen.
Wir schossen gestern 22 feindliche Flugzeuge und 7 Fesselballone ab. Leutnant Rumey errang seinen 30. Luftfieg.
Heeresgruppe Deutscher Kronprina. Südlich von Ripont brachten wir von erfolgreichem Vorstoß in die französischen Gräben Gefangene und Maschinengewehre zurüd. Der Erste Generalquartiermeister.
Ludendorff.
Der österreichische Bericht. Wien , 4. September. Amtlich wird verlautbart: Im Norden des Tonale- Passes entrissen unsere Hochgebirgeabteilungen dem Feinde durch überraschenden Angriff den Monte San Tattes( 3692 Meter), den Monte Mantello( 3636 Meter) und den Gletschergipfel( 3502 Meter). Diese Waffentat im ewigen Eis und Schnee stellt der Kampftüchtigkeit der den schwersten alpinen Verhältnissen gewachsenen Angreifer ein besonderes Zeugnis aus. In den Sieben Gemeinden lebhaftere Erkundungstätigkeit. Sonst nichts von Belang. Der Chef des Generalstabes.
Horstmar , Herzog Ernst Günther zu Schleswig- Holstein , Prinz v. Schönburg- Waldenburg , Dr. Freiherr v. Schor lemer , Graf von der Schulenburg- Grünthal, Graf v. SeidlipSandreczki, Graf v. Waldersee , Dr. Wermuth, Dr. Wilms, Dr. Graf Yord v. Wartenburg .
Der Bresse sollen amtliche Mitteilungen über den Gang der Verhandlungen gegeben werden. Es wurde beschlossen, zu er st die Wahlrechtsvorlage, dann die Herrenhausvorlage und zuletzt die Verfassungsvorlage zu beraten. Es sollen zwei Lesungen stattfinden.
Die Erörterung eröffnete
der Reichskanzler:
Meine Herren! Ich möchte mir gestatien, ehe Sie in die beratung der Materie selbst eintreten, ein ganz kurzes Wort zu Ihnen zu sprechen; nicht, daß ich Ihnen erst den ganzen
Ernst der Stunde
und die Tragweite der zu fassenden Beschlüsse vor Augen zu bringen hätte davon find Sie ja alle selbst vollständig durchdrungen. Wir fönnen sagen, daß zurzeit die Augen aller politisch interessierten Kreise, nicht nur in Preußen, auf das Herrenhaus und die zu fajsenden Beschlüsse gerichtet sind, aber ich halte es wohl für zwedmäßig, den Herren gleich anfangs die Stellung und den Standpunkt der Königlichen Staatsregierung mit aller Bestimmt- heit zum Ausdruck zu bringen. Die Königliche Staatsregierung jieht es als ihre Aufgabe an, das in der Julibotschaft ausgesprochene fönigliche Wort dem Sinne nach zur Erfüllung zu bringen.
Wie von Kriegsbeginn an alle Söhne des Vaterlandes in gleicher Weise sich ihrer Pflicht bewußt gewesen sind, in gleicher Weise das Vaterland verteidigt haben, mit Aufbietung aller ihrer Kräfte, wie hier von sozialer Differenzierung nicht die Rede war, sondern hoch und niedrig, arm und reich, Gebildete und Ungebildete in gleicher Weise diese ihre Pflicht erfüllt haben, so soll auch nach dem Kriege im Frieden, den wir erhoffen, feine soziale Differenzierung in der einfachst en politischen Betätigung, im Wahlgeschäfte, stattfinden.
Das ist der Sinn, in dem ich von Anfang an das königliche Wort verstanden habe, das ist der Sinn, in dem ich seinerzeit, als ich dem zum zipeiten Male an mich ergangenen Ruf Seiner Majestät des Kaisers und Königs nachgekommen bin und trotz aller Bedenken das schwere Amt auf meine alten Schultern genommen habe, meine Aufgabe betrachtete, das war die Verpflichtung, die ich meinerseits übernommen habe, der ich entschlossen bin, der Verpflichtung mit allen meinen Kräften nachzukommen,
mit der ich stehe und falle. Aber darauf kommt es ja gar nicht an. Um die Person von weinistern handelt es sich nicht. Jeder, der nach mir an diese Stelle treten wird, wird sich vor die gleiche Aufgabe gestellt sehen und barum ist es unfer aller Aufgabe, den Weg zu suchen und zu finden, der zur Einlösung des föniglichen Wortes führt.
Meine Herren! Ich sagte schon, auf die Person von Ministern fommt es nicht an, aber es handelt sich auch nicht mur um die ministerielle Verantwortlichfeit im gewöhnlichen staatsrechtlichen Sinne,
es steht viel mehr auf dem Spiele.
Nach meiner ehrlichen Neberzeugung handelt es sich, meine Herren, in dieser schweren Frage um den Schuh und die Erhaltung von Krone und Dynastie.
Finden Sie also den Weg, der zu einer Verständigung führt! In der Gestalt, in der das Abgeordnetenhaus die Vorlage an Sie hat gelangen lassen, sieht die Staatsregierung feine Möglichkeit der Zustimmung, wie das auch schon gesagt worden ist. Finden Sie also einen Wen, der dem königlichen Wort vollauf gerecht wird und
der den Bedenken, die Sie hegen, möglicht entgegenkommt. Ich habe schon im anderen Hause, in Abgeordnetenhause, gesagt, daß ich die Bebenten der Herren gegen die Einführung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts vollkommen zu würdigen weiß. Aber, meine Herren, diese Bedenken müssen in der Zeit, in der wir leben, zurückgestellt werden hinter die größere Aufgabe, die wertvollsten Güter unseres staatlichen Lebens,
Dynastie und Krone, zu schüßen.
Die ganze Rede des alten Grafen Hertling ist gleichsam durchbebt von der Furcht vor einer zu weitgehenden Radikalifierung". Die Wahlreform mit den geplanten und von Hertling wie er das Kindlein der preußischen Wahlreform mit warmen gebilligten Sicherungen erscheint nur noch als Mittel in einem Segenssprüchen dem Edlen Oldenburg von Januschau in die System der elastischen Verteidigung: man nimmt seine Linien Arme legt. Sein Gesicht hätten wir sehen mögen...! zurück, um sich etwas weiter hinten desto stärker einzugraben. Graf Hertling will die Wahlreform durch das Herrenhaus Diesem Zweck sollen die Sicherungen, soll insbesondere die Er- für die Krone. Wir aber wollen alles für das Volk und weiterung der Rechte des Herrenhauses dienen. durch das VoIf. Da klafft ein Abgrund! Wo ist die Brücke? Die Eröffnung der Beratungen. Rede des Reichskanzlers. Ueber den weiteren Verlauf der Generaldebatte im Herrenhaus meldet uns der amtliche Bericht nichts. Jedoch hören wir, Berlin , 4. September. ( WTB.) Die Kommission des daß Hertlings elastische Verteidigung wenig Anhänger hat. Herrenhauses zur Vorberatung der Ver- Ueber das Tempo, in dem Sie diesen Weg suchen und finDie Herren schwören auf das starre System, wollen sich auf fassungsvorlagen ist heute zusammengetreten. den, eclaube ich mir keine Vorschläge zu machen. Auch den ReichsKompromisse nicht einlassen und beabsichtigen, den Entwurf des Vorsitzender ist der Graf v. Behr, Stellvertreter der Herzog tagsabgeordneten ich sage das, um falschen Nachrichten in den Abgeordnetenhauses gründlich umzumodeln im Sinne eines zu Trachenberg . Schriftführer ist v. Somnig und sein Stell- Beitungen entgegenzutreten habe ich gesagt: In der Sache bin berufsständischen Wahlrechts! Das würde dann, bertreter Dr. Becker. Die Berichterstattung über die Ver- ich ganz fest; bezüglich des Tempos bitte ich mir freie da solche kindischen Pläne nicht die geringste Aussicht auf Ver- fassungsvorlage und die Herrenhausvorlage hat Graf Yorck, über Hand zu lassen. Und so sage ich auch, meine Herren, es wird wirklichung haben, auf die Verschleppung hinauslaufen, die Wahlrechtsvorlage zum Abgeordnetenhause Graf v. Walder- unsererseits fein Druck auf Sie ausgeübt werden; wir werden Sie als deren Wirkung der Reichskanzler schwere Erschütte- fee; Mitberichterstatter für die sämtlichen Vorlagen ist der Ober- in fachlicher Weise jederzeit zu unterstützen beceit sein, daß sie in rungen befürchtet. bürgermeister Koch- Kaffel. Der Kommission gehören außerdem absehbarer Zeit zu einem Resultat gelangen. Jeder auffeimende An solchen Erschütterungen trügen dann aber diejenigen an: Arnhold, Graf v. Ballestrem, Dr. Ebbinghaus, Graf Verdacht eines Verschleppungsversuch es würde der Agi= schuld, die in schwer zu übertreffender Verblendung die wichtigste zu Eulenburg- Prassen, Dr. Hillebrandt, Dr. Johansen, v. Som tation Nahrung geben und zu schweren Erschütterungen führen. innerpolitische Angelegenheit des Reiches dem Herrenhaus zur nig, Dr. Krohn, Koch, Dr. Loening, v. Oldenburg - Ja- Meine Herren! Ich habe schon gesagt, jedec, der nach mir an Entscheidung übertragen haben. Rührend dieser Graf Hertling , nuschau, Plate, Dr. von Rath, Remy, Dr. Fürst zu Salm- dieser Stelle steht, wird dieselbe Aufgabe aufnehmen müssen; er