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Nr. 636 37. Jahrgang
Heilage öes Vorwärts
Vonnerstag» 36. Dezember 1926
Karl Legiens Scgrä'bnis.
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Da« vegrZvni» de« Genoflen Seglen findet am Freitag, den Zt. d. M.. vom GewerlichastShause aus statt. «dmarsch de» Zuge» 11 Uhr. Der Zug nimmt folgenden Weg: (fnjjelufet, Cöpenicker Straße, Oberbaumbrücke, Warschauer Strohe. Frankfurter Allee   und Frankfurter Ehausiee bis zum Städtischen Friedhof in Friedrichsfelde  . Grökwag ües Zuges. t. Sranzträger, soweit die Kränze nicht anderSwo im Zuge mit« geführt werden. * Musikkapelle. S. Kran z wagen. 8. Seichenwagen. 4. Sngebörige. 5. Vorstand und Ungestellte de» Allgemeinen Deutschen Ge- werkschasiSbunde». vorstand de» Lfabunde». Sozialdemo- kra tische Parteivorstände. Ausländische Delegationen. 6. Vertretungen der Verbandsvorstände. Sozialdemo« kr- tische ReichStagSfraktion. 7. AuSschuh der Berliner   BewerkschaftSkommisfion und der OrtS-Afa. Gauleiter der Provinz Brandenburg  . Auswärtige Ge« werkichaftS-Delegotionen. S. Vertretung de» Wahlkreise» Kiel  - Rendsburg  , ver- tretungen sonstiger sozialdemokratischer Partei- KSrperschasten. 9. Vertretungen von Reich»-. Staat»- und Kommunalbehörden «nd sonstiger amtlicher und privater Körperschaften. Mufikkapelle. 10. Gewerkschaften. 1. Holzarbeiter-Verband. 2. Afa. 8. Aspbalteure. 4. Bäcker und Konditoren. 5. Bauarbeiter. S. Böttcher. 7. Brauereiarbeiter, 8, Buchbinder. 9. Buchdrucker, 10. Buch- und Stein- druckerei-HilfSarbeiter. 11. Dachdecker, 12. Eisenbahner, 13. Fabrik­arbeiter. 14. Film- und Kinoangehörige. IS. Fleiicher, 16. Friseure, I
17. Gärtner. 18. GastwirtSgehilsen, 19. Gemeinde- und Staat»- arbener, 20. Glatarbeiter, 21. Glaser, 22. Hausangestellte. 23. Hut- macher, 24. Kupferschmiede, 2''. Kürschner, 26. Lederarbeiter, 27. Land- arbeiter, 28. Lithographen, 29. Maler, 80. Maschinisten und Heizer. 31. Metallarbeher. 32. Musiker, 83. Porzellanarbeiter, 34. Sattler und Tapezierer, LS. Schneider. 36. Schornsteinfeger, 87. Schuh- macher. 38. Sieinarbeiter, 39. Steinsetzer, Rammer und verwandte Berufe. 40. Tabakarbeiter, 41. Textilarbeiter, 42. Töpfer, 43. Tran»- portarbeiter. 44. Zimmerer. 45. Schiff» zimmerer. Musikkapelle. 11. Parteiorganisationen. 12. Sonstige Organisationen der Arbeiterklasse. Aufstellung. Die Annenstrah« und da» Engelufer sowie der dazwischen liegende Teil de» Michaelkirchplatzes sind frei zu lassen. ' Die unter 4 bis 9 aufgeführten Gruppen versammeln sich, so« weit die betreffenden Vertreter nicht an der Gedächtnisfeier teil- nehmen, im Hofe de» Gewerkschaftshauie». Die Gewerkschahen nehmen auf dem Michaelkirchplatz, dem Kaiser-Fronz-Grenadier-Platz und den angrenzenden Straßen ge- mäh beigefügtem Plan Aufstellung und schließen sich in vorstehender Reihenfolge dem Zuge an. Die Parteiorganisationen einschließlich ihrer Unierorgani- sationen sowie sonstige Organisationen der Arbeiterklaffe nehmen im Bogen des BethanienukerS auf der anderen Seite de» Waffer» Aufstellung, und zwar die S. P. D. zwischen Engelbecken und Adalberistrahe, die U.S. P.D.   und übrigen Organisationen läng» de» Krankenhauses Bethanien. Dem Zuge der Eewenschasten schließt sich zunächst über die Adalbertbrücke die S. P. D., dann die übrigen Parteien ebenfall» über die Adalbertbrücke an. Die Gewerkschaften und Parteien werden gebeten, die Ordner selbst z« stellen!
Groß'�erliu das kleine wilöpret. Da» Kaninchen stellt auch heute noch da» Wildpret auf dem Tisch derer dar. die Gan». Hasen, Reh und Hirsch nur noch aus dem Lehrbuch der Zoologie kennen. In der Tat ist dieses zahme und drollige Tier wie dazu geschaffen, Besitz des Klein- agrariers und hätte er auch nur eine Laubenkolonieparzelle zu sein. Geduldig sitzt es in dem Käfig, mit Fressen und Ver- dauen beschäftigt, m der Stille wachsend und Fett ansetzend, da- neben noch etwa dreimal im Jahr in der Rolle der Mutter sich ge- fallend und die zahlreiche Nachkommenschaft mit Liebe betreuend. Natürlich stellt es auch einige Ansprüche an seinen Besitzer: Sauberkeit, gesundes, nicht zu nasse sFutter, keine Inzucht, Pflege im Wochenbett und was dergleichen animalische Anforderungen an ein vernünftiges, naturgemäßes Leben sind. Und da leicht Verstöße gegen diese Lebensbedingungen sehr schnell sich rächen und die Jungen dannwie die Fliegen" sterben, so hat mancher, der mit Enthusiasmus anfing, wieder aufgehört../. Mit Unrecht, denn das Kaninchen ist geeignet, dem Fleischmangel Deutschland  » am ersten abzuhelfen, und der Anfänger sollte deshalb sich erst Rat bei Vereinigungen und landwirtschaftlichen Behörden holen, wenn er nicht Gelegenheit hat, von einem erfahrenen Züchter mit genauen Anweisungen versehen zu werden. Daß e» aber auch in Deutschland   schon zahlreiche Zuchten von Riesentieren gibt, lehrt der Besuch von Kaninchcnausstellungen, deren jüngste, in Josten abgehaltene gut beschickt und wohl geeignet war, für die Verbreitung des Fleisch- und Fellieferanten Propa­ganda zu machen. Die ausgestellten Tiere gehörten zumeist den Riesenraffen an: das schmucke weiße Riesenkaninchen, das franzö­ sische   Riesen silberkaninchcn, dessen schönes Fell besonders wertvoll ist, das originell aussehende französische   Widderkaninchen(mit langen, herabhängenden Ohren), das belgische Riesenkaninchen und das ver» hältnismäßig neue(seit etwa zwei Dezennien gezüchtete) blau« Wiener Kaninchen, wertvoll durch Fleisch und Fell, sind Rassen, die wohl die äußerste Leistungsfähigkeit der Züchtung darstellen. Wenn sich solch ein ruhendes, einer Miniatur-Sphinx gleichendes Tier zu erheben gemüßigt fühlt, so entfährt dem Beschauer wohl ein Donnerwetter, diese Länge' als Zeugnis seiner Ueberraschung. Andere Raffen, die ausgestellt waren, zeigen durch ihre Namen ebenfalls ihre Individualität an: da» Hermelin.Kaninchen prunkt mit seidenweichem Haar, da» Angora-Kaninchen ist ganz zart weiß umhüllt(liefert Spinnstoff!), die Havanna  -Raffe ist zigarrenbraun (soll jn dem mit guten Zigarren gesegneten Holland   entstanden sein) usw. Wer sich solche erstklassigen Rassentiere zulegen will, muß natürlich der Geldentwertung entsprechend ziemlich tief in den Beutel greifen; Prachtexemplare kosten 120 860 M.. junge Tiere 8040 M. Eine Ausstellung wäre nicht vollkommen, wenn sie nicht zeigen würde, was das Kaninchen außer seinem Fleisch liefert: einmal Pelzwerk, dann auch Material zu Hüten. Die sagenhafte Maschin«, in die man auf der einen Seite das lebende Kaninchen hineintut, auf der anderen den farbigen Zylinderhut und die Portion Goullasch herausnimmt, ist allerdings noch immer nicht zu sehen, aber«S es gibt auch so Möglichkeiten genug, sich über die Ausnutzung des Fells zu orientieren. Unsere Damen werden auch wohl wissen, daß noch besondere Veredlungsprozesse möglich sind doch das ist ein Kapitel für sich und hat mit dem lebenden Kaninchen nichts zu tun. Die neue Hemeinüeeknkommensteuer. Staffelung mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage. Unter dem Vorsitz des Stadtverordneten Brun» tagte gestern zum zweiten Male der Stadtverordneten-AuSiibuß zur Vorberatung der MagistrotSvorlagen über die neuen Stenervor- lagen. Nach iebr eingehender Beratung, an der sich der Stadt- kämmerer Boeß beteiligte, wurde beschlosien, die Vorlage über die neue Gemeindeeinkommenfteuer der Stadtverordneten- Versammlung zur Annahme zu emvfeblen, jedocb mit der Einichränkung, daß da» nunmehr zur Veranlagung kommende bis« her von der Staat?« bzw. RelcbSeinkommensteuer nicbt eriaßie Ein« kommen gestaffelt wird und zwar so. daß Ledige mehr zu zablen baben als Verheiratete ohne Kinder und dieie mehr als
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Die offene Tür. Ein« sardische Erzählung von Grazia Deledda  . Um sich zu stärken, trank er ab und zu ein Gläschen Branntwein und kehrte dann wieder zu seinem Fensterchen zurück. Man roch den Duft des sähen Backwerks, das die Frauen zu Ostern beretteten, und sah den Rauch durch die Sparren und Ziegel der Dächer aufsteigen; im Tal sangen die Nachtigallen, und über das Kirchengärtchen zogen die Frühlingswölkchen hin gleich weißen, jungfräulichen Stirn- binden, die der Wind von irgendeiner Hecke davongetragen. Am Gründonnerstag kam die Witwe aus dem Hause des Onkels und öffnete das für gewöhnlich verschlossen ge- halten« Kirchlew, und mit Beihilfe anderer Frauen aus der Nachbarschaft nahm sie den Christus herab, legte ihn auf die Erde, stellte vier Lichter und vier Teller mit keimendem Ge- treibe herum und bildete so das Sepolcro. Aber alle Leute gingen in den Dom, wo die Leidensgeschichte Christi darge- stellt und zwei wirkliche Schacher(d. h. wegen Diebstahls Verurteilt«) zu Seiten des Heilands ans Kreuz gebunden wurden. Von seinem Fensterchen aus sah Simon auch den Onkel, wie er, kurz und gedrungen, daherhüpfte. und die große, dürve. steife Witwe, die hinter ihm her schritt, dem T>pm zu. Dann ging auch Simon hinunter: auf der Straße jedoch lehnte er sich mit der Schulter an die Mauer und stand so stundenlang, unbeweglich und nachdenklich, von ferne dem eintönigen Psalmodieren lauschend. Es dämmerte schon; über den violetten Bergen, am zartgrünen Himmel, neigte sich der Mond zum Untergang: der Abendstern stieg auf. und es sah au«, als gingen sie einander entgegen wie Maria und Christus in den Straßen des Dorfes. In wenigen Minuten wird die Prozession hier seinl dachte Simon und regte sich: aber er schlich dicht an der Mauer entlang und fürchtete sich, an dem Kirchlein vorüber- zugehen und an dem auf dem Boden, zwischen den vier Lichtern und den vier Tellern mit jungen Kornhälmchen hin­gestreckten Christus. Und auf einmal, vor der Tür des Onkels angelangt, er-
bebte Simon: die Tür stand offen! Es befand sich also je- mcmd im Hause, und es war unnütz, weiterzugehen. Er kehrt« um und lehnte sich wieder an die Mauer. Aber wer konnte im Hause des Onkels sein? Die Knechte. Feldarbeiter wie Hirten, kamen nur Samstags abends heim; der Priester selbst und die Witwe gingen mit der Prozession. Er schlich sich also nochmals an die Tür, pochte und rief: Basila I Basila! Seine Stimme verhallte im Innern des bereits dunkeln Hauses wie in einer Höhle. Er trat ein, schloß die Tür, eilte die Treppe hinauf und durch die engen, gewundenen Gänge, fand den Mauervorsprung, fand den Schlüssel, schloß auf und war im Zimmer seines Onkels. Es kam ihm vor wie ein Traum. Das Fenster war geschlossen. Ein Licht wie eines der vier um den Leichnam Christi brannte vor dem Bilde der heiligen Märtyrer. Es waren ihrer viele: Männer, Frauen, Greise. Kinder; aber alle hatten sehr sanfte Gesichter und sahen vor sich nieder, und Simon fürchtete sich nicht vor ihnen. Bei dem grünlichen Söbein des Lämpchens bückte er sich und fing an, eines der Fußbodenplättchen nach dem andern zu betasten, als wäre er ein Maurer, dazu bestellt, den Fußboden auszubessern. Aber nicht ein Plättchen be- wcgte sich, und er richtete sich aus und strich sich mit der Hand über die Stirn, auf der kalter Schweiß stand. Er vernahm das Singen der Prozession und lehnte sich zitternd gegen das Bett des Onkels. Ilnd als teilte sich der Schrecken und die Aufregung des Diebes dem Bette mit, so erzitterte auch dieses und verschob sich. Da sah Simon, daß das Plättchen unter dem einen Fuß des Bettes sich bewegte; er bückte sich, hob es mit den Nägeln heraus und fand in der Höhlung einen Mechkasten und darin zwei Banknoten zu tausend Lire. «» Am heftigen vertage jagte der Priester Barca   die Witwe aus dem Hause, und in einem Nu war �dos ganze Dorf wie von einem bösen Wirbelwind aufgewühlt: man hatte erfahren, daß dem Priester mehrere tausend Lire fehlten; der eine sagte zivei, der andere drei, jener zwanzig- tausend, und Basila hätte am Karfreitagabend die Tür offen- gelasien. Der Karabiniere ging in das Haus des Priesters;
der aber spielte den Harmlosen und sagte nur:.Lleinig- keiten, Kleinigkeiten!" Am, Dienstag wurde bei der Witwe Haussuchung g?- halten, sie selbst verhaftet und am folgenden Tage wieder in Freihett gesetzt. Es hatte sich nichts gegen sie ergeben, aber die Bewohner oder vielmehr die Familien des Dorfes sv.ft- teten sich in zwei Parteien: die Männer nahmen Basila in Schutz, meinten, sie hätte wohl wirklich vergessen, die Tür zu ichließen, und ein Dieb dann die Gelegenheit benutzt; die Frauen ober lächelten höhnisch:Und der Dieb war gleich bei der Hand und konnte in wenigen Minuten seinen Zweck erveichen?" Dann hörten die Leute wieder auf zu schwatzen; aber die Witwe wurde von ollen mit Geringschätzung angesehen, nie- mand gab ihr mehr Arbeit, sie ging nicht mehr zur Kirche lmd lebte elend in ihrem verfallenen Haus«. Simon sah sie oft, wie sie blaß und traurig auf ihrer Türschwelle saß, ober mit ihren grünlichen Augen zum Himmel aufblickte wie die heiligen Märtyrer. «* * Simon löst« den falschen Wechsel ein und kaufte sein« Türen und seinen Mantel zurück. Niemand wunderte sich darüber, denn er erlebte, wie jeder Spieler, häutig solcher. Hoch- oder Tiefstand des Glücks; und von dem Wechsel wußte außer seinem Gläubiger niemand. Was aber die Leute mit Verwunderung sahen, war, daß Simon auf einmal ein anderes Leben anfing: Er verkehrte nicht mehr mit schlechten Wel- bern noch mit den schlimmen Gesellen, ging zur Kirche und grüßte den Onkel. Der aber wendete fortgesetzt sein Gesicht ab, wenn er ihn sah; und als eines Tages Simon ruf ihn zuging, entschlossen, ihn anzuhalten und ihm die Hand zu küssen, weigerte er ihm nicht allein den Gruß, sondern dreh;e l6m den Rücken und kehrte um. Simon war betroffen. Er lehnte sich an die Mauer und stand dort wie angenagelt, von dem quälenden Gedanken überwältigt: Er weiß! Dann gitty er zur Witwe Basila und sagte ihr:Was meinst du, könntest du mir nicht mein Brot backen und mein Zeug waschen und flicken?" (Schluß folgt.)