erweiterke Unterhaltspflicht in die väterliche Familie hinein, so mag man auch ruhig dem Vater oder den väterlichen Vor- fahren einen Einfluß auf die Erziehung geben. Dadurch würde ihr natürliches Interesse an dem Kinde gefördert, wie es auch gefühlsmäßig das Kind der väterlichen Familie nähern würde. So gut wie heut Kinder verschiedener Ehe- frauen des gleichen Mannes in geschwisterlichem Verhältnis leben, so gut könnte dies auch bei ehelichen und außerehelichen Geschwistern der Fall sein. Hat eine Frau uneheliche und eheliche Kinder, so ergibt sich ohne weiteres ein geschwistcr- liches Verhältnis. Die Mutter muß sich eben zu ihrem Kinde bekennen, aber der uneheliche Vater tut dies in den seltensten Fällen. Er verbürgt seine Vaterschaft. Daher fühlen sich eheliche und uneheliche Kinder des gleichen Vaters nie als Geschwister. Darum mich will man dem unehelichen Kinde das Recht, den Namen das Vaters zu führen, nicht verleihen. Auch hier sollte man stets, wenn das Interesse des Kindes es verlangt, ihm dies Recht geben, wie es der sozialdemo- kratische Antrag fordert, denn es muß eben immer wieder heißen: Das Wohl des Kindes vor allem andern. Darum war ein von den Unabhängigen gestellter Antrag, nach dem das uneheliche Kind den Namen des Vaters führen muß, unzweckmäßig. Es soll dazu nicht verpflichtet sein, wenn dies seinem Interesse widerstreitet. Gehört das uneheliche Kind auch in die väterliche Familie, so wird sein Recht zu erben selbstverständlich erscheinen, während es heut von manchen Seiten beinahe als eine Beraubung der ehelichen Kinder aufgefaßt wird. Man könnte vielleicht auch hier daran denken, fortschreitend mit der Größe des Vermögens den Erbesanteil des unehelichen Kindes zu steigern und zwar wie dem Vater, so auch den väterlichen Vorfahren gegenüber. Eine neue gesetzliche Ordnung wird auch nicht an der exceptio plurium vorübergehen dürfen, dieser Bestimmung, nach der, wenn in der kritischen Zeit mehrere Männer mit der Mutter verkehrt haben, keiner von ihnen für das Kind zu zahlen l>at. Das führt dann bekanntlich nicht selten dazu, daß der Liebhaber selbst einen guten Freund zu dem fraglichen Verkehr veranlaßt, ja ihm selbst dem Mädchen zu- führt. So werden sie alle beide die Unterhaltspflicht los, wenn ein Kind geboren wird. Statt dessen müßten meh- rere mögliche Väter gemeinsam zu gleichen Teilen zahlen. Wenn einer versagt, muß der andere für ihn ein- treten. Der Einwand, daß dann nicht selten dem Wohl- habenden das Kind eines armen Liebhabers untergeschoben werden könnte, ist kein stichhaltiger Gegengrund. Das Recht des Kindes geht auch hier voran. Die Heiligkeit der Ehe wird sicher nicht beeinträchtigt, wenn der Vater sich zur unehelichen Vaterschaft bekennt, wenn er und die Seinen die Folgen zu verantworten haben. Je geringer diese Verantwortung ist, desto leichter wird im Gegenteil die eheliche Treue verletzt werden. Und wenn man noch so sehr an dem Kirchcnstandpunkt festhält, der mit Schärfe ein außereheliches Verhältnis ablehnt, kein Kirchen- standpunkt kann Härte und Ungerechtigkeit gegen ein schuld- loses Kind rechtfertigen. Kein Standpunkt, der als sittlich gelten will, kann ein soziales Vorurteil gegen den unehelich Geborenen rechtfertigen. Es ist empörend, wenn man hört, daß solche unehelich geborenen Männer im Felde ihr Blut geben durften, daß man aber selbst bei ihrer Beförde- rung zum Unteroffizier Schwierigkeiten machte, wennschon man natürlich einen Vorwand für die Wlehnung zu finden wußte. Es ist empörend, daß sie kaum zur Aufnahme in Unteroffizierschulen kamen.___ Es ist s o z i a l e s H e u ch l e r t u m, das den darbenden und notleidenden Kindern mit Fürsorgemaßregeln helfen will und doch für sittlich hält, einen Teil der Kinder von vornherein sozial und rechtlich als minderwertig abzu- stempeln. Wer sich dagegen wehrt, der fördert nicht die Un- sittltchkeit, sondern der ist im tiefsten Grunde sittlich und gerecht. f, Hen'n: Lehmann.
Die Mtswanöerer. Eine lose Vereinigung jüngerer Männer und Frauen des ge- hobenen Mittelstandes fand sich des Mends öfters zusammen, um in der Erörterung wichtiger Zeitfragen einige Klarheit über das Schicksal ihres eigenen Levens zu gewinnen. Es waren ausnahmS- los jene gewissen„Intellektuellen", die sich als Sozialisten deckla- rieren, aber als eingefleischte Individualisten das Wohl und Wehe der menschlichen Gesellschaft einzig vom Standpunkt ihrer eigenen Persönlichkeit betrachten. Bei diesen Zusammenkünften gefiel sich ein junger Mensch darin, in düstersten Zukunftsbildern zu schwelgen..„Wir leben auf einem Vulkan," sagte er,—„Europa ist ein Vulkan— und niemals werden wir wieder zum Genuß und zur Freudigkeit des Daseins gelangen. Das Land, in dem geboren zu werden wir das Unglück hatten, ist auf Jahrzehnte hinaus der Armut und Dürftigkeit der- fallen. ES wird, wie auch die anderen Länder Europas , zum Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen den Weltordnungen und Gesellschaftsschichten werden. Es wird eine entsetzlich öde Gleich- macherei kommen, ehe das Proletariat in künftigen Geschlechtern eine neue Kultur hervorbringen wird. Das Leben kommt immer zu kurz, wo die Persönlichkeit ihren Wert verliert. Kultur in ihrer höchsten Feinheit ist ja doch nur Ausdruck eines aristokratischen Willens. Für ihn aber ist kein Raum mehr. Schlösser werden zu zweckmäßigen Proletarierwohnungen umgebaut werden, Reit- pferde wird man vor Lastwagen spannen, Luxusbäder in Volks- Heilstätten verwandeln, die Freizügigkeit unterbinden, um die Ver- mögen im Lande festzuhalten, die Vermögen einziehen, damit sie sich nicht in Lebensgenuß umsetzen. Vier Jahre war das Dasein der Knecht des Krieges, es tmrfte keinen eigenen Willen haben, durfte nicht tun, was es mochte, weil Krieg war. Den Rest der Jahre, die noch vor uns liegen, wird das Leben, das schöne, jubelnde, unbändige Leben, nicht um ein Haar besser daran sein. Zu denken, daß die Welt unendlich groß, daß sie einem nur einmal geschenkt ist, unh. daß man von ihr geht, ohne sie zu kennen, ge- schweige denn, genossen zu haben! Was zwingt uns, auf diesem Kontinent auszuharren, der das persönliche Leben in einen ab- gezirkelten, dumpfen Pferch einschließt? Warum soll es am Gange? oder Orinoco nicht schöner zu leben sein als an der Isar ?" (Hier nickte ein Fabrikant, der sich schon längst mit der Absicht trug, fein bedrohtes Vermögen vor den kommenden Gefahren zu retten — wenn auch nicht nach Indien oder Amerika — lebhafte Zustimmung.! x „Man sage mir nicht, daß es uns schwer fallen würde, die so- genannten Segnungen der Kultur zu entbehren. Ein Morgenritt durch die PampaS von Argentinien ist mir lieber als ein Abend-
Der Münchener Geiselmorü vor Gericht. B. S. Unter großem Andrang des Publikums begannen in München cun Montag früh vor dem V o l k s g e r"i ch t die auf 1,0 Tage berechneten Verhandlungen in dem Prozeß gegen den Spartakistenführer und früheren Stadtkommandanten von Mün- chen, Kaufmann F.ri tz Sei dl aus Chemnitz und lö Genosse» wegen Ermordung und Verstümmelung der bedauernswerten zehn Geißeln der Münchener April-Rateregierung,, die bekanntlich unter der Führung von 2 e v i e n, L e.v i n e- N i s s e n, des geistes- kranken Tr. Lipp, Gustav Landauer usw. stand. Des großen Ilmfangs der Strafsache wegen finden die Verhandlungen in dem von Soldaten der Reichswehr stark bewachten Neuen Mün- chcner Justizpalast am Stachusplatz statt. Das Volksgericht— eine von der Revolution geschaffene bayerische Einrichtung— tagt unter dem Vorsitz des Oberlandesgerichtsrats Aull; die Anklage vertritt Staatsanwalt H o f f m a n n, während als Verleidiger neben Dr. Theodor Liebknecht aus Berlin die Münchener Anwälte Dr. Lauter, Dr. Julius Löwenfeld u. a. tätig sind. Auf der Anklagebank nehmen neben Seidl Platz: der Zimmermann Jo- Hannes Schickclhofer, der Installateur Josef W i d l, der Stu- dent Karl Petermeier, der Bäckergehilfe Georg Pürzer, der Schreiner Johannes K i ck, der Kaufmann Karl G s e l l, der Artist Bernhard Hesselmann, Maschinenschlosser Georg Lern er, Hilfsarbeiter Joses Seidl, Hilfsarbeiter Johannes Ich mittele, der Schlosser Johann Hannes. Kutscher Johann F e h m e r, Steindrucker Karl V ö l k l, Schirrmacher Georg H u b e r und der"Schlosser Georg R i st e l m e i e r. Sämtliche An- geklagte befinden sich seit dem 1. Mai d. I.. dem der Mordnacht folgenden Tage, in Undersuchungshaft, bis auf den Hauptangeklag- ten Seidl, der erst vor kurzem festgenommen werden konnte. Alle werden beschuldigt, und z>var Seidl nd Schickelhofer als Rädels- führer, an der Ermordung und V e r st ü m m e l u n g der unglücklichen Geißeln teilgenommen zu haben. Es waren dies be- kanntlich der Prinz Gustav Franz-Maria von Thurn und Taxis , ein 1888 zu Dresden geborener Neffe des Regens- burger Fürsten Albert, der Baron v, Teuckert aus Regensburg , der zu den auf München vorrückenden Truppen gehörte und auf einer Autofahrt in die Hände der Rotgardisten fiel, der Ober- sekretär Daumenlang, der Plakate der Rätercgierung ab- gerissen haben sollte, der Gefreite Linnenberg er und der Reiter Hindorf von der 1. Schwadron des preußischen Husaren- regiments 8, die beide als Vorposten der München stürmenden Reichswehrtruppen bei Neuherberge von den Rotgardisten zu Ge- fangenen gemacht worden waren, schließlich die Gräfin Hella v. Westarp und die vier Münchener Künstler Pros. Ernst B e r g e r, Kunstmaler Walter Neuhaus, der Kunststudier ende Walter D e i k e aus RegenSburg und Baron Friedrich Wilhelm v. Seidlitz. Prof.-Bergex ist erschossen war- den. weil er sich über einen Anschlag der Rätercgierung abfällig geäußert„nd den Zettctl abzureißen versucht baben soll. Die?lnklage stellt fest, daß die zehn ermordeten Geißeln meh- rere Tage und Nächte lang im Keller des Luitpold-Gymnasiums festgehalten wurden. Sie lagen in dem kleinen Raum auf dem nackten kalten Steinbcden, während es von den Wänden feucht niedertropfte. Anfang? hatten sie ein Kerzenlicht, dann erschien Levin in dem Gelaß, ordnete die Fortnahmc de? Lichts an und untersagte die Gewährung jeder Erleichterung, da es sich doch nicht mehr lohne. „Die Bande solle bis zu ihrer Erschießung sich mit Wasser und Brot begnügen." Ueberbaupt hatten die, Geißeln den Eindruck, daß die grausame Behandlung auf Levin und Levine zurückzuführen war, die allerdings in Leuten wie Hausmann und besonders Seidl nur allzu willige Werkzeuge gefunden hatten. Die Geißeln wurden fortgesetzt mit Schimpfworten wie„Blutbunde, Schweine- band«" belegt und in robester Weise alle paar Stunden auf die Notwendigkeit einer'baldigen Erschießung hingewiesen. Weib- liche Angehörige von Geißeln, die es unternommen hatten, den Gefangenen Essen ins Luitpold-GYmnasium zu bringen, wur- den von Seidl unter Schmähungen ins Gesicht geschlagen. Die! Geißeln durften ibren Kerker nicht verlassen. Zur Befricdi- gung ihrer Notdurft stand ihnen ein dort aufgestellter Kübel Mir Verfügung. Den dringenden Vorstellungen der Gefangenen gelang es schließlich, zu erwirken, daß wenigstens die Gräfin Westarp den Kellerraum mit einer Wachtstube vertauschen konnte. Bestrafung der Baseler Beamten wegen Streikdeteiligung. Der Regierungsrat von Basel (Stadt) bestraft diejenigen Staats- beamten, die am Generalstreik teilgenommen haben und sich dabei nicht noch besonderer Vergeben schuldig gemacht haben, wegen grober Dienstverletzung mit Geldstrafe. besuch des Theaters, Konzerte, Live o clock teas, Kunst— ich gäbe es mit Freuden für das innige Leben mit der Natur jenseits dieser Gesellschaft. Kultur nennen wir all die Konventionen, die zu durchbrechen wir nicht die Kraft haben. Stellen wir uns in ein ganz neues Leben, das doch nicht minder Leben ist, auch wenn es von dem fruchtlosen Getriebe der europäischen Menschheit nichts weiß und sich nicht in einer Etagenwohnung mit Warmwasserver- sorgung, sondern in, einem argentinischen Blockhaus abspielt. Einige Offiziere haben kürzlich versucht, Europa zu entfliehen, sie haben sich im menschenleeren hannoverschen Oed- und Heideland angesiedelt. Der Versuch ist unzulänglich. Wir' müssen uns von Europa gründlich tefteien. Und deshalb schlage ich vor---* Der junge, wie man sieht, sehr beredte Mensch brachte eS an diesem Abend in der Tat noch so weit, daß man eine Gesellschaft zum Zwecke der'Auswanderung gründete. Jeder Teilnehmer ver- pflichtete sich, 3000 M. zu zeichnen, so daß ein immerhin aus- reichendes, genossenschaftliches AuSwanderungsgesellschaftskapital zustande kam. Die schüchternen Einwendungen des Fabrikanten, daß die Schweiz doch schließlich den gleichen Zweck erfüllen würde wie Argentinien , und daß es sich dort auch ganz gut leben lasse, fanden entrüstete Ablehnung. Argentinien war die Losung. Ran war entschlossen, sich ehestens� in Genua einzuschiffen. *** Auf der Veranda des Sanatoriums„Alpenrose" streckten sich in Liegestühlen ein Dutzend sehr munter aussehender Patienten und ließen sich von der warmen Sonne wohlig das Fell krauen. Der Medizinalrat Dr. Bärenwein schritt vergnügt die Krankensront ab und berechnete den Reingewinn, der gar nicht übel war. Wieder waren Nervenheilsuchende angekommen. Ja, ja, dies« Häsen, auf. reibenden Zeiten. Der Diener stellte neue Liegestühle auf. Ein eben angekommener wohlbeleibter Herr traf umfängliche Anstalten, sich auf dem Streckfauteuil niederzulassen, als fein Blick auf den ahnungslos in der Sonne blinzelnden Nachbarn fiel. War das nicht?— Da aber begrüßten sie sich schon diskret und mit einiger Verlegenheit. Es war der junge Mann mit der großen, leiden- schaftlichen Auswanderungsidee und der Neuangekommene kein minder begeisterter Verfechter des Argentinienprojekts. Sie wichen dem peinlichen Thema aus und taten recht unbefangen. Uebrigens waren von der ehemaligen freien Vereinigung auch noch die Mit- glieder Dr. Kränlein, Hans Erwin Nornegast und Fräulein TribeS anwesend. Die Stammeinlage von 3000 M. zum Ankauf von Sied- lungsland in Argentinien war in einer Inlands- und Regene- rationSkur investiert.... Gegen Abend, als der Neuangekommene wohlbeleibte Herr(der nicht gerade mit einem Ueberflutz an Geist ausgestattet war) mit Fräulein TribeS durch den Garten spazierte, sagte er mit einem Unterton von Zärtlichkeit: Warum nach Argen- tinien schweifen, wenn die Alpenrose so nahe liegt?— Fräulein
Der Kampfruf öes allüeutfchen verbanöes. Tagung des Gesamtvorstandes. In Berlin trat am vergangenen Sonntag der Gesamtvorstand des alldeutschen Verbandes zu einer Tagung im Saal des Künstler- Hauses zusammen. In bekannter Bescheidenheit, die ja immer eins besondere Zier der Zllldeutschen gewesen ist, preist daS offiziells alldeutsche Organ, die„Deutsche Zeitung", die Fülle kluger G e s i ch t e r", die man auf der Tagung gesehen und die in erfreu- lichem Gegensatz zu den dummen Schassnasen in Weimar ge» standen haben. Uebcr den Geschmack ist bekanntlich nicht zu streiten... Die einleitende Ansprache hielt der hinlänglich bekannt« Vor, sitzende des Verbandes, Rechtsanwalt C l a ß. Er begann mit einer wüsten Schimpferei auf die Revolution, die er„das größte Ver, brechen der Weltgeschichte" nannte. Selbst wenn dies der Fall wäre, dann wären die Alldeutschen selber die indirekten Täter und Urheber des größten Verbrechens der Weltgeschichte, als die gei- ftigen Urheber des Krieges in Deutschland sind sie aber ohnehin daS, als was sie andere bezeichnen. Weiter betonte Rechtsanwalt Claß, daß die Alldeutschen sich auch mit der durch die Revolution geschaffenen Staatsform keineswegs abfinden würden. Der geschäftsführende Ausschuß hat mit allen gegen eine Stimm« ein klares Bekenntnis zur Monarchie vorgeschlagen. Dabei ließ ber Redner freilich durch- blicken, daß selbst die Alldeutschen eine Rückkehr Wilhelms oder der Hohenzollern nicht wünschen, denn er betonte, daß„die neue Monarchie der deutschen Auffassung vom Herrschertum entsprechen müsse". Als Hauptmangel der Zeit nach Bismarck bezeichnete Claß, daß sie das Arbeiten verlernt hätte. Das mag für die all- deutschen Großkapitalisten und Schieber allerdings zutreffen� freilich nicht so völlig der weitere Vorwurf Claßens gegen die Nachbismarcksche Zeit, daß sie die Arbeit nicht zu schützen gewußt habe. Tie Arbeit anderer, die Arbeit ihrer ausgebeu- teten Lohnsklaven, haben die alldeutschen Unternehmer stets sehr eifrig gefördert, wenn auch nicht moralisch geschätzt. Weiter wen, dete sich Claß dagegen, daß diejenigen die Politik des Vaterlandes machen, die nichts davon verstehen. So war und ist es allerdings unter dem monarchischen System, wo ein Mann an der Spitze des Staates steht, der durch keinerlei Talent oder Geistesprobe seine Eignung zum Herrschen zu erweisen brauchte. In dasselbe Kapitel gehört es, wenn der folgende Redner, Freiherr v. Vietinghoff-Scheel, fragte, ob der Kaiser je dis Rechte Wilsons gehabt habe. Uns ist es nicht bekannt, daß der Kaiser sich alle vier Jahre einer Neuwahl zu stellen gehabt und damit Rechenschaft über seine Taten in diesem Zeitraum vor dem Volke abzulegen gehabt habe. Wäre dies der Fall gewesen, so wäre er schon nach den ersten vier Jahren seiner Regierung auf Grund seiner bekannten Verrücktheiten vom Volke abgesetzt worden. Im gewissen Gegensatz zu den Ausführungen Classens stand es, wenn der Vertreter der deutschösterreichischen Alldeutschen, Rechtsanwalt R o s i n— welche Kommentare würde übrigens die antisemitische„Deutsche Zeitung" an den Namen knüpfen, wenn Rosin zufällig Sozialdemokrat wäre— unter heftigen Verwünschungen des„fluchbeladenen Habsburger Hauses" die Herrschaft eines Hohenzollern über Deutschösterreich verlangte. Ist das dis „neue" Monarchie? Angenommen wurde eine Satzungsänderung, deren Punkt 2 die Wiederaufrichtung eines starke« Kaisertums zum Ziel des Berbandcs macht. Di« Annahme dieses Punktes bot der Tagung Ursache zu einer weiteren monarchischen Demonstration und zu einem„Heil dem deutschen Kaiser"(unbekannt wer und wo). In diesem Stile der fortgesetzten Demonstrationen und Pro- vokationen bewegte sich die ganze Tagung. Herr Claß betonte zwar an einer Stelle seines Referats, daß die Alldeutschen eins Restauratiqn nach dem französischen Muster von 1814 ablehnen und die Monarchie erst haben wollen, wenn sie von dem ganzen Volke stimmungsgemäß erkannt sei(wer bestimmt das?); aber die Alldeutschen gleichen— das zeigt der Verlauf der Aä- gung— den französischen reoyalistischen Refugies von 1814 auf ein Haar darin, daß sie nichts gelernt und nichts ver- g e s s e n haben.
Tribes seufzte, bezog, nicht ganz mit Unrecht, die Alpenrose auf sich und dachte ihrerseits, daß eine mit einem wohlhabenden Mann ge- teilte Etagenwohnung(Warmwasserheizung!) in der Hand besser ist, als eine argentinische Blockhütte auf dem Dache. H. N.
Vorlesungen für Betriebsräte. Die Einrichtung von Betriebsräten, die durch das neue Reichs- gesetz gefordert wird, stellt die Arbeiterschaft vor Aufgaben, für die sie einer weiteren geistigen Ausbildung bedarf. Die Betriebsräte müssen eine gesunde und unparteiische Schulung erhalten, um den neuen Leistungen gerecht zu werden, und die Durchführung dieses Unterrichts ist von ebenso großer Wichtigkeit für die Arbeiter selbst wie für die gesamte Industrie. Die gegebene Organisation dafür, um diese geistigen Mittel für die Arbeiterschaft bereitzustellen, ist die Volksbochschule, und es ist zu wünschen, daß die Volks- Hochschulen schon im kommenden Winter möglichst überall Vor- lesungen über die wichtigsten Gegenstände einrichten, z. B. über Ar- beiterrecht, Versicberungsgesctzgebung, Fabrikhygiene, Maschinen- künde und Betriebslehre. Wie die„Blätter der Volkshock>schule Thüringen " mitteilen, werden in Jena derartige„Arbeits- gemeinschaften für Betriebsräte" bereits im Winter- semester abgehalten werden. Die Vorlesung über„Betriebslehre" gliedert sich folgendermaßen: 1. die Betriebsorganisation, a) kaufmännisch lKorrespondenz, Verkauf, Bucbhaltung), d) technisch lKon- struktion, Arbeitsgang in Werkstätte, Taylorsystem). 2. Die Preis- gestaltung(Einkauf, Lobnshstem, Zahl der Modelle, Konkurrenz. rücksichten, ilOsatzkonjunkiur, Monopole, Patente, Gebäude-, Werk- zeug-, Menswabnutzung, Reklame). 3. Gewinn und Verlust(Bilanz. lesen>. Wickitig wäre es außerdem, wenn die einzelnen Industrien der Volksbochshbulorte einführende Vortragsreihen und Arbeits- gemeinschaften für die besonderen Aufgaben und Formen ihrer Be- triebe einrichteten und wenn die nötigen Lehrer dafür aus dem Kreise ihrer Beamten oder wissenslbaftlichen Mitarbeiter aeitellt würden. So hat die Firma Earl Zeiß bereit? in diesem Frübiahr mit derartigen Vorträgen ihrer wissenscbaitlichen Mitarbeiter vor ihren Werkstätten begonnen. Nur die Einsicht in den ganzen Zu- sammenhang der eigenen Arbeit erweckt die Freude an ihr und ent- wickelt da? Vervntwortunosgeiübl uijd den Berufsstolz, die für den neuen Aufstieg so notwendig sind.
Notizen. — Das Balzac -Museum in Paris . Das HauS in der Rue Raynouard, in dem der große französische Romandichter Honore Balzac seine größten Werke geschrieben hat, wurde als Museum der O.effcntli»keit übergeben. DaS berühmte Sau» war schon mebrfacb in Gefahr, aus Spekulationszwecken niedergerissen zu werden. Ein Bund von Balzac -Freunden hat eS nun käuflich erworben. In diesen Räumen schrieb Balzac bei festverrammelten Fenstern, im Glänze zablreicher Kerzen, eingehüllt in ernc Mönchskutte, seine unsterblichen Bücher.