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Nr. 395 36. Jahrgang

Seilage öes vorwärts

Dienstag, Z.Kugust 1919

Gefähröung Ser Volks- ernährung! Wir erhallen folgende Zuschrift: Sie teillen in Nr. 38V eine Denkschrift des landwirt- schaftlichen Ministeriums zur Produktionsför- d e r u n g ohne Kommentar mit. Die Denkschrift beginnt mit den Worten:Die Volks- ernährung erscheint in der nächsten Zukunft ernstlich ge- fährdet. Abhilfe ist nur möglich, wenn die Landwirtschaft so schnell als möglich in die Lage versetzt wird, die Erzeu- gung auf das Aeufjerste zu steigern." Daß der Staat alles dazu Zweckdienliche, was in seiner Macht liegt, tun muß, ist eine Selbstverständlichkeit, die oft genug amch von feiten der Regierung betont ist. Bei der verhältnismäßig lang- samen Wirkung dieser Maßregeln würde das aber für die nächste Zukunft nicht viel nützen. Zur Sicherung der Volks- ernährung bleibt uns daher im Augenblick nur die Einfuhr ausländischer und eine gerechte Verteilung der vorhandenen inländischen Nahrungsmittel. Die Hoffnung auf hemmungs­lose Einfuhr würde zwar fürkreditwürdige" Luxusartikel berechtigt sein, wenn derartigen Experimenten nicht ein Riegel vorgeschoben würde: aber für die M a s s e n l e b e n s- a r t i k e l können wir damit wegen mangelnder Auslands- deckung und wegen der Unmöglichkeit, die Differenz auf län- gere Zeit auf Reichsfonds zu übernehmen, nicht rechnen, selbst wenn für die Balanzierung der Ernährung auf Fne- densstand nicht, wie die Denkschrift will, 45 Milliarden jährlich, sondern nur einige Milliarden benötigt würden. Allerdings, dasjenige, was für die Aufrechterhaltung der Ernährung unbedingt erforderlich ist, muß ein- geführt werden und dafür werden auch die Mittel vorhan- den sein, aber der Friedensimport erstreckte sich großen Teils auf Ware, die ein einfach lebendes Volk zur Not eine Weile entbehren kann und die Ausnutzung der Lebensmittel hat während des Krieges sehr gewonnen. Aber im übrigen muß die' kindische Produktion an Brotgetreide, Fleisch, Kartoffeln und Zucker nur um diese Handell es sich für die kommende Ernte noch in vollem Umfange herangezogen und auch sichergestellt werden. Denn das einzige Ziel unserer Ernährungspolftik ist die Erreichung des E x i st e n z m i n i m u m s für die Bevölke- rung zu erträglichen Preisen. An der Form der Zwangswirtschaft haftet niemand. Wenn die Landum- läge dasselbe leisten würde, wäre sie zweifellos längst ein- geführt, denn niemand, und vor allen Dingen eine Volks- regierung, hat ein Interesse an der Verärgerung weiter Vollskreise. Aber die Aufhebung der sogenannten Zwangs- Wirtschaft und die Wiederherstellung eines schrankenlosen freien Handels würden im gegenwärtigen Augenblick, solange nicht genügend Nahrungsmittel vorhanden sind, eine erhebliche Preiserhöhung gegenüber den Höchst- preisen mit sich bringen. Der größere Teil der Bevölkerung würde die erforderliche Mindestnahrung eben nicht oder nur zu unerschwinglichen Preisen vorfinden. Die Einführung der Landumlage würde einen doppelten Warenpreis schaffen, der technisch undurchführbar ist, und der selbst im Falle der Möglichkeit der Durchführung im höchsten Grade erbitternd wirken würde. Die Propaganda für die Einführung des freien Handels steht im umgekehrten PerhältniS zur Zahl ihrer Anhänger. Die überwiegende Masse der städtischen Bevölle- rung weiß, was ihr beim freien Handel blühen würde. Auch fast die gesamte Industrie, von der man doch in erster Linie ein Eintreten für die ungehemmte Preisbildung erwarten sollte, steht hinter der gebundenen Wirtschaft. Für den

freien Handel treten lediglich die gegenwärtigen Wortführer der Landbünde und der kleinere Handel ein. Bezeichnen- derweise erklären aber die verantwortlichen landwirtschast- liehen Berufsvertretungen sich für die einstweilige Beibehal­tung der Brot- und Fleischbewirtschaftung: sie überlassen den propagandistischen Landbllnden die Vertretung der unerfüll- baren weitergehenden Forderungen. Sicher ist, daß der Abbau der Planwirfichast nicht preisabbauend, sondern preis st eigernd wirkt, s o- lange Nahrungsmittelknappheit besteht. Das tvird aber noch längere Zeit der Fall sein. Demgegen- über ist die Beibehaltung der Rationierung und der Höchstpreise für Getreide, Fleisch und Kar- t o f f e l n das kleinere Uebel. selbst wenn man Produktions- hemmende Wirkungen der Zwangswirfichaft zugibt. Die Volksernährung ist aber durch die Beibehaltung der staatlich kontrollierten Wirtschaft nichtgefährdet", denn die Pro- duktion hat sich nicht so verschlechtert, um diese Befürchtung zu rechtfertigen. Die pflanzliche Produktion hat überhaupt bei weitem nicht den Tiefftand erreicht, der ihr nachgesagt wird. Die jetzt auf dem Felde stehende Ernte scheint allen Berichten zufolge für Winterfrucht, Gemüse, Kartoffeln und Futter nickt eben schlecht zu sein. Teilweise hat sie sich in den letzten Wochen überraschend erholt. Nur Sommergetreide steht durchgängig weniger gut. Die Bs- fürchtung einer katastrophalen Wendung der Vollsernährung scheint auch nach dieser Seite hin unberechtigt. Nun weist die Denkschrift mit Recht auf den schweren Rückgang der tier. ischen Produktion hin, der ja unbestreitbar ist, wenn auch 6v Proz. zweifellos zu hoch gegriffen sind. Aber nicht das System der Zwangswirfichaft ist daran schuld, sondern die Tatsache, daß unsere gesamte Viehhaltung auf der Auslandseinfuhr aufgebaut war und mit dem Einsetzen der Blockade zusammenbrach. Das trifft für die S ch w e i n e h a l t u ng in erster Linie zu, die Haupt- sächlich auf der russischen Futtergerste beruhte. Da diese Einfuhr jetzt unmöglich ist, bedeutet die Forderung der Denk- schrist auf Umstellung der Wirfichast auf Schweineproduktion nichts anderes als die Verwendung von Brotgetreide zur Schweinemast in weitestem Umfange. Eine starke Förde- rung der Schweineproduktion kann man selbst bei dem grundsätzlichen Wunsche nach möglichst schneller Hochbrin- gung unserer S�veinebestände jedenfalls erst dann vertreten, wenn die einheimische Ernte zu übersehen ist und auslän- dische Zufuhren sichergestellt sind, und wenn im Anschluß daran die Volksernährung überhaupt sichergestellt ist. Bis dahin sprechen heute die gleichen Gründe gegen die verstärkte Schweinehaltung, wie während des ganzen Krieges, wobei besonders zu>enken ist, daß das Fntter durch den Tier- magen nur zum 4. Teil für die menschliche Ernährung ver» wertet wird. Wir müssen aber den Verfasser der Denffchrift daran erinnern, daß es den Führern der Sandwirtschaftstechnik vom ersten Krisgsjahr an nicht zweifelhaft gewesen ist, daß Deutschland sich in der Viehernährung nach Möglichkeit vom Ausland fieimachen muß. Diese Möglichkeit ist bei der Schweinemast so gut wie ausgeschlossen: die Tendenz der deutschen Viehzucht liegt daher in der Förderung der Rind- Viehzucht und Schafzucht und einer entsprechenden Steige- rung der Milch-, Butter- und Käseprodukfion und Konsum- fion. Es liegt uns sehr fern, einer Extensivierung des land- wirtschaftlichen Betriebes irgendwie das Wort reden zu wollen. Aber eine Verbesserung der Futterflächen und Vcr- stärkung des Oelfruchtbaues kann durchaus in der Richtung der Intensivierung betrieben werden. Das Rind ist kein Konkurrent des Menschen um die Nahrungsmittel. Seine Leistungen sind vielfacher Natur. Die Fleischernährung ruht bei ihm auf viel sicherer Grundlage. Wenn daher der Wieder- aufbau des Rindviehstapels auch länger dauert als beim Schwein, so entspricht die Verstärkung der Rindviehhaltung

doch den natürlich gegebenen Tendenzen unserer Wirfichaft. gegenüber einer unnatürlich starken Schweineproduktion. Es ist besser, den Speckbedarf zum kleineren Teil auf die Einfuhr zu verweisen, als die Abhängigkeit der Vieh- ernährung vom Ausland zu verewigen und aus unserem Er- nährungszusammenbruch unbelehrt davonzugehen.

Verkehrsstockung. Die Elektrische streikt. Die Räder unter ihr quieken vor Ver- gnügen, quieken, daß es einem durchs Mark gellt. Es ist gar keine Haltestelle da, und doch halten wir nun schon wieder eine ganze Ewigkeit von zehn Minuten am gleichen Fleck. Der Schaffner steckt immer den spitznäsigen runden Kopf hinten von der Plattform heraus und schaut in die Gegend, wo wir hin wollen und fein Schnurrbart hängl traurig und verregnet herab. Ein breiter Bier- Wagenkutscher hinter uns im Gleis will den Schaffner anrempeln, flucht, schimpft, mit einer hohlen Kellerstimme, als hätte er eins von den leeren Riesenfässern verschluckt, die sich hinter ihm türmen. Der Schaffner hört das Fluchen so wenig wie das Knurren und Rebellieren der Fahrgäste, das in einer Revolution zu endigen droht. Er steckt nur die spitzige Nase nach draußen in die Gegend, wo wir hin wollen, und der Schnurrbart hängt traurig. Da, die Elektrische macht einen erfteulichen Hopser. Alles atmet auf. Alles setzt sich wieder... Aber nun ergibt sie sich von neuem, mitten im Donnern und Tosen, im Hasten und Rennen der Leipziger, einem gemächlichen Ruhedasein. Mit zäher Beharrlichkeit klebt sie hinter einer Wagenmauer, die sich bis... bis fern in den grauen feuchten Dunst des Dönhoffplatzes verliert, steht unverrückbar still. Der Schaffner kommt herein und erklärt ebenso kategorisch wie beschwichtigend:Wir fahren links heruml" Aber wir fahren durchaus nicht, auch nicht links herum, wie das die Zeit erfordert. Kommen wir am Dönhoffplatz vorbei."Geht's durch die Mauer. straße?"Sie kommen doch über den Spittelmarkt!"Geht's denn links herum auch am Viehhof vorbei?" Ein ängstlicher Sturm von Fragen. Die spitze Nase nickt in dem Sturm dauernd hinein und knickt ihn. Trotz alledem steigen die Fahrgäste dauernd nach draußen. Einige Stammgäste harren noch aus. Dann wird es schrecklich leer im Wagen, direkt verödet. Rur ein Herr mit einem Stelzbein bleibt und eine ziemlich nach Friedensware aussehende Kolossaldame: die drei vier Riesenkäsen, aufeinandergekranten, ver- slixt ähnlich sieht. Ein Herr er kommt von der Plattform ist es ihr Herr? jagt durch den Wagen mit fliegenden Cutwayschößen hinauf und hinunter nicht der mit dem Stelzbein!, rennt, als sei hier eine Rennbahn. Jetzt blitzt er den Schaffner cm, als wolle er ein Attentat auf ihn machen. Aber der bewahrt die Ruhe, die Olympierruhe seines molligen Gesichts mit der fiirwitzig spitzen Nase. Der Renner ist nach draußen geflitzt. Der kleiner Temer. den er am Band hält, will ihn mit muskulös eingestampften Beinchen aufs Trottoir ziehen. Aber der Herr steht, unbeweglich ein Hund ist ja kein Zugtier, und starrt an der Wagenburg, der chinesischen Mauer, hinab hoffnungslos! Schaffner, meine Groschen zurück!" Er hat den Terrier wieder mit in den Wagen gezerrt, trotz dessen Erhängungsversuchew Jroschcn? det jiebi's doch nicht" schüttelt sich das runde Gesicht bedauerlich.Na, Sie sehn doch, wir kommen nicht weiter. Eine halbe Stunde am gleichen Fleckt"Ja, wenn det Betriebsstörung wär', denn ja. Aber det kommt vont Wettert"Betriebsstörung hin, Betriebsstörung her. Es ist recht und billig, daß ich mein Geld wieder kriege. Wer bezahlt mir die halbe Stunde, die ich schon warte?!" Heftig fuchteln seine Arme. Heftig bellt der Terrier um die Groschen. Plötzlich ist der erstickt, hängt wieder an dem Band, das ihn in den Wagen reißt. Herr und Hund rasen durch die Wagenlänge hin und her, an dem Stelzbein vorbei, cm der drei Polster überquellenden Dame vorbei, und an der Tür jedesmal dies Gebelle um die Groschen! Da wieder ein Hopser! Wagt es der Wagen? erwacht er? Er fährt? fährt ganz richtig, Geradeaus? Nicht links herum!

Erleuchtung.

Slf

Roman von Henri Barbusse . Verdeutscht von Max Hochdorf . Tudor trug eine Artilleriemütze. Mielvague war schon in Geschäften und in Hast, genau so wie in seinem Bureau. Er ttug einen Haufen von Papieren, und er hatte den Kneifer schon mit der Brille vertauscht, was den Anfang der Unifor- mierung bedeutete. Jeder sprach von sich, und er machte An- gaben über sein Regiment und über seine Garnison, und über sonstige Einzelheiten, die ihn persönlich angingen. Der Waffenmeister, der in dem Wirrwarr der noch farblosen Gruppen herumstand, steckte mtt untadeliger Forschheit in seiner Aktiven-Uniform. Aber er sagte:Ich bleibe zu Hause. Ick brauch' nicht auszurücken. Mich kann keiner an die Front hinausschicken."! Man wartete lange und Stunden gingen dahin. DaS Gerücht verbreitete sich, man würde erst am nächsten Morgen abfahren. Plötzlich Stille. Strammstehen und soldatisches Grüßen rings im Kreise. Aus der Tür trat Major Tran- cheaux. Die Frauen machten ihm Platz. Ein Herr in Zivil erspäte den Offizier, er ging auf ihn zu, er zog den Hut und sprach leise etwas. Dann rief der Major aus:Aber Gott , lieber Freund, das lohnt doch garnicht der Mühe. In zwei Monaten ist der Krieg ja zu Ende!" Und damit war der Bittsteller entlassen. Er trat auf uns zu. Er trug eine weiße Kokarde an der Mütze. Man sagte, daß er Bahnhosskommandant sei. Er richtige an uns eine kurze und befeuernde patriotische An- spräche. Er iprach von der großen Revanche, die alle Fran- zoienherzen so innig ersehnten. Er versicherte uns, daß wir später stolz sein würden, diese Zeiten miterlebt zu haben. Wir alle wurden von seinem Worte durchichauert, und er fügte hinzu:Und nun der letzte Abschied von den Eurigen! Jetzt keine Weiber mehr und los I Ich begleite Euch zum Bahnhof." Ein letztes Aufschnalzen der Küffe und die Litaneien der Scgensfprüche für den Weg und das letzte, wirre Durch- einander, das noch eine Weile in dem großen öffentlichen Saale haften blieb. Dann umarmte ich Mara Und stieß zu >en übriien. die sich auf der Straße wieder ver- im'netn iolllcic. Zu Pcerergi Uppen ging man hinaus

Um unsertwillen waren alle Straßen mit Menschen besetzt. Eine Begeisterung und wahrhafter Ruhmesschauer erfaßten mich in diesem Augenblick. An einer Straßen biegung sah ich noch einmal Maria und Crillon. Sie waren vorausgelaufen, um sich uns noch einmal in den Weg zu stellen, und sie winkten uns zu. Crillon rief noch:Also los, Courage, Jungens. Ihr werdet schon nicht daran sterben!" Maria blickte mich an, und sie konnte kein Wort mehr hervorbringen. Feldwebel Marcassin stampfte breitbeinig die Reihe ent- lang und schne:Langsam Schritt! Eins, zwei, einS, zwei, langsam Schritt!" Wir marschierten durch die Stadt, über der es schon Abend wurde. Ein Bauer marschierte an meiner Seite. Er wackelte mit dem Kopf in die kohlenfahle Unermeßlichkeit hinein, er marschierte zwischen all diesen Dingen durch, die man im regelmäßigen Schritt und Tritt verließ. Alle Schritte schmolzen in einen einzigen Schritt zusammen, und der Bauer murmelte hie und da:Was für'ne wilde Ausregung I Hab' noch gar keine Zeit gehabt, um all' das zu begreifen. Weißt, es gibt welche, die das begreifen wollen. Nun, ist einfach nicht wahr. Können nicht, können nicht!" Der Bahnhof. Man macht keinen Halt. Vor unserer Abteilung wird die Eisenbahnsperre zurückgezogen, die sich sonst niemals erschlossen hat. Wir durchschreiten Steige, die kaum erkennbar sind. Man stopft uns auf einen dunklen Steg zwischen gußeisernen Trägern zusammen. Und dann merken wir plötzlich, daß wir allein geblieben sind. » Nun ist die Stadt fast beinah aus unserem Gesichtskreis entschwunden. Ihr Leben liegt dort unten, es liegt jenseits dieser trübseligen Schienen- und Pflasterstraßen, die mit niedrigen Häusern und Nebelschwaden bespickt sind. Die Nachtfrische schleicht zu uns heran, sie kommt gleichzettig mit der Nachtfinstcrnis, und sie senkt sich auf unsere heißen Körper nieder und auch auf unsere hitzige Begeisterung. Man zittert. Man wartet. Die Dämmerung ist grau, dann wird sie schwarz. Die Nacht sperrt uns ein. Sie sperrt einen Jeden in seine unendliche Engnis ein. Man schauert, und man sieht gar nichts mehr. Kaum folge ich diesem düsteren Gewimnrel, diesem Wirrwarr der Stimmen, und dem Tabaks- qualm, der unter dem Höllendache brodelt. Hier und da nur das Aufblitzen eines Ziindhölzleins. hie und da nur das ' rote Köpflein einer Zigareue, deren Brennen ein Gesicht er­

leuchtet. Man langweilt sich und ist ganz zerschlagen vom Warten, und man wartet immer noch und man setzt sich endlich auf die Erde, und einer rückt an den anderen heran, und Nacht und Wüstenei herrschen um einen Jeglichen. Einige Stunden darauf kommt Feldwebel Marcassin mit einer Laterne in der Hand. Mtt kreischender Sfimme hält er Appell ab. Dann geht er wieder weg, und wir warten von neuem. Mehrmals sind wir umsonst aufgesprungen, aber um 10 Uhr abends wird endlich der richtige Zug gemeldet. Schon starrt er von Menschen, er ist rot und schwarz, er ist vollge- stopft und es heult in ihm durcheinander. Der Zug bleibt stehen. Der Bahnhofssteig wird in eine Straße verwandelt. Man steigt ein, man sucht sich seinen Platz. Beim Licht der Laternen, die hier und da herumtanzen, entziffert man Zeich- nu-ngen und Aufschriften an den Eisenbahnwagen. Da sind Schweineköpf« mit Pickelhauben, da ist eine Inschrift:./Nach Berlin !" Das ist ungefähr die einzige Wcgrichtung, die man in Erfahrung bringen kann. Der Zug fährt ab. Wir drängen uns an die Fenster, um hinauszublicken. Wir spähen zum Brückenllbergang hinunter. Vielleicht blicken uns dort noch die Menschen nach, in deren Kreise wir solange gelebt haben. Aber das Auge kann nur noch ein un- bestimmtes Gegeistere wahrnehmen, das mit der Natur ver­wischt und verwaschen ist. Nun sind wir ganz blind, und ein jeder sinkt auf seinen Platz zurück. Das Rollen der Eisenbahn hänimert uns in seinen Takt hinein. Man rückt sich zurecht, man rüstet sich zur Nacht, man raucht, man trinkt, man spricht. Dies Eisenbahnabteil, das schlecht erleuchtet und rauchfahl durchnebelt ist, ähnelt einem Kneipenwinkel, der irgendwo losgelöst worden ist. um irgend- wohin fortgetragen, zu werden nach dem Unbekannten. Durch das Rasseln der Räder des Zuges raunen einige redende Stimmen. Meine Nachbarn sprechen von der Land- Wirtschaft, von Sonnenschein und Regen. Andere sind Spaß- Vögel, die sich gern als Pariser Pflänzchen fühlen, sie sprechen von ihren Bekannten und besonders von Tingeltangelgrößen. Andere haben sich schlecht und recht auf dem Boden ausge- streckt und schlafen. Sie schlafen mit offenem Munde und murmeln etwas. Und das Rädergestampfe stößt sie, ohne daß die Starrheit von ihnen abfällt. Ich durckMandere im Keifte noch einmal d'e Einzelheiten des letzten Tages und selbst die Erinnerung an die verflossenen Zeiten, in denen sich gar nichts begeben hat. iForti wlat