Nr.382 37.Jahrgang Ausgabe A nr. 54
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Sonntag, den 1. August 1920
Die erste Sizung in Genf.
ge.
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Die S.P.D. und die Arbeiterklasse
Von Ed. Bernstein.
Anläßlich des Zusammentritts der Internationalen So
Genf, 31. Juli .( Eigener Drahtbericht des„ Borwärts".)| Entschiedenheit dahin aus, daß der Sozialismus auf zialistenkonferenz von Genf scheint es angezeigt, ein paar TatDer Kongreß der Zweiten Internationale wurde heute vormittag dem Wege der Demokratie seiner Verwirklichung entgegen fachen zu veröffentlichen, welche die Haltlosigkeit einer in der um 11 Uhr durch den Generalsekretär der Internationale C a mille geführt werden müsse. Huysmans eröffnet. An Stelle des infolge von Er= Nach Shaws Rede ergriff namens der französischen sozialistischen Internationale von bestimmter Seite geflissentrankung am Erscheinen verhinderten Artur Henderson Dissidenten- Partei“ Arthur Rozier das Wort und lich verbreiteten Behauptung dartun. Es handelt sich um die und des durch dienstliche Geschäfte zurückgehaltenen schwedischen protestierte dagegen, daß der Streit um die Schuldfrage be- Frage der Stellung der deutschen Arbeiterschaft aur alten SoMinisterpräsidenten Branting empfahl das Bureau dem Kongreß, graben werde. Auch wandte er sich gegen einen debattezialdemokratischen Partei Deutschlands. den englisch en Delegierten Tom Shaw zum Präsidenten losen Austausch von Erklärungen über dieses Thema. Als am Abend des 6. Juni dieses Jahres die ersten Erund den holländischen Delegierten Vliegen zum Bizepräfi- Seine Ausführungen fanden eine sehr kühle Aufnahme. benten zu wählen. Dieser Vorschlag wurde einstimmig an= Namens der deutschen Sozialdemokratie antwortete genomme It. Dr. Adolf Braun, welcher ausführte:
„ Wir wollen uns einer Diskussion nicht entziehen, wenn wir auch eine solche als frucht los, unvorteilhaft und verfrüht erachten. Jene, die uns anklagen, haben keinerlei Akten veröffentlicht, wir dagegen alle. Ohne Kenntnis der Ententeakten sei aber die Besprechung der Schuldfrage sehr schwierig. Eine fruchtbare Arbeit kann sich nicht in historischen Be trachtungen erschöpfen. Das Proletariat erwartet von diesem Kongres positive Ergebnisse."
Die Rede Braun 8 wurde mit le bhaftem Beifall auf genommen, auch nach ihrer Uebersetzung ins Englische.
Präsident Shaw nahm hierauf das Wort zu einer längeren Ansprache, in der er der Hoffnung Ausdruck gab, daß die Arbeit des Kongresses zu einem einigermaßen positiven Ergebnis führen möchte. Er schilderte die trostlose Lage der verschiedenen Staaten Europas, besprach namentlich die Ernährungslage Deutschlands und die Notwendigkeit einer Hilfsaktion und erklärte mit Bezug auf Rußland, aus dem er erst vor kurzem als Mitglied der englischen Delegation zurückgekehrt sei, daß in dem Gebiet der Sowjetrepublik die Bevölkerung kaum die Hälfte der ihr normalerweise zukommenden Ernährung er halte. Shaw kam sodann auf die in der Internationale eingetretenen Gegensäte zu sprechen und erklärte, daß die Internationale den Gedanken aufgeben müsse, ein einheitliches, einstimmig angenommen. für alle gültiges Arbeitsprogramm in allen Ländern durchzuführen. Jedes Volk müffe feine vollkommene Freiheit behalten in der Verwirk: lichung des fozialen Bieles. Es erscheine höchste Zeit, daß die Internationale zu ihrem Wiederaufbau schreite, wobei sie sich auf gewisse Hauptpunkte beschränken müße, da doch nie- tellung Englands hin. Die Angelegenheit fönne aber erst mals eine Einigung aller Gruppen erzielt werden könnte.
Zur Verwirklichung der sozialdemokratischen Ziele müffe er die russische Methode entschieden ablehnen. Die Zweite Internationale dürfe sich aber nicht als Feind Sow= jetrußlands betrachten. Die West mächte hätten die Haltung gegenüber Sowjetrußland bereits wesentlich ge ändert, wobei der Labour Party ein großes Ver dienst zukomme. Der zu erwartende Abschluß eines Frie dens mit Rußland werde auch den arbeitenden Klassen aller Länder zugute kommen. Redner kam sodann auf den russisch- polnischen Krieg zu sprechen und gab dabei der Ueberzeugung Ausdruck, daß der polnische Vorstoß eine Folge von Abmachungen zwischen Polen und dem ukrainischen Diktator Betl jura war, auf Grund deren Polen ukrainisches Gebiet nehmen
könnte.
Shaw machte den Vorschlag, die Angelegenheit einer Kom mission zur Beratung zu überweisen. Dieser Vorschlag wurde Sobann trat Camille Huysmans persönlich, aber nicht für bie belgische Delegation, für eine Verlegung des Sekretariats nach London ein. Seine Ansicht begründete er damit, daß einmal Englands Arbeiterpartei fehr stark sei, und außerdem wicz er auf die Großmacht entschieden werden, wenn ein soeben eingetroffener Brief von Arthur senderson, der sich auf diese Frage bezieht, bekannt ge
worden sei.
Sodann machte Guysmans die Mitteilung, daß der Kongreß voraussichtlich bis nächsten Donnerstag dauern werde. Nach seiner Meinung dürfe der Kongres nicht auseinandergehen, bevor er den Bericht der britischen Kommission, die in Rußland war und von der zwei Mitglieder, Shaw und Frau Snowden, anwesend seien, angehört habe.
Huysmans teilte mit, daß auf Wunsch verschiedener fran 35 fischer und belgischer Delegierten der Kongreß eine Reso= lution beschließen folle zur Ehre von Jaurès. Wenn er noch am Leben wäre, wäre er sicherlich heute zugegen und würde für die Verwirklichung des Sozialismus durch die Demokratie eintreten. Die Versammelten erhoben sich zu Ehren Jaurès. Huysmans erinnerte den Kongres sodann daran, daß morgen die Schweiz ihren nationalen Feiertag begehe und sprach dem gaftlichen Lande, das aus eigener Kraft sich seine Freiheit geschaffen habe, die Sympathie des Kongresses aus. Die Versammlung wurde um 12 ihr 30 Min. mittags geschloffen. Am Nachmittag tagten vier Rommissionen, auch am Sonntag werden lettere ihre Arbeit fortsegen.
Shaw berührte sodann die segenannte Verantwortlichfeitsfrage und gab der entschiedenen Meinung Ausdrud, daß die Schuldfrage nicht mehr zum Gegenstand eines 3 wist es auf einem sozialistischen Kongreß gemacht werden dürfe. Er schlage deshalb dem Kongreß vor, daß Parteien, die sich für die Verantwortlichkeitsfrage interessierten, Vorschläge einbringen möchten und daß dann über diese Vorschläge einfach abge stimmt würde. Redner verbreitete sich darauf über die Frage Diktatur oder Demokratie und sprach sich mit aller gut
Die Stimmung des Kongresses ist für unsere Partei
nicht überschreiten würden.
die Bolschewisten Augustowo befest. Die Polen haben sich Truppen im Gebiet Mariampol ersucht hat, die Stadt zu befezen, auf Suwalki zurückgezogen, deffen Bevölkerung die litauischen ehe die Bolschewisten es tun.
gebnisse der Reichstagswahl in Berlin bekannt wurden, die so ungünstig für die alte Sozialdemokratie lauteten, da beeilten sich Zeitungskorrespondenten, in die Welt hinauszumelden, diese Partei habe eine furchtbare Niederlage erlitten, und in der Pariser" Humanité" und von ähnlichem Geist erfüllten sozialistischen Blättern des Auslandes konnte man lesen, die deutschen Arbeiter haben der bisherigen sozialdemokratischen Mehrheitspartei den Rücken gekehrt", sie sei ,, nur noch eine Partei von Kleinbürgern".
Wie sieht es aber in Wirklichkeit aus?
Unzweifelhaft war das Wahlergebnis in Berlin und Umgegend außerordentlich ungünstig für die alte Sozialdemo fratie. Wer aber die hauptstädtischen Presseverhältnisse fennt, den konnte das nicht Wunder nehmen. Nicht nur die Presse der Unabhängigen und Kommunisten, auch die stärker als alle sozialistischen Blätter Berlins zusanimen verbreitete radikaldemokratische Presse der Hauptstadt hatte durch ausschließlich die damalige Koalitionsregierung fritisierende Artikel eine dieser so ungünstige Stimmung in der Bevölkerung geschaffen, und der die Zurückbehaltung der Einkommensteuer der Arbeiter und Angestellten verfügende Erlaß des Finanzministeriums hatte gerade noch zuletzt eine so starke Erbifterung in den Kreisen dieser hervorgerufen, daß man auf einen sehr großen Erfolg der sozialistischen Opposition gefaßt sein mußte. In den Reihen der Unabhängigen war sogar die Meinung verbreitet, man werde in Berlin die alte Partei bis zur völligen Unbedeutenheit wegfegen". Tatsächlich erzielte selbst in Berlin und den beiden die großen Industrievororte der Hauptstadt umschließenden Nachbarkreisen Potsdam 1 und 2 gegen 966 644 Stimmen der Unabhängigen die alte Partei 509 642 Stimmen, also immer noch über balb so viel als jene. Da das reaktionäre und das liberale Kleinbürgertum eigene Listen hatten, das radikale Kleinbürgertum aber überwiegend oppofitionell wählte, sind die mehr als eine halbe Million Stimmen, die auf die alte Sozialdemokratie entfielen, ein Beweis, daß ein sehr erheblicher Prozentsaz der Arbeiter von Berlin und Umgegend mit bemerkenswerter Treue an dieser festhält. In den Wahlversammlungen, die der Schreiber dieses als einer der Kandidaten von Groß- Berlin abgehalten hat, ist ihm das auch in sehr angenehm berührender Weise aufgefallen. Unter den gegebenen Verhältnissen hatte das Resultat von Berlin für den Anhänger einer konsequent demokratischen und reformistischen Politik der Sozialdemokratie durchaus nichts Entmutigendes.
Noch günstigere Resultate als in Berlin erzielten für ihre Partei die Unabhängigen in folgenden Wahlkreisen:
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Unabhängige 267 520 310 929 317 786
alte Sozialdemokratie
Leipzig- Stadt und Land find von jeher Stammburgen dez Rußland achtet Deutschlands Neutralität! radikalen Flügels der deutschen Sozialdemokratie gewesen, die Allenstein, 31. Juli .( WTB.) Von zuständiger Seite und erst ziemlich spät haben auch die Anhänger der alten Soradikale Leipziger Volkszeitung" beherrscht dort die Geister, wird mitgeteilt: Eine Schwadron bolschewistischer Kaval= zialdemokratie daselbst sich ein eigenes Organ geschaffen. Der Ierie ist jenseits der Grenze bei Prostten einge= troffen. Auch an verschiedenen anderen Stellen der Grenze Leipzig benachbarte und lange Zeit von ihm mitbeeinflußte Die Ruffen auch Litauen gegenüber friedlich. Wahlkreis Merseburg- Halle hat sich im Krieg zu einem gewaltihaben sich bolfchewistische Patrouillen gezeigt, so gegenüber Borsymmen und Dlugossen im Kreise Lyd. Sie haben Kowno, 31, Juli. Die russische Regierung hat dem litauischen gen Industriegebiet entwickelt, in dent jedoch das Element der Grenzbevölkerung erklärt, daß sie die Grenze Vertreter in Riga mitgeteilt, daß sie ihrer Heeresleitung in Wilna geistig wenig hochstehender angelernter Arbeiter eine große babfidie open an untersagt habe, fich in innere Berwaltungsfragen Rolle spielt. Der Wahlfreis Diffeldorf- Cit umfaßt Teile Des der Grenze sind bis in die Höhe von Friedrichshof im Kreise in as und der anderen befesten fitauischen Gebiete einzu hochindustriellen Ruhrgebiets und des Gebiets der bergischen mischen. Heute haben Iitauische Truppen Suwalki beleineisen- und Stahl- Industrie. Im ganzen jedoch erhielten Ortelsburg zurückgezogen worden. ſetzt. nur in acht von den 35 Wahlkreisen DeutschDie Italiener verlassen Ostpreußen! England fordert Freilassung seiner Gefangenen. lands die Unabhängigen mehr Stimmen als die alte Sozialdemokratie, nämlich insgesamt 2286 222 gegen 984 283 StimLyd, 31. Juli .( WTB.) Wie die„ Lyder Zeitung" mits Amsterdam, 31. Juli .( WTB.)„ Central News" aufolge men, welche dort für lettere abgegeben wurden. teilt, haben die italienischen Besagungstruppen am hat die englische Regierung am 29. Juli eine neue Note an Freitagmorgen 2 yd mit einem Sonderzug über Moskau gefandt, die die Freilassung der englischen viertel der Wahlkreise aber stimmte die MehrIn nicht weniger als 27, das heißt in mehr als dreiArys- Sensburg verlaffen, bis auf ein geringes Rom- Gefangenen in Batu verlangt. Die englische Regierung beit der sozialistischen Wähler für die alte mando, das wahrscheinlich noch bis zur Nebergabe der Kasernen weigert sich, die Entschuldigung der Räteregierung, sie hätte teine Sozialdemokratie. Und zwar war das Gesamtergebnis hier bleibt. Die Truppen werden zunächst nach Allenstein ge- macht über jenes Gebiet, anzunehmen. bracht. Der Kontrolloffizier Oberstleutnant Bio bleibt einstweilen noch in Lyd. Die„ Lyder Zeitung" fügt hinzu, daß von einer Erregung in Lyd nichts zu spüren sei, die Stadt sei völlig ruhig.
Augustowo besetzt.
Haag, 31. Juli. Die„ Times" melden aus Moskau, daß italienische Schiffe, die mit heimkehrenden russischen Kriegsgefangenen in Odessa eingetroffen waren, gegen Kopenhagen, 31. Juli, Berlingske Tidende" meldet auswärtig mit russischem Getreide beladen werden, wovon sie Kowno: Nach hier eingegangenen zuverlässigen Nachrichten haben 17 000 Zonnen nach Italien bringen sollen.
dort:
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Mte Sozialdemokratie.4 630 173 Stimmen Unabhängige Sozialisten 2 609 095 Von den 27 Wahlkreisen nun, wo die alte Sozialdemo fratie die Mehrheit erzielte, sind eine Anzahl in hohem Grade industriell oder umschließen Industrieorte von großer Bedeutung. Es seien davon genannt: