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zwischen Gesetzgebung und RechtZübung biS zur Unkenntlichreit zu verwischen und mehr und mehr die an sich dem Gesetzgeber zukonnnende Aufgabe zu übernehmen. Die Ergänzung des Ge- setzes ist nicht Aufgabe der Rechtsauslegung, welche die Thätig- keit der Gerichte vor allem in Anspruch nimmt, auch dann nicht, wenn die Gesetzgebung hinter den Bedürfnissen der Zeit zurück. bleibt und eS unterläßt, ihre Vorschriften den veränderten Ver> bältniffen entsprechend umzuformen und anzupassen. Die deutsche Strafrechtspflege hat bereits bei der Auslegung des Unfugspara- graphen mit Deutlichkeit erkennen lassen, daß sie die alte Rechtsregel Jura criminalia sunt strictissimae interpretationis nicht mehr als giltig und bindend anerkennt, weder zum Vortheil für sie. noch zum Nutzen für Staat und Gesellschaft; denn die Kluft zwischen der Rechtspflege und der Rechtsüberzeugung wird durch solche Auslegungskünste, welche die gesetzlichen Vorschriften au' Thatbestände und Vorkommnisse anwenden, an die der Gesetz- geber nicht gedacht hat, noch hat denken können, immer tiefer. Die Rechtsprechung ist nicht dazu da, dem Gesetzgeber die Arbeit zu ersparen, welcher er sich zu unterziehen sonst wohl oder übel genöthigt wird; die erweiternde Gesetzesauslegung hat, abgesehen von anderen Nachtheilen, auch das Mißliche, daß durch sie die Mangel- und Lückenhaftigkeit des bestehenden Rechtszustandes einigermaßen verborgen bleibt. Gegen den Boykott den Unfugs- Paragraphen anzuwenden, ist rechtlich ebenso unstatthaft, wie die Beurtheilung dieses Vorganges nach den Bestimmungen über Er Pressung." Der Staat In Gefahr. Wegen zweier rothen Fahnen ist am Sonntag Morgen um VU Uhr eine Kremserfahrt an der Ecke der Gitschincr- und Brandenburgftraße unterbrochen worden Der RauchklubTabaksduft" machte in 3 Kremsern einen Aus fing von dem Wirthshause Rachfahl in der Waldemarstraße aus nach einem Lokal in Wannsee  . Die beiden ziemlich großen Fahnen steckten zu beiden Seiten an dem Musikwagen. Als der Zug an der genannten Ecke anlangte, sielen zwei Schutzmänner den Pferden in die Zügel und ordneten die Entfernung der rothen Abzeichen an. Glückliches Berlin  ! Nochmals bist Du durch das schneidige Eingreifen der Polizei der Gefahr entronnen. In Ruhe können nun die Philister wieder sich der Vertilgung von Ringbier hingeben. Zeugen gesucht! Diejenigen Radfahrer vomKlub Uckermark", welche Zeuge waren, wie ein Wirth in S ch i l d h o r n am Sonntag, den 29. Juli, einige Gäste mit Gunmüschläuchen mißhandelte, werden gebeten, ihre werthe Adresse an August Blume, Reinickendorserstr. LS, v. 4 Tr., gelangen zu lassen. Der bunte Nock muß vor dem.Zivilpack" unbedingt etwas voraus haben. Gewöhnliche Menschen werden, wenn sie Nachts auf der Straße zu singen wagen, eingelocht und erhallen ein Strafmandat wegenruhestörenden Lärms". Anders die Soldaten. Die Montagsnacht gegen 12 Uhr passtrte eine größere Abtheilung Soldaten die Her m a n n stra ß e in Rix d o r f in der Richtung nach Berlin  . Ob die Herren Offiziere, die entweder den Gesaug befohlen oder aber doch sttllsckuveigend geduldet haben, wohl der Ansicht waren, die Rixdvrfer Arbester brauchen keine Nachtruhe? Die Beerdigung des Brauerei-Arbeiters Dwarkowsky von der Brauerei Gregory gestaltete sich zu einer kleinen Demonstration zu gunsten der ausgesperrten Brauerei-Arbeiter. An dem Leichcnbcgängniß, welches am 30. Juli Nachmittags 4 Uhr stattfand, nahm das gesammte Personal der Brauerei Gregory theil. Kurz vor Abgang des Trauerzuges erschien eine Deputation der von dieser Brauerei ausgesperrten Arbeiter, welche einen Kranz mit großer rother Schleife gespendet hatten, auf dem die Widmung stand:Unserem lieben Kollegen und Genossen Dwarkowsky Gewidmet von den ausgesperrten Arbeitern der Brauerei Karl Gregory". Der Umstand, daß nur dieser eine Kranz hinter dem Sarge getragen wurde, trug ganz besonders noch dazu bei, daß ihm die Aufmerksamkeit Aller zu. gewandt wurde, nicht zum wenigsten-qcn dem erschienenen Personal der Brauerei Gregory. Der Wissensdrang der Arbeiter, io«qreimch er ist, fo bewegt er sich doch häusig nach einer falschen Richtung. In Bezug auf das Erlernen der Stenographie, das jetzt auf der Tagesordnung steht, geht uns von kompetenter Seite folgendes Schreiben zu: In Nr. 170 desVorwärts" ersucht der Vorstand der Arbeiter- Stcnographenvereine Deutschlands  (System Neu- Stolze) die Arbeiter und Parteigenossen, namentlich der größeren Städte, überall Stenographen-Vereine zu gründen. Bei dem in Arbeiterkreisen herrschenden Bildungsiriebe erscheint es nicht ver- wunderlich, wenn man die Stenographie mit ihren geheimnißvollen Schriftzügen als eine Kunst betrachtet, deren Ausübung bildend und belehrend wirken müsse. Aus diesem Grunde mag wohl im ersten Jahre des Bestehens der Arbeiter-Bildungsschule auch dort der Unterricht in der Stenographie eingeführt worden sein, der jedoch bald wieder aus dem Lehrplan beseitigt wurde. Später wurde eine fast nur von Arbeitern benutzteStenographieschule" errichtet, über deren Wirken wir nicht unterrichtet sind. Es ist daher angebracht, auf eine Gefahr hinzuweisen, die den Arbeitern durch die Pflege eines für sie ganz werthlosen Sports entsteht, und deren Größe jm allgemeinen noch sehr unterschätzt wird. Der Dang der Arbeiter, ihr Wissen immer mehr zu vergrößern, erfordert es, daß dieselben sich in Anbetracht der langen Arbeits zeit und der nur kurzen Zeit, welche ihnen hierzu zur Verfügung steht, sich nur dem Studium solcher Dinge hingeben, welche auch wirklich eine Vermehrung ihres Wissens herbeiführen. Das ist aber keineswegs die Stenographie. Zu einer Fertigkeit, 1S0 Silben in der Minute zu schreiben, bedarf es in jedem System fast eines Zeitraumes von einem Jahre. Diese Leistung ist aber kaum ausreichend im geschäftlichen Verkehr. Das Nachschreiben einer Rede erfordert aber eine Leistungsfähigkeit von mindestens drei- hundert Silben. Zu einer solchen Höhe bringen es aber kaum 8 pCt. aller Lernenden, zum geschäftsmäßigen Gebrauch iso Silben in der Minute kaum 10 pCt. Also 90 pCt. aller Lernenden haben große Opfer an Geld und noch größere Opfer an Zeit gebracht. Die vielen Vortheile, welche die Kenntniß der Stenographie den Arbeitern bringen soll, sind nicht vorhanden und existiren nur in den Köpfen der Propagandisten der ein- zelnen, sich heftig bekämpfenden Systeme, und in diesen Kampf wird jeder Anhänger seines Svstems mit hineingerissen. Für diejenigen aber, welche trotzdem Lust und Liebe zur Stenographie zeigen, sei das Folgende gesagt: Bei der außerordentlichen liehen Feinheit der stenographischen Zeichen erfordert es neben der Kenntniß der Sprache, orthographischen und grammatikalischen Richtigschreibens, vor allen Dmgen eine vollständig ausgeruhte und sichere Hand. Schwere Arbeit macht den Gebrauch der Stenographie unmöglich. Auch Kausleute und Schreiber mit schlechter und unsicherer Hand sind nicht einmal im Stande, es nur zu einer mittelmäßigen Leistungsfähigkeit zu bringen. Möge daher jeder Arbeiter, ehe er sich zur Erlernung der Stenographie entschließt, das Vorhergesagte wohl überlegen und für eine Sache keine Opfer bringen, die er im Interesse seines Wissens für andere der allgemeinen Bildung wirklich dienenden Lehrgegenstände besser und vortheilhafter verwenden kann. Zum Rector magnificus   ist gestern 7 Uhr Abends für das neue Verwaltungsjahr der hiesigen Universität ein Theologe gewählt, Professor Dr. Otto Pfleiderer  , Professor für neu- testamentliche Exegese. Dekan der theologischen Fakultät ist der Kirchenhistoriker Professor Dr. Adolf Harnack geworden. Dekan der juristischen Fakultät: der Vertreter des Kirchenrechts Geheimer Justizrath Professor Dr. Paul H i n s ch i u s. Dekan der Mediziner: Professor Dr. H e r t w i g, Direktor des zweiten anatomischen Instituts. Dekan der philosophischen Fakultät wurde der Geograph Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Frhr. v. Richthosen. Die Uebergabe des Rektorats erfolgt bei dem Festakte der Gründungsseier, am 3. August, Mittags 12 Uhr, in der Aula. Eine Familienkatastrophe, die an den Fall Seeger in der Großen Hamburgerstraße erinnert, hat sich in dem Hause Swine« münderstraße 30 zugetragen. Dort wohnt im zweiten Stock die Familie des 85 Jahre allen Schlossers Mar Patschowsky, die außer der gleichaltrigenlEhefrau, geborenen Pauline Eleck, aus dem 10jährigen Knaben Karl und dem 7jährigen Albert besteht. Alle vier Personen wurden am Dienstag Vormittag um 11 Uhr in der Wohnung erhängt als Leichen aufgefunden. Am Sonnabend wurde Patschowsky zum letzten Male lebend im Hause gesehen Sonntag früh kam die in der Höchstestraße wohnende Mutter der Frau Patschowsky in das' Haus Swinemünderstraße 80, um ihre Tochter zu besuchen, erhielt aber keinen Einlaß. Vom Hofe aus sah sie nun an dem Küchenfenster ein schwarzes Tuch flattern und wurde dadurch derart beunruhigt, daß sie sich zu dem Verwalter des Hauses, dem Schutzmann Rumplasch, begab, um sich nach den Augehörigen zu erkundigen R. wußte von nichts, glaubte vielmehr, daß die Familie P. aus- gegangen sei. Dienstag früh erschien der Stiefvater der Frau wieder bei dem Schutzmann und sprach die Vermuthung aus, daß ein Unglück vorliege, beantragte auch die polizeiliche Oeffnung der Wohnung. Die aus Stube und Küche bestehenden Räumlich- leite» wurden jetzt gewaltsam geöffnet. In der Stube an einem Kleiderriegel, zwischen Ofen und Thür, hingen alle vier Insassen der Wohnung an Stricken und waren bereits in Verwesung übergegangen Auf dem Tische lagen verschlossene Briefe, einer an einen Kollegen Patschowcky's. der in den Elektrizitätswerken bcschästigt ist, außerdem ein Zettel an Frau Rumplasch mit 42 M., der di» Worte enthielt:Anbei 42 M. Micthe für die Monate August und September 94. Betrag liegt diesem Zettel bei. Hochachtungsvoll Max Patschowcky. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Ehepaar im gemeinsamen Einverständnis erst die Kinder und dann sich selbst erhängt hat. Unheilbare Krank heit soll die Veranlassung dazu gegeben haben. Die Leichen wurden um 2 Uhr Nachmittags nach dem Schauhause abgeholt. Die verschlossenen Briefe, die vielleicht einen näheren Anhalt bieten, sind von der Polizei in Verwahrung genommen worden. Weiter wird uns noch berichtet, daß die Faniilie Patschowsky seit April d. I. die Wohnung innehatte und die Miethe pünktlich bezahlte. Zum Oktober hatte P. gekündigt, da ihm der Weg nach den Elektrizitätswerken in der Äckerstraße zu weit war. P. litt nicht blos an der Schwindsucht, sondern auch an der Wassersucht, sodaß er sein baldiges Ende voraussah. Er hat also zweifellos die That mit der Ehefrau zusaunnen begange», um die Familie nicht mittellos zurückzulassen. Vor Ausführung der That hat sich die Familie noch besonders gütlich gelhan; davon zeugen mehrere leere Weinflaschen, die auf dem Tische standen. Um nicht gestört zu werden, hatte man die Korridorthüre ver- schloffen, den Schlüssel stecken lassen und außerdem die Sicher heitskette vorgelegt. Vielleicht hat man außer der neuen starken Schnur Gift gebraucht, denn ein mit einer trüben Flüssigkeit halbgefülltes Glas wurde auf dem Tische gefunden und von der Polizei beschlagnahmt. An dem Riegel hing zu nächst der Thüre der jüngere, dann der ältere Sohn: ihm folgte der Vater und am Ofenende hing die Mutter. Die Leiche des Mannes befand sich bereits derart in der Auf- lösung, daß die abtropfende Flüssigkeit durch die Decke in die untere Wohnung drang. Es muß daher Wunder nehmen, daß man den Vorfall nicht früher an dem durchdringenden Geruch bemerkt hat, zumal da die Mutter der Frau P. schon Sonntag keinen Zugang fand. Das in der Wohnung gefundene Geld ist infolge der Ausdünstung beschlagen, ebenso est ein Kessel, der im Zimmer stand, mit Grünspan überzogen. P. war ein guter und fleißiger Arbeiter und verdiente trotz seiner Krankheit wöchentlich 24 M. Seit etwa 6 Wochen war er der Arbeitsstätte fern geblieben, um angeblich Aufnahme in einem Krankenhause zu suchen. In dieser Zeit muß der grausige Plan nach und nach zur Reise gediehen sein. Die tropische Hitze des Montags, eines der heißesten Tage dieses Sommers, hat ein Opfer gefordert. Am Vormittage uni SVe Uhr fand der Pförtner des Hauses Zionskirchstr. 53 im Flur einen Mann auf einer der untersten Treppenstufen sitzen, der auffallend abgespannt zu sein schien. Als der Pförtner ihn daraufhin anredete, erhielt er die Antwort:Unsinn, ich schlafe nicht ein!" Kurze Zeit daraus fiel der Mann auch einem in dem Hanse wohnenden Arzt auf, lehnte aber auch diesmal jede Hilfe ab. Gegen 11 Uhr saß eine Leiche auf der Treppe, und derselbe Arzt stellte nun als Todesursache Hitzschlag fest. In dem Tobten ist später der 30 Jahre alte Schuhmacher Albert Strauch aus der Griebenowstr. 7 ermittelt worden. Ein nener Cholerafall soll sich in dem Hause Brcslauer- straße 23 zugetragen habe», und zwar einen Arbeiter P. be- treffen. Auf eine Nachfrage an zuständiger Stelle erfahren wir, daß der Sanilätskommission von einem Cholerafalle nichts be> kannt ist. Es scheint eine Verwechselung mit der Frau Fürsten- berg, geborenen Bieler aus demselben Hause vorzuliegen, die plötzlich gestorben ist, ohne daß die Todesursache festzustellen ge- wesen ist. Daher ist eine gerichtsärztliche Leichenössnung noth- wendig geworden. Poli�eibericht. Am 30. v. M. Vormittags wurden zwei Knaben, einer in der Kurfürstenstraße durch einen Geschästswagen und einer in der Wienerstraße durch eine Droschke, überfahren. In beiden Fällen sind die Kinder beim Spielen aus eigener Un- Vorsichtigkeit verunglückt. Nachmittags wurde ein neunjähriger Knabe, der mit mehreren anderen Knabe» auf einer Ufertreppe am Waterloo-Ufer angelte, von einem derselben aus Unvorsichtig- keit ins Wasser gestoßen und ertrank. Gegen Abend sprang ein Handwerker von der Bellcallianccbrücke ins Wasser, wurde aber alsbald wieder herausgezogen. Jm Laufe des Tages anden vier unbedeutende Brande statt. WitternngSübersicht vom 31. Juli 18S4. Witterung in Deutschland   am 31. Juli, 8 Uhr Morgen«. Bei schwachen, an der Küste nördlichen, im Binnenlande üdwestlichen Winden herrscht jetzt in ganz Deutschland   trübe und m Nordwesten etwas nebelige Witterung. In Mitteldeutschland  luden Regenfälle statt. Die schon gestern im Süden eingetretene Abkühlung hat sich auf Norddeutschland, wo die gestrigen Nach- mittags temperaturen sich vielfach auf 28 Grad Zelsius erhoben, heute ebenfalls ausgedehnt. Heute Morgen melden Chemnitz   13, Münster  , Bamberg   und München   14 Grad und nur an der Ostsee  - küste erreicht das Thermometer noch 20 Grad ZelsiuS. Wetter-Prognose für Mittwoch, den 1. August 1894. Zunächst vielfach heiteres Wetter mit etwas höherer Tage?« temperatnr und schwachen südwestlichen Winden; nachher neue Trübung und Regen. Berliner   Wetterbureau. Einer jener Bau- Unternehmer, welche sich an den Krankenkassen- Beiträgen bereichern, welche sie laut Geietz rhren Arbeitern vom Lohn abziehen, stand heute in der Person des Zimmermeisters Adolph August Ferdinand W e st p h a l aus Charlottenburg   wegen Vergehens gegen das Krankenkassen- Gesetz vom 15. Juni 1333 und die Novelle dazu vom 10. April 1692 vor der ersten Ferien-Strafkammer am Landgericht II. Der Angeklagte hat in der Zeit vom 31. Juli bis zum 14. Oktober bezw. bis zum Dezember seinen zahlreichen Arbeitern zwar regelmäßig die Krankenkassen-Beiträge vom Lohne   abgezogen, dieselben aber nicht zur Kasse abgeführt. Da er dasselbe Manöver schon früher gemacht hat und die Zwangsvollstreckung in der Sache jfruchtlos ausgefallen ist, wurde diesmal seitens der Krankenkasse   Anzeige erstattet. Als die erste verantwortliche Vernehmung vor der Polizei bereits stattgefunden hatte, bezahlte Westphal zwar die Beiträge, konnte damit aber die Anklage nicht mehr abwenden. Unter Zubilligung mildernder Umstände wurde er zu 50 M. Geld- strafe oder 10 Tagen Gefängniß verurtheilt. Bor dem Untersuchungsrichter am Landgericht II wurden heute die Zeugen von drei Kapitalverbrechen vernommen. Zunächst wurden die Maurer Friese und Papritz noch einmal in der Schweichelschen Mordsache stundenlangen Verhören unterzogen und wiederholt mit dem des Mordes beschuldigten Maurer Thiede konfrontirt, der heute, statt der Anstaltskleidung seine eigene Gar» derobe trug, dieselbe, in welcher er den Mord begangen haben soll. Mit dem oft erwähnten schwarzbraunen Schlapphnt in der Hand fuchtelte er vergnügt blinzelnd in der Luft herum, als er aber den Maurer Papritz auf der Bank sitzen sah, verzog er sein Gesicht und warf demselben einen bitterbösen Blick zu. Assessor Wenzig, welcher de# beurlaubten Untersuchungsrichter Friedberg   vertritt, ging mU Friese noch einmal jeden Schritt durch, den derselbe am Tage des Schweichel'schen Mordes mit Thiede gemacht, von der ersten Begegnung am frühen Morgen bis zur Trennung am Nachmittag, wobei auf die Feststellung der Entfernungen und die zeitliche Auseinanderfolge der einzelnen Momente besonderes Gewicht gelegt wurde. Dasselbe geschah bei Papritz. Wie schon früher, so bestritt Thiede auch heute nebensächliche Momente, auf die es gar nicht vorkommt, so z. B. bezeichnete er die Be- hauptung des Friese als unwahr, daß Friese auf Ersuchen Thiedes mehrere Male einen Groschen zu Schnaps gegeben habe den beide zusammen ausgetrunken hätten. Er will an dem Tage des Mordes überhaupt keinen Schnaps getrunken haben. Die gestrige Mittheilung der sb- Korrespondenz, daß Thiede einem anderen Gefangenen gegenüber den Mord an der Schweichel zu- gestanden habe, ist nicht korrekt. Thiede hat diese That nicht direkt zugestanden, sondern zu mehreren Mitgesangenen nur Aeußerungen gemacht, welche indirekt darauf schließen lassen, daß Thiede de» Mord begangen hat. Indessen liegt die So.che schon weit zurück und ist für den Untersuchungsrichter längst er- ledigt. Schon am 12. Juni wurden(wie wir am 13. Juni berichteten) drei Gefangene aus Plötzensee vor- geführt, um vom Untersuchungsrichter bezüglich ihrer Begegnung mit Thiede im Untersuchungsgesängniß und den Inhalt ihres Gesprächs mit demselben bezw. über den Wortlaut der betreffenden Aeuherung vernommen zu werden. Es soll aber dem Vernehmen nach auch nicht viel dabei hcrausgekommen sein. Uebrigens sollen die heutigen Vernehmungen die letzten vor dem Unter­suchungsrichter sein, da die Untersuchung unmittelbar vor dem Abschluß steht. Erst dann wird seitens der Staatsanwaltschaft bezw. der Beschlußkammer eutschiedeu werden, ob die Anklage wegen Mordes erhoben oder ob dieselbe auf die beiden nach- gewiesenen Nothzuchtsfälle beschränkt wird. Im Zimmer des Untersuchungsrichters machte Thiede die Begegnung desSchlossers Krause, der am 17. des Monats auf einem Feldwege zwischen Friedenau   und Wilmersdorf   das in Begleitung zweier Kinder befindliche Dienstmädchen Elisabeth Noll zu vergewaltigen suchte. Die Noll und zwei Frauen, welche auf das Hilfegeschrei der ersteren herbeigeeilt waren, wurden als Zeuge» vernommen und Krause wurde vorgeführt, um mit den Zeugen konfrontirt zu werden. Schon auf dem Korridor, als der Verbrecher vorgeführt wurde, tönte es wie aus einem Munde:Das ist er!" Endlich waren auch Zeugen in der Lange'schen Mordsache zur Ver- nehmung gelade». Der des Mordes an der Handelsfrau Bertha Lange in Schöneberg   bezichttgte Schlossergeselle Rudolph Meyke wurde am Montag von» Untersuchungsrichter zum ersten Male vernommen und mit acht Zeugen konfrontirt. Heute wurden die Zeugenvernehmungen in dieser Sache fortgesetzt. Der verflossene Streik der Kuhuheim'schen Arbeiter zeitigte� ani Montag, 30. Juti, in einer Gerichtsoerhandlung vor dem Schöffengericht zu Köpenick   ein Nachspiel. Angeklagt war der Buchbinder Paul Jahn aus Berlin   wegenöffenr- licher Beleidigung" des Gendarm Stein bacher aus Nieder- schönweide. Am 12. Mai d. I. fand anläßlich des Streiks der Kuhuheim'schen Arbeiter eine öffentliche Volksversamm- lung in der Borussia- Brauerei in Niederschönweide statt, in welcher Jahn, der bis dahin in allen Streikver- sammlungen gesprochen, referirte. Kurz vor der Versammlung trat der Arbeiter K. aus Britz   an Jahn heran und theilte ihm mit, daß sich einer der Gendarmen in gehässiger und verleumde- rischer Weise dahin geäußert habe, daß er(Jahn) es sei, der die Kuhnheim  'scheu Arbeiter aufgehetzt habe und zwar lediglich des- halb, weil er für jede Rede 6 M. erhalte, während er bei der Arbeit nur 2 M. verdienen würde u. s. w.; wenn er nicht gerade Gendarm wäre, könne er das Reden viel besser und billiger machen als Jahn., Diese Aeußerungen veranlaßten Jahn während seiner Rede, dem betreffenden Gendarm eine gehörige Abfertigung zutheil werden zu lassen. Der Anklage gemäß sollte Jahn mit einer entsprechenden Hnndbewegung und Kopfwendung nach dem Gendarm gesagt haben:Man brauche nur hinzusehen, dann wisse man schon, wer damit geni eint sei",der u perkluge Gendarm, der überhaupt arbeiten gelernt habe, solle lieber loses Maul zügeln und sich um Amt bekümmern!" Durch diese vermeintliche Aenßerung fühlte sich nun der Gendarm Steinbacher in seiner Ehre gekränkt und erstattete Anzeige, der er eine weitere Denunziation wegen angeblicher Majestätsbeleidigung seitens Jahns in der- selben Rede hinzufügte, die aber nach der ersten Vernehmung fallen gelassen wurde. In der Verhandlung berief sich Jahn auf Z 193 des Str.- G.-B.(Wahrnehmung berechtitgter Interessen) und beantragte, gestützt auf das Zeugniß des Arbeiters 57. Widerklage gegen den Gendarm Steinbacher, der ihn zu seiner Aeußrrung gereizt habe. Der Vorsitzende des Schöffengerichts hielt es vor Eintritt in die Verhandlung für nölhig, Jahn darauf aufmerksam zu machen, daß er sichjeder Rede wie in einer Bolls- Versammlung enthalten möge", da er ihm sonst das Wort entziehen müßte;den Gerichtssaal zu einer Volksversammlung herabzuwürdigen, sei st ras- bar". Dieflr Einleitung fügteer die Frage an Jahn hinzu: ob er zugebe, Sozialdemekrat zu sein?" Jahn bemerkte dem gegenüber, daß er nicht nöthig habe, auf diese Frage, die nicht in den Gerichtssaal gehöre, zu antworten, da sie mit der Anklage ebenso wenig zu thun habe, als die anderen Bemerkungen des Vorsitzenden, worauf dieser sich begnügte zuzugeben, daß er zu dieser Frage nicht be- rechtigt sei. Der als Zeuge vernommene Gendarm Steinbacher mußte während seiner Vernehmung zugeben, die beregten Aeußerungen gegen Jahn gethan zu haben. Es seien fortwährend Frauen der Streikenden zu ihm gekomnien ihn zu ersuchen, die Streikenden zur Arbeit zu schicken; Jahn sei schuld an allem, weil er in der n i e sein sein