Nr.372.36.Jahrg.
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Vorwärts
Berliner Volksblatt.
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Mittwoch, den 23. Juli 1919.
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Bauers Programmrede.
64. Sigung. Mittwoch, den 23. Juli, bormittags 10 Uhr. Am Regierungstische: Bauer, Müller, Noste, Erz berger , Schmidt, Schlide. Präsident Fehrenbach eröffnet die Sigung 10 Uhr 25 Minuten. Einziger Gegenstand der Tagesordnung: Entgegennahme einer Erflärung der Reichsregierung.
Reichsministerpräsident Bauer:
Meine Damen und Herren! Sie haben vor 14 Tagen unter bem Zwang der Weltlage den Friedensvertrag ratifiziert. Damit ist eine Epoche abgeschlossen, die den gewaltigen Aufstieg Deutsch lands und seinen tragischen Zusammenbruch umfaßte. Auch diejenigen, die im alten Reich in der schärfsten Opposition standen, haben von manchem Abschied nehmen müssen, was ihnen teuer und wert gewesen ist. Aber das Leben geht weiter
des Friedensvertrages nach Kräften verpfändet haben, sind nichts das nicht negativ in der Ablehnung der sogenannten Blanwirtschaft anderes als unblutige Putsche, die der Mehrheit der Be- bestehen darf, sondern völkerung, und gerade dem arbeitenden Volf, durch ihre Störung pofitiv zu planvoller, zielflarer Wirtschaftspolitik der Nahrungsmittelversorgung mehr unblutige Wunden schlagen führen muß. Das Kabinett hat diese Zwangsfartellierung uch und mehr Schaden zufügen, als je ein Straßenkampf. Nun haben Zweige der Wirtschaft abgelehnt, die sozialdemokratischen Mit alle die Berufskategorien, die in den letzten Wochen durch- Streife, glieder des Kabinetts vor allem, weil sie in der Planwirtschaft die ernstefte Gefahr für die völlige Durchführung des Sozialismus jehen! Die Regierung will die
bie
Zwangsjade der Kriegsgesellschaften
haben, empört jede Behauptung zurückgewiesen, als handle es sich bei ihnen un politische Stämpfe, und gewiß haben die breiten Bolks- nicht gegen, eine neue, für den Frieden zugeschnittene vertauschen. massen Grund zur Unzufriedenheit. Auf der einen Seite GenußDie Reichsregierung hat sich aur berfassungsmäßig und gefessucht und zügellose Verschwendung, ein Prassen dank einem sinnlos lich festgelegten verteuerten Schleichhandel auf Kosten der Allgemeinheit, KapitalSchaffung von Betriebsräten und Bezirkswirtschaftsräten, flucht und Verschiebung von Bermögenswerten. Auf der anderen Seite trop aller Erhöhungen immer noch Löhne, die faum zum Be- die in einem Reichswirtschaftsrat ihre Spize finden sollen, antiund es gilt für jeden einzelnen, mit beiden Händen bei der Aufzug der rationierten, ganz gewiß aber nicht zur Bezahlung schlossen. Das Gefeß über die Betriebsräte wich ihnen in gabe zuzufaffen bei der Erfüllung, bei der Abtragung und von unrationierten Lebensmitteln ausreichen. So diesen Tagen, der zweite Teil über Bezirksräte im schließlich bei ber stellt sich weiten Arbeiterkreisen heute die Lage dar. Aber der Revision des Bertrages von Bersailles. Streif ist das einzige Mittel, das nicht bessern, sondern nur verIch laffe daher die Bergangenheit, lasse die Abrechnung über die schlimmern kann, und es ist ein frebelhafter Mi- Schuld dafür, daß alles so gekommen ist, und lasse den unverbrauch, was tommunistische und andere Drahtzieher mit den Aränderlichen Protest gegen die Bergewaltigung beiseite. beitern, mit ihren berechtigten Forderungen, mit all diesen wilden Denn nun gilt es, nach horn zu sehen und Blid und Schritt vorStreits getrieben haben. Was sich im neuen Deutschiand am märts zu richten. gründlichsten geändert hat, das sind die
Aber an der Erfüllung des Vertrages und Wiederaufbau Machtverhältnisse im Wirtschaftsleben. unferes zusammengebrochenen Volfes, unserer getirümmerten Wirt- Auf der einen Seite außerordentliche Entwertung des schaft, unseres schwergefährdeten sittlichen Bewußtseins, Rapitals, auf der anderen außerordentliche Steigerung der elles das muß mit den gleichen Mitteln auf den gleichen Boden Löhne, das hat von Grund auf das Verhältnis zwischen Arbeit geleitet werden. Für das dutsche Bolte gebe, es nehmer und Arbeitgeber umgestaltet.
feine Entschuldigung und keine Ausflüchte,
wenn es dieser Arbeit nicht gerecht würde., Jm neuen Deulju land bestimmt es selbst seine Geschide und ist sein Wille das sberste Gebot. Die Revolution hat uns freie Bahn geschaffen, aber es war die freie Bahn, wie sie die Vernichtung auf einem Schlachtfelde schafft. Sie werden das neue StaatsHaus in diesen Tagen durch die Annahme der neuen Verfaffung frönen. Damit ist die
demokratische Republik unter Dach und Fach, damit hat die Deutsche Nationalversammlung den ersten großen Teil ihrer Aufgaben gelöft. Ganz sicher ist noch das Eine oder das Andere zu tun und zu bessern. Ich erinnere nur an die grundTegende
Die Macht des Arbeiters ist gewachsen, feine einstige Rechtlosigkeit gehört der Geschichte an. Diese umschichtung im Einfluß auf den Wirtschaftsprozeß muß ihren Eindrud auch in unseren öffentlichen Einrichtungen finden. Darum wird Ihnen die Reichsregierung ein
Gesetz über Arbeiterräte und Wirtschaftsräte vorlegen, das den Arbeiter aus seiner bisherigen Stellung lediglich als Arbeitskraft heraushebt und ihn zum Mitbestimmer im Produktionsprozeß macht. Nicht mehr allein der kapitaliftische Besik, sondern die
produktive Mitarbeit verleihen im neuen Deutschland Recht und Anteil.
Umgestaltung unseres Strafrechts und unseres bürgerlichen, Rechts, Das ist der große Gedanke dieses Gesezes, das damit die
die bereits in vollem Gange ist und die Demokratisierung
unserer Rechtsprechung bringen wird. Aber wenn es mirklich noch da und dort fehlt, so ist es nicht ein Fehlen von Rechten des Volfes, sondern vielmehr ein Fehlen von Fähigkeiten, diese Rechte in vollem Umfange auszuüben. Sie müssen
bie Waffen der Bildung und der Kenntnisse an das ganze Bolk Serteilen, da ist
Joce des Kapitalismus endgültig verneint.
Serbst zugehen. In diesen Organisationen sieht bie Regierung die aus dem werftätigen Bolf heraufwachsenden Instanzen, die Vorbereiter und später Träger der Sozialisierung sein sollen. Die Regierung fonnte sich nicht entschließen, diese zukunftsvollen Organisationen von unten herauf durch eine behördliche Reglementierung von oben herunter ihrer Aufgabe und ihres Einflusses zu berauben. Aber meiter: Die Regierung hat den Bertrag von Verfailles vor allem der Erhaltung der Reichseinheit wegen unterzeichnet. Diese wäre aber aufs ernſteſte gefährdet, wenn wiederum von Berlin aus aentralistiso und behördlich das ganze Wirtschaftsleben gegängelt mürbe. Dazu bat die Oku pation im Westen unsere Grenzen in einer Weise flüssig gemacht, daß
dem Schleichhandel alles zugänglich
ist, während der loyale Handel nach wie vor in den Fesseln unfrei machender Vorschriften läge. Das bedeutet für die Industrie: entweder Baltieren mit unsauberen Schleich handels. egistenzen und dadurch Arbeitsmöglichkeit oder lahmgelegt zu sein, während die weniger gewissenhafte Sonkurrenz im vollen Betrieb ist. Schließlich sind die Bedürfnisse der einzelnen In dustrien völlig verschieden, daß die
Krankheitserscheinungen der einzelnen Wirtschaftszweige nicht mit ein und derselben Medizin geheilt werden können. Me dieje Ueberlegungen haben uns zu dem Entschluß gebracht, alben Zwang zu brechen
und neuen Zwang nicht einzuführen. Wir wären daher ent
schlossen, an den Abbau der Reste der Kriegswirtschaft
Sicherstellung des Bedarfs der Minderbemittelten
Es beseitigt nicht den Unternehmer, aber sein einseitiges lleber- Bu gehen; die Kriegsgesellschaften sind aus der Not der Blockade gewicht, es jetzt über das Privatinteresse das Algemeininteresse, geboren, die Aufhebung der Blockade muß ihr Ende herbeiführen! es beendet ein für allemal das Zeitalter der lebendigen Maschine für unsere künftige Wirtschaftspolitik werden drei Gebote richtungund bahnt dn Weg zum Jedal des Sozialismus: zum gleichberech- gebend fein: Erstens Sozialisierung, soweit als möglich, und tigten Mitarbeiter und Mitbesizer. In besonderen Fällen geht die feinerlei neue Grschwerungen für die fünftige durchgehende SozialiRegierung weiter. Sie zieht aus dem Arbeitsprogramm des Nabi- lierung. Zweitens die einzige Bewaffnung des Proletariats, netts Scheidemann die Konsequenzen, indem sie in den nächsten die uns den Sieg für unser ganzes Wolf verbürgt. Mit Gewalt Tagen einen Gefeßentwurf vorlegen wird, wonach die dem öffent- an Nahrung und Kleidung. Drittens Fernhaltung überjamfeiten ist teine Entwicklung zu fördern. Die Herren Unab- lichen Berkehr dienenden Stromerzeugungsanlagen( über 5000 Stilo flüssiger Zuguseinfuhr, die unsere Zahlungsmittel verhängigen preisen die Diktatur des Proletariats als die watt), soweit fie nicht bereits kommunalisiert oder im Befiz der schlechtern müßte, und überhaupt jeder Einfuhr, die unseren Arhängigen preifen die Diktatur des Proletariats als die Freistaaten sind, sowie die Hochspannungsleitungen( über 50 000 beitsmartt ungünstig beeinflussen würde. In den Grenzen diefer politische Notwendigkeit der nächsten Zeit an. Wir lehnen mit der Bolt) in den Besitz des Reiches übergeführt werden. Ein weiteres Gebote aber Freiheit der Wirtschaft, Serangiehung jeder übergroßen Mehrheit des Voltes jebe Diktatur als ein Initiative und jeden Stredits, Dezentralisation der Mitarbeit an der Aufforftung unseres wirtschaftlichen Lebens.
brutales, geiftlofez und unzweckmäßiges Mittel
aufs entschiedenste ab. Wenn sie den Beweis dafür haben wollen, so sehen sie Rußland . Dort hat die Diktatur von heut auf morgen sozialisiert", d. h. den Arbeitern den Betriebsunternehmer und Direttor in die Hand gegeben und was war die Folge? Schon feit Monaten find
Gefeß, das die Braunfohlenerzeugung sozialisieren soll. hoffen wir binnen kurzem zur Vorlage reif zu machen. Damit werden zwei Wirtschaftsgebiete von faum zu unterschätzender Bedeutung in den Allgemeinbesitz überführt.
Die neue Reichseinkommensteuer,
die durch das ganze Reich gleichmäßig veranlagt werden soll, wird notwendigerweise zur Schaffung einer Reichssteuerberwal, tung führen. Damit fommt die Finanzgefeßgebung im weitesten
Unternehmer und Direttoren wieder zurüdgeholt worben, mit Riesengehältern und mit ben alten Boll- Umfang in die Hände des Reiches. machten, genau so, wie die Offiziere des Baren in die Rote Armee" zurüdgeholt worden sind zusamt der Kommandogewalt und ber blinden Disziplin!
Eine Revolution der Experimente,
Die Verfassung schafft die Reichseisenbahnen. Die Sozialisierung von Elektrizität und Brauntable, Die Sozialisierung von Elektrizität und Brauntole, der bald der übrige Bergbau folgen soll, macht das Reich zum wich tigiten Faltor des Wirtschaftslebens! Mit diesen drei Machi dazu der migglüdten Experimente, das mache ich nicht mit mitteln ist im demokratischen Staat die Mehrheit des Volkes jeder Auf der anderen Seite find wir auch nicht ängstlich vor jeden zeit in der Lage, dem deutschen Wirtschaftsleben die Form und Bagnis. Jeber lühne, aber den Verhältnissen und Bedürfnissen den Inhalt au geben, den fie für richtig und möglich hält. Damit
An der Spitze aller Bemühungen, die Volkelage zu beffern, muß natürlich
die Ernährungsfrage
stehen. Auf eine Rationierung der wichtigsten Bestandteile der Bolfsernährung und der Volksversorgung werden wir einftiveilen nicht berzichten fönnen. Danach wird zuerst die
Bewirtschaftung der Textilien umgestaltet werden. Das Rabinett hat beschlossen, die aus der Striegswirtschaft noch vorhandenen fertigen Stoffe unverzüglich und binnen fürzester Frist der Bevölkerung zuzuführen. Dabei wird Kreise, die Arbeiterschaft lebenswichtiger Betriebe, die BeamtenBorsorge getroffen werden, daß die minderbemittelten schaft, unsere Kriegsgefangenen in erster Linie berüdjidtigt werden. In gleicher Weise werden die noch vorhandenen
angepaste Fortschritt trägt sein ureigenes Tempo in fich, das fich ist die Zeit der gewaltsamen Umwälzungen für jeden nicht unerheblichen
Revolution, fondern ein
Borräte an Wolle
gewaltsam nicht ändern lägt, ohne Rüdschläge heraufzubeschwören. bemokratischen Denkenden abgeschlossen. Im Unterschied zu den Ber dieses Tempo übermäßig beschleunigt, ist kein Bahnbrecher der falschen Propheten wissen wir und sagen wir, daß diese Umge- sofort der Weiterbearbeitung zugeführt, um damit den beteiligtex ftaltung ohne Zerstörung auf absehbare Zeit nicht einen Sungrigen Industrien und ihrer Arbeiterschaft Beschäftigung zu geben und jatt, nicht einen Armen wohlhabend, nicht einen Arbeiter weicher gleichzeitig die Bersorgng der Bevölferung mit fertigen Stoffen auf Die wilden Streifs, die feit Bochen rings um uns auf machen wird. Auch dann nicht, wenn wir die Laiten des Friedens breitere Grundlage zu stellen. Tie aus der Kriegswirt fießen, abflauen und plöglich wieder Losbredjen, und das in einem bertrages nicht auf dem Budel hätten. Für die Gegenwart aber schaft stantmende Zentralorganisation, die ReichstegiilattienAugenblid, wo Nationalversammlung und Regierung mit der Zu- fennen wir die Besorgnisse unseres Boltes und wollen nach Sträften gesellschaft, wird abgebaut.
Schrittmacher der Meaktion.
#timmung ber großen Boltsmehrheit ihr Wort für die Erfüllung auch ihnen genügen. Dazu bedarf es eines Wirtschaftsprogramms,
( Schluß in der Morgenausgabe.)