Nr. 436 ❖ 36. Jahrgang
Seilage öes vorVärts
»Mwoch, V. flngofl i»,»
Jür Arbeit unö Ireiheit. Die Parteifunktionäre. Betriebsvertrauens- keute und Arbeiterräte der S.P. D. nahmen gestern Stellung zu den wilden Arbeiterratswablen. B r v l a t referierte. Wie er vorausgesagt habe, habe das zrotze Kesseltreiben gegen unsere Genossen in den Be- trieben eingesetzt. Nachdem der Zentralrat den Beschluß des'2. Räte- kongrefses nicht so ausgeführt hat, wie es die Auftraggeber wünsch- ten, haben die Unabhängigen versucht, den Jentralrat vor vollendete Tatsachen zu stellen. Unsere nächste Aufgabe war es, die Frage zu lösen, was nun zu tun sei? Wir mußten dem auf das Ent- schiedenste entgegentreten. Es galt unser Sein oder Nichtsein. Wir mußten alles tun, die Wahlen zu verhindern, da bei eim'eitiger Ausschreibung der Wahlen auch der ganze Wablkorper in den Händen der Unabhängigen und Kommunisten sich befinden würde. Wir verlangen, daß die Wahlen nach dem Wahlreglement des Zentralrats stattfinden und daß die Ausschreibung der Wahlen durch einen unparteiischen Kommissar erfolgt. Im Augenblick haben wir es durch unsere Klugblätter und Auf- rufe geschafft, daß die Wahlen unmöglich sind� Tie GewerkschaftSkommissiou ist nun dem»roten" Vollzugsrat zu Hilfe geeilt. Wir müssen es ablehnen, daß eine rein politische Angelegenheit durch die Gewerkschaftskommission unterstützt wird. Jedenfalls aber sei der Erfolg der, daß die Wahlen nicht stattfinden Linnen. Den Unabhängigen komme es nur darauf an, die T i k- t a t u r des Proletariats durchzuführen Sie sagten ja in ihren Aufrufen ganz offen, daß nach dem wirtschaftlichen das poli- tische Rätesystem kommen müsse. Als LrdnungSvartei müssen wir uns dagegen wenden. Es sei jetzt so, daß wir leider unsere ganz« Kraft gegen links einsetzen müssen Auch der Aufruf in der .Freiheit", daß die Regierung gegen die oberschlesischen Ar- beiter mit Waffengewalt vorgehe, sei eine Lüge. ES wisse ein jeder, daß die Bewegung in Lberschlesien eine großpolnische sei. Es kommt den Leuten nur darauf an, Unruhe zu schaffen. Das von den Unabhängigen durch die bekannten Flugblätter propagierte R ä t e s y st« m sei ein Unsinn. Es würden dabei ge- rade die größten Maulhelden als Räte gewählt. Der Beschluß der unabhängigen Funktionärkoirferenz, daß die unabhängigen Abgeord. neten aus den Parlamente,! �ausscheiden sollen, sei die größte Dumm- heit. ES sei dies ein Beweis, wie unüberlegt die Unabhängigen Beschlüsse fassen. Wir sind froh, jetzt ohne Hemmnisse arbeiten zu können, und wenn wir weiter so arbeiten, werden wir eS erreichen, daß in Berlin die V e r n u n f t s i ch w/ e d« r Bahn bricht. Zu den Arbeiterratswahlen müssen wir schon jetzt die Vorbereitungen treffen.(Beifall.)/ In der Diskussion führte Franz Krüger aus, daß jetzt der Entscheidungskampf zwischen der Rätediktatur und der Demokratie stattfinde. Diese Erkenntnis scheinen auch die Leute um Däumig und Rich. Müller zu haben, da man jetzt mit aller Macht versuche, das politische Rätesystem durchzusetzen. Man habe die Absicht, die gange politische Macht zu ergreifen. Wir müyen uns nur nach dem Wahlreglement deS Zcntralrates richten. Das sei auch der Standpunkt de� Regierung. Die Arbeiterratswahl dürfe keine Angelegenheit der gewerkschaftlichen Disziplin werden. Hierauf sprach Büchel vom Vollzugsrat. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die der Vorredner gestreift habe, seien so ernst, wie noch niemals während der ganzen Revölution. Wir sieben nicht vor dem Zusammenbruch, soiidern bereits mitten darin. Nicht die Regierung bestimmt den Zeitpunkt der Katastrophe- Wir müssen klar sehen und uns unumwunden sagen, der gefürchtete Augenblick ist bereits da. Das von der Regierung gewählte Mittel des Verbots aller Flugblätter zur Bekämpfung des Antisemitismus sei nichts das richtige. Tie gesamte deutsche Arbeiterschaft werde jenen Dunkelmännern mit allen Mitteln beweisen, daß sie sich nicht zu verbrecherischen Zwecken benutzen lasse. Barth: Wir befinden uns mitren im wirtschaftlichen Zusammenbruch. Es ist die Stunde nicht mehr fern, wo wir keine wirtschaftlichen Reserven besitzen werden. Wir sind seit der Revolution von Tag zu Taq ärmer geworden. Das Ausland gibt uns keinen Kredit mehr. Der Zusammenbruch ist«ine Folge per Arbeitsunlust. In Hennigsdorf hat man den arbeitswilligen Kolleaen gedroht, ihnen den Schädel einzuschlagen, wenn sie nicht den Betrieb verlassen. Wenn gegen diese bestehende Unsicherheit der arbeitsfreudigen Elemente kein Schutz gewährt wird, so sei der Zusammenbruch nicht cmszuhalteu. Die Gegenrevolution von links oder rechts müsse kommen, wenn nicht energische Mahnahmen ergriffen werden. Die Gegenrevolution von links hringt unS dte Diktatur ebenso wie die Gegenrevolution von rechts. In beiden Fällen sind gerade die gemäßigten Elemente
die am schwersten geschädigten. Der Zerfall unserer Wirtschafts- kraft treibt uns immer näher zur Stunde der Entscheidung. Wenn -wir retten wollen, was überhaupt noch zu retten ist, und wenn wir die sichere Basis für den Wiederaufstieg unseres Volkes ge- Winnen wollen, so müssen wir dem drohenden Gefahren von rechts und links zuvorkommen. Die Schweinerei, die jetzt in Deutschland herrscht, kann nicht so weiter gehen. Jetzt ist die Stunde gekommen, die Zügel straffer anzuziehen,(«stürmischer Beifall.) Für alles, was jetzt geschieht, wird unsere Partei und werden die in der Regierung sitzenden Genossen verantwortlich ' gemacht. Mit schönen Reden kommen wir jetzt nicht mehr auf- wärts. Jetzt muß gehandelt werden! Der drohenden Diktatur von links und rechts fit die Diktatur der per- nünftigen Mitte entgegenzusetzen. Die gerade Straße, aus der wir gesichert zum Aufbau der zermürbten deutschen Volkskrast schreiten, muß entschlossen gegen rechts und links, wenn es sein muß mit scharf geschliffenen Bajonetten umsäumt werden. Und wer dagegen anrennt, trägt selbst die schuld, wenn er Sebaden leidet.(Zustimmung.) Ob hoch, ob niedrig, alles muß sich jetzt in den Dienst des Volkes stellen, und wer es nicht freiwillig tut, der muß gezwungen, werden. Man mag sich wundern, daß ein Sozialdemokrat so redet, aber ich sehe keinen anderen Aus- weg. Mir ist die Partei niemals etlistts anderes gewesen als das Mittel, das Wohl des Volles zu fördern. Das B-lt muß uns höher stehen als Parteirücksschten. Wer nicht mitmacht, wenn es das Voll zu retten gilt, gegen den muß rücksichtslos der Kampf aufgenommen werden, ob er hoch steht oder niedrig. Für jeden einzelnen besteht jetzt die unbedingte Pflicht, dafür zu arbeiten, daß unser Voll wieder in die Höhe kommt.(Stürmischer Beifall.) Jwelsohn: Barth habe dasselbe vorgeschlagen, was die Un- abhängigen tun; er habe an die Gewalt appelliert.(Widerspruch. Zuruf: Ä b w eh r der Gewalt!) Wir müssen nicht an die Bajonette appellieren, sondern mit Waffen der Moral und des Geistes kämpfen. Wir müssen uns aus den Boden der politischen Gleich- berechtigung der Arbeiterkammer » stellen. In der weiteren Diskussion wird fast ausnahmslos gefordert, den Kampf gegen links fortzusetzen, aber auch gegen rechts schärfer aufzutreten. ES müßte auch versucht werden, unnötige Fehler der Regierung zu Verbindern. Eine von Joelsohn eingebrachte Re- sotution, die da» Vorgehen gegen den.roten" VollzugSrat miß- billigte, müsse abgelehnt werden. Die Theorie Joelscchns über die Einigung mit den Unabhängigen seien sehr schön, in der Praxis aber, u n m ö g l i ch. Wenn wir schärfer gegen die konservativen Kreise auftreten, so werden wir auch die Landbe- völleruitg von unseren Ideen überzeugen. Unter Ablehnung der Resolutton Joclsohn wurde die nach- stehende Resolution gegen vereinzelte Stimmen angenommen. »Die am 26. August tagende Konferenz der JSetriebSvcrtrausnS- leute, Arbeiterräte und Parteifunktionäre der Sozialdemokratischen Partei Groß-Berlins, begrüßt es, daß bis zu: bevorstehenden ge- setzlichen Regelung der Zentralrat ein Wahlreglement zur geord- neten Neuwahl der Arbeiterräte erlassen hat. Die Konferenz er- klärt, daß sie die Durchführung der Neuwahlen auf Grund dieses Wahlreglements mit allen Kräften unter st ützen wird. Sie ''pricht dem VollzugSrat der unabhängigen und kommunistischen Arbeiterräte das Rackit ab, seinerseits Neuwahlen der Arbeiterräte vorzunehmen, die nur den Zweck haben könnten, eine einseitige unabhängig-kommunistische Räteberrschaft zu etablieren. Die Konferenz billigt daher das Vorgehen der Regierung gegen den unabhängig-kommuniftischwi Vollzugsrat. Mit aller Eni schieden best muß dem verbrecherischen Versuch entgegengetreten werdeu, zur höheren l?hre unabhängig-kommunistischer Herrsch- sucht jetzt wiederum einen Generalstreik zu ufizenieren. Die Versammelten geloben, mit aller Schärfe dieser neuen General- slreikpropaganda in den Betrieben, entgegen zutr« ten und in der jetzigen' Zeit größte- Siefahr für unsere wirtschaftliche Zu- kunft mehr den« je alle Kraft einzn setzen für unseren wirtschaftlichen Wiederaufbau."
Gro&BerUtt Wann kommen sie—? Sie warteten auf ihre in der Gefangenschaft schmachten- den Angehörigen, warteten nun schon Woche um Woche. Un- gezählte Male hatte man ihnen die Heimkehr der so sehn- süchtig Erwarteten versichert. Doch keiner kam. Das hatte die Verzweifelnden noch verzwcifelier gemacht. Hatte ihre verbrauchten?!erven in immer höherem Grade auf die FoUer
gespannt. Hinausgeschrien hatten sie ihr Weh in alle Welt. Ihr Jammer dnrchgrollte die Lüfte. Eine unsagbare B fiter- kefi hatte ihre Herzen vergiftet. Wie immer trafen sie sich zur bestimmten Stunde im Verkaufsladen. Müde und abgespannt schauten sie dretn. Das alte Mütterchen, das auf den einzigen Sohn wartete. hatte die schon leicht ergrauende Frau mit den fünf Kindern durch ein Kopfnicken begrüßt. Kein Wort fiel von dem, waS ihre Herzen bedrückte. Jede war über das Schicksal der an- deren genau unterrichtet. Auch als die junge Frau zu ihnen herantrat, die Kriegsgetraute, berührten sie das nicht, was ihre Seelen vergrämte. Nur dann und wann streiften ihre müden Augen, wie suchend, nach den Gruppen der anderen Frauen hinüber, denen es ebenso ging wie ihnen, oder die einen Sohn oder Bruder oder Gatten im Feindesland be- graben wußten. Geduldig warteten sie, bis die Verkäuferin nach ihren Wünschen fragte. Und dann und wann zitterte ein Seufzer durch den kleinen Ladenraum. Verzitterte, kaum hörbar, und doch laut genug, daß die anderen aufblickten und ihn unbe- wüßt mit einem Seufzer beantworteten... Das war wie Fraae und Antwort. Und hing wie Wehmut und Anklage in der�Lust, sich allen mitteilend und von allen verstanden... Eine nach der anderen wurde abgefertigt, tat das Ge- kaufte in den mitgebrachten Korb oder in die Handtasche, zählte mit zermürbtem, flattrigem Papiergeld und schlürft« mit müden Schritten aus dem Laden heraus. Die sonst so geschwätzigen Zungen waren still geworden. Kein Lachen flatterte auf. In den Augen war alles Leuchten erloschen. Etwas unsagbar Trauriges hatte die Gestalten der Jungen, der Mternden und der Alten gebeugt, hatte ihre Rücken leicht gekrümmt und das Haupt ihnen tief auf die Brust gepreßt. Keine sprach. Und doch sah man es allen an, daß sie nur der eine Gedanke erfüllte: warum kommen sie nicht, da doch längst Frieden ist? Frieden der Gerechtigkeit! Warum läßt man sie nicht zurückkehren in die Heimat?... Parteifunktionäre, Betriebsvertrauensleute, Arbeiterratsmitglieder. Morgen, Donueratag, abends 7 Uhr, Versammlung der BetriebSvertraueuSleute, Parteifunk- tionäre und A r b e i t e rr a t S m i t g li e d e r der S. P. D. im„Deutschen Hof", Luckauer Str. 13. Vortrag des Geuoffcn Abramowicz über:„Der Bolsc�wismus in Rußland ."' August Thiel f Wieder ist einer von den Alten dahingegangen. Montag abend macht« ein Herzschlag dem Leben dieses braven Genossen ein jähe? End«. Seit länger als 30 Jahren kenne» ihn die älteren Genossen de» fünften Wahlkreises als einen Alaun, der zu jeder Zeit, tu guten und bösen Tagen, in der selbstlosesten Weise für die sach« unserer Partei eintrat. Es gab keine Parteiarbeit, bei der August Thiel nicht seinen Mann stellte. Wie die Berliner Parteiorgane sation überhaupt, so trifft der Heimgang Thiels ganz besonders schwer im engeren. Sinne die 1. Abtrtlung, deren Funktionär er war.. Das Andenken dieses altbewährten Genossen wird unvergessen bleiben! Noch schärfere Gassperre. Die immer fühlbarer werdende Kohlenknappheit nötigt den Kohlenverband Groß-Berlin zu noch weiteren Einschränkungen des Gasverbrauchs als bisher. Infolge der Verminderung der Koblenzufuhren haben die Gaswerke Grotz-BerlinS zurzeit einen Bestand von nur 3ö 000 Tonnen gegenüber 67 000 am 1. August dieses JahreS und 180 000 Tonnen am L August vorigen Jahres. Um einen völligen Zusammenbruck der Gasversorgung zu verhüten, hat der Kohlenverband sich zu einer beträchtlichen Erweile- rungder Gassperre entscklossen. Sie wird auf die Stunden von 8— 12 Uhr vormittags und von S— 7 Uhr nachmittags ausgedehnt, außerdem wird nach 10!4 Uhr abends der GaS- druck so weit herabgesetzt, als eS sich mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Beleuchtung noch irgend verträgt. Der Kohlen-
Erleuchtung.
SJI
Roman von Henri Barbusse . Verdeutscht von Max Hochdorf . Ich muß auf dem ganzen Marsche bis hierher geschlafen hechen. Jetzt habe ich die Vorstellung, daß ich in diesem winzigen Keller und unter dieser Kellerwölbung wohlgeborgen bin. Ich gebe mich nur diesem sanften Schrei meiner Gebeine hin: Schlafen! Aber, da ich eben einzuschlummern beginne, und da sich meine Träume mit Bildern bevölkern, tritt ein Mann zu mir. Er ist ohne Wösten und er späht mit dem weißen stechenden Punkte seiner elektrischen Lampe. DaS ist die Ordonnanz des Obersten. Sobald er den Feldwebel ge- funden hat. sagt er:„Wir brauchen sechs Leute für eine besondere Arbeit. Die Masse des Feldwebels erhebt sich, und er gähnt: „Butoire, Vidame, Margot, Termite, Polin, Remus!" So befiehlt er. und dann schläft er wieder ein.— Wir reißen uns aus dem Keller los, und langsam geht es schon, sich aus der Schläfrigkeit loszureißen. Dann stehen wir in einer Dorfstraße. Aber sobald wir an die freie Luft gekommen sind, verfolgt uns ein Aufblenden und Aufheulen, uns, das kleine Häuflein Mcnjchen, die wir uns plötzlich gegenseitig anblicke�. Und wir stürzen uns, einer tastenden Meute gleich, plötzlich nach der ersten Türe oder nach dem ersten gähnenden Loch, und einer von uns schreit auf:„Wie man doch ewig gebrandmarkt ist! Wie man doch ewig verraten ist I" Noch unserer Lastträgerarbeft kehren wir heim. Ich lege wich m meinem Winkel zurecht. Ich laste noch schwerer in mir. ich bin noch schmerzlicher zermürbt, ich bin noch tiefer eingeschaufelt tn den Schlund der ganzen Welt. Ick, beginne zu schlafen und entwandle aus eigener Kraft der Wirklichkeit, und eingewiegt durch eine«Stimme, dte vergeblich ergründen möchte, seit wie vielen Tagen wir marschiert sind. Und dann möchte ich dte Namen der Nächte wieder hersagen, die wir hinge- bracht haben: Donnerstag, Freitag. Sonnabend.— Da kommt der Mann mit der stechenden Lampe schon wieder zurück. Er vor- langt von neuem eine Arbeitsmannschast. und ich breche wieder mit den übrigen aus. Und so geschieht es noch ein drittes Mal. Sobald wir herausgekommen sind, entsendet uns diel Nacht, die mit ihrem Auge nach uns zu spähen erscheint, einen! dröhnenden VernichtungLsturm. Die Nacht sprengt uns auS-I
einander. Dann vereinigen wir uns wieder in der Dunkel heit. Wir tragen, immer zwei und zwei, Balkenwerk, dann haufenweise Säcke, die auf den Träger einen kalkigen Staub niederstäuben, und wir schwanken wie Masten unter unserer Last. Endlich, es war der letzte und der schrecklichste Dienst. mußten wir den Draht für den Verhau tragen, den rostigen Draht. Jeder von uns empfing ein großes zusammengerolltes Eisenknäul, das ebenso hoch wie der Träger war und das etwa 30 Kilogramin wog. Trug man dieses geschmeidige Rad, dann streckte es sich wie ein Tier, und es tanzte bei der ge- ringsten Bewegung, und es zerrieb die Schulterknochen.' und es zerstieß den Fuß. Mein Eisenknäul wollte sich an mich klammern, es wollte mich aufhalten und zu Boden schleudern. Mit dieser Sache, die von einer bösartigen Schwerfälligkeit und mächtigen und barbarischen Bewegungen beseelt wurde, mußte ich die Trümmer eines Bahnbofes, Steine und Balken, überklettern. Man klomm einen Bahndamm hinauf, der glitschig war und unter den Füßen fortrutschte und dorten mußte man sich krampfhaft verteidigen und dte erbittert wider- spensttge Last schleppen und stoßen. Es war unmöglich, den Gipfel zu erreichen, der immer wieder zurückwich. Man er- reichte ihn trotzdem. Ha, ich bin ein Mann von gesunder Natur! Ich hänge am Leben, und ich habe das Gefühl der Pflicht. Aber in diesem Augenblicke habe ich aus der Tiefe meines Herzens nach der Kugel geschrien, die mich von dem Leben erlösen sollte. Mit leeren Händen kehrten wir heim, und wir der- spürten ein dunkles Wohlbefinden. Ich erinnere mich, daß bei der Heimkehr, ein Kamerad zu dem anderen gesagt hatte: „Wenn Du die Platten mit dem Wellblech tragen mußt, dann ist das noch schlimmer!" Sobald es Tag wird, müssen die Arbeiten aufhören, ob- wohl die Leute vom Genie außer sich vor den Material massen stehen, die unnütz die Speicher vollstopfen. Man schläft von sechs bis sieben Uhr morgens.. Und wenn die Nacht sich ihrem Ende zuneigt, kriecht man. einer Eule gleich, aus dem Keller hervor. Und man fragt:„Und die Suppe?" Es gibt keine Suppe. Die Küchenordonnanzen sind nicht da. Es gibt auch nicht das gewöhnliche Morgenbrot. Man ernfidert nur:„Vorwärts, marsch I Vorwärts, marsch I" Wir marschieren durch den harten, fahlen, ausmergelnden Morgen. Da tauchen an der Wegstraße eines Dorfes Gärten
auf, die nicht mehr aussehen, als wenn Menschenhand sie einstmals angelegt hätte. Das ganze Gelände ist verbrannt und ersäuft. Die leeren Mauern starren überall wie abge- nagte Knochen. Anstelle der Pflanzen und Rebstöcke sieht man nur die gelblichen und streifigen Schatten der Soldaten, die sich in den Pfützen und in dem Schmutze spiegeln und dabei sind, den Schmutz ein wenig von sich abzuschaben, denn der Krieg verschmutzt die Trist des Feldes ebenso sehr wie die Gesichter und die Gesichter ebenso sehr wie die Seelen. Unsere Kompagnie, auf der eS grau und weißlich und verwest lagert, schleppt sich wefier in ihrer erniedrigenden Mattigkefi dahin. Man macht vor einem Schuppen Hcht. „Wer ermüdet ist. kann seinen Tornister zurücklassen!" so rät der neue Feldwebel.„Ihr werdet ihn hier wiederfinden." Ein alter Soldat sagt:„Wenn wir den Tornister zurücklassen können, dann geht es zum Angriff." Er sagt es. aber er weiß es nicht. Einer nach dem anderen fallet! die Rucksäcke auf den kotigen Boden des Schuppens nieder, wie lebendige Körper. Doch einige Leute sind mißtrauisch und sie ziehen es vor, ihren Tornister zu behalten. Bei allen Gelegenhefien gibt eS immer wieder Ausnahmen. Vorwärts, Marsch! Dieselben Schreie spornen wieder unsere Bewegung an. Vorwärts, marsch I Los. vorwärts! Los. marschieren I Ihr müßt Eure rebellischen Knochen be- siegen, die so träge sind I Reißt Euch aus Eurem Schlafs los wie aus einem Sarge! Ihr müßt Euch unaufhörlich er- neuern I Gebt alles, was Ihr geben könnt l Vorwärts. marsch I Es muß sein I Eine Forderung, die höher ist als Ihr selber, gebietet eS; ein Gesch. das auS der Höhe kommt, verlangt es I-fRan weiß nicht. waS man ist, man kennt nur die Schritte, die zum Marsche gehören, und selbst am Tage marschiert man ewig durch die Nacht. Und dann, niemand trägt die Schuld daran. Vorbei ist das unbestimmte Grübeln, vorbei ist auch das winzige Wähnen und Wollen, wie in der Zeit, da man sich nur um sich selber bekümmerte� Keine Möglichkeit mehr. den wirkliche« Ereignissen und dem Räderwerk zu entschlüpfen, keine Möglichkeit mehr, sich abzuwenden von der Erschlaffung, von der Erstarrung, von dem Ekel und von dem Schmerze. Vorwärts, marsch! Es muß sein! Der Äewittersturm im Weltenall stößt diese entsetzlichen Blinden vor sich her, die mit ihren Flüfie» htnauStasten tu den Weltenraum. Gort,, foloi)