fit. 464 ♦ 36. Jahrgang
2. Seilage öes Vorwärts
Vonnerstag, 71. September 7414
Der Münchener Geifelmorö vor Gericht.
Der folgende Zeug« Behringer bestätigt im allgemeinen die Vorgänge vor der Erschiehung der Geiseln im Gymnafium. Be> merkenswert sind seine Angaben über die Mordschützen. Unter ihnen sei ein Malrose mit pockennarbigem Gesicht gewesen, von dem seine eigenen Kameraden sagten: „Der Kuli ist auch wieder dabei, dieser Sauhund!" Der Mann, der die Gräfin Westarp beim Schreiben ihres letzten Briefes unrerbrach und wegzerrte, sei ein Sanitäter mit der Roten-Kreuz-Binde gewesen. Der Zeuge wiederholt dies auch gegenüber den Einwendungen der Verteidigung, dag die acht Geisel« schützen direkt hinler Schicklhofer aus dem Gymnafiüm herauSge« kommen seien. Schlosser Menter bekundet, daß er eines Tage« in derPesta« lozzistrafie spazieren ging und dort zwei Rotgardisten an ihn heran- getreten seien, die rhm vom Arbeitsnachweis her kannten. Sie hätten ihn gefragt, warum er nicht der Noten Armee ange- höre. Er sagte, dag er nichts damit zu tun haben wolle, worauf er bedroht wurde und daraufhin ins Gymnasium ging. Er sah dort Schicklhofer am 30. April einen Arm voll Paironenkästchen die Treppe heruntertrage». Der Zeuge erklärt auch mit Bestimmt- heit, daß die Erschießung der beiden Weißgardisten nicht vor VglO Uhr erfolgte. Die Gräfin Westarp wurde.Hure' und.Saumensch' genannt und ihr wiederholt erklärt, sie solle doch nicht so lange schreiben. Der Zeuge hörte auch, wie einer der Soldaten sagte:.Maxe, das war brav von Dir, daß Du die Hure hingebracht hast I' Die Gräfin erhielt lauter Halsschüsse. Als sie sich noch bewegte, ging einer der Schützen hin und gab ihr den Fangschufi. Der alte Professor B e r g e r versuchte, als er erkannte, dan es sich nicht um eine Vernehmung, sondern um eine Er- s ch i e ß u n g handele, zurückzuweichen; als er jedoch etwa zehn Schritte zurückgegangen war, fielen alle über ihn her. packten ihn und stellten ihn an die Wand und gaben unregelmäßige Schüsse auf ihn ab. Der letzte der Erschosienen war der Prinz T h u r n u n d T a x i S. Er kam deshalb als letzter heran, weil er noch ein« mal vor den Kommandanten geführt werden wollte. Im Zimmer waren Haußmann und Henelmann. Seidl dagegen hat der Zeuge nicht gesehen. Auf die Erklärung des Prinzen, er sei nicht der Reichsfürst, sondern bereits im Jahre �S12 wegen revolutionärer Gefinnung von der regierenden Familie in Regensburg ausgestoßen worden, hätten die beiden ihn begleitenden Rotgardisten gesagt:.Na, da scheint er doch unschuldig zu sein. Und Unschuldige erschießen wir nicht." Darauf habe Haußmann erklärt:.Ach, macht doch nicht so viel Geschichten. Er ist auch einer von die.Großkopseten". einer von die oberen Zehntausend." Darauf wurde der Prinz Wiederaus den Hof geschleppt und an die Wand gestellt. Zeuge Kellner Dcbutt meldete sich auch im Gymnasium, erhielt eine rote Binde und wurde hewaffnet. Vors.:.Was für Waffen erhielten Sie?' Zeuge:.Patronen, Handgranaten usw.' Am 30. nachmittags wurde er von Schicklhofer zur Gefangenenbewachung in ein oberes Zimmer geschickt. Auf seine Frage sagte Schicklhofer: .Es sind die Plünderer aus den Vier Jahreszeiten'. Der Zeuge fand in dem Zimmer 14 bis 15 Personen vor. später kamen noch einige hinzu. Die Gefangenen beklagten sich, daß sie nicht ver- nommen wurden. Gegen 4 Uhr kamen Haußmann und der hinkende Schreiber hinein, worauf die Geiseln hinuntergeführt wurden. Der Zeuge will sich nicht aus dem Zimmer entfernt und sich über die Erschießungen geärgert heben. Nicht einmal das Fenster habe er geöffnet, weil im selben Zimmer der an einem Nerven« choc erkrankte dritte Kommandant Pfister lag. Der Zeuge er- klärt, er habe fortgeben wollen, doch sei er schließlich geblieben, weil die Löhnung»est nächsten Tag ausgezahlt werden sollte. Ei» Zwischenfall. In dem Augenblick, als der Zeuge abtreten will, erhebt sich der Angeklagte, Matrose R i t t m e y e r, und ruft dem Zeugen zu:.Sie waren doch mit im Hof. Sie haben mir doch sogar erzählt, daß Sie von den Gefangenen die Brieftaschen in Empfang ge- nommen haben, die Sie dan« in der Kanzlei abgegeben haben wollen.'(Bewegung.) Borsitzender zum Zeugen:.Sie brauchen auf diese Vorhaltungen keine Antwort zu geben, wenn eS richtig ist. denn Sie würden sich sonst einer strafbaren Handlung be- zichtigen.' Zeuge nach langem Besinnen:.ES stimmt.' Vors.: .Warum haben Sie das vorhin verschwiegen und sogar abgestritten? Sie haben doch also alles mitangesehen.' Zeuge:.Ich habe
mich nicht erinnert.' Der Zeuge erzählt dann alle Einzelheiten de Erschießung und gibt zu, de» Geisel» die Brieftaschen und die Wertsachen abgenommen zu haben, die er in die Kanzlei gebracht habe. Eine der Geiseln habe ihm die Brieftasche als Eigentum überlasten. Es seien nur Brotmarken und Lebensmittelkarlen darin gewesen. Da habe er die Brieftasche auch abgegeben. Staatsanwalt Hoff- mann:.Ich erlasse Haftbefehl gegen diesen Zeugen, weil er der Teilnahme am Morde dringend verdächtig ist.'(Große Bcwe- gnng.) Der Zeuge wird von Schutzleuten in die Untersuchungshaft abgeführt. Der Zeuge Fischer Seidl kam am 30. April mittag? als Rot- gardist ins Gymnasium. Er war bei der Erschießung auf dem Hof als Zuschauer. Seidl war zu der Zeit in der Kanzlei, ebenso H est sel mann. Unten auf dem Hof habe, nachdem Schick!- hofer die Soldaten zusamemngestellt hatte und die Geiseln her- untergeführt worden waren, Hausmann das Kommando:„Legt an, Feuer!" gegeben. Von besonderem Interesse war die Vernehmung des Elektrotechnikers Zach. Zach hatte in den letzten Apriltagen in einem Laden in der Nähe des Gymnasiums eine elektrische Anlage fertigzustellen. AIS er einmal auf die Straße hinaustrat, ist eine Frau tm ihn h« angekommen und hat geschrien, er sei ein Hamburger Großkapitalist, de« sie genau kenne. Darauf wurde der Zeuge von zwei Rotgar- disten festgenommen. Die Frau hatte ihn bereits bei Seidl denunziert und die beiden Rotgardisten nahmen ihn fest mit der Erklärung: „Im Namen des Herrn Seidl sind Sie verhaftet!" Der Zeuge kannte von seiner früheren Tätigkeit an der Straßew bahn her zufällig den ehemaligen Straßenbahnangestellten H a u ß mann, der inzwischen Kommandant des Gymnasiums geworden' war. Er schickte deshalb einen der Rotgardisten zu Haußmann und dieser stellte ihm einen Schein aus, daß gegen ihn nichts vorliege und man ihn freilassen solle. Andere Leute sagten jedoch zum Zeugen,«r solle sich vorsehen und doch lieber einmal persönlich zu Haußmann ins Gymnasium gehen. Er begab sich daher am 30. direkt zu Haußmann. Dieser stand iui Hof des Gymnasiums, wo viele Menschen versammelt waren. Auf seine, des Zeugen, Frage, was denn loS fei, habe Haußmann gesagt:„Es werden wieder ein paar Verräter erschossen." Ich bat ihn, so fährt der Zeuge fort, er möge sich die Sache doch ja reiflich überlegen, aber Haußmann erwiderte: Ich habe von Seidl den strengste« Befehl, die Leute erschießen zu lassen. Vors.: Können Sie das auf Ihren Eid nehmen? Zeuge: Ja. Haußmann stürmte dann ins Gymnasium hinein und holte eine Anzahl Soldaten heraus, die verschiedene Leute an die Wand stellten. Jedesmal, nachdem drei der Geiseln erschossen waren, winkte er mit der Hand zu Schicklhofer hinüber, daß man fortfahren soMe. Auch an Schickt- hofer trat ich heran. Namentlich als ich sah. daß eine Frau vorgeführt wurde. Sie wurde als die Gräfin Hella Westarp be zeichnet und Schicklhofer erklärte mir: „Die muß auch erschossen werden!" ES waren acht Geiseln, die in Gegenwart dieses Zeugen erschossen wurden.„Ich habe so gezittert,' fährt der Zeuge fort,„daß ich mich während zweier Tage nicht wieder beruhigen und weder essen noch schlafen konnte. Auch meine Frau, der ich es erzählte, kam fast um vor Aufregung. Nicht nur der alte Professor Berger, sondern auch der Barm: v. Schlitz hat sich zuerst etwas gesträubt und ebenso der Prinz Thrrrn und Taxis. Er rief immer wieder: „Ich bin nicht der Reichs fürst.' Auch der alte Professor Berger, der einen weißen Bart trug, rief:«Ich dulde eS nicht. Ich bin kein Verbrecher. Ich will zunächst verhört werden.' Aber nur dem Prinzen wurde es gestattet, noch einmal inS Gymnasium hinaufzu- gehen. Nach wenigen Minuten war er jedoch zurück und erklärte: «ES gibt kein Verhandeln.' Den Soldaten auf dem Hof merkte man im allgemeinen die große Freude darüber an, daß die Geiseln erschossen wurden. Nach Schluß der Erschießung warteten die Sol- daten noch eine Weile, denn es hieß, es sollten noch zwei weitere kommen. Danft aber kam ein Schreiber herunter und sagte: „Für heute ist es genug." Nach jedem Opfer, das umsank, taten die Soldaten überaus rohe Aeußerungen. Professor Berger wurde durch einen Faustschlag
ins Gesicht vorwärts getrieben. Sein Gehirn spritzte mit der Kugel gegen die Mauer. Als der Prinz an die Wand gestellt wurde, sagte er zu den Soldaten:«Nun schießt, aber trefft auch gut, daß ich nicht so lange zu leiden habe.' Darauf schrien die Soldaten:„Das machen wir schon." Gräfin Westarp wurde neu- gierig angestarrt und es fielen Schimpfworte. Einer der Nieder» geschossenen bewegte sich noch etwas. Da trat ein Soldat hinzu und spaltete ihm mit einem Kolbenschlaz de» Schädel, indem er sagte:„Es ist ja gleich, ob er so oder so lsingeht." Ein kleiner sächsischer Soldat packle die Gräfin, die ihm offenbar zu lange an ihrem Abschiedsbrief schrieb, schleppte sie zur Mauer und feuerte mit auf sie. Der Zeuge schildert dann zum Entsetzen der Hörer, wie an der Leicheder Gräfin eine höchst unflätige Handlung von einem der Angeklagten, den er nicht näher nennen könne, vorgenommen wurde. Am späten Abend wurden, angeblich auf eine» Befehl von Seidl, die Leichen eingegraben. Es wurden mehrere Schaufeln geholt und die Soldaten erklärten, der Boden sei zu hart. Sie wurden aber angetrieben mit dem Bemerken:«Seidl will es so haben." AIS die Leichen aufgehoben wurden, lag dazwischen Menschenkot, Müll und Abfall.— Rechtsanwalt Löwenfeld versucht den Zeugen in Gegensatz zu seiner früheren Aussage in der Vorvernehmung zu bringen. Darauf erklärt der Zeuge in großer Erregung: Herr Rechtsanwalt! Wenn Sie diese««ranenhnftem Mord ebenso au» nächster Nähe angesehen hätten wie ich, wie diese Unglücklichen hingeschlachtet wurden, dann würde Ihnen auch manches nicht mehr in Erinnerung sein. WaS ich gesagt habe,»st die reine Wahrheit!
GroßSerüu Laß fahren üahin!
Ein Inserat in der.Kreuzzeitunq': Infolge der glorreichen Revolution bin ich gezwungen, mein in Challotienbmg, Scharrenstraße 39, gelegenes Heim zu vermieten: 7 Zimmer mit allem Zubehör usw. Oberstleuinant Gras Recke. Ja siehste, Freund und Kupferstecher, es fällt in jeden Freudenbecher am End was Bitteres hinein— das ist nicht anders, muß so sein. Die Zeit verlangt, daß sich die Recken ein wenig nach der Decke strecken; die Tante, die du einst beerbst, sorgt schon dafür, daß du nicht sterbst. Ich seh nicht ein, warum die Grafen zugleich in sieben Zimmern schlafen. Was gut für Müller oder Schmidt,' langt auch für Kunz von Vogelschitt. Jaja— es waren schöne Zeiten dereinst bei Willibald den zweiten. Da kam die Refoluzion und— hnschdigage— hat ihm schon! Paulche«.
Umgestaltung des Gesetzes Grost-Bcrlin. Der Gesetzentwurf Groß-Berlin wird in diesen Tagen stark ab« geändert dem Staatsministerium vorgelegt werden. Die Forde- rungen der Gemeinden auf erhöhte Selbstverwaliung in den Be« zirken sind darin weitmöglichst berücksichtigt. In den Bezirks- Versammlungen werden dreimal soviel Bürger wie Stadtverordnete verireten sein. Aus ihren Reihen wird Ersatz für die Siadt- verordneten gestelll. Ferner soll in Zukunft schon auf je 15000 Einwohner ein Siadtverordneter kommen. Das würde die Zahl der Stadtverordneten auf 225 erhöhen. Berlin selbst wird ebenfalls in Bezirke eingeteilt werden. Südende soll zusammen mit Steglitz und Friedenau einen Bezirk bilden. Spandau bleibt wider seinen Willen bei Groß-Berlin, Staaken , Friedrichshagen und Alt-Glienicke werden eingegliedert. Aus einer Kinderheilstatte. Gegen den Heilstättenverein.Lenzheim' erbebt ein in Berlin wohnender Familienvater schwere Vorwürfe. Seine
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Erleuchtung.
Roman von Henri Barbusse . Verdeutscht von Max Hochdorf . Verblendung ist alles nur, Feiertagsgetändel, Festtags- gePrunke. Es unterhält und berauscht den Pöbel. Es ver- blufft nur durch seine kreischenden Farben, es verblüfft nur durch das Geblinke der Tressen und der Sterne, die Krümlein des Königtums sind. Es reizt den Pöbel nur auf durch das Klirren der Bajonette und der Ordenskreuze und durch das Ge: schmettere der Posaune und durch das Gerassel der Trommel und der großen Pauke, und es bläst nur den bösen Geist des Krieges in die entzündbaren Sinne der Frauen und in die leicht entstammende Gläubigkeit der Jünglinge. Und dann die Triumpfbogen und das prunkende Soldatengespiele auf den weiten Plätzen und der Vorbeimarsch der Soldaten, die dem Tode entgegenmarschieren und in Schritt und Tritt anöden Abgrund zutrottcn, weil sie jung sind, weil sie stark sino. Und dann das Beifallgeklatsche, das dem 5driege darge- bracht wird, und der wirkliche Stolz, den die Niedrigen empfinden, wenn sie sich vor den Hohen bücken dürfen. Die Reiterscharen der Hohen sprengen über den Berg. Einer sagt:«Das ist schön! Man möchte meinen, daß sie über unsere Köpfe wegsprengen!" Die Frau, die seit je- her der Verblendung zugänglich ist, drückt krampfhaft den Arm ihres Mannes, der auch in de» Krieg muß, und sie ruft aus:„Das ist prächtig, wie man kriegerisch ist I" Ein Bildnis neuer Seclenvcrwirrnng bedrängt mich. Es packt mich an der Kehle, es stößt mich in den Schwefeldunst der Hölle:„Sie brennen lebendig! Sie brennen lebendig!" stammelt der Soldat, dem der Atem ausgeht. Ihm geht der Atem aus. ebenso wie seinem Gewehr, da die wild- berauschten Visionen der Deutschen heranrollen. Sie sind Schulter an Schulter aneinandergekettet, sie wälzen sich heran unter einer göttlichen Aetherwolke. Sie wälzen sich vorwärts, um die Feinde mit ihrem bloßen Leben zu er- drücken. Ach? Gestalten, nicht mehr zu entknäulen, ganze Wirrwarrmafsen. sie schwimmen in breitem Fetzengeflattere über die menschenbesäten Abgründe. Verkünden zwei von den hohen Herren, die von ihren blinkenden General- stäbcn umkreist werde«, über ihre soldateubeipütten»od
wimmelnden Grenzen hinaus:„Wir wollen das Vater- land retten!", so wird«ine unendliche Menschenschar be- trogen, und auf beiden Seiten fallen unendlich viele Opfer. Ja, so nur ist es. Daß diese Schreie zum Himmel empor- geschleudert werden können und hinSin in das Antlitz der Wahrheit, das beweist nur mit einem einzigen Schlage die Ungeheuerlichkeit der Gesetze, von denen wir geleitet werden, und den Wahnsinn der Götter. Ich wälze mich auf meinem Leidensbette. Ich möchte mich diesem entsetzlichen Gezerre der Erscheinungen entwinden, entkommen möchte ich dieser phantastischen Sinnlosigkeit, in die alles hineingeschluckt wird, und mein Fieber sucht weiter. Die Verblendungen, die voller Licht sind, sie machen ganz blind. Aber auch die Düsternisse. Die Lüge regiert mit den Herrschern und ihrer Herrschaft. Die Lüge verlöscht überall das, was die Menschen verbündet und sie schafft überall nur die Macht, die die Menschen zerreißt. Nirgendwo kann man sich von der Lüge abwenden. Wo gibt es denn keine Lüge? Die Verkettung der Lügen, die unsichtbare Kette, o, diese Lügenkette l Leises Geflüstere und lautes Geschrei, wild verwirrt sich das alles. Hienieden auf Erden, zur Rechten und zur Linken, spiest man nur ein Spiel der Vorstellung. Die Wahr- haftigkeit dringt niemals bis zu den Menschen vor. Die Neuigkeiten sickern nur verfälscht oder verstümmelt durch. Hier scheint alles schön und herausgehoben aus der Eigen- sucht. Dort scheinen die gleichen Dinge niederträchtig.„Der französische Militarismus, das ist nicht das gleiche wie der preußische Militarismus, denn der eine ist stanzösisch, und der andere ist preußisch!" Die Zestungen, diese düstere Welle der großen, herrschenden Zeitungen, sie verschütten und verdunkeln die Geister mit ihrem Niederschlag. Das tägliche Geräckere mit diesen Dingen fesselt den Geist, es legt ihm Ketten an, es verbietet ihm, in die Weite zu blicken. Und die armen Zeitungen zeigen leere Lücken an den Stellen, da die_ Wahrheit zu deutlich ausgeprägt ist. Die Kinder der Gefallenen und die abgewetzten Krüppel, die am Leben bleiben, werden am Ende eines Krieges nur das wissen, was die Mächtigen f ü r s i ch in diesem Kriege er- reichen und erfüllen wollten. Nichts anderes ist ihre letzte Kunde. Ganze Völker werden plötzlich vor eine vollzogene Tatsache gestellt, deren Plan in der Heimlichkeit der Königs- Höfe ausgearbeitet worden ist, und man jagt ihnen:»Jetzt,
da es zu spät ist, darfst du dich nicht mehr beschweren l Töte, auf das du nicht getötet werdest I" Man braucht ein gering- fügiges Ereignis in der letzten Stunde auf, die Rüstungen und die Voreingenommenheit und all das angesammelte Ränke- spiel, das muß in Krieg ausarten. Und man sagt den Menschen:„Dies oder jenes ist die einzige Ursache des Krieges!" Das ist nicht wahr: Die einzige Ursache des Krieges ist die Verknechtung der Menschen, die mit ihrem eigenen Fleisch und Blut den Krieg führen müssen l Man sagt den Menschen:„Wenn erst der Sieg errungen ist, so wie die Herrschenden ihn wollen, dann wird jederlei Tyrannenherrschaft j verschwunden sein, und Friede wird nur auf Erden walten!" Das ist nicht wahr! Hienieden wird es nur Frieden geben, wenn das Reich der Menschen gekommen sein wird. Aber wird es jemals kommen? Wird es jemals die Zeit haben zu kommen, da die Menschheit mit ihren aus- gestochenen Augen so sehr hastet, um in den Tod hinein- zuhasten? Denn all dieser in die Sonne hinaufstrahlende Redeaufwand, alle diese unzulänglichen Gründe, all diese Lügen, die so geschickt und niederträchtig zusammengeballt werden, sie reichen aus, um den schlichten Menschen in die tierische Unwissenheit hineinzurücken und ihn zu schmücken mit Eisen und Erz. Und keine all dieser Kräfte erreicht den edlen Grund dessen, was dem Allgemeinwohl dienen sollte. Das Gespenst, dessen qualenerfindende Seele sich auf dem Schlachtfelde dem noch goldglühenden Leib entrissen hatte, es hatte aufgeschrien:„Das heilige Buch der Geschichte ist nicht mit der Vernunft geschrieben worden l Entweder ist das Gesetz, das für die Majestäten und den altertümlichen Streit der königlichen Banner gilt, übernatürlich und unantastbar, oder die alte Welt ist allein zusammengefügt aus Tollheit und Wahnsinn. Noch einmal berührt mich das Gespenst mit einer steinernen Hand. Ich schüttele mich, und obgleich ich doch am Boden liege, strauchele ich seltsam. Ein Sausen summt in meinen Schläfen. Dann dröhnt es wie ein Kanonen- gedröhne in meine Ohren hinein, und es überwogt mich ganz und gar. Wie ein Schiffbrüchiger bin ich diesem Gewoge des Schreiens ausgeliefert. Es lautet nicht anders:„ES muß so sein! Es muß so sein! Du wirst niemals wissen I" Das ist der Schrei, den der Krieg schreit, das ist der Schrei. de« der Krieg schreit!(Forts. foigtJ