lichimg dieser Nä»bergeschichle, weil die Gedankenlosigkeit der Berliner Blätter sich so glänzend darin zeigt, daß sie mit dem Abdruck ahnungslos auch den Musterknaben von„Destillen- fritzen" mit einem Berliner Dialekt übernehmen, der ganz gewiß Ichon von den mit Spreewasser getauften A-B.-C.-Schützen igerügt wurde. Wie unlogisch ist es aber, daß der Berfafser diesem btermogelnden Wirth Nirgendwo die Genossen als Gäste wieder zuweist, die zwei Monate sein Lokal gemieden, wo sie jetzt doch viel leichter auf das Ringbier und den Besuch dieses Lokales verzichten konnten, weil das ringfreie Bier ohne Zweifel mehr abgelagert ist als früher! Nein, Verehrtester, wenn etwas Beweiskräftiges gegen den Boykott gebracht werden soll, muß es doch Besseres sein, als antisemitische Bierwitze. Besser wäre eS schon, wenn Sie sich an den Höchstkommandirenden Rösicke wendeten, der Ihnen authentisch bestätigen kann, daß der Boykott nicht„zieht", oder vielmehr daß er ganz infam„zieht".—„Wer über den Boykott schreiben dhun dhut, muß det Dings ooch verstehen," antwortet« uns Lattensritze, als wir ihn dieserhalb befragten.... „Der Bierverruf, so schreibt die„Voss. Ztg.", scheint seine Schrecken für die Gast- und Schankwirthe vollständig verloren zu haben. Wenigstens wurde gestern Nachmittag in der Versamm- lung des Vereins der Berliner Weißbierwtrthe(bei Schulz, Ge> Sundbrunnen), die von über 700 Mitgliedern besucht war, des Zerrufs mit keinem Worte nicht gedacht." Diese Schweigsamkeit ziert die Herren vom Weißbierverein zweifellos besser, wie die hohlen Rodomontaden der Führer dieser Vereinigung zur Zeit als die Erzählungen von den diversen hunderttausend Mark Unterstützungsgeldern noch Gläubige anden. Dieser naive Glaube ist eben heute durch die rauhe Wirk- ichkeit grausam zerstört worden und wenn wir die Glocken haben recht läuten hören, so ist gewissen sonst sehr redseligen Herren nahe gelegt worden, durch unnützes Geschrei, hinter dem nichts steckt, nicht noch mehr Oel ins Feuer zu gießen. Auf alle Fälle klingt diese Erklärung der plötzlichen Schweigsamkeit plausibler, als wie die Annahme, daß angesichts ihrer verwaisten Lokale den Saalveriveigerern der Bierverrus gleichgiltig sein sollte. Ucber die zum Theil wenig strenge Durchführung des Boykotts seitens der Ban-Zlrbeiter wird in Kreisen der Berliner Arbeiterschaft leider nicht mit Unrecht geklagt und doch sind Fälle zu verzeichnen, wo bei solidarischem Vorgehen der betreffenden Arbeiter alles zu erreichen ist, wie folgender Fall beweift. Auf deny dem Herrn Rentier Mack gehörigen, zwischen Brunnen-, Puttbuser- und Swinemünderstraße gelegenen Terrain werden gegenwärtig eine Anzahl Neubauten aufgeführt. Aus einem Theil derselben werden die Arbeiter durch die sogenannten Banbudiker mit Speise und Trank versehen. Daß die Kontrolleure leicht diese Art Kneipen übersehen, ist klar. Wird aber ein- mal von einer Seite diesen Kneipen größere Aufmerksamkeit ge- schenkt, so passirt es leicht, daß ganz eigenartige Verhältnisse zum Vorschein kommen. So auch auf dem oben angeführten Terrain. Die Genossen hatten schon längere Zeit mit augesehen, daß da- selbst der Boykott unbekannt zu sein schien. Eine Besprechung mit den Arbeitenden hatte trog Hinzuziehung des Vertrauens- mannes der Maurer, infolge zu geringen Besuchs, das erste Mal nur einen minimalen Erfolg. Das Resultat der zweiten Zusammenkunft war ein bedeutend besseres. Der Bau- budiker Hahn an der Brunnenstraße und Straße 87 Ecke ließ sich am Tage nach der letzten Besprechung sosort ein Plakat der Boykottkommission bringen und erklärte, von jetzt ab sein Bier unter Kontrolle zu stellen. Also, Genossen, namentlich die Ihr auf oben angeführten Bauten beschäftigt seid, seid einig und Ihr werdet sehen, daß, soweit noch Ringbier in den Bauiantinen ausgeschänkt wird, bald Wandel zu schaffen ist. Der Vertrauensmann. Die Parteigenossen deS!t. Berliner Reichstags' Wahlkreises genügten am Mittwoch Nachmittag der traurigen Pflicht, wiederum einen Genossen zu Grabe zu geleiten, der ebenso wie der vor drei Wochen beerdigte Genosse Rudolf Kohlhardt, so lange die Kräfte es erlaubten, sich in selbst- losester Weise für die Parteiinteressen aufopferte. Es war dies der Schneider Wilhelm Hofs mann, dessen Leben nach nur LSjähriger Dauer am Sonntag Morgen durch einen Herz- schlag ein Ziel gesetzt wurde. Die große Betheiligung an dem Begräbniß war der sprechendste Beweis für die Liebe und Achtung, welche sich der Verstorbene bei Ledzeiten in Freundes- und Bekanntenkreisen errungen hatte. Der imposante Leichen- zug nahm seinen Weg vom Trauerhause, Alte Jakobslr. 88, aus durch die Sebastian-, Dresdener- und Kotlbnserstraße, über den Kotlbuser Damm und den Hermannsplatz nach deni Neuen Louisenkirchhof in der Hermannstraße, wo die Genossen des Wahlkreises, des Wahlvereins und des LomsewViertels, serner der Verband der deutschen Schneider und Schneiderinnen, sowie viele Freunde Kränze mit Widmungsschleifen am Grabe nieder- legten mit dem Gclöbniß, des Genossen Andenken in Ehren zu halten und— weiter zu kämpfen. H o f f m a n n hinterläßt eine Wittwe, der schon einmal ein Gatte in ebenso jungen Jahren durch den Tod von der Seite gerissen wurde. Tie Parteigenossen, welche SluSflilge nach AdlerShof machen, werden namentlich bei Gelegenheit der am Sonntag stattfindenden Lafsallefeier darauf aufmerksam gemacht, daß folgende Wirthe boykottsreies Bier schänken: Rud. Wöllstein, Lustgarten; Jul. Ackermann, Bismarckstr. 53; Miserra, Bismarck- Sraße 25; Poranzke, Hackenbergsir. 8; Soltysiak, Hackenberg- raße 9- Kuhle, Kronprinzenstraße; Schubert, Oppenstraße und Ecke Grünauer Allee. Die Lokalkom Mission. Tie Groste Berliner Pferde-Eisenbahn Gesellschaft ist nach dem„Berliner Lokal- Anzeiger" beim Magistrat der Stadt Charlottenburg um die Konzessionirung einer neuen Linie«in- gekommen, welche vom Straßburger Platz resp. Olivaer Platz ausgehen, die Joachimsthaler-, Ranke-, Augsburger-, Luther-, Nettelbeckstraße durchlaufen und über den Lützowplatz Anschluß an die Sladtlinien finden soll. Die Unterhandlungen sollen dem Abschluß nahe sein. Blinde Kinder finden bis zum schulpflichtigen Alter kosten- freie Aufnahme in der Anstalt Schönhauser Allee 73. Meldungen beim Stadtverordneten Langenbucher, Grenadierstr. 8, oder beim Stadtverordneten Riemer, Bischofstr. 2/3. Sedanfeier. Eine Prügelei ereignete sich, wie nachträglich bekannt wird, am Sedantage vor dem Lehmann'schen Restaurant in der Wollanckstraße zu Pankow . Mehrere patriotische Burschen geriethen beim Verlassen des Lokals in heftigen Streit, weshalb der Wachtmeister Posjelt die Krakehler zur Ruhe verwies. Das nahmen die letzleren übel und fielen über den Beamten her, infolge dessen derselbe arg zugerichtet wurde und ohne Waffen und Helm auf dem Kampfplätze liegen blieb. Letztere hat man später in der Brehmestraße gesunden. Zu dem furchtbare» Unglück, von dem die Soldaten des Füsilier- Bataillons vom vierten Garde- Regiment zu Fuß in Rieben bei Guben betroffen worden sind, wird auf grund der Mittheilung eines betheiligt gewesenen Soldaten das Nachstehende berichtet: In einem Bauerngehöst waren Mannschaften der neunten und zwölften Kompagnie untergebracht worden, die sich etwa um 8 Uhr am Montag zur Ruhe begaben. Um Ö3/« Uhr brach in dem Räume, wo die Soldaten lagen, Feuer aus, das sich mit großer Schnelligkeit verbreitete. Die plötzlich anfge- schreckte Mannschaft konnte sich in der Schlaftrunkenheit und bei dem Qualm nicht gleich zurecht finden, und zwei Soldaten fanden den Tod in den Flammen. Dies sind der Füsilier Klopp der neunten Kompagnie, der erst seit dem vorigen Herbste dient und sein erstes Manöver mit- machte, und der Füsilier Martensen der zwölften Kompagnie, der nach Beendigung der Herbstübungen zur Reserve entlassen worden wäre. Beide sollen vollständig verkohlt aufgefunden worden sein. Außerdem sind aber noch mehrere Unglücksfälle zu ver- zeichnen. Leichte Brandwunden im Gesicht und an den Händen trug der Füsilier Albert Wiebus der 9. Kompagnie davon, der bereits am Dienstag Vormittag hier in Berlin eintraf und auf der äußeren Abtheilung des Garnisonlazarelhs I in der Scharn- horsistraße untergebracht wurde. Er bedarf zu seiner Wieder- Herstellung nach ärztlichem Gutachten etwa vier Wochen. Außer- dem liegen noch zwei schwere Fälle vor, die einen Unteroffizier und einen Gefreiten betreffen. Beide haben nach hierher ge- langten Mittheilungen im Lazareth zu Frankfurt a. O. Aufnahme gefunden, da ihr Zustand eine Weiterbeförderung nicht zuließ. Ein Kindesmord. Am Donnerstag Morgen kurz nach 3 Uhr sah der Parkwächter Otto Meile im großen Teiche des Friedrichshajns die Leiche eines sechs Wochen alten Knaben schwimmen. Nach geschehener Landung stellte sich heraus, daß das Kind in drei Windeln lag, die anscheinend aus einem alten Bettlaken oder Frauenhemd zurcchtgeschnitten waren. Das Wickelband ist aus Baumwolle gehäkelt. Die Leiche war mit Hemd und Jacke aus schneeweißem Leinen bekleidet. Da Blut aus der Nase quoll, so ist der Knabe möglicherweise durch einen Schlag ins Gesicht betäubt worden, bevor er in das Wasser ge- worfen wurde. Unter dem Verdachte der That ist eine Frauens- person nach dem 51. Polizeirevier gebracht worden; doch ist die Untersuchung noch nicht so weit gediehen, daß man ein genaues Urtheil darüber haben kann, ob sich der Verdacht bestätigt oder nicht. Selbstmord. Der 84 Jahre alte Albumfabrikant Isidor Israel wurde am Mittwoch Nachmittag um 3 Uhr in seiner Wohnung Lübeckerstraße 42 durch Angehörige erhängt und todt aufgefunden. Ter Beweggrund zum Selbstmord scheint in Familienverhältnissen zu suchen zu sein. In Gegenwart seiner jungen Fran hat sich vorgestern der Friseur R. in der Rosenthalerstraße erschossen. R. halte sich am Vormittag aus seiner Behausung entfernt. In seiner Abwesen- heit erhielt seine Frau einen Brief, in welchem R. ihr mittheilte, daß er sich im Grunewald erschießen werde. Doch bald daraus kam R. nach Hause. Und als ihm seine Frau Vorwürfe machte, daß er sie so furchtbar erschreckt habe und ihn bat, sich kein Leid anzuthun, zog er einen Revolver aus der Tasche. Ehe die Frau ihm die Waffe entreißen konnte, krachte der Schuß und zu Tode getroffen brach R. zusammen. Was ihn in den Tod getrieben, ist unbekannt. Polizcibericht. Am 4. d. M. Abends stürzte ein Knabe aus der im 2. Stocke des Hauses Stralsunderstraße 53 belegenen Wohnung seiner Eltern auf den Hof hinaus, erlitt einen Schädel- bruch und starb bald darauf.— Am 5. d. M. Morgens wurde auf der Treppe des Hauses Thurmstraße 16 die Leiche eines neugeborenen Kindes aufgefunden.— Auf dem Bellealliance- Platze wurde ein Mann durch einen Schlächterwagen über- fahren und an der Schulter verletzt.— Vormittags zog sich eine in der Falckensteinstrnße wohnende Frau dadurch schwere Brandwunden am ganzen Körper zu, daß sie Petroleum auf das Herdseuer goß, wobei ihre Kleider in Brand geriethen.— Bei einer am Görliher Ufer entstandenen Schlägerei wurde ein Arbeiter am Kopfe so schwer verletzt, daß seine Ueber- sührung in ein Krankenhaus erforderlich wurde.— In der Frank- surter Allee gerieth ein Mädchen unter die Räder eines Geschäfts- wagens und erlitt schwere innere Verletzungen.— Nachmittags erschoß sich ein Mann in seiner Wohnung, in der Rosenthaler- straße.— In der Straße Alt-Moabit wurde ein Mädchen durch eine Kutsche überfahren und am Arme verletzt.— In seiner Wohnung, in der Lübeckerstraße, wurde ein Mann erhängt vor- gefunden.— Abends fiel ein Mann in der Greisswalderstraße von einem Pserdebahnwagen und brach den Unterschenkel.— Im Laufe des Tages sanden drei Brände statt. WittmiugSübersicht vom 0. September 1894. Wetter« Prognose für Freitag, den 7. September 1894. Ein wenig wärmeres, vielfach heiteres, zeitweise wolkiges Wetter mit schwachen südwestlichen Winden; keine oder unerhcb- liche Niederschläge. Berliner Wetterbureau. TTzeakev. Berliner Theater. Prologe und kein Ende! Am Mittwoch wurde das Berliner Theater unter der neuen Direktion des Herrn Oskar Blumenthal mit Anzengruber's„Pfarrer von Kirchseld" eröffnet. Da man keinen frischen Prolog hatte, griff man zu einem altbackenen, den Ludwig Fulda vor Jahren einmal zu Ehren des tobten Anzengruber gedichtet hatte. Die glatt- flüssigen, aber wohlfeilen Verse Fulda's schmiegen sich in Nichts an die herbe Mannsnatur Anzengruber's an. Was sie vollends mit dem Berliner Theater zu thun haben sollen, ist ein Räthsel. Es ist ein Glück, daß die Tobten in ihren Gräbern nicht hören können, was allzeit geschäftige und geschäftskundige Sournalisten und Theaterdirektoren an ihnen zu rühmen wissen. ie würden erbittert auffahren! Als Anzengruber noch lebte, da war er der bärbeißige Sonderling. Als er angeödet vom eklen Theatergetriebe, im Uumuth einmal das Wort vom„jüdischen Schachergeist" in unseren Theatern aussprach, da ward er zum verdammten Antisemiten gestempelt und der Preßklüngel, der in Wien niedriger ist und gemeiner als irgend- wo, that ihn in Bann. Theaterdirektoren, die vor der Geistinger krochen, und dem näselnden Koupletsänger Girardi. der heute noch der Abgott der cretinisirten Wiener Bourgeoisie ist, wiesen dem ernsten Mahner Anzengruber die Thür«, wie man einen unbequemen Polterer auf die Gasse stößt. Als das grausame Spiegelbild Wienerischen Kleinbürger- thums, das Volksschauspiel«Das vierte Gebot", in das kleine Vorstadttheater der Josesstadt zu Wien flüchten mußte, da riefen die braven Wiener : Was, das sollen wir sein? Das unsere Gesellschaft? Und wo bleibt das goldene Herz der Wiener vom Grund? Und sie liefen zum Volkssänger, der ihnen vom alten Steffel(Stefansthurm) und vom goldenen Wiener Ge- müth Wunder vorzulügen wußte, und ließen den Dichter einsam stehen. Heule freilich bemüht man hellenische Musen und Genien um ihn und macht tiefe Bücklinge vor seinem Geist, wenn eins seiner Werke irgend einem Direktor Vorspanndienste leisten soll. Die Aufführung von Anzengruber's Drama bedeute ein Pro- gramm, so stand in den Blättern zu lesen und nun breche im Berliner Theater, das unter Barnay auf das Lärm- und Effekt- drama„Kean" und auf die rührselige Sentimentalität vom Hüttenbesitzer herabgesunken war, eine neue Aera heran. Ich möchte wissen! Einen größeren Tiesstand, als es unter Barnay erreicht hatte, kann das Berliner Theater unter Blumenthal auch nicht wohl erreichen. Und«ine Volksbühne im Geiste Anzengrubers, dessen Angedenken man in der Eröffnungsvorstellung herausbeschwor, wird das Berliner Theater unter der neuen Leitung auch nicht werden. Was der vornehmere Westen im Lesingtheater bereit? zur Genüge genoffen hat, das wird man dem kleineren Manne in der süd- lichen Friedrichstadt zu etwas ermäßigteren Preisen auftischen; und wenn es hoch hergeht, wird man ihm dann und wann auch klassisch kommen. Die Aufführung des streitbaren Dramas, dessen Gedankenwelt übrigens für moderne Leute überholt ist, bot nicht viel Neues. Herr Sommerstorff(früher am deutschen Theater) gab auch im Berliner Theater den Pfarrer mit wohlthuender Herzenswärme. Seine Gattin, � Terisina Geßner-Sommerstorff, fand sich in die enge bäuerliche Welt nicht so sicher hinein. Anna Birkmeyer ist ein kluges, treuherziges Mädel, aber nicht mehr; und bei Theresina Geßner wurde sie zu Unrecht zu einer überlegenen Weltdame, die zufällig einen bunten Kittel und ein farbiges Fürluch trägt. Den Widerpart des Pfarrers, den verbitterten Dorssonderling, der durch Liebe wieder der menschlichen Gemeinschaft gewonnen wird, den Wurzelsepp, spielte Herr S u s k a. Wenn zerraufte Haare die wichtigsten Zeugen für zerrüttete Gemüthszustände sind, dann war Herr Suska vortrefflich. Wenn er durch Töne seelischer Empfindung er- schüttern sollte, dann half ihm seine Theaterroutine nicht viel. Dann war sein Wurzelsepp ein Polterer, und kein in sich zer- rissener Mensch. National- Theater. Wo im Passage» Panoptikum die Dahomeyweiber, bei Castan die Prinzeß Topase und im Zoologischen Garten Bleichröder's Nilpferd das größte Aufsehen erregen, da kann der eifrige Direktor des National-Theaters auch nicht mit einer Attraktion zurückbleiben. Er bietet seinem Publikum nicht allein, sondern überhaupt tont Eorlin diesmal etwas Außerordentliches, und kündigt in riesigen Plakaten das Auftreten einer gebenedeiten Künstlerin, der märchenumwobenen Bertha Rother an. So sinnig wie nur möglich gestaltete sich am Mittwoch Abend das Debüt dieser illustren Dame; wie im Märchen der Prinz erst tausend Prüfungen zu bestehen hat, um zur drachenbewachten Geliebten zu gelangen,. so läßt Herr Direktor Samst den Fremdling, der nach den Frankfurter Linden hinauspilgert, erst die ganzen Qualen der Susanna im Bade durchkosten, bevor er Abends gegen zehn Uhr mit Bertha Rother herausrückt. Der Künstlerin ist, analog Pariser Gebräuchen, vom Hausdichter ein Stück auf den Leib geschrieben worden;„Ein Modell" ist es verständnißinnig genannt und es stellt dar die Wider» wärtigkeiten, die einem Maler der Bertha Rother, eben des Modells wegen, von der eifersüchtigen Gattin bereitet werden. Ter Hausdichter war klug genug, die so nackt wie möglich gekleidete Gastin nur wenig reden und desto mehr posiren zu lassen und die Posen fanden denn auch beifälliges Verständniß im Publikum. Es läßt sich nicht leugne», daß Fräulein Bertha Rother eine hoheitsvolle Erschei- nung ist; sie hat einen Zug von der Diana aus Biscaya an sich, vor deren kräftiger Umarmung der Schwächling Heine diverse Rippenbrüche befürchtet, in ihrem lapidaren Einherschreiten liegt etwas übermenschliches. Den Mund hatte die schöne Bertha nur selten aufzuthun; wenn sie aber sprach, so flössen ihr die Worte wie geschmolzenes Saccharin hinter den Zahnreihen hervor. Das trotz der erhöhten Eintrittspreise recht zahlreich er- schienene Publikum nahm herzlichen Antheil an dem Geschick der Künstlerin. Eine öffentliche Versammlung aller in der Schnh- und Schttftcbranche beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinne» hatte sich am 5. d. nochmals mit dem Streik bei Fürstcnheim u. Ko. zu beschästigen. Niederauer als Referent war der Ansicht, daß der Streik nach elfwöchiger Dauer nach Lage der Sache nicht mehr einen Erfolg verspreche. Für die Ausständigen sei nichts mehr zu erreichen und auch der Fabrikant sei nicht mehr wesentlich zu schädigen. Er hielt es für das zweckmäßigste, den Streik zu schließen, um die Fürstenheim'sche Fabrik der Organisation wiederzugewinnen und zu erhalten. Die Fabrik zu sperren hielt er nicht für angebracht. Ausständig sind noch zehn Mann. In Uebereinstimmung mit den Streikenden wurde der Streik bei Fürstenheim u. Ko. aufgehoben. Ueber den Streik selbst wurde noch länger debattirt.(Unser Berichterstatter wurde von Herrn August Fleischer ausdrücklich aufgefordert, in dem Ver- fammlungsberichte der Entrüstung der Versammlung darüber Ausdruck zu geben, daß der Redakteur des„Vorwärts", Robert Schmidt, gelegentlich der auf der Redaktion des„Vorwärts" stattgehabten Verhandlungen in Gegenwart des Fabrikanten sich zu den Streikenden dahin geäußert habe, daß sich dieselben be- reits lächerlich gemacht hätten.') Die Versammlung war der Ueberzeugung, daß auch Herr Fürstenheim von sich sagen könne: Noch ein solcher Sieg— und ich bin verloren! Wenn auch die Streikenden nicht Alles durch den Streik erreicht hätten, so hätten sie doch Vieles erreicht. Den Ausständigen wurde so lange Unterstützung zugesagt, bis sie Arbeit gefunden haben. Auch wurde beschlossen, bei der Preßkommission des„Vorwärts" Beschwerde zu führen. Fleischer gab noch bekannt, daß die von ihm für den Burger Streik verausgabten Sammellisten, die noch ausstehen, binnen acht Tagen an ihn, Höchstestraße II wohnhaft, abzuliefern seien, widrigenfalls er sich veranlaßt sehen würde, die Nestanten öffentlich bekannt zu geben. ' Hierzu hat der Unterzeichnete zu bemerken: Bei der Ver- Handlung war der Herr Fleischer nicht zugegen, und als die Aeußerung gethan wurde, auch nicht der Fabrikant, sondern ein Veilretcr desselben. Derartige kleine Unrichtigkeiten überraschen nun schon nicht mehr, wenn sie von einigen bekannten Mitgliedern der Schuhmacher-Organisation ausgehen. Ebenso wenig wie die „Liebenswürdigkeit", die Redaktion und mich für die Bemühungen, eine Vermittelung zwischen den Streikenden und dem Fabrikanten herbeizuführen, noch mit einer bei den Schuhmachern üblichen „Anerkennung" zu beehren. Ich muß deshalb in Kürze den Hergang der Sache wiedergeben. Als die Unterredung stattfand, war der Streik bereits verloren. Der Fabrikant hatte sein» Fabrik voll besetzt, was selbst das Mitglied Niederauer zugab, da er Aufschluß geben konnte über die bei der Krankenkasse an- gemeldeten Arbeiter in jener Fabrik. Gefordert wurde von den Streikenden nur die Einstellung der noch Ausständigen, da die anderen Forderungen, so auch die Entlassung des Werkführers— eine Forderung, die von Niederauer selbst als ungerecht bezeichnet wurde— bewilligt waren. Bei der ersten Unterredung mit Fürstenheim gab dieser das Ver- sprechen, von den 15 Ausständigen 7 sosort einzustellen und die anderen dann zu beschästigen, sobald eine Arbeitsstätte frei werde. Die zweite Unterredung fand mit dem Vertreter des Herrn Fürsten« heim statt. Die Kommission sollte eine Antwort geben auf das An- erbieten des Herrn Fürstenheim. Eine Antwort gab die Kom- Mission nicht, sondern wollte den Beschluß der Versammlung abwarten. Auf meine Befürwortung des Anerbietens. das auch zum Theil von einem Kommissionsmitgliede gebilligt wurde, gab der Betreffende mir zur Antwort:„Vertreten Sie nur diese Ansicht in der Versammlung, dann werden Sie aus- gelacht." Darauf erwiderte ich:„Von den Schuhmachern aus- gelacht, bedeutet nicht viel, denn die Schuhmacherbewegung hat sich durch die Ungeschicklichkeit einiger Mitglieder geradezu lächer- lich genug gemacht." So ist der Hergang der Angelegenheit. Finden die Schuhmacher eine Beleidigung in dieser Aeußerung, so thut es mir leid. Meine Ansicht ist aber aufs Neue durch ihren Beschluß bekräftigt, den ich nur wieder eine Ungeschicklichkeit nennen kann. Ich frage jede gut geleitete Gewerkschasts- Organisation, ob sie am Ende eines gänzlich aussichtslosen Streiks das Anerbieten eines Fabrikanten, einen Theil der Streikenden sofort einzustellen und den Rest je nach Freiwerden der Arbeitsstätten, zurück» gewiesen hätte, nachdem«ine Forderung von den Streikenden auf Lohnerhöhung oder Regulirung der Arbeitszeit selbst nicht mehr gestellt wurde? Oder ob es vernünftiger war, ohne jegliche Konzession den Streck alS aussichtslos einfach aufzuheben? R. Schmidt..
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