Nr. 351 ♦ 36. �ahrgaag
Seilage des vorwärts
SonnabenS, 12. �ul! 1919
Die wirtfthastliche Zukunft öer Eisenbahner.
preußifthe Lanöesversammlung. 44. Sitzu g, Freitag, den 11. Juli, 1 Uhr. Am Ministertisch: Hirsch, Oes er, Dr.©üb dum, Heine, Auf der Tagesordnung steht die zweite Lesung des Eisenbahn- enleihegesetzes. Eisenbahnminister Oescr: Die?Nehrforderungen der Verwaltung sind eine unvermeidliche Folge der wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Vorlage enthält noch nicht einmal alle Mehrkosten, weitere Forderungen werden später kommen. lHört, hört!) Wir werden, das versteht sich ganz von selbst, in der Zukunft sehr sparsam wirtschaften müssen. Die Sen- funst der Lebensmittelpreise ist zum Teil schon durchge- führt. Sie ist so stark, daß sie für eine mittlere Familie enrem um öO Pfg. erhöhten Stundenlohn gleichkommt. lHört, bört!) Leider haben die andauernden Unruhen und Streiks der Eisenbahnangest/llten die Turehfuhrung dieser Maßnahmen sehr er- schwcrt, ja teilweise ganz unmöglich gemacht.(Hört, hörtl) Die Arbeiterschaft selbst hat darunter am meisten zu leiden. Die Senkung der Lebensmittelpreise hat zu einem Sinken der Schle ich Handelspreise geführt, em Prozeß, der noch nicht abgeschlossen ist. Das war auch ein beabsichtigter Erfolg, der un- terstützt wurde durch die bevorstehende Aufhebung der fluchwürdigen und völkerrechtswidrigen Blockade. Zur Aufhebung der Blockade kommt die Möglichkeit, daß die noch sehr großen Bestände der £>eereS- und Marineverwaltung jetzt freigegeben werden können. ES kommen da allein 41 Millionen Meter Kleiderstoffe in Frage. (Hört, hört!) Auch andere Rohstoffe für die Tertil- i n d u st r i e können freigegeben werden. Das wird ein Nnken der Preise für Kleider und Schuhe zur Folge haben, zumal die Regierung für diesen Zweck weitere 500 Millionen bereit gestellt hat. Wir werden dafür sorgen, daß bei der Verteilung der Kleider und schuhe in erster Linie die kinderreichen Familien der Beamten und Arbeiter beriickstchtigt werden.(Beifall.) Es ist ganz richtig, daß bei den Eifenbahnar- beilern ein« besonder« Notlage besteht, denn sie haben aus den hohen Kriegslöhnen keinen Nutzen ziehen können. Das gilt auch für dre Beamten, denen Teuerungszulagen immer erst gewäbrt wurden, wenn die Not schon aufs höchste gestiegen war. Unrichtig ist die Meldung, daß im September den Beamten eine neue Teuerungszulage gegeben werden soll. Dagegen sind wir be- reit, die bestehenden Löhne und die Zulagen für die Beamten noch eine begrenzte Zeit wcitdr zu zahlen, soweit es die finanzielle Lage des Staates gestattet.(Beifall.) Wir hoffen dadurch, den Arbeitern und Beamten die Möglichkeit zu geben, auf diesem Wege eine! Gesundung ihrer finanziellen Verhältnisse herbeizuführen. Der Preußische F i u a n z m i n i st e r hat sich da- mit schon einverstanden erklärt, und auch der Reichspost. minister hat sich auf diesen Boden gestellt. Wir wollen also plan- mäßig und überlegt trotz gesunkener Preise die Löhne nicht gleichfalls senken und die- Zulagen beseitigen, sondern wir wollen den Arbeitern und Beamten innerhalb des Rahmens unserer finanziellen Möglichkeit das bisherige Einkommen sichern, bis eine Gesundung erzielt ist. fSehr gut.) Daneben hoffen wir, durch einen vergrößerten Urlaub auch eine körperliche Erfrischung herbeizuführen. Soweit die wirtschaftlichen Maßnahmen. Organisatorisch wie- derhale ich die Erklärung, daß die
Arbeitsausschüsse so schnell wie möglich durchgeführt werden sollen. Die Vorarbeiten sind soweit gediehen, daß wir in sehr kurzer Zeit zu einer Verständigung mit den GeWerk- s ch a f t e n kommen werden. Das System der Betriebsräte wird schnellstens durchgeführt, sobald das Reichsgesetz darüber ergangen ist. Wir wollen ein Vertrauensverhältnis schaffen, ein Geist gegenseitigen Verstehens und ge- genfeitiaer Würdigung soll wieder erstehen. Wir sind eine un- politische Verwaltung. Wir fragen nicht nach der politischen Gesinnung. Jeder Tüchtige wird bei uns als Mensch geachtet. Wo Reformen notwendig sind, sollen sie auch durchgeführt werden. Das Werkstättenwesen ist in vieler Beziehung reformbc- dürftig. Zu diesen Reformen sollen auch die A r b ei t e r ihr Urteil abgeben können. Menn die Blockade fällt, wird der deutsche Markt mit ausländischen Waren überflutet lverden. die deutsche Industrie wird zurückgedrängt, die Arbeiterschaft geschädigt und das letzte deutsche Geld aus dem Lande geholt werden. Wenn in einer solchen Zeit auch noch fortgesetzt Störungen der Arbeit durch Un- ruhen und Streiks fallen, so wird eS uns ganz unmöglich sein, wirtschaftlich wieder emporzukommen. Wir sind auf dem Weltmarkt stark in? Hintertreffen gekommen, denn alle Auslandsposten sind von den Feinden besetzt worden. Unser Programm ist wirtschaftlich gesund. Jcki kämpfe dabei für mein Land, aber ich kämvfe insbesondere auch für die Arbeiter- sch a f t. sBeifall.) Eine der wicktigsten Vorbedingungen dafür ist ein geordneter Beirieb bei der Eisenbahn . Wenn die Eisenbahn nicbt funktioniert, dann steben alle Räder still, dann können wir keine Nahrungsmittel in die Städte schaffen, dann wird die Auflösung kommen. Wir wollen aber nicht den wirtschaftlichen Tod, wir wollen wirtschaftliches neues Leben, wir wollen geordnete Zustände, wir wollen Arbeit. (Beifall.) Von unferm Programm lassen wir uns durch nichts abbringen.(Bei- fall.i Auch Streiks und Arbeitseinstellungen können dieses Pro- grainw nickt beseitigen, das wohl überlegt ist, und an dem wir unter allen Umständen festhalten werden.(Lebhafter Beifall.) Abg. Riedel(Dem.): Wir danken dem Minister für seine Er- klänmgen. die gerade setzt am Platze sind, da mancherlei Bewegnn- gen bei den Eisenbahnern sich durchsetzen. Hunderttausende von Eisenbahnern haben diese Erklärungen erwartet und sind dankbar dafür. Klipp und klar muß Stellung genommen wenden gegen die Art und Weise, wie die Mehrheit der Eisen- bahner von einer Minderheit gezwungen ivird, ihre Pflicht nicht zu erfüllen.(Beifall.) Die Streiks im Juni und Juli haben den Eisenbahnern 12 Millionen Mark an Lohnverlust gekostet.(Hört, hört!) Unter dem Straßenbahnerstreik leiden in erster Linie die Arbeiter und Angestellten, besonders die Kriegsbeschädigten.(Sehr richtig.) Die Eisenbahner dürfen sich nicht zu politischen Zwecken mißbrauchen lassen. Die jetzigen Streiks haben ledigsich politischen Charakter.(Lebhafte Zustimmung, Gelächter der U. Soz.— Abg. Paul Hoffmann ruft: Luge !— Ordnungsruf.)'.. Tie Streikenden wollen die Regierung Ebcrt-NoSke stürze« Der Redner verliest eine große Anzahl von Flugblättern der k o m- muni st i scheu Partei und der Streikleitung der Eisenbahner, in der zum politischen Streik aufgefordert wird. Damit ist bewiesen, daß eS sich bei diesem Streik nicht um wirtschaftliche Forderungen handelt. Wir sprechen dem Minister unser Vertrauen ans. Er möge sich seinen Willen zur sozialen Tat erhalten.(Beifall.)
Abg. Dr. Seelmann(D. Rat.): Wir stimmen der Vorlage zu und sprechen der Beamtenschaft der Eisenbahnen für ihre auf. opfernde Arbeit unfern Dank aus. Mit Schlagworten wie Demo- Iratisterung der Verwaltung, worunter jeder was anderes versteht, ist nicht viel anzufangen. Der Borredner hat das Wort zitiert, daß der Eisenbahner die Hand an der Gurgel der Staatswictschaft hat. Wird die Gurgel zusammengedrückt, dann kommt das Chaos, aber was daraus entsteht, wird nicht die Diktatur des Pro- letariats sein, sondern eine andere Diktatur, die jedenfalls den Interessen des Proletariats nicht förderlich sein wird.(Bei- fall rechts.) Abg. Langcr-Oberhausen(D. Bp.): Der Eisenbahnerstreik hat die Maßnahmen des Reichsarbeitsministers durchkreuzt. Das Vorgehen des Ministers findet unsere volle Billigung. Wir hoffen, daß die heutige Verhandlung den Eisenbahnern den Weg zur Pflicht und zur Wiederaufnähme der Arbeit weisen wird. Abg. Paul Hoffmann(U. Soz.): Warum ist der Minister mit seinen Mitteilungen über die Vorräte an Bekleidungsstücken usw. in seiner Verwaltung erst heute gekommen? Der Minister hat heute 'davon gesprochen, er müsse die Vorgesetzten in Schutz nehmen. Wo bleibt der Schutz der Arbeiter? der kleinen und mittleren Beamten? Redner geht unter fortdauern.- den Unterbrechungen nnd andauernder Unruhe auf der Rechten auf die Geschichte der Eisen'bahnecbewegung nochmals ausführlich ein und bleibt dabei, daß die Regierung mit den Mchrheitsparteien sich vorweg darüber geeinigt habe, die Eisenbahnerforderungen ab- zulehnen. Im Frühjahr hat man 10 Milliarden bewilligt.� Da hätte auch eine kleine Summe für die Eisenbahner abfallen können, und diese wären zufriedengestellt worden.(Lachen.) Die Eisen- bahnarbeiter und die Arbeiterschaft überhaupt wird nicht richen, bis sie das volle Mftbestimmungsrecht und das Rätesystem errungen hat.(Beifall bei den Ii. Soz.) Abg. Brust(Zentr): Wir sind bereit, den Wünschen der Eisen- bahner soweit wie möglich entgegenzukommen. Mit der Programm- rede des Ministers sind wir einverstanden. Ohne Disziplin und Unterordnung geht es in einem so großen Betriebe nicht. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß den Staatsbeamten das Streik- recht nicht zusteht, und wir können es in der jetzigen Zeit der äußersten Not auch den Eisenbahnarbeitcrn nicht zubilligen. (Sehr richtig!) Abg. Schubert(Soz.): Auch wir billigen das Wirtschastsprogramm des Ministers. Wir sind für das Stmlrccht der Eisenbahner, aber gegen jeden Mißbrauch dieses.Streikrechts zu politischen Zwecken.(Lärm bei den Unabhängigen.) Den Eisenbahnern war es im Kriege nicht gut gegangen, und daher lassen sie sich jetzt umso leichter politisch mißbrauchen.. Die Verhandlungen im Ministerium hatten noch gar nicht begonnen, als die politischen Draht- zieh er schon verbreiteten, die Forderungen seien abgelehnt wor- den. die Eisenbahner müßten heraus aus dem Betriebe. lHört, hört!) Bei den Wahlen der Vertrauensleute ist besonderes Gewicht darauf gelegt worden, daß es- nicht Gewerkschaftler zu sein brauchten.(Hört, hört!) So kommt eS, daß Deute wie Erich Mühsam und Konsorten das Heft in die Hand bekamen. Wir chalten aber an der gewerkschaftlichen Taktik fest. Die Kam- mu nisten, die jetzt die.Arbeiterorganisationen zertrümmern wollen, haben früher zu den Gelben gehört.(Lebh. Hört, hört!) Die Aussprache schließt. Die Vorlage wird hierauf in zweiter und dritter Lesung an- genommen. Die Aussprache über däs Ministerium dcS Innern wird fort- gefetzt.. Abg. Budjuhn lDnat. Vp.) führt Beschwerde über die BeHand- lnng der von den Polen festgesetzten Geiseln und Gefangenen.
HZ
Da gleitet er nun wieder dahin, dieser arme, halb Wahn- sinnige, verhüllte Mann, dahin gleitet er in seiner unbegreif- kichen Trauer und sicher hört er es gar nicht mehr, da ich ihm einen Guten Abend wünsche. Im unteren Zimmer bei unS zu Hause ist eingeheizt, Tantchen sitzt auf einem Schemel neben dem Kamin. Sie möchte dem Feuer recht nahe kommen und streckt die Hände der Glut entgegen und der Widerschein der glühenden Kohlen glutet über die alte Frau. Ich sehe beim Eintreten die Wölbung ihres Rückens. Ihr magerer Nacken ist wie zer- krochen und knochenweiß. Verträumt ist meine Tante und sie greift nach einer Feuerzange, die gerade herumlidgt. Ich lasse mich an meinem gewöhnlichen Platze nieder. Tantchen leidet unter der Schweigsamkeit, mit der ich mich verschließe. Plötzlich legt fie die Feuerzange weg, die metallen anschlägt. Dann beginnt sie mit viel Lebhaftigkeit über die Leute in unserem Stadtquartier zu reden:„Bei uns gibt? Krcti und Plethi. Ist mal erst der Herrgottssonntag da, der immer so nett anfängt, dann will jedes gleich dabei sein. Brauchst gar nicht erst nach Paris zu gehen, auch gar nicht erst ins Ans- land." Sie schüttelt den abgewetzten Kopf und fährt fort: „Bei uns da ist'nc kleine Welt, die gern die große Welt nachmachen möchte. Sind aber bloß kleine Leut und haben's nicht dazu. Fatzkereicn, nicht wahr? Nein, doch wohl nicht Fatzkereien. Sind eben doch bloß Menschen, die an sich denken. d)enn jeder verdient's doch, daß er glücklich wird. Nicht wahr, Junge? Zweierlei Leut gibt's nur auf der Erde: Die un- zufriedenen und die kleinen Leut. Ja, Junge, ewig ist das so gewesen, ewig wird das so sein." 3. Kapitel: Morgen und Abend. Eben, da ich dabei bin— ich erinnere mich noch ganz genau an die Einzelheiten—, das Konto Scsmaisons zu be- reinigen, ist vor meiner Glastür ein ungewohnter Lärm von Schritten und Stimmen hörbar. Und bevor ich mich noch umdrehe, sagt jemand:„Paulins Tante ist sehr krank." Der Satz betäubt mich. Schon bin ich aus. Jemand steht vor mir. Von einem Windstoß wird die Tür zugeschlagen. Und dann brechen wir zusammen auf. Benoit ist mich holen gekommen. Man beeilt sich, man schnauft. In der Fabrik ist alles in voller Tätigkeit. Wir kommen an den gleich- gültigen Menschen vorbei, die mir zulächeln, ohne daß sie iioch etwas von der Veränderung wissen. Schmutzig und kalt ist die Nacht. Ein scharfer Wind weht. Regen tropft vom Himmel. Man muß beim Wandern Pfützen
überspringen. Ich bin wie hypnotisiert da ich mich hinter den vier eckigen Schultern und Rockschößen Benoits herschleppe. Und ich werde aus meinem nächtlichen Wege vom Winde durchge- rüttelt. So stark weht der Wind zwischen den spärlichen Häusern, daß von allen Seiten das Baumgestrüpp wie schäumend auf uns einschlägt. Ach, man ist nicht für die großen Ereignisse geschaffen! « Im Zimmer zunächst das schnurrende Geräusch eines Holzfeucrs und eine fast widerwärtige Hitze. Ein Duft von -Ilether und Kampfer packt mich an der Kehle. Menschen, die ich kenne, stehen um das Bett herum. Sie wenden sich an mich,, sie sprechen alle zugleich auf mich ein. Ich bücke mich, um Tantchen anzusehen. Sie ist in das weiße Bettzeug eingemummelt und unbeweglich wie ein Marmorstück. Ihr Kppf ist in das hohle Kopfkissen hineingegraben. Ihre Augen sind halb geschlossen, sie starren irgend wohin. Ihre Haut ist schon dunkel geworden. Jeder Atemzug rasselt in ihrer Kehle. Sonst ist nur dieses schmächtige Regen in ihrem Kehlkopf und auf ihrer Lippe bemerkbar. Denn ihr winziger und gebrecblicher Leib, bewegt sich nicht heftiger, als ein Puppenleib. Sie ist ohne Nachthaube. Graue Haare kriechen, kleinen Staub- klümpchen gleich, über ihren Schädel. Einige Stimmen erklären zugleich, was geschehen ist: Es tvar ein doppelter Schlaganfall und auch das Herz ist ge- troffen worden. Schüttelfrost und Ohnmacht, das" alles hat sich endlos und schrecklich über meine Tante hergemacht. Zu- erst hat sie phantasiert und von mir gesprochen, dann ist sie plötzlich eingegangen. Der Arzt hat keine Hoffnung«lehr. Er wird wiederkommen. Pfarrer Piot ist um 5 Uhr gekommen. Schweigen schwebt ring? herum. Eine Frau legt ein Holzscheit in den Kamin. Das fällt in den blendenden Flamnienschwarm, der aufgerollt und mit seinem Widerschein das Zimmer von der Defke bis zum Grunde umflutet. » Lange betrachte ich dieses Gesicht, auf dem sich herzzer- reißend Häßlichkeit und Güte vermengen. Ich suche diese Augen, die schon fast geschlossen sind, und deren Licht sachte erstarrt. Etwas Dusterbelastetcs, hervorquellend aus ihr selbst, breitet sich über ihren Leib, sie wird entstellt von einem Schatten, den ihr Inneres auswirft. Jetzt merkt man erst, lvie tief sie schon abgenutzt war, und daß sie nur noch durch ein Wunder standgehalten hat. Diese Frau, die ausgeliefert ist letzter Marter und letztem Urteil, sie war nun allein dieses Wesen, das sich zwanzig Jahre lang um mich gekümmert hat. Zwanzig Jahre lang. Bei der Hand hat sie mich geführt, beim Arme hat sie mich geführt, sie hat mich verhindert daß ich jemals begriffe, wies
sehr ich Waise war. Sie war so lange gebrechlich und der- schrumpelt gewesen, und sie war doch größer und stärker und besser gewesen als ich! Und ich erinnere mich nun in diesem Augenblicke, da ich mit einem einzigen Bück die Vergangen- heit überschaue, daß sie. einer alten Zauberin gleich, die Dinge meiner Kindheit verschönt hat. Und ich senke das Haupt, und ich denke an diese unermüdlich liebende Bewunderung, die sie mir entgegengebracht hat. Wie sie mich geliebt hat. Ja, wenn noch ein Schimmer des Bewußtseins in ihrem Innern übrig bleibt, dann muß sie mich setzt noch lieben. Was werde ich nun werden, da ich ganz allein sein werde. Sie war so überladen mit Herzensgesühl, sie war so überladen mit dem Fleiß ihrer Hände! In hundert Einzel- heiten wacht ihr Handel und Wandel wieder vor mir auf. Ganz niedergeschmettert bleibe ich und betrachte den Teekessel und die Feuerzange und den großen Kochlöffel und all' die Gegenstände, die sie zu handhaben pflegte, so wichtig und ge« schmätzig. Alles das ist ihr entfallen, alles das ist nun ge- lähmt und stumm. Wie im Traume geschieht es, daß ich rückwärtsgehe in unsere Lebenszeiten zurück, da sie gesprochen hat, da sie ge- schrien hat, zurück in unsere Jugendzeiten, zurück in unsere Putz- und Frühlingszeiten. Und während ich diese duftig farbige Reihe von Erscheinungen wieder enthüllen möchte, starre ich auf den Flecken ihrer Hand. Ganz dunkel ist diese Hand schon geworden, sie ist nur noch der Schatten einer Hand, der auf dem Bettuch lastet. Umschleiert werden meine Augen. Ich sehe unseren Garten wieder und eS ist in den ersten schönen Tagen des Frühlings. Dort hinter dieser Mauer liegt unser Garten. Er ist so schmal, daß er sich ganz und gar in unseren beiden Fenstern spiegeln kann, wenn die Sonne diesem Spiegelipicle hilft. In unserm Garten stehen nur zwei Pflanzen, eingesperrt in den Käfig ihrer Töpfe, und außerdem wachsen dort noch die drei Stachel- beersträuchcr, die seit Menschengedenken dort gewesen sind. Auf den Zweiglein wiegt sich, anzusehen>me ein künstlich aus Stoff hergerichtetes Kleinod, ein Rotkehlchen, es wiegt sich aus den strahlenden Fähnlein. Mirliton, unser rotscheckiger Jagdhund, der so lang und hager ist, daß man meinen möchte, er sei ein ungeheurer Schnelläufer, wärmt sich in der Sonne. — Am Sonntag pflegt er auf dem LandeKaniuchen nachzulaufen. Aber er hat noch niemals ein Kauinchcneingefangen. Er hatimmer Flöhe eingesangen.— Und damals war es, da war ich noch so klein, daß ich beim Spazierengehen immer hinter Tantchen zurückblieb. Dann kehrte sie sich nach mir um, und sie hob an einer Wegbicgung die Hände hoch und ich hastete zu ihr Hill und sie beugte sich zu.inir und sie lief mich bei meinem Namen.—— Eorts. folgt}