2. Beilage zum„Vomiirts" Berliner Volksblatt.Die Arveiterin Ven Schwefelgrnve« Siziliens.Die nachfolgende Schilderung der Zustände in den Schwefel-gruben Siziliens ist die wortgetreue Uebersetzung eines kleinenKapitels des soeben in Mailand erschienenen Buches von A d o l s oR o s s i, betitelt„1/.Agitation in Sicilia." Die Bewegungin Sizilien. Im Hinblick aus die süngsten Ber-urtheilungen.— Eindrücke und Urtheile. DasBuch wird demnächst- in deutscher Uebersetzung er»scheinen und durch die greifbare Anschaulichkeit der Dinge,die es schildert, und die heute brennender sind als je, allediejenigen, die an der Arbeiterbewegung Europa's Antheil nebmenaufs Höchste fesseln. Wie die neuesten Berichte aus Sizilie»lauten, kann jeden Augenblick ein erneuter, flammender Hanger-und Berzweiflungs- Ausbruch der Bauern und Schmeftkarbeilererfolgen.Adolfo Rossi, dies ist vor allem zu betonen, ist kein Sozialist.er ist ein bürgerlicher Journalist, der im vorigen Jahre, kurzvor Antritt der Crispr'schen Herrschaft für die„Tribuna" in Romdie nachfolgenden Schilderungen schrieb, und die„Tribuua" istbeute ein C r i s p i n i s ch e s Organ. Dies giebt den hierfolgenden Darstellungen gewiß auch i» den Augen der Bourgeoisieeinen höheren Werth. Aver Adolfo Rossi ist ein ehrlicherMensch, der wahrheitsgetreu die Eindrücke wiedergiebt, die erempfängt.Es wird dem Leser des„Vorwärts" besonders anziehendsein, in dieser kurzen Skizze auch De Felice zu begegnen undZüge seiner Persönlichkeit in sich aufzunehmen, des Märtyrersder sozialen Idee für Italien, der für achtzehn Jahre lebendigbegraben im Kerker zu Florenz sitzt, nachdem soeben der obersteGerichtshof als treues Organ der korrupten herrschenden Willkürin Italien das Kassationsgesuch De Felice verworfen hat.Die Kammer in Rom ist in die Ferien gegange», nachdem siedie unerhörtesten r u s s i s ch- d r u t a l e n Unterdrückungs-gesetze Crispi's angegommen hat.Aber für Sizilien hat die Kammer sich wohl gehütet,auch nur das Geringste zu thun. Es war eine Kom-Mission gebildet worden, die Resormen für eine neueAgrar-Gesetzgebung der unglücklichen Insel zu gunstender Arbeiter machen sollte. Die sreiheitsmvrderischen Orgien.mit denen die Kammer schloß, ließen keine Zeil mehr, die Reform-Vorschläge zur Spracke zu bringen. Es ist diese crispinischeVolksvertretung, wie bürgerlich-radikale Blätter betonen, das ärgsteSchandmal eines Landes, das die parlamentarische Geschichte derWelt kennt.So sind noch heute die unglücklichen Land- und Minen-arbeiler Siziliens— zumal unter dem BelagerungszustandMorra's— hilflos und rettungslos ihrem Schicksal überlassen.Der Verfasser schildert, wie er auf seiner Rundreise inSizilien beim Besuch der Schweselgruben von Virdilio, mitDe Felice zusällig zusammen traf, der mit Garib ldi Bosco zurEiniveibungsseier eines Fnscis in einer benachbarten größerenOrtsgemeinde eingeladen war, und er fädrl also fort:Sln einer gewissen Stelle, während wir die Gebirgsgegendüberschritten, die Campobcllo von de» Schwesilgruben trennt,sahen wir in der Enlscrnung einen kleinen rhackilischen Knabenvon neun oder zehn Jahren, der halbnackt über die Felder floh,gefolgt in einer Entsernung von etiva 200 Meiern von einemMann ohne Mütze, die Kleider weiß vom Scknvefel, der, umbesser laufen zu können, sich die Schuhe ausgezogen hatte undden flüchtigen Knaben mit Zeichen wildesten Zorns bedrohte.Es ist ein Häuer(Picconiere), sagten uns die Bauern,� dereinen entflohenen Caruso einzufangen sucht. Wenn er ihn säugt,so sckündel er ibn lebendig über die Festtage. Das sind Dinge,die alle Tage geschehen!Ja, diese Tinge geschehen alle Tage, aber es ist tue rohestcBarbarei, die in zivilisirten Ländern nicht geduldet werden sollte!Diese Flucht des Knaben und diese Verfolgung vor Augen, schienes mir. als wohnte ich einer Szene bei aus„Onkel Toms Hütte"von Beecher-Slöve bei.Die Carusi sind, wie bekannt, im AllgemeinenKnaben von acht bis fünfzehn oder achtzehn Jahren.die aus der Schulter das Schwesclmineral aus den tiefenGalerien und Schachten zur Oberfläche tragen müssen, wobeisie durch die engsten Gänge zu klettern und sich hindurchzu winden haben. Tie Picconieri, das sind die Männer,die mit ihren Hauen das Mineral in de» Galerien heraus-arbeilen, verschaffen sich einen oder mehrere der Carusidurch Uebereinkunft oder Verabredung mit den Eltern derKnaben für eine Summe, die von I(X) bis 150 Frankswechselt, aber, wohlgenierkl, nicht in baar, sondern in Mehl oderGetreide zu bezahlen ist. So wie ein Lastlhier gekauft, gehörtder Caruso dem Picconiere genau wie ein wahrer Sklave. Erkann nicht frei werden, bis er die genannte Summe zurückerstaltelhat und da er nur wenige Cenlesimi für den Tag verdient, sodauert seine Sklaverei viele, viele Jahre hindurch. Er wird miß-handelt sowohl vom Vater, der ihn nicht befreien kann, als aucivom Picconiere, der ein Interesse daran bat, ihn so lange alsni Sgl ich auszubeuten. Und wenn er zu fliehen versucht, giebt eseine wilde grausame Jagd, wie wir es soeben gesehen haben.Aber so haltet doch den Picconiere auf! schrien wir denenvom Fascio zu....... �.Einige Mitglieder erreichten ,hn wirklich ,n der Thal undhielten ihn s-st. Aber nach einer kurzen Unterredung sahen wir.daß sie ihn wieder gehen ließen..„...Er ist in seinem Recht, sagten sie uns. als sie zu uns zurückkamen Ter Caruso gehört ihm.Wen» es sich um'olch ein Durchgehen handelt, sagte unsein Caruso, der Theil au unserem Gefolge nahm, so will dasnoch nichts sagen. TasfSchlimmste ist nur. wenn der Piccon,ereden Stock gebraucht. In der vergangene, i Woche wurde der13 jährige Caruso Angeleddu von seinem Plccvmere m,t achtSiock'chlägen gerödtet..„Und wurde der Piccomere nicht verhaftet sMan verhaftet sie niemals. Wer kümmert sich um dieCarusi? Wenn die Carusi von ihren Herren gel ödtet werden.so sind sie für die Behörden immer eines natürlichen Todes ge-siorben. Vor kurzem starb in den Schwefelgruben von Ticuzzaein anderer Caruso infolge eines Fußtrittes in den Leib.Wie heißes, Tu?, ragte ich den Caruso, der nur dieseGreuelthaten erzählte. Filippo Taglialana von Campobcllo. Ichbin 13 J<chre alt. Ich arbeite als Caruso seit sum 3nj)ie" undbin in Schulden bei meinem Picconiere um 25 Franks, die ichbcjciWcn fönn.,Mir zogen sehr traurig weiter. Um S'/e Uhr gelangten wirnl der Schwefelgrube La'Mintina, wo am 10. Juni li-36 einunvorhergesehener Erdsturz in oen Galerien 142, sage ein-hunderrziveiundvierzig Menjchen, Picconier, sowohl wie Carusitödtete. Tie ausgebeuteten Galerien werden nämlich niemalswieder gefüllt oder gestützt, und die überaus große Anzahl, dieeine große unterirdische Höhle bildete, hatte den Elnstlirz herbei-geführt.In einer Bodensenkung fanden wir an einer Seite einigeOefen errichtet, wo man das Mineral reinigte, umgeben voneinem großen Haufen desselben Minerals. Hier und dort sahman eine Art von Nischen in einer Vermauerung des Erd-bodens. Es waren die Grubeneingänge.Vor ihnen standen vollständig nackte Knaben von9—14 Jahren und Picconiere gleichfalls in adamitischem Kostüm,nur mit einem kleinen von Bindfaden gehaltenen Lappen überden Geschlechtstheilen.Diese Gruppen von Knaben und Erwachsenen mit tief-brauner Haut, die sich von dem verbrannten, nackten Boden ab-hoben— nur an einigen Abhängen sah man Sträucher vonKaktus und indischen Feigen— schienen keine Italiener, sondernAfrikaner oder Hindu zu sein.Aber das Schauspiel macht nur von weitem du-ch seineNeuheit den malerischen'Eindruck, in der Nähe preßt er dasHerz zusammen.Die Carusi tragen an ihrem ganzen Körper deutlich sichtbardie Wundmale der Leiden, denen sie ausgesetzt sind. Zur Arbeitgenommen im Alter von acht oder neun Jahren haben sie ge-wöhnlich durch die übertriebene, angespannte Mühsal krummeSchulter» oder verrenkte oder verkrüppelte Beine. Die Auge»liegen lies in ihren Höhlen wegen der unzureichenden Ernährungund die Stirn dieser Kinder ist von vorzeitigen tiefen Runzelngefurcht. Das Gesetz, das die Kinderarbeit beschütze» sollte undnach welchem kein Knabe das Sklavenamt eines Carusi tragendürfte, wenn er noch nicht 12 Jahre alt ist, bleibt in Wahrheilvöllig unbeachtet.Alle Carusi, die ich fragte, haben ihre Sklavenarbeit mitacht oder neun Jahren begonnen Ter größere Theil sagte mir,daß er noch nicht fünfzig Cenlesimi des Tages verdiente, unddaß dieser Lohn ihm nicht in Geld, sondern in dem schlechtestenMehl und zu einem Preise ausgezahlt würde, der weit höher sei,als der laufende Mehlpreis in den benachbarten Orten.Und wenn wir krumme Beine machen, fügte einer hinzu—das beißt, wenn wir nicht schnell mit unserer Last die Leiternhinaufsteigen—, dann giebt es Siockschläge.Und wie viel Stunden arbeitet Ihr? frage ich.Gewöhnlich zwölf.Stunden hintereinander, von vier Uhr bisvier Uhr, nnd zwar sechs auseinander folgende Tage hindurch,während welcher wir hier schlafen, am siebenten Tage gehen wirnach Hause, um dort zu schlafen.Und wo schlaft Ihr hier?Aul der Erde oder in jenen Höhlen, und sie zeigten mireinige Höhlen, wahre Wohnungen von Troglodylen. Die Glücklichsten, fügten sie hinzu, schlafen dort.Und sie führten mich unter ein Schuppendnch, das an einemOfen angesügt war, und dessen ganzes Mobiliar aus einerhölzernen Pritsche ohne Strohsack bestano. Am Fuße dieserPritsche nahmen soeben einige Carusi mit ihm Picconiere dasMittagessen ein. Sie aßen trockenes Brot und Zwiebeln.Trinkt Ihr keinen Wein? fragte ich.Wein? wiederholten sie und sahen mich erstaunt an, undwer wird uns welchen geben? Halle» wir wenigstens Wasser.Es ist ja nicht einmal Wasser da. In den Stunden, in denenwir schlafen sollten, müssen wir einen langen Weg machen, umein iveuig Wasser zu holen.Wieviel Gänge vom Grund der Mine machst Du imDurchschnitt täglich mit Deiner Last Schwefel? fragte ich einender Carusi.Fünfundzwanzig Ginge für siebenundzwanzig Saldi hinaufund hinunter durch einen Minenschacht von fünfzig Ruthen(huuderlundbrei Meter).Andere Carusi sammelten sich um nns. Alles ruinirte Ge-schöpfe, ruinirt durch die übermäßige Arbeit und durch die BerHinderung ihrer körperlichen Eutwickelung: wahre Bilderverhungerter Sklaven.Kaum Hörle» sie, daß wir uns über ihr Geschick erkundigtenso suchten sie irgend welche Lumpe», die sie über ihren Körperleglen. um sich uns zu nähern und uns zu erzählen wie sie be-handelt werden.Es war ein herzzerreißendes Schauspiel. Einer vondiesen Unglücklichen Halle sehr kluge Augen und beant-worlete mir Schnelle und Geistesgegenwarl unsere Fragen.Aber der gröbere Theil erschien stumpfsinnig durch ihre Leidenund diese halten alle einen verschleierten und erloschenen Blickmit bläulichdunklen Augenhöhlen.Wir versuchten in«inen Grubenschacht der Mine LaMinlina hineinzusteigen, aber er war so eng, steil und gefährlichzu durchschreiien, daß wir, nachdem wir wenige Meter vor-gedrungen waren darauf verzichten mußten den Abstieg fortzu-setzen.Es erschien uns ganz unmöglich, daß die armen Carusi ausdem tiefen Grunde dieses Loches ihre schweren Lasten Schwefel-Mineral auf ihren Schultern binanfschleppen konnten.Wir versuchle» darauf in einen etwas weiteren Schachteinzudringen und wurden zu dem Eingang der Nummer drei derMine Virdilio geführt, in welcher nicht weniger als eintausend-dreihunverl Picconieri und Carusi arbeiieten. Zwei von diesenletzten, die eben ihren Turnus beendigt hatten, erboten sich,De Felice und mich zu begleiten, während drei Häupter derSchaar sich vor den Eingang des Schachtes stellten, um dasEindringen der andern zu verhindern.Bei' dem zitternden Lichte von zwei kleinen Oellämpchen, diedie Carusi trugen, begannen wir in jenen Minenschacht hinab-zusteigen. Wir mußten dabei beständig gebückt gehen unduns mit den Händen an der Gesteinswand stützen. Diein der Gesteinsmasse ausgehöhllen Stufen sind höchstunregelmäßig, bald hoch, bald niedrig, bald an denKanten abgestoßen, bald trocken und mit Staub bedeckt, baldweiß und schlüpfrig.Wir waren wenige Meter vorgedrungen, als wir schwacheLichter im Grunde erblickten. Es waren die Lämpchen einigerCarusi, die, gekrümmt unter ihrer Schweiellast, heraufstiegen.Bald hörten wir Angst- und Klagerufe. Es waren die Seufzerdieser Unglücklichen, die man immer deutlicher vernahm, je mehrdie kleinen Träger sich uns näherten: Es waren Seufzer undKlagen der zarten, keuchenden und unterdrückten Geschöpfe, diesüblien, daß sie nicht mehr aussteigen und vorwärts gehe» konntenund die doch, koste es, was es koste, vorwärts schreiten und auf-steigen mußten, aus Angst, daß ihre Picconieri sie bemerken undmit Siockschläge» antreiben oder ihnen die Kniekehlen mit einerLampe versengen würden.Sowohl ich als De Felice kühlten, wie uns das Herz brachbeim Anhören des Slöhnens und der Klagen dieses Biarlerzngesder kleinen Paria. Und als wir uns an die feuchteWand drücken mußten, um die unter ihrerLast gekrümmten Carusi vorbeizulassen undihre mißgeformten Beine unter der La st zift-terten.da ergriff uns ein solcher Anfall vonüberwältigendem Mitleid, daß wir begannenzu weinen wie zivei kleine Kinder.Ist es möglich! rufen wir aus.— Ist es denn möglich, daßman eine solche Infamie eine so lange Zeit hindurch und bisheute dulden kann!?Wir wußten Beide, da wir den Bericht Jacini über dieLage der Landarbeiter und andere Untersuchungen gelesen hatten.die bis heute durch alle Regierungen hindurch ganz unfruchtbargeblieben sind, was die Carusi wären, aber kein Schriftstellerder Well kann jemals eine hinreichende Vorstellung der Wirk-lichkeit dem geben, der sie nicht selbst in jenen Höllengruben derSchweselminen gesehen hat.Wir hielten einige von ihnen auf und erleichterten siefür einen Moment ihrer schweren Last, die aus einem Sack vollkleinerer Schwefelstücke und aus einem großen Stück des Schwefel-Minerals bestand.— im Ganzen eine Last für diese Kaden vonvierzig bis fünfzig Kilogramm.Wir stellten fest, daß die Haut ihrer Schultern und dieHaut des ganzen Rückens aufgeborsten und entblößt, feuerrothoder mit Schwielen und schwärzlichblauen Narben bedeckt war.Wir schritten weiter vor, und uns zur Linken wendend,begegneten wir in einem zweiten Theil des Schachtes mit höherenund noch gefährlicheren Stufen als früher bald anderen Zügenvon Carusi, die gekrümmt unter der schrecklichen Last, hinauf-stiegen und unaufhörlich jenes stöhnende Klagen erschallen ließen»das unser Herz zerriß.Man beachte wohl, daß diese Nermsten nichts davon wußten,daß irgend jemand in die Grube hinabstieg, um die Schwefel»minen zu untersuchen, in der sie arbeiteten. Wir stiegen in dieTiefe der Grube Virdilio, ohne daß einer ihrer Picconiere oderder Carusi davon wußte und erfahren hatte. Gekrümmt und ge-beugt unter ihren Schwefelsäcken sahen uns die Carusi beimVorbeikommen nicht einmal.Ich hörte in ihrem Dialekt einen von ihnen zu einem Ge-fährten, mit dem er zusammen aufstieg, mit weinenderStimme sagen: So müde bin ich! ich kann nicht mehr den Sacktragen! ich lasse ihn zur Erde fallen!Bei einer dritten Wendung des Schachtes traf ich einenblonden Caruso, der überwältigt von der Mühsal nicht mehraufsteigen konnte. Er hatte seinen Schwefelbündel neben sichauf den Boden gelegt und niedcrgekauert über einer Treppen-stufe weinte er stillschweigend. Er hatte blaue Augen mit ganzroth geschwollenen Lidern und große Thränen liefen über seinehohlen fahlen Wangen herab.In nieinem Leben habe ich als Journalist in Italien, inFrankreich, in Deutschland, in England, in Afrika und inAmerika Schreckensszenen jeglicher Art beigewohnt: Er-schießungen, Aufhängungen, Lynchunzen, Blutgemetzel undTodesfällen jeder Art sowohl in den Lazarethen als anderswo.Kein Anblick aber hat mich jemals so tief erschüttert, als derberSchwefelgruben Virdilio. Diese barbarische Arbeit, so zartenKnaben ausgelegt— die in dem Zustand, in welchem sie lebe»,auch noch Opfer der Päderastie und anderer Greuel sind— isteine That fache, die zum Himmel um Racheschreit! Sie ist die Verneinung jedes ur»fprünglichsten Grades von Menschlichkeit.Man muß sich schämen, in einem Lande geboren zu sein,wo solche Greuel der Barbarei noch heute existiren!rostales.'Tie städtischen Flust-Bade-Austalten werden nicht, wieuns kürzlich ei» Leser in einem„Nothschrei" über die Mangel-haitigkeit dieser Anstalten schrieb, fast ausschließlich von derSchuljugend per Freikarte besucht�, sondern erfreuen sich auch inden Kreisen des noch leidlich zahlungsfähigen Publikums einerziemlichen Beliebtheit. Sie wurden beispielsweise im Sommer1393 von 334 964 frei badenden und 218 835 zahlenden Per-soncn besucht. Da das Eintrittsgeld nur 5 Pfennig beträgt, soerreichten natürlich auch die Einnahmen nur die bescheideneHöhe von 10 941 Mark. In den Schwimmanstalten ist dieZahl der frei Badenden noch geringer. Sie betrug 1893 nur31 226 Personen, während 317 753 Personen zahlten. Trotzdembclief sich auch hier die Einnahme nur auf 39 323 M. Beidiesen geringen Einnahmen läge es nahe, die städtischen Bade-und Schwimm-Anstalten, oder wenigstens die Bade-Austalten,dem Publikum überhaupt vollständig ,rei zu geben. Dem Stadt-säckel würde damit nur wenig geschadet, aber der Gesammtheitwürde außerordentlich genützt. Es giebt gewiß genug Leute,denen auch 5 Pfennig für ein Bad noch zu theuer ist. dieaber andererseits den Gang zum Armenkommissions-Vorsteherverschmähen und am Ende diesem auch noch nickt be-dürftig genug erscheinen würden. Befördert wird also dieNeigung zum Baden durch die Erhebung der 5 Pfennig auskeinen Fall. Und doch ist ein reinigendes, erfrischendes,kräftigendes Bad ebenso ein unabweisbares Bedürsniß als esgewisse andere Bedürfnisse sind. Darum erscheint es uns ebensounverständlich und unverständig, für die Darbietung einer Bade-gelegen heit— und noch dazu einer so primitiven, wie es diestädtischen Anstalten sind— Entgelt zu fordern, als wenn manfür die Benutzung der Retiraden Bezahlung nehmen wollte. Aberwenn die völlige Freigabe der städtischen Badeanstalten bishernoch nicht erfolgt ist, so liegt das wohl weniger an Kauserigkeit,— was wollen 11000 M. sagen!— als an der Furcht vordem Einbruch des„sozialistischen" Prinzips in die städtische Ver-waltung. Bisher bat man sie noch nach Kräften gegen diese?schreckliche Unglück zu schützen gewußt. Wir erinnernnur an die Ablehnung der sozialdemokratischen Anträge auf An-stellung von Schulärzten, auf allgemein unentgeltliche Lieferungvon Lehrmitteln, auf allgemein unentgeltliche Desinfektion u. f. w.Sie wirkt manchmal geradezu komisch, diese Furcht vor demBazillus des Sozialismus; so z. V.. wenn Schulrath Bertramim April 1892 bei Berathung des Projektes der Schnl-Brause-bäder meinte, eine„sozialistische" Gefahr, die etwa von dieserEinrichtung zu befürchten sei, könne man vielleicht durchErhebung von 5 Pfennigen abwenden. Empfindsame Seelenkann man gelegentlich auch äußern hören, die Un-entgeltlichkeit drücke solche Einrichtungen zu Almosen-anstalten herab und würde diejenigen, welche zwar auchnickt viel in die Suppe zu brocken haben, aber doch zahlenwollen, weil sie nichts geschenkt baben mögen, beschämen undverscheuchen. Als ob sich je einer durch die Unentgeltlichkeit von derder Benutzung Retiraden der Parkanlagen, der Museen ec. hätte ab-schrecken lassen!„Beschämend" ist die Unentaeltlichkeit nur dann,wenn daneben Bezahlung üblich ist, und sie wird es nachträglich,