Nr. 413 37.Jahrgang Ausgabe B Nr. 69
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Donnerstag, den 19. August 1920
London, 18. Auguft.( Reuter.) Die Schlacht bor Warschau scheint zugunsten der Bolen ihren Fortgang zu nehmen. Die Polen haben das Fort Nows Minst genommen.
Rönigsberg, 19. Auguft.( DA.) Grenzüberschrei. tungen find an der oftpreußischen Grenze nicht vorgekommen. In Rüdwirkung der Lage um Warschau ist der Bormarsch bes russischen Nordflügels ins Stoden geraten. Die polnische Gegenoffenfive hat weitere Erfolge nördlich Modlin su verzeichnen. Der polnische Gegenstoß ist nach Often in Richtung Bultust erweitert worden. Die Bolen haben die Bahn War. schan Siedlce.Brest Litowst auf der ganzen Linie überschritten.
Stopenhagen, 19. Auguft. Nach einem Telegramm aus Barschau meldet der polnische Heeresbericht: Die von General Eitorffi trots großer Schwierigkeiten eröffnete Gegenoffenfive an der Nordfront berläuft andauernd sehr günstig. Der Feind, der an diesem Abschnitt zehn Divisionen eingesetzt hatte, ging auf der ganzen Linie zurüd, stellenweise ist sein Rüdzug fluchtartig. Unsere Flieger bombardierten mit guten Ergebnissen die feindlichen Sto lonnen. Das Resultat ber erfolgreichen Stämpfe wird bereits in Warschau gespürt, wo der Druck des Feindes in der Richtung Begrze und Dembe bedeutend schwächer ist. Dagegen wüten füdöstlich bon Warschau noch sehr erbitterte Rämpfe, aber auch hier iour. den alle Angriffe abgeschlagen und an mehreren Stellen Fortschritte
gemacht
Im Zentrum haben unsere Truppen eine größere Offenfive unter persönlicher Leitung des Marschalls Bilfubfti eingeleitet. Nach einem 45 Kilometer langen Gilmarsch haben unsere Truppen bereits am Mittag bes 16. August Garwolin erreicht unb ben Feind von der Weichsel vertrieben
Keine Gewalttaten!
Auf dem rechten Flügel find polnische Abteilungen auf Widerstand des Feindes bei od gestoßen und haben Geschüße und Maschinengewehre erobert; wir rüden tämpfend schnell vorwärts.
Auf der Sübfront haben wir eine Gegenoffenfive begonnen, um den Feind zurückzutreiben, der den Bug bei Sokal und bei Bust überschritten hatte. Nördlich von Bloczow, Zborow und längs der Strypa waren die feindlichen lokalen Angriffe ohne Erfolg.
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Haag, 18. August. Einer englischen Meldung zufolge haben sich die tussen genötigt gesehen, wegen ber vermehrten Tätig feit Wrangels mindestens eine Division von der polnischen Front zurüdzunehmen, um sie an die Südfront zu entfenden.
Die Verhandlungen.
Amfterdam, 19. Auguft. Telegraaf" meldet aus London, daß der Vorsitzende der russischen Delegation in Minst in feiner Gröffnungsrede erklärte, daß bie Bolichemisten von den polnischen Grundbefizern Bürgschaften berlangen müßten, bie fie von den polnischen Arbeitern und Bauern nicht gefordert haben würden,
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Die osteuropäische Frage.
Bon Baul Olberg
Der Verfasser des nachfolgenden Auffages über die ofteuropäische Frage, Genosse Paul Diberg, ist der Herausgeber der Briefe aus Sowjetrußland". Er gehört ben Menichewiti an. Seine Beurteilung der bolichemistischen Politik darf auch auf Interesse bet den deutschen Sozialdemokraten rechnen.
Das osteuropäische Problem steht augenblicklich im Vordergrund der europäischen Kontinentalpolitik, da das wirtschaftliche und politische Schicksal Europas hauptsächlich von der Gestaltung der russisch polnischen Berhältnisse abhängt. In dieser Frage ist Sowjetrußland der ausschlaggebende Faktor. Das haben nun auch die Regierung Pilsuditis und ihre ententistischen Protektoren zugeben müssen. Das polnische Friedensangebot dokumentiert das zur Genüge. Mit nicht geringerem Interesse als die werktätige Bevölkerung Rußlands verfolgen die Arbeiter West europas die nächsten Schritte der russischen Sowjetregierung. Es ist nur zu verständlich, wenn die Arbeiterschaft mit tiefgreifender innerer Unruhe der Schicksalsftage entgegensieht, ob num endlich, nach sechsjährigem Blutvergießen und Vernichten, der allgemeine europäische Friede wiederhergestellt wird, oder ob auch weiter Gewalt, und Rechtlosigkeit Europas Schicksal besiegeln sollen.
Amsterdam, 19. Auguft. Der polnische Mitarbeiter von„ Evening Standard" erfährt aus guter Quelle, daß die polnischen Dele- berlangen, wie bekannt sein dürfet, die Herabfeßung des polDie offiziellen Friedensbedingungen Rußlands an Polen gierten fich weigern, der Bestimmung betreffend Entwaffnischen Heeres auf 50 000 Mann, die Aufhebung der polnung des polnischen eeres zuzuftimmen, wenn die nischen Kriegsindustrie, sowie einen freien Sandelsweg über Russen nicht ebenfalls zur Entwaffung übergehen. Ferner sollen Bialystok und Grajewo nach Ostpreußen resp. an die Ostsee die Bolen nicht bereit jein, Erleichterungen für den Verkehr und betonen ausdrücklich, Rußland garantiere ein avischen Rußland and Deutschland durch polnisches felbständiges Polen in den vom Obersten Sat fest Gebiet zuzugestehen. gefesten Grenzen. Wenn es nach den bisherigen Erfahrungen möglich wäre, das russische Angebot, so wie es ist, als ehrlich und wohlgemeint aufzufaffen, müßte man zugestehen, daß es sich in durchaus rechtlichen Grenzen bewegt. Denn ein militaristisches, von Frankreich mit materiellen und moralischen Mitteln gestütztes Polen würde für Nußland dauernd eine Element im Often fein würde. Das letzte Abenteuer ber Gefahr bedeuten, wie es überhaupt ein gewisses unruhiges Bolen in der Ukraine bestätigt das zur Genüge. Wenn Bolen von jeder erpansiven Politik Abschied zu nehmen gewillt ist, genügt eine Schuttruppe von 50 000 Mann bollout.
einst das deutsche, eine Brestigefrage darin erbliden, das Feld zu behaupten.
Anderseits fann man allerdings nicht scharf genug beRegelung feiner Verhältnisse ohne jeden Druck von bolichewistischer Seite her selbst zu vollziehen, zu den unverbrüch lichen, geheiligten Rechten jedes befiegten Gegners gehört. Beider läßt sich nicht leugnen, daß nach den bisherigen Erfahrungen die bolichemistischen Rechtsbegriffe zu gefährlichen Romplikationen führen fönnen. Jeder, der die Politik der Sowjetmacht haber verfolgt hat, weiß, daß fie ihrem alten Dogma, die Weltrevolution dürfe und müffe mit allen Mit teln durchgeführt werden, trengeblieben sind. Erst leẞthin baben Benin und Trophy auf dem zweiten Kongreß der dritten Internationale in Mosbau diesen Grundsatz bestätigt. Gemäß dieser Auffassung ist in Moskau der Gedanke, als weitere Etappe auf dem Wege zur Weltrevolution in Bolen eine Nätediktatur zu errichten und so eine rote Brücke nach Mittel- und Westeuropa zu schlagen, sehr start. Ein weiterer Beweis für dieses Bestreben ist die zaubernde Haltung der leitenden Streise in der Frage der Anknüpfung russisch- polnischer Waffenstillstands- und Friedensverhand lungen, um einen möglichst großen Teil Bolens durch die Rote Armee bejegen lassen zu können.
Die europäische Lage, die in der vergangenen Woche eine deutliche Neigung zur Entspannung aufwies, hat infolge Unter diesen Umständen fönnen wir nur die Arbeiter schaft der blutigen Vorgänge in Oberschlesien eine nicht zu unter eußersten an bewahren und vor allem fich zu feinen ermahnen, Besonnenheit big 8um schäzende Verschärfung erfahren. Es liegen zurzeit natur- eußersten zu gemäß noch keine französischen Pressestimmen über die bor. Graeffen hinreißen zu lassen, die nur der Gegenfeite willtomtigen Ereignisse vor, aber es ist zu erwarten, daß die men find. Vor allem möge die Arbeiterschaft sich davor in nationalistischen Parifer Blätter die Borgänge zur erhöhten acht nehmen, zugleich Werkzeug und Opfer gewiffer rechts Stimmungsmache gegen Deutschland ausnügen, gena u tebenber reise zu werden, denen jede Bufpitung des deutschso wie unsere deutschnationale Breffe bereits franzöfifdyen, baiv. des deutsch- polnischen Gegensatzes er- tonen, daß die polnische Gegenforderung, die immerſtaatliche am Werte ift, anläßlich der Rattowiger Straßentämpfe wünscht ist. Del auf das Feuer der deutsch- französischen Beziehungen zu Das deutsche Proletariat Oberschlesiens fämpft als gießen. Solche tostbaren Gelegenheiten lassen sich die Natio- or posten des europäischen Proletariats nalisten beiderseits des Rheins nicht entgehen. den Kampf um die Wahrung der Neutralität im russisch- polPflicht der deutschen Arbeiterschaft in solchen kritischen nischen Kriege. Die Sympathien der Arbeiterklasse sind ihm Fällen ist es, zur Besonnenheit zu mahnen und Besonnenheit daber weit über die Grenzen Deutschlands hinaus geficher, zu wahren und alle gefühlsmäßigen Momente zurüdzustellen. denn jeder flaffenbewußte Arbeiter Europas weiß, daß ein Es ist leider nur zu wahr, daß überall in Deutschland, wo das Sieg Bolenseinen Sieg berinternationalen französische Militär regiert, das Verhältnis der Bevölkerung Reaktion bedeuten würde. Um so dringlicher ist für die zu den Dttupationstruppen nach fürzester Zeit ein sehr schlechtes Führer der oberschlesischen Arbeiterschaft das Gebot der wird. Und da eine ähnliche Erscheinung überall da, wo Stunde, alles daran zu sehen, daß solche Gewalttaten, wie sie englische, ameritanische und italienische iegt aus Rattowig. gemeldet werden, verhindert werden, die Truppen auf deutschem Boden liegen,.nicht gutage tritt, liegt nur geeignet sind, die Stellung unserer oberschlesischen aweifellos die Schuld an den sich ereignenden Zwischenfällen laffengenossen moralisch und materiell zu beeinträchtigen. nicht bei der deutschen Zivilbevölkerung, sondern beim Ausschreitungen in Kattowiz. französischen Militär. Und daß gerade die Arbeiterschaft sich die gegen Rattowis, 19. Auguft. Der Telegraphen Union wird Gewaltherrschaft der französischen Besatzungsbehörden auflehnt, spricht erst recht gemeldet: Von den im Hotel Deutsches Haus" verhafteten gegen die Haltung und Tätigkeit der legteren. Im Saar. 17 Bersonen wurde einer an Ort und Stelle erfchoffen, weil gebiet, in der Pfalz, in Memel, in Oberschlesiener fich gegen die Verhaftung zur Wehr feste. Zwei wurden von überall dasselbe Bild. Die unmittelbaren Ursachen ber erregten Menge erschlagen. Bom Hotel Deutsches Haus" der jüngsten Ereignisse in Stattowig und Rybnik sind zwar 80g ein Trupp nach der„ Gazetta 2nbowa", beren Räume Stundgebungen der Arbeiterschaft zugunsten der Aufrecht- bollständig demoliert wurden. Die Maschinenteile wurden erhaltung der deutschen Neutralität gegenüber tat auf die Straße geworfen. Andere Trupps zogen indeffen zu ver. sächlichen oder vermeintlichen neutralitätswidrigen Hand- schiedenen polnischen Geschäften, unter anderem auch vor lungen der französischen Besagungstruppen, die tieferen bas Saus eines bekannten Bolenführers Gaplicki, ber ber Ursachen liegen zweifellos in dem Pascharegiment, das der Menge aus den Fenstern seiner Wohnung entgegenfah. Durch pro französische General Ie Rond als Vorsitzender der Inter- vokatorische Neben reiste er die Maffe, die sich anfchickte, das Haus alliierten Kommission schon seit Monaten führt und dessen zu stürmen. In diesem Augenblicke wurde aus der Wohnung ge Parteilichkeit zugunsten der Polen zum Himmel schreit. schoffen. Die Menge blieb vor dem Hause stehen. Immer mehr Ueber die direkte Schuldfrage sind, wie immer, zwei ganz Schüffe wurden gewechselt. Um Mitternacht war die Aktion noch entgegengesetzte Versionen vorhanden. Wer die erste Ge- nicht zu Ende. Weitere Trupps plünderten polnische Gewalttat beging wird sich wohl auch kaum nachweisen lassen. fäfte, unter anderem das Caféhaus„ Rheingold". Die franAber inzwischen hat sich die Erregung der Bevölkerung ganz söfifchen Besagungstruppen ließen sich nicht sehen. Die Besayung erheblich gesteigert und nach den jüngsten Meldungen sind und die Offiziere ber alliierten kommiffion haben gegen deutscherseits Gewalttaten begangen worden, die die Abend das Gebäude fluchtartig verlassen. Die Franzosen fchärfte is billigung schon deshalb verdienen, weil sogen fingend ab. Sie wurden von der Masse, bie fie begleitete, man sich damit nachträglich nur ins Unrecht jezt, selbst wenn übertönt mit dem Siebe Sieg reid wollen wir Frank ursprünglich das Unrecht auf der Gegenseite lag. Das reich schlagen". Das französische Militär hat sich in die StaKligste wäre in der jezigen gespannten Situation, wenn die fernen zurüdgezogen und verbarrikadiert. Gegenwärtig, um französischen Bejagungstruppen durch italienische oder eng- Mitternacht, ist die Stadt ruhig. Größere Ansammlungen finden lische abgelöst würden. Damit würde sich die Ruhe in Ober- noch statt. Irgendwelche Attionen find nicht zu erwarten. Seran fchlesien ganz von selbst wiederherstellen. Leider ist eine ziehenden polnischen Stoßtrupps aus Begutschüs wurde von Kattofolche vernünftige Entscheidung von den Alliierten nicht wis die Sicherheitspolizei entgegengeschickt, begleitet von bewaffneten zu erwarten, denn das französische Militär dürfte, ganz wie Biviliften, die sie auffangen soll.
Es ist zu ertvarten, daß es die Sowjetregierung mit dem ihr eigenen Geschid vermeiden wird, sich offiziell an der Errichtung einer Rätediftatur in Bolen zu beteiligen. Sie wird sich damit begnügen, dem diesbezüglichen„ Bolfswillen in Polen eine wohlwollend neutrale Saltung zu zeigen. Immerhin hat die Sowjetregierung aus innerpolitischen das Banner der Rätediktatur auf den Binnen von Warschau Gründen ein brennendes Interesse daran, in naher Zukunft zu sehen, da die russische Arbeiterschaft nicht zum geringsten Teil durch die Ideologie der bolichemistischen Weltrevolution bei guter Baume gehalten wurde, und da ein Versagen dieser Phantasmagorie bei der ersten Feuerprobe, in diesem Fall also in der polnischen Frage, leicht zu einer folgenschweren Serije der Sowjetidee in Sowjetrußland selbst führen könnte. Außerdem hat die Expansionspolitik, wie sie den Gebantengängen einer bblichemistischen Weltrevolution zugrunde liegt, mit eiserner Logit ihre Träger in dieselbe Lage versetzt, in der sich auch die Imperialisten vom anderen Lager befinden: der Militarismus, den man zunächst als gehorfames Instrument für sein Biel anfeßen zu können glaubte, ist vom Mittel zum Selbstz wed gewor den und nimmt heute eine Machtstellung ein, die, wie feinerzeit in Deutschland und dann in Frankreich- England, sehr wohl imstande ist, Arbeit und Ziele der Diplomaten zu durch freuzen. Wo es so zu gehen pflegt, ist für einen großen Teil bes nationalbolschemistischen Offiziertorps der Roten Armee