ttr. 520<> AH. Jahrgang
Seilage des vorwärts
Sonnabend, 11. Oktober 1910
Eisenbahnfragen. In d« preußischen Landesversammlung führte am Freitag der Minister der öffentlichen Arbeiten Oeser aus: Wir haben die Eisenbahnen im Zustande deS Zusammenbruchs übernommen, sowohl hinsichtlich der Betriebsoeichältn'sse als auch der inneren Ver> Wallung. Trotzdem haben wir den Sommervertehr wiederhergestellt. Zu den Schwierigkeiten des Herbstverkehrs gesellen sich nun aber die außerordentlichen Anforderungen des Kohlcntransports für die Entente, die Kriegsgefangenentransporte und die Rückbeförderun- gen Tau'scher aus dem Osten. Bei solchen Anforderungen wäre eine ordnungsmäßige Abwicklung des Betriebes auch nicht möglich gewesen, wenn die Betriebsverhältnisse schon wieder auf ihrer Höhe gewesen wären.(Lebhaste Zustimmung.) Wenn wir im Osten den Schne'llzugverkehr aufrechterhalten, dann könnten wir die Kohlen twn den Halden nicht abtransportieren, nach Ostpreußen keine Kohlen-schaffen und bis zum Eintritt des Frostes auch die Kartoffeln nicht abfahren. Wir dürfen die Bevölkerung nicht verhungern und erfrieren lassen! Dieser Forderung müssen all« anderen Rücksichten untergeordnet werden.(Lebhafte Zustimmung links.) Wenn der Abg. Hoffmann für Sozialisierung ist, dann sollte er auch ncht Beschwerde darüber führen, daß wir anläßlich der Kohlennot die Arbeiter dort zu verwenden suchten, wo sie nötig sind.(Abg. Hoffmann: Aber nicht gegen ihren Willen!) Wir haben ja auch nicht den mindesten Zwang ausgeübt. Ich weiß wirklich nicht, was an unserem Ver- fahren zu beanstanden gewesen wäre. lZuruf: Das weiß Hofs- mann selber auch nicht!— Heiterkeit.) Ganz besonders unhaltbar ist Hoffmanns Behauptung, alle Arbeiter seien Gegner des ?lkkordsystems. Selbst grundsätzliche Gegner geben zu, daß zur Hebung der augenblicklichen Notlage das Akkordsystem herangezogen werden muß, namentlich wenn es für die Arbeiter so vorteilhaft ausfällt, wie das hier in Vorschlag gebrachte Mehrverdienstsystem. (Lebhafter Beifall.) Abg. FrieS(Soz.): Ter Kampf der Unabhängigen gegen uns ist ern Kampf gegen ihre eigene Weltanschauung, durch den die Gk'aer gefördert werden,(«ehr richtig! b. d. Soz.) Aus dem Transportelend wird uns die Arbeiterschaft heraushelfen, wenn ihr von der Eisenbahnverwaltung die Lebensnotwendigkeiten gesichert werden. Tic Riesengowinne der Knorrbremsengesell- schast müssen der Allgemeinheit zugeführt toerden. Goldene Litzen und Titel haben heute keinen Wert mehr. Dagegen muß der Abschluß von Tarifverträgen erheblich beschleunigt werden. (Beifall b. d. Soz.) Jeder Streik, der nicht auf gcwerstchaftlichcr Gruullage vor sich geht, wird von uns verurteilt. Auch die! Eisenbahner teilen erfreulicherweise diese Auffassung.(Beifall b. l d. Srzialdemokraren.) Abg. Ommevt(Dem.): Ich bin Eisenbahner au? Saarbrücken . Uns wurde drüben nichts dafür bezahlt, was wir über die achtstün- dige Arbeitszeit hinaus arbeiteten. Das damalige Ministerium har das Verlangen abgelehnt. Dieses merkwürdige Ministerium w'rd gekennzeichnet durch den Namen Paul Hoffmann. Bei der Ablehnung verwies dieses Ministerium ohne Ursache auf die fran- zösi lchen und amerikanischen Bajonette. So sieht derselbe Paul Hofsmann aus, der hier als Arbeiterfreund auftritt. Wenn die Herren Unabhängigen einmal wirklich etwas für die Arbeiter tun können, dann weigern sie sich.(Zustimmung.) Ein großer Teil meiner Fraktion billigt den Eisenbahnern daS Streikrecht zu. (Lebhaft« Bewegung.) Tie Stellungnahme der Gesamtheit meiner Fraktion ist aber noch unbestimmt.(Lebhaft« Ahalrufe.) Ein Rgierungsvcrtrcter: Die Verhandlungen über die Tarif- Verträge sind noch nicht zum Abschluß gekommen, weil auf der Gegen'eite eine Gruppe Schwierigkeiten gemacht hat. Die Verwaltung trägt an der Verzögerung kein« Schuld. Abg. Schmilian(Dem.): Wenn Kollege Ommert behauptet, daß unsere Fraktion oder auch nur ein erheblicher Teil den Eisenbahnern das Stroikrecht zuspricht, so entspricht das nicht den Tatsachen. Diens� 12 Uhr. Kleine Anfragen. Weiterberatung. Schluß t �hr. 1•• Busschußberatungen. Ter TtaatSgerichtstiof. Im VerfassungSauSschuß schien auS pveußischen und bayerischen Regierungserklärungen zum Gesetz über den Staatsgerichtshof— es liegen verschiedene Entwürfe vor — ein Konflikt entsprießen zu sollen. Minister Koch hat aher eine
vermittelnde Haltung eingenonrmen. Die Beratung selbst hat erst! kaum begonnen. Das Arbeiterrecht. Im Haushaltsausschutz der Nationalver- sammlung wurde mitgeteilt, daß ein Ausschuß von Sachkundigen zur Bearbeitung des neuen Arbeiierrcchts gebildet worden sei. Die Arbeiten seien in vollem Gange. Es handelt sich u. a. um das Arbcitsvertragsrecht, das Tarifamt, das EinigungSverfahren, das i Koalitionsrecht, das Recht der Berufsvereine. Einige besonders' dringliche Angelegen beiten, wie die Regelung der Heimarbeit, sollen vorläufig durch Einzelgesetze geregelt werden. Die Reform der ReichSversicherungsordnung werde mit größter Be- schleunigung bearbeitet werden. Im Heimarbeitswesen solle den Fachausschüssen unter Umständen ein Einfluß auf die Löhne ein- geräumt werden. Die Arbeitsgerichte sollten möglichst weiten Kreisen der Arbeiterschaft ohne viele Kosten die Verfolgung ihrer Rechte gewährleisten. Die Frage einer Abschaffung der Ge- Werbegerichte werde geprüft. Minister Schlicke bezeichnete das Per- � langen nach gesetzlichem KoalitionSzwang als soziale; V e r i r r u n g. Er teilte auch mit, daß es künftig keine eigenen Militärlazarette geben werde. Die Umsatzsteuer. Der Unterausschuß will die allgemeine Um- satzsteuer auf Ith Proz. festsetzen und auch die freien Berufe ein- beziehen. Andererseits soll die Luxussteuer ausgebaut werden. Fast allgemein wurden Bedenken gegen diese Vorschläge geäußert, aber mit Rücksicht auf die Finanzlage der neuen Belastung deS Volkes zugestimmt, unter Betonung der Tatsache, daß es sich nur um ein Provisorium handle. Tie Betriebsräte. Ueber die Frage, ob es zweckmäßiger sei, Einzelbetricbsräte(in Zweigbetrieben desselben Wirtschaftsbezirks) oder Gesamtbetriebsrätc einzuführen, wurde noch keine Eni- scheid ung getroffen._ GroßBerlw Das Problem Groß-Serlin. Unterstaatssekretär Meyer vom Ministerium deZ Innern sprach in einer vom Demokratischen Verein einberufenen öffent- lichen Versammlung in Steglitz über den im Ministerium umge- arbeiteten Gesetzentwurf Gvoß-Berlin. Der Vortragende, der ledig- lich als Groß-Berliner.Kommunalpolitiker zu der Frage Groß- Berlin Stellung nahm, führte aus, daß der eingebrachte Entwurf eine Begrenzung auf etwa 15 Kilometer vorsieht. Zehlendorf , Wannsee sind trotz heftigen Sträubcns mit einbezogen worden, auch die Havclufer sind mit in das Gebiet des neuen Berlin einbezogen worden. Im Norden Berlins ist der Jndustrieort Hennigsdorf nicht mit einbegriffen worden, weil rein dörfliche Ortschaften dazwischen liegen, ein Umstand, den der Redner als nicht auf die Tauer au- gängig bezeichnet«. Hinsichtlich der Verwaltung des neuen Groß- Berlin sieht der ministerielle Entwurf eine Zentralisation mit Dezentralisation vor. Die in der neuen Einheitsgemeinde aus- schlaggebenden Verwaltungsbehörden sind Magistrat und Stadtver- ovdnetenvcrsammlung, von denen der erstere 30, die letztere 225 Mitglieder hat. Entgegen vielfach geäußerten Wünschen, nur besol- dete Magistratsmitglieder vorzusehen, hat das preußische Mini- sterium geglaubt an der Einrichtung der unbesoldeten Stadträte festhalten zu sollen, die im Gegensatz zu den besoldeten Magistrats- Mitgliedern, die gewissermaßen Fachmin'iter seien, das Ventil für die parteipolitischen Anschauungen der Stadtverordneten darstellen sollen. Die besoldoten Magistratsmitglieder sollen auf 12 Fahre getväblt werden während die Wahlzeit der unbesoldeten auf o Jahr« bemessen ist. Diese Frist hält Unterstaatssekretär Meyer noch für etwas zu lang, er befürwortet Abkürzung auf 4 Jahre. Da§ neue Groß-Berlin wird nach dem Entwurf in 18 Wahl- oder Verwal- tungsbezirke eingeteilt: davon entfallen allein auf die Stadt Berlin 6 Bezirke mit 112 Stadtverordneten, was genau der Einwohnerzahl Berlins entspricht. Die einzelnen Bezirke sind so abgegrenzt, daß sie 80000 bis 280 000 Einwohner umfassen;' kleinere verwandte Gemeinden sind zusammengelegt worden. Ganz besonders schwierig war, wie der Redner ausführte, die Abgrenzung des den Bezirken zugewiesenen AufgabenkreiseS. Der � 20 des Entwurfs, der diese Frage zu regeln versucht, sieht vor, daß die Organe der Bezirke selbständig über die Einrichtungen und Anstalten zu befinden haben, die vorwiegend den Interessen des Bezirks dienen. Diese Bestim- mungen des Entwurfs wurden vom Referenten als eine sehr dehn» bare Grundlage für die SelbstverwaliungStätigkeit der Bezirksver- waltungskörper bezeichnet, eine bessere Regelung habe sich aber bisher nicht finden lassen. Eine weitere Befugnis der Bezirksver- waltungskörper ist die Ernennung der unteren und mittleren Ver-
waltungSbeainten. Zum Schluß betonte der Vortragende, daß man bei der Beurteilung des Emwurfs keinesfalls ausschlaggebenden Wert auf die möglichen parteipolitischen Folgen seiner Wirksam- keit legen dürfe. In der Aussprache, in der namentlich auch die Frag« der Abgrenzung des Bezirks Steglitz behandelt wurde, tri- tistcrte Schöffe I o ch e m- Steglitz sehr scharf den§ 20 des Gesetzentwurfs, der vielfach zu kautschukartig sei, und forderte eine ganz genaue Umschreibung der den einzelnen Bezirken zustehenden Rechte. Er bemängelte auch insbesondere, daß den Bezirken das Recht ver- sagt werde, sich ihre leitenden Beamten selbst zu wählen. Auch Schösse Dr. Lengner- Lichterfelde hatte an dem Gesetzentwurf sehr viel auszusetzen, von dem er behauptete, daß er den Gegensatz zwischen der Stadt Berlin und den Vororten aufrechterhalte. Von einer Selbstverwaltung der einzelnen Bezirke könne nach dem Eni- wurf keine Rede sein. Nach einem Schlußwort des Referenten nahm die Versammlung einmütig eine Entschließung an, in der die Schaffung eine? Groß-Berlin als notwendig bezeichnet, aber die Gewähr für die Entfaltung der Selbstverwaltung und die Möglich- keit der freien Mitarbeit der Bürger gefordert wird Weiter bringt die Entschließung die Notwendigkeit der Bildung eines Bezirks aus den am Teltowkanal liegen- den Vororten Steglitz , Lichterfelde , Zehlendorf , Lankwitz , Teltow , Dahlem und Südende zum Ausdruck. Das neue Brot. Die Brotversorgung Groß-BerlinS auS der neuen Ernte soll am 27. d. Mts. beginnen, vorher müssen aber die Restbestände aus der alten Ernle verbrauck-t sein. Da für die neue Versorgung nur lO Proz. Weizenmehl zur Versügung stehen, muß auf die Herstellung von Schrippen verzichtet werden. Es sollen sogenannte Salz- kuchen zu 50 Gramm gebacken werden. Die Erhöhung deS RogaenmehlpreiseS von 42 auk 59 M. und die Steigerung der Backunkosten machen eine erhebliche Steigerung de§ Brot- Preises notwendig. In Anbetracht der langsamen Getreide- ablieserung ist eine Erhöhung der Brotration»'cht möglich._ Schon wieder einer-- nämlich ein neuer Verband. I n- teressenverband Deutscher Jungesellen nenn« er sich, sein Domizil hat er in der Lüyowstr. 92 aufgeschlagen. Die'e junge Organisaiioil ist bereits recht betriebsam und will energisch gegen die Ausbeulung ihrer Mitglieder kämpfen. Arme Schlummermütter! Ein WohnungSnachweiS ist bereits in Funktion, eine Wäscherei sorgt datür. daß der Jungeselle immer über einen sauberen Stehkragen verjüqt, und in e>genen Reparatur- Werkstätten w'rd die.Pelle" instandgehallen— alles wie bei .Mutlern". Warum diese Weilstätteu aber von Damen geleitet werden, begreifen wir nicht. Wo bleibt da der Junggeiellenstolz? Steuerberalungsslelle, Versicheruugsaiistalt, Junggesellenbe>me. Ein- kaufSzenirale, alles das steht auf dem Programm. Wenn deüeu Durchführung nur nicht dem alten Berliner Wort:.Mensch, heirate-- 1" Abbruch tut.__ Die juristische Sprechstunde findet in der Woche vom 13. bi? 16. Oktober nur von 3— 5 Uhr statt.
Zur Kohlenversorguug. Die Kohlenstelle Groß-Berlin teilt mit. daß die Besuchszeit wie bisher wochentäglich nur die Zeit von 9—12 Ulit festgesetzt bleibt. Es wird wiederholt darauf hingewiesen, daß eine persönliche Absertignng von Verbrauchern(Küchen- und Osenbrand) nur dann möglich ist, wenn 1. bei Umzügen innerhalb Groß-BerlinS die grüne?->«» weiskarte... 2. bei Neueintragungen ein« Bescheinigung deS zu- ständigen Magistrats oder GemeindevorstandeS. daß bisher noch keine Kohlen im BerbandSgebiet des ÄohlenverbandeS Groß-Berlin bezogen worden sind, 3. bei Beschwerden, über N i ch t b e l i e fe r un g die grüne AuSweiSkarie und die alten Kohleukmten, vorgelegt werden können. Auch die Verzögerung der schriftlichen Anträge ist in den allermeisten Fällen auf die unterlassene Bei- fügung der genannten Unterlagen zurückzuführen. Gleichzeitig wird gebeten, die Besuche nur auf diejev'gen FÄre zu beschränken, bei welchen eine ichri'tliche Erledigung unzweckmäßig erscheint. Bezüglich der Anträge auf m s ch r e l b u n g von dem bis- berigen zu einem anderen Koblenhändler wird darauf auimerkiam gemacht, daß derartigen Anträgen nur in den allerdrin, gendsten Fällen stattgegeben werden lan ». ES besteht viel-
89s
Erleuchtung.
Roman von Henri Barbusse . Verdeutscht von Max Hochdorf . 22. Kapitel: DaS große Geleuchts. Weird ist eS, und ich sitze am offenen Fenster. Wie in den einstigen Nächten, sehe ich dem düsteren Bilde zu. Da ist der Kirchturm, zuerst noch unsichtbar, dann nimmt er Gestalt an. Aus der Raumhöhlung strebt er sehr steil in die Höhe hinauf. Und dort liegt das Schloß, es ist über die ganze Hügelkette hin erleuchtet, wie eine reiche Krone kostbarer Steine. Dann da? schräge und massige Schwarz der Dächer, die von den Schornsteinen bepflanzt sind. Auf dem Halb- dunkel des Raumes zeichnen sich die Schornsteine ab. Endlich ist in einigen Fenstern noch eine milchige Helligkeit sichtbar. Ueber alle diese zerwetzten Häuser, in denen sich die Menge , der Männer und Frauen verbirgt, schweift das Auge jetzt hin, wie es immer gewesen ist, wie es überall gewesen ist. Dort liegt da? Reich dessen, was heute ist. Wer aber wird daZ sagen, was einst sein muß! Ich habe gewußt, ich habe das Einstige in seiner Ent- hüllung gesehen, ich habe gezweifelt. Jetzt hoffe ich. Wer wird die Wahrheit sagen? Aber es genügt nicht, die Dinge nur zu sagen und anzudeuten.-- Eben, da die Versuchung über mich gekommen war, den Anschlag gegen die Kriegsschau auszuführen, glaubte ich, ich hätte meiner Ein- gebung gehorcht, und ich müßte nun vor den Richtern erschei- nen. Da würde ich ihnen manche Wahrheiten zugeschrien hoben. Da würde ich ihnen bewiesen haben, daß ich im Rechte war. Vom Angeklagten würde ich mich zum Ankläger ge- wandelt haben! Nein, ich hätte nicht so gesprochen, denn ich hätte es gar nicht vermocht! Ich würde nur gestammelt haben, überfüllt von einer Wahrheit, die mich niederschmetterte und erstickte. Aber alles eingestehen, unmöglich würde daS gewesen sein. Es genügt eben nicht, nur die Worte zu bilden. Man muß auch den Sinn der Worte wissen. Sagt man: ,.Jch leide!" Oder sagt man:..Ich habe recht", so hat man in Wirklichkeit nichts gesagt. Man hat nur vor sich selber sein Bekenntnis abgelegt. Die wirkliche Wahrheit schwingt nicht durch jedes
Wort, das von Wahrhett redet. Denn die Worte sind abge- griffen, Und die wägenden Gedanken werden verfälscht durch vieldeutige Flüchtigkeit. Man muß die Gabe besitzen, mit seiner Uebcrredung durchzudringen. Man darf die beredsame Schlichtheit des Wahrhaftigen und dessen feierliche Folgerun- gen nicht zerstören. Und ich werde nicht fähig sein, nur aus dem Grunde meines Wesens heraus derartig das Wort zu gestalten. Stemmt sich die Neugierde der Menschen mich ent- gegen, so werde ich geblendet. Schon die Unberührtheit eines Papierstreifleins erschreckt mich, und sie verdunkelt meinen Blick. Ich werde es nicht sein, der berufen ist, in i diese weiße Unbeflecktheit die Schrift, einer Leuchte gleich, einzugraben. Ich begreife, aus welcher Trübsal die Trauer eines großen Volksführers gefügt ist. Ich kann nur von dem Manne träumen, der sichtbar die unermeßliche Not des Men- scheu in einem Werke versammeln soll. Nichts möge fehlen in dem Werke. Nicht? möge vergessen sein darinnen. Nicht ein falsches Strichlein sei eingestreut darinnen. Dieses Werk soll den Menschen unserer Zeit den Weltenplan enthüllen und - verkünden. Gesegnet sei dieser Träger der schlichten Offen- barung und Wahrheit, von wannen er auch kommen möge. Aber ich wünschte auch im Grunde meines Herzens, daß er in französischer Sprache redete. Noch einmal tritt in meiner Erinnerung das Wesen, das mir damals als Gespenst des Bösen erschien, um mich' in die Hölle zu entführen. Da den Sterbenden' der Todes- kämpf erdrückte und sein Haupt düster umhüllt war wie das -Haupt eines AdlerS, hatte er einen Fluch ausgestoßen, den ich nicht verstehen konnte. Er hatte die Werke der Kunst verflucht. Doch jetzt begreife ich ihn. Er fürchtete sich vor dem ewigen Leben, dos den Kunstwerken geschenkt ist. Er fürchtete sich vor der schrecklichen Kraft, die in den Kunst- werken waltet. Haben sich die Schöpfungen deS Künstlers einmal in die Augen einer Zeit eingegraben, dann kann man sie nie mehr verjagen oder ausrotten. Der Sterbende ver- glich damals die Macht der.Künstler, die von den Königen so sehr geknechtet worden sind, dem Genie des erfindnngs- reichen Dichters: denn auch der Dichter sei imstande, ein freies und gerechtes- Wort binauszu'chleudern. das niemals mebr verhallen wird, der Welt ein Buch zu schenken, das blitzende Zunken in die MenfchbeitSverdüsterung hineinstäuben wird. Die Stimme des verendenden fürstlichen Menschen kroch da- mals nur über den Erdboden weg, und sie rasselte mit
dumpfen Schlägen, und sie mahnte:„Unterdrückt sie darum alle, die Schreie, die zum Lichte hinaufgeleiten!" Aber wir, was sollen wir sagen? Man muß doch den mächtigen Weltenplan, den man in Demut erblickt, entbüllen und auflösen? Wir müssen doch dem einen Volk, das aus allen Völkern zusammengeschmiedet ist, zurufen:„Wache auf, begreife Deine Sache, schlage die Augen auf und sieh! Richte Dein Gewissen wieder auf, das von der Sklaverei ge- fälscht worden ist! Erkenne, daß alles wieder von neuem anfangen muß!" Von Grund auf neu beginnen, ja, darum handelt eS sich zunächst. Schafft der Menschen Plan nicht alles unbändig neu, so wird er überhaupt nichts erschaffen. Die Neuerungen, die noch zu begründen sind, sie gehören ins Reich der Träume, sie gehören ins Reich des Todes, wenn sie nicht bestimmt sind für jegliche Kreatur und jedes Volk. Verbesserungen, die nur e i n Volk angehen, sind nur Bruch- stücke von Derbesserungen. Keine halben Maßregeln darum. Die halben Maßregeln sind nur armselig und lächerlich. Zum letzten Male sei gesagt, worum sich alles dreht! Die Welten- kugel werde aufgeholten in ihrem Absturz, der sich zur Tiefe des Entsetzens wälztt Keine halben Maßregeln, denn auch die halben Wahrheiten sind zu verwerfen. Tu alles, oder Du wirst nie etwas Ordentliches tun! Dulde besonder? nicht, daß der Fortschritt der Mensch- heit von den Königen in die.Hand genommen wird. Das ist die wichtigste Lehre, die man Dich lehren kann. All das Freigeistergetriebe der Herrschenden, das die Menschheit in den Zustand hineingetrieben hat, der heute regiert, ist mir ein Spiel der Vorstellungen. All diese Maßregeln dienten nur dazu, dem künftigen Fortschritt einen Block entgegenzu- schieben und die Vergangenheit hinter Mauerverkleidungen wieder aufzurichten. Höre niemal? auf die großen Worte, mit denen die Könige prunken. Tie Worte sind nur in der Verzirkung der Buch- staben sichtbar, wie die Glieder eines Skelettes. Die Herr- schenden erlassen Kundgebungen, in denen Freiheit und Recht angepriesen werden. Die Kundgebungen würden schön sein, wenn sie wahrhaftig das sagten, was sie nur in Worten sagen. Aber die Verkünder wollen nicht den vollwertigen Sinn des Wortes in jedes Wort hineinlegen. Was sie herleiern, sie wollen und können eS nicht erfüllen, sie sind nicht einmal fähig, es zu begreifen. Worts, folgt.)