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Nr. 42? 4 ZH. Jahrgang
Heilaae öes Vorwärts
dienstag, 19. August 1919
Nationalversammlung. 82. Sitzung vom Montag, den 18. August 191S. Am Regierungstische: Erzbergcr, Dr. David, Müller, Noske, Dr. Bell. Präschent Fehrenbach eröffnet die Sitzung um 19 llhr 22 Min. AIS   erster Punkt steht auf der Tagesordnung die erste und zweite Beratung des Entwurfs'eines Gesetzes über einen Anleihekredit für das Jahr 191g; dadurch soll der Reichssinanzmlnister er- mächtigt werden, zur Bestreitung einmaliger außerordentlicher Aus- gaben 9 Milliarden Mark im Wege des Kredits flüssig zu machen, den einzelnen Reichsverwaltungen die aus Anlaß des Krieges und der Demobilmachung erforderlichen Teilbeträge bis zur Höhe von 7 Milliarden Mark zu überweisen sowie 2 Milliarden Mark für Leistungen aus dein Friedensvertrage zu verwenden. Hieran schloß sich eine längere Geschäftsordnungsdebatte, aus der erkenntlich wurde, daß die Rechtsparteien die in letzter Zeit recht schwache Besetzung des Hauses dazu benutzen wollten, die Be- schlußfähigkeit des Hauses anzuzweifeln und damit die Vorlage zu verschieben. Die Vorlage war dem Hause so spät zugegangen, daß die. Parteien nicht mehr Zeit hatten, dazu vorher Stellung zu nehmen. Ueberhaupt ist die gesetzgeberische Arbeit in Weimar   in der letzten Zeit in ein Tempo geraten, das für die ordentliche Bear. beitung der Materien bedenklich ist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Rechtsparteien diesen Umstand für sich mit zunutze gemacht haben, um auch andere Parteien für ihre Pläne mit einzuspannen. Im Laufe der Geschästsordnungsdebatte griff auch der Reichsfinanz- minister Erzberger   ein und betonte, daß der Staatsbankrott unmittelbar vor der Türe stünde und alles getan werden müsse, um den Gesetzentwurf sofort in Beratung zu nehmen. Der Antrag der Rechten auf Absetzung der Beratung wurde gegen die Stimmen der Rechten und der Unabhängigen abgelehnt. Es folgte formell die erste Beratung des Gesetzes und dann die Ueberweisung der Vorlage an den Ausschuß. Es folgt die zweite Beratung des Gesetzes über die Ent- schädigung der infolge der Verminderung der Wehrmacht ausscheidenden Offiziere. Da die Mög- lichkeit einer sofortigen dritten Beratung ins Auge gefaßt ist, findet eine Generaldebatte statt. Den Bericht erstattet Abg. Dr. Oberfohre«(Dnat. Vp-s. Abg. Grünewald(Dem.): Da? Gesetz gibt die Gelegenheit, ein Gefühl des Dankes unfern Offizieren auszusprechen. Wir begrüßen es, daß wir ihnen den Uebergang zu einem andern Beruf somit erleichtern können Abg. v. Gräfe(Dnatl.): Da? Gesetz sollte mit Einmüfigkeit angenommen werden, weil es den Dank der Nation für einen Teil der Armee ausspricht. Reichswehrminister Noske  : Es ist richtig, daß sich sehr viele Offiziere zurzeit in schlechter Lage befinden, daß es einer beträchtlichen Anzahl von Kapitulanten geradezu trostlos geht, und dieser Zustand wird durch die Ausführung des Friedens- vertrage?, der uns die Verringerung des HeereS vorschreibt, noch eine weitere Verböserung erfahren. Wir müssen Zehntausende von Berufsoffizieren entlassen. Vor aller Oeffentlichkeit mutz ich fest- stellen, daß Zweifel daran geäußert worden sind, ob Deutschland   den Friedensvertrag loyal durch- führen werde, auch in militärischen Fragen, und daß falsche Behauptungen über die Zahl der noch vorhandenen Soldaten auf- gestellt worden sind. Namentlich hat die unabhängige sozialdemo- kratische Presse solche total falschen Behauptungen gebracht und damit in Frankreich   ein« Hauptsorge wachgerufen, so daß Frank- reich sich nicht entschließen kann, uns die deutschen KriegSgcsange- nen zurückzugeben(Lebhaftes Hört, hörtl), weil man befürchtet, sie könnten eine Vermehrung der deutschen Heeresmacht werden, von. der man sich im Auslande immer noch übertriebene Vorstellungen macht Herr v. Graefe handelt nicht politisch klug, wenn er bei den Offizieren die Meinung zu erwecken sucht, daß sie von der Regie-
rung verraten und verlassen sind. Falsch ist die Auffassung, und sie wird auch von verständigen Offizieren nicht geteilt, daß das Reich ihnen gegenüber eine besondere Dankespflicht §u erfüllen habe, weil sie sich in den Tagen der Revolution zur Ver- sügung gestellt hätten, um gemeinsam mit der Regierung Deutsch  - laud vor dem Ehaos zu bewahren. Die Offiziere haben damit nicht zuletzt auch ihren eigenen Interessen gedient, denn hätten wir eine spartakistische oder unabhängige Regierung, so würde heute nicht über diese Abfindungsgesetze bekaten werden. fZustimmung.» Die Vorgänge in der Kommission hat Herr v. Graefe durchaus tendenziös besprochen. Die Berichterstattung in einzelnen den Rechtsparteien nahestehenden Zeitungen war zum Teil direkt nichtswürdig und hat dadurch zur Erweckung einer unberechtigten Erbitterung in den Reihen der Offiziere und Kapitulanten ganz erheblich bei- getragen. Der Ausschuß hat die Vorlage der Regierung geändert, aber von ihrem Grundgedanken ist er nicht abgewichen. Es ist ganz indiskutabel, den Regierungsparteien zuzumuten, sede Vor- tage einfach im Wortlaut zu schlucken, auch sie haben das selbst- verständliche Recht auf Abänderungsvorschläge. Daß nicht alle Wünsche restlos erfüllt werden tonnten, bedaure ich. Die Frage der Versorgung von Personen, die durch den Krieg gelitten haben, darf nicht unter dem Gesichtswinkel parteipolitischer Propaganda beantwortet werden. Welche Parteigruppierung auch die Geschäfte des Reiches führt, sie muh sich nach seiner Finanzlage.richten. An der Tatsache ist nicht zu deuteln, daß Herr v. Graefe in der Kommission gesagt hat, man könne ja ruhig in daS Gesetz noch mehr hincinschreiben; man wisse doch, daß Deutschland   nicht in der Lage sei, das Zugesagte zu erfüllen. (Großer Lärm rechts und erregte Zurufe.) DaS bleibt an Ihnen (nach rechts) hasten, ich rufe die ganze Kommission zu Zeugen an. Wenn Herr v. Graefe inzwischen zugelernt hat. so ist das ja zu be- grüßen. Die Regierung darf eine solche Politik nicht treiben; was in Aussicht gestellt wird, muß auch tatsächlich gezahlt werden können. Aber auch die Kapitulanten und Offiziere müssen daran denken, daß der Krieg Zehntausrnde von Existenzen zertrümmert hat, daß auch den Kriegsbeschädigten, den Kriegsgefangenen, den Aus- landsdeutschen nicht voll« Entschädigung zuteil werden kann. Die Enttäuschren geben jetzt ihrer Mißbilligung zum Teil in Formen Ausdruck, gegen die Protest erhoben werden mutz, gegen die in ein- gelnen Fällen sofort«ingeschritten werden mnßte. In beide Gesetze ist der sogenannte Härteparagraph ausgenommen worden, der dem Finanzminister und mir die Berechtigung gibt, zur Linderung her- vortretender Mängel alles Zweckdienliche zu veranlassen. Ich gebe die bündige Erklärung ab, daß davon in der wohlwollendsten und warmherzigsten Weise Gebrauch gemacht werden wird. Tie beiden Gesetze werden eine sehr wertvolle Beihilfe für den Versuch tat- kräftiger Männer darstellen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Reichsflnanzminister Erzberger: Ich stimme mit dieser letzten Erklärung vollkommen überein, ganz besonders wird unser Wohlwollen den sogen. Kriegsleutnants und der Lösung der Frage der UmzugSgebührnisie gelten. In weit- gehendstem Umfange ist das Entgegenkommen der Regierung ge- wäbrleistet. Die ReichSregierung wird alles tun, um das Los der Offiziere und Kapitulanten nach Möglichkeit aucb trotz der schlechten Finanzlage zu erleichtern. Die Reichsregierung ist von dem größten sozialen Verständnis gegenüber diesen Bevölkerungsklassen getragen, und die Ausführung der Gesetze wird zeigen, daß eS sich nicht um Worte, sondern um praktische Taten handelt., Abg. Stückle n(Sog.): * Der Gesetzentwurf erfüllt die moralische Pflicht des Reichs eine rechtliche Verpflichtung können wir nicht anerkennen, den Offizieren in der UebergangSzeit zu helfen. DerDeutsche Offizierbnnd" ist gegen die Vorlage Sturm gelaufen, wir haben einen Depeschen- stürm erlebt, wie er noch nicht dagewesen ist; fieilich hat sich dabei durch eine klein« Unvorsichtigkeit der beteiligten Stelle herausgestellt, daß der Depeschensturm auf Bestellung gekommen ist. Von der Pflicht einer besonderen Dankbarkeit den Offizieren gegenüber kann man nicht sprechen. Gewiß, die Offiziere haben im Kriege ihre Schuldigkeit getan mit AuSnabmr derer, die in der Etappe und weit vom Schuß angenehme Stellungen bekleidet baben und die leider trotzdem auch unter das Gesetz fallen. Aber die einseitige Betonung dieses Gesichtspunktes würde dahin führen, daß den Offizieren eine besondere Belohnung
gegeben werden soll.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)' Herr v. Graefe wendet sich dagegen, daß die Uebergangsgebührnisse nach zwei bzw. drei Jahren nur bei Nachweis des Bedürfnisses weitergezahlt werden sollen. Unter der Herrschast der neuen Steuer- gesetze wird jeder Staatsbürger seine Vermögensverhältnisse offen- baren müssen. Ist es da wirklich so schlimm, wenn auch an die Ossi- ziere diese Zumutung gestellt wird,(Sehr richtig! bei den Sozial» demokralen.) In einer der Depeschen, die an die Nationalversamm- lung gerichtet worden sind, heißt es, wenn das Gesetz nicht verbessert werde, so treibe man zahlreiche Offiziere in die Reihen der Radikalen, wo sie als Führer willkommen sein würden. Unter dem alten Regime haben sich die Offiziere kaum rühren dürfen, jetzt, in der demokratischen Republik, stellen sie Forderungen, die sie früher nie» malz zu stellen gewagt haben würden, und scheuen selbst vor Drohungen nicht zurück. Demgegenüber mutz gesagt werden: Selbst wenn Handgranaten von jener Seite in Bewegung gesetzt werden würden, das Gerd, das zur Erfüllung unvernünftiger und unerfüllbarer Forderungen nötig sein würde, würde man damit nicht hervorzaubern können» denn wir dürfen nicht vergessen, daß die Regierung jetzt ein vor dem Bankerott stehendes Deutschland  verwaltet. Des Ende vom Liede würde, wenn wir uns auf diesen Weg drängen lassen würden, der Zusammenbruch sein, und dann käme auch für die Osfiziere nicht die goldene Freiheit, sondern cS käme die Anarchie und im Hintergrunde die feindliche Besetzung; in der Zwischenzeit aber müßten die Offiziere ihr Brot wie in Rußland   verdienen, und davor möchten wir sie auch für die Zukunft bewahren.(Beifall bei den Soz.) Wenn die Offiziere die Regierung unterstützt haben, so lag daS auch in ihrem eigenen Interesse. Wenn jetzt mit Drohungen operiert wird, wie ich sie eben gekennzeichnet habe, so wäre das der Standpunkt deS modernen Landsknechts, der dort seine Dienste zur Verfügung stellt, wo er am besten be- zahlt wird. Allerdings, ich unterstelle das dem Offizierkorps nicht; ich nehme an, daß es nur einzelne Heißsporne sind, die in dieser Weise vorgehen. Bei der Ueberführung der Osfiziere in den Zivildienst in Reich, Staat und Gemeinden müssen die militä- rischen Rangverhältnisse völlig ausscheiden; ein Major darf unter keinen Umständen eine Stellung im Zivildienst ablehnen, weil sein Vorgesetzter vielleicht nur Hauptmann gewesen ist. Aus dem Grunde halten wir auch die Einführung von Schiedsgerichten für völlig unangebracht; es würde dadurch nur der militärische Itan- desdunkel in den Zivildienst übertragen werden. Soweit das Gesetz im einzelnen zu Härten führen würde, wird durch den Härteparagraphen Abhilfe geschaffen werden. Wir sind daher der Meinung: DaS Gesetz ist w ant, daß es einstimmig angenommen werden könnte.(Beifall bei den Soz.) Abg. Dr. Mittelmann(D. Vfi.): Die Auffa..ng, als ob die Osfiziere mit ihrem Eintreten für die Regierung auch ihr eigene? Interesse vertreten häiten, vermag ich nicht zu teilen. Der preußisch-deutsche Offizier ist von jeher gewöhnt gewesen, selbstlos seine Pflicht zu tun.(Beifall rechis. Widerspruch und Lachen links.) Wenn der Reichswehrminister gesagt bat, es wäre, wenn die Offiziere sich nicht zur Verfügung gestellt hätten, das Chaos gekommen und diese Vorlage hätte über- Haupt hier nicht eingebracht werden können, so erwidere ich dar- auf: die Sache hätte sehr-leicht auch anders kommen können, d.. h. die Revolution hätte sich totlaufen können. (Beifall und Widerspruch) Der Regierungsentwurf hat im Aus» schuß eine sehr harte Verurteilung der beiden Regierungsparteien erfahren. Seilens des Zentrums wurde es als dürftiges Mach» werk mit dürftiger Begründung bezeichnet» die Sozialdemokraten behaupteten, ein so mangelhast vorbereitetes Gesetz wie dieses noch nicht erlebt zu haben. Die Telegrcrmmaffäre und die dabei gefallenen Drohungen wollen auch wir nicht verteidigen. DaS Gesetz ist im Ausschutz dermaßen verschlechtert worden, daß das Ausschußergebnis tatsächlich in den Rahmen der Regiernngsvor» läge nicht nur nicht hineinpaßt, sondern ihr diametral gegenüber- steht. Wir können dem Gesetz nicht zustimmen, wenn sie unsere grundsätzlichen AbänderungsaNträge ablehnen. Folgen sie unseren Anträgen, das Reich hat ein Interesse daran, seine Offiziere, die es wohl noch einmal brauchen kann, zufriedenzustellen.(Beifall bei der D. Vp.) Die Besprechung wird um 942 Uhr abgebrochen. Wiederbeginn der Sitzung um Uhr. (Schluß im Haupiblatt.)_
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Erleuchtung. Roman von Henri Barbusse  . Verdeutscht von Max Hochdorf  .
Jemand maulte etwas vom Militarismus. Doch nie­mand außer Termite, der nicht mitzählte, nahm daS Wort ernst. Sogleich aber führ Marcassin verzweifelt auf:_Der französische   Militarismus und der preußische Militarismus, das ist nicht das gleiche. Denn der eine ist französisch und der andere preußisch!" Man spürte, daß all diese Streiterei den Feldwebel anwiderten und ermüdeten. Es wurde ganz wüst in ihm und er schwieg sogleich. Wir legten uns an einem Ort auf Wachtposten, zu dem wir noch niemals ge- kommen waren. Darum schien uns diese Stelle schlimmer als alle übrigen.' Wir mußten ausschwärmen und ohne Deckung die ganze Nacht lang den Graben durchlaufen, und wir mußten den immer einschlagenden Reihen ausweichen. Diese Nacht war nur ein Riesengeschmettere, darein waren wir gesät und in schwarze Pfützen und in schwarzes Ge- Winkel, oder in schwarzerdige Gespensterei. Am Morgen marschierten wir weiter, ein Blenden lag in unseren Augen, aber alles war noch nachtfarben. Nur vornx hörte man dann den ewigen Schrei:Vorwärts marschl Vorwärts marsch!" Dann verdoppelten wir unsere Mühsal. Dann rissen wir eine heftige Hast aus unserem Wesen heraus. Und die in Feuchtigkeit und Eisigkeit gebadete Truppe marschierte dahin unter den Gewölben der Wolken, und die Wolken zer- sprängen. Und sie wurden langsam tageshell. Wir wurden ausgeliefert an ein Schicksal, dessen Be­deutung und Namen wir nicht suchen durften, denn die Zeit fehlte uns dazu. Wir dursten nur die Kraft des Schicksals verspüren, das sich fühlbar inachte, wie die' Gottheit selber. Dann war es, als wenn sich die vom Morgen betaute Erde, deren Anschwellungen unser Auge nur gestreift haste. von einem Ende zum anderen entzündete. Und der Himmel war nichts anderes als nur der grenzenlose und traurige Rauchschwaden, der vom Erdenreiche emporstieg. Dann hatten wir auch das verlassen, und im Laufe des Tages wurde neuer Halt befohlen. Das Geklappere des Marsches wurde abgebrochen, es stolperte, es schwieg. Wir warfen uns unter unseren Rucksäcken nieder, während ein anderer Trupp abzog. Und dann klomm der Blick bis zum
Eisenbahndamm empor. Im Ausschnist der Schießscharte waren winzige Erhöhungen sichtbar, geringfügige Hütten und Gärten, deren Boden umgeschaufelt war. Aber die Gräser und die Blumen waren begraben. Gartengehege waren von Zaunlatten eingezäunt. Maurergerüste standen noch hier und da und an den Wänden klebten sogar die be­redten Ueberreste irgend welcher Anschlagzettel. Das war ein ganzes Gewinkel künstlicher Dinge, menschlicher Dinge, trügerischer Dinge. Der Bahndamm lag in der Nähe, und in dem Netz, das zwischen dieser Wegstrecke und uns aus- gespannt war, hingen zahlreiche Menschenkörper, wie die Fliegen. Nach und nach hatten die Wetterunbilden diese Körper aufgelöst, und die Zeit hatte sie angestessen. Mit ihrer schlotternden Zerlassenhcit und der Spitze ihrer Schädel lehnten sie leicht an die Eisendrähte. Stundenlang starrten unsere Augen auf dieses Gelände, das von einem ganzen Drahtgewirr verbarrikatiert und von Menschen angefüllt wurde, deren Glieder nicht bis zum Erdboden reichten. Einer stach besonders in das Luftreich hinein und er schwankte bei dem Windwehen deutlicher als die übrigen. Wie eine durchlöcherte Scheibe schwankte er huntcrtmal hin und her. und an der Stelle seines Herzxns war nur eine leere Höhlung sichtbar. Ein anderes Gespenst, das wir ganz in unserer Nähe wahrnahmen, war zweifellos schon seit langem in die Zersetzung übergegangen, es wurde nur noch von seinen Kleidungsstücken zusammengehalten. Gerad als der Nachtschatten uns mit seinem großen Wehen zu überrieseln begann, erhob sich der Wind. Der Wind schüttelte das ausgedörrte Geschöpf. Und die Hülle des Geschöpfes entleerte sich in einer Masse von Erdreich und Staub. Der Raum wurde eine Weile von Düsterkeit durchwirbelt und es flackerte und flatterte irgend etwas an der Stelle, wo sich der Mensch befunden hatte. Der Soldat wurde von dem Wind in unbegrenzten Bruchstücken fortgetragen. Er wurde fortgetragen, um im Himmelreich beerdigt zu werden. Gegen das Ende des Nachmittags wurde das durchdrin- uende Gekrestch der Kugeln stärker und stärker. Mar. wui de von diesem Geräusche durchsiebt und getroffen. Da wir i» vorsichtig in die Landschaft hinausspähten, die wieder auf unS berniederspäbte, so geriet Marcassin in große Erregung. Er walzte einen Gedanken in sich herum. Plötzlich faßte er eine Entscheidung, und mst Siegermiene rief er aus:Seht
dorthin!" Er kletterte auf die Grabenwand. Dort reckte er sich gerade auf, blindlings und schlicht wie ein Apostel, der ein Beispiel geben will, und sein ganzes Herz darbietet, tat er es. Er ballte die Faust in den Raum hinaus und schrie: Tod allem, was ein Boche ist!" Dann stieg er wieder hinunter und er zitterte vor Gläu- bigkeit und in der Gnadengabe, die ihm gewährt wurde. Die wenigen Soldaten, die sich in dem Grabenstück au- gesammelt hatten, blieben vor diesem außerordentlichen Schauspiel wie erstarrt. Denn es war ja ganz ungewöhnlich, daß sich ein lebendiger Mensch am hellichten Tage auf der vordersten Grabenlinie emporgereckt hatte. Obwohl solche Kühnheit all ihren Verstand überstieg, mußten sie Mn Feld­webel doch bewundern. Aber sie brummelten:Dar WC er nicht nochmal riskieren!" Und Marcassin:Was, nicht nochmal riskieren?" Und et schwang sich noch einmal hinauf. Er war ganz mager und ganz starr aufgereckt, und er hob die Arme steil in die Lust wie eine Pappel, und er heulte:Ich glaube nur an den Ruhm Frankreichs  !" Für ihn gab es nichts anderes mehr. Er war nur noch eine Ueberzeugung. Aber kaum hatte er derart in den nn- sichtbaren Sturm hineingesprochen, als er die Arme ausesn- anderschlug. Seine Gestalt zeichnete ein Kreuz gegen den Himmel hin ab. Er überschlug sich und schlug mit einem dumpfen Fall mitten in den Grabcnschlund und unsere Schreie hinein. Er war ans den Bauch hingcrollt. Man sammelte sich um ihn. Mit einem Satz warf er sich auf den Rücken herum. Aber seine Arme wurden schlaff, sein Blick sank in den Kern des Auges hinein. Sein Blut verbreitete sich sickernd um ihn. Wir zogen unsere groben Stiefel zu- rück, um nicht in seinem Blute zu waten. Mange sagte mit würgender Stimme:Er ist wie ein verrückter Narr gestorben. Herrgott im Himmel, ist daS schön!" Er nahm die Mütze ab, er grüßte linkisch und blieo mit gesenktem Kopfe stehen. Vidan murmelte:Sich für eine Idee dem Tod aus- setzen, das ist schön." Und alle anderen Stimmen sagten:Das ist schön! Das ist schön!" Und diese winzigen Worte entblätterten sich wie kleine Blumenblüten über dem Körper dieses, großen Soldaten, der eben seinen Tod gefunden hatte. (Forts, folgt.)