England, Frankreich , Gberschlesien. Paris . Z«. Mai.(ET.) Die Antwort aus die französische Note öder die oberschlesische Frage tras heute in Paris ein. Die eng- tische Regierung bekunder darin, daß der Oberste Rat noch in dieser Woche in Loulogne sur wer zusammentreten müsse. Sie glaubt, daß ein aus Juristen. Diplomaten und Militärs zusammen- gesetzter Sachverständigenousschuß beauftragt werden sollte. Untersuchungen über diese Frage zu sühren und dann Vor- schlüge für die endgültige Regelung der deutsch -polnischen Grenze machen sollte. Diese Vorschläge müßteu ober entsprechend dem nach den Bestimmungen des Friedensvertrages in der Abstimmung vom 20. Mörz zum Ausdruck gebrachten willen der Bevölke- rung und auch der geographischen und wirtschaftlichen Lage der Orte geHallen sein. Ueber den Eindruck der am Sonnabend in London eingetroffenen Rote meldet der Korrespondent des „Temps" folgendes: Der Inhalt der französischen Rote habe eine gewisse Enttäuschung verursacht. Man weise in London auf die große Gefahr hin, die bestehe, solang? der Obersie Rat keine endgültige Entscheidung getroffen habe. An. eine Unterwerfung Sorfantys sei überhaupt nicht zu denken, da die polnischen Znsur- gentenlruppen diesem den Gehorsam verweigern. Umfall Percivals? Paris . ZV. Mai.(EE.) Eine Hovczmeldung aus Oppeln erklärt, daß die Verzögerung der Pazifizierung Oberschlesiens aus- schließlich auf die Haltung des englischen Delegierten Oberst Peraval zurückzuführen sei. die dieser seit der Rede Lloyd Georges im Unterhause am 13. Mai gezeigt habe. Percival habe die Teilnahme an den Verhandlungen der Interalliierten Kam- Mission mit Korsanty verweigert und ebenso die Teilnahme an etwa beabsichtigten Verhandlungen mit dem deutschen General von Hoefer. Daher sei man nicht in der Lage gewesen, eine Unterbrechung der Feindseligkeiten herbeizuführen oder die Autorität der Interolliier- ten Kommission in Oppeln wiederherzustellen. Jetzt habe jedoch Percival sich von seinen französischen und italienischen Kollegen überzeugen lassen und seine Haltung geändert, indem er von seinem ursprünglichen Standpunkte abgewichen sei. Die Kommission wird daher in der Lage sein. Verhandlungen mit den Polen und den Deutschen einzuleiten. Es bestehe dazu auch die dringendste Notwendigkeit, da in den von den Polen besetzten Ge- bieten die Rohstoffe und iu den von den Deutschen besetzten die Kohle völlig mangele. Der Zwölfer-Ausschutz. Breslau . 3V. Mai.(Eigener Drohtbericht des„Vorwärts".) In Oberglogau fand heute die zweite Sitzung der Vertretung der deutschen Bevölkerung Oberschlesiens , des sogenannten Zwölferaus- schusies, statt. Dieser konstituierte sich endgültig zur W ah r n e h- m u n g der politischen Rechte der deutschen Bevölkerung und beschloß, die politischen Leitungen in den einzelnen Kreisen einzu- richten. Die Verhandlungen leitete der Zentrumsobg. Pfarrer Ulitzka. Einige unserer führenden Parteigenossen konnten deshalb nicht in den Zwölferausschutz delegiert werden, weil sie durch die Insurgenten vom unbesetzten Gebiet abgeschnitten sind. Kommunisten im Selbstschutz. Breslau . ZV. Mai.(Eigener Drahtbericht des„Vorwärts".) Die Oppelner Ortsgruppe der VKPD .. die die größte Ortsgruppe der Kommunistischen Partei in dem nicht von den Insurgenten be- setzten Teil Oberschlesiens ist, erläßt in der„Oppelner Zeitung" eine Erklärung, in der sie sich gegen den Vorwurf der Verbrüderung mit den Insurgenten verteidigt. In Abwehr eines Angriffs unseres Parteigenossen Eyros, der die Haltung der„Roten Fahne" in einer Oppelner Versammlung kritisiert hatte, schreibt die Oppelner kommunistische Leitung u. a.: Was auswärtige Zeitungen über Ober schlesien schreiben(gemeint kann nur die„Rote Fahne" sein), dafür kann man doch eine einzelne Ortsgruppe nicht verantwortlich machen. Unsere Mitglieder sind vertreten bei der Abstimmungspolizei, beim Selbstschutz.' sie begleiten die Panzerzüge. Es wird einem Nossen - bewußten Arbeiter immer schwer werden, die Waffe gegen seinen Arbeitsbruder zu richten. Aber„Not lehrt beten?" Die Ortsgruppe weist schließlich darauf hin, daß ihre Mitglieder nicht etwa nur aus materiellen Beweggründen beim Selbstschutz mit- machen, sondern aus Gründen der Menschlichkeit, und um zu ver- hindern, daß aus Oberschlesien ein Trümmerhaufen wird. Sie be- tonen auch, daß sie sich den Vorstellungen der anderen deutschen Parteien bei der Interalliierten Kommission angeschlossen haben.— Leider ist die Haltung der Kommunisten im Aufstandsgebiet teilweise eine andere. Dort haben die Kommunisten bekanntlich in den ersten Maitagen gleichzeitig mit den Polen zum Generalstreik ausgerufen und unterstützen Korsanty zum Teil auch heute noch in der Hoff- nung, ihn zu beerben, wenn er des Chaos nicht mehr Herr wird. Ein kleiner Teil wendet sich allerdings bereits von dieser Politik ab. Qberschlcsiens Gewerkschafte« warne«. Oppeln . 30. Mai. (WTB.) An die Interalliierte Kommission ist gestern vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Deut- fchen Gewerkschaftsbund und dem Gewerkschaftsring folgende Be- schwerde gerichtet worden: Die IK. hat am Donnerstag, den IS. Mai, also vor zehn Tagen, den unterzeichneten Gewerkschoftsoertretern in Oppeln das Ver- sprechen gegeben, daß die interalliierten Mächte Maßnahmen ge- troffen haben und noch treffen werden, um den gegenwärtigen Zu- ständen ein Ende zu bereiten. Zur Prüfung der vorgetragenen Leiden der oberschlesischen Bevölkerung, insbesondere der Einwohner der Stadt Kattowitz , wurde von der IK. der Oberbefehlshaber der interalliierten Truppen nach Kattowitz gesandt. Der Oberbefehls- baber, Herr Gratier. war wiederhast einige Stunden in Kattowitz . Irgendeine erkennbare Tat ist jedoch nicht in Erscheinung getreten, die Leiden der Bevölkerung haben sich noch gesteigert. Zur Absperrung der Lebensmittel, der Milch für die Säugling«, jeden Verkehrs und zu den täglichen Gewalttätigkeiten ist seit dem 21. Mai noch die Absperrung des Wassers hinzugekommen. Die Sterblich- keit nimmt zu. Die interalliierten Lolalbehörden haben den Der- tretern der oberschlesischen Bevölkerung gegenüber nur Worte und sehen dem verbrecherischen Treiben der Insurgenten tatenlos zu. Kein Bürger ist seines Lebens sicher. Nach wie vor verkehren die französischen Soldaten mit den Insurgenten in der freundschaft- lichsten Weise. Wir warnen die Interalliierte Kommission noch ein- mal, denn sie trägt die Berantwortung vor dem Gesetz und dem Gewissen der Well. Ein Ausruf Korfantys an sein Heer besiehst Einstellung aller polnischen Angriste, nachdem die IK. mitgeteill hätte, daß die deutsche Truppenleitung die gleiche Verpflichtung eingegangen sei. Zuwiderhandlung wird mit dem Kriegsgericht bedroht. Wie wir erfahren, sind die Pressemeldungen über Bedingungen Korfantys für die angeblich von ihm angebotene Waffsnnieder- legung, die besonders in Paris groß aufgemacht wurden und in denen radikale„Entpreußung" Oberschlesiens gefordert wurde, ein Schwindel. Korsanty hatte nur—— Anerkennung der Ententekommisston„angeboten" und solche Bedingungen nicht gestellt. Pilsudski hat den Rücktritt der Regierung nicht angenommen; sie bleibt im Amt und dementiert die Nachricht, daß gegen den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt , Dombrowski, ein Diszipli- naroerfahren eingeleitet worden ist, weil er ohne Wissen und ohne Auftrag des Außenministers sich nach Oberschlesien begeben und sich dort polittsch betätigt Hobe. Die Reise DombrowskiS habe .rein privaten" Charakter gehabt. Eine Hilfsaktion des Roten Kreuzes für die Kriegsopfer ist im Gange; Genfer Herren verhandeln m Oppeln wu der Entente- teWNiKo«. �
Die UrteilsbegrünSung im leipziger Prozeß Das Urteil im Prozeß Müller vor dem Reichsgericht wurde gestern nachmittag 1 Uhr verkündet. Der Angeklagte Hauptmann Müller wurde wegen Mißhandlung Untergebener. Zulassung einer Mißhandlung, sowie wegen vorschriftswidriger Behandlung und Be- leidigung Untergebener zu einer Gesamtstrafe von sechs Monaten verurteilt. Im übrigen erfolgte Freisprechung. (Wiederholl, weil nur in einem Teil der Abendauflage enthalten.) Die Urteilsbegründung: In der ziemlich umfangreichen Urteilsbegründung führte der Präsident unter anderem aus: „Es freut mich, daß meine zu Beginn der Verhandlung ausge- sprochene Hoffnung, die gegen den Angeklagten erhobenen unge- heuerlichen Beschuldigungen möchten sich als unrichtig erweisen, sich b e st ä t i g t hat, da tatsächlich die schweren Anschuldigungen nicht erwiesen, sondern geradezu widerlegt sind." Es wird dann das Ergebnis der Beweisaufnahme ge- würdigt und festgestellt, daß der Angeklagte von Anfang April bis zum 8. Mai— also 5 Wochen— dem Gefangenenlager vorgestanden hat. Das Lager besand sich hinter der Kampffront, und die dortigen Verhältnisse waren die denkbar u n g ü n st i g st e n. Der Gerichtshof erkennt an, daß der Angeklagte alles getan hat, was in seinen Kräften stand, die üblen Verhältnisse im Lager zu verbessern und daß, wenn das nicht möglich war, ihn hieran keine Schuld trifft. Mit Nachdruck betonen die Urteilsgründe, daß der Angeklagte ein pflichtgetreuer, diensteifriger Offizier war, der den Ehrgeiz hotte, seine Vorgesetzten zufriedenzustellen, und der alles getan hat, was in seiner Macht stand, um die nötigen Materialien fiir das Lager zu befchafsen. Der Angeklagte ist sogar nicht davor zurückgeschreckt, sich in einem Falle auf unvorschriftsmäßige Weise K l e i d u n g s- st ü ck e für die Gefangenen zu beschaffen. Er hat ferner Nah- r u n g s m i t t e l aus Belgien herangeschafft und für Pferdefleisch gesorgt. Daß er die Räumung des Lagers nicht veranlaßt hat, kann chm nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn zu seiner Zell hatte sich eine epidemische Krankheit noch nicht gezeigt, und es war bis zu seiner Abreise nur ein Todesfall vorgekommen. Daß der Angeklagte sich zu Ausschreitungen hat hinreißen lassen, ist durch seinen Diensteifer und durch seine Erkrankung an einem Herz- leiden veranlaßt. Was die einzelnen Fälle anbetrifft, so ist angenommen worden, daß eine Meuterei nicht vorlag, und daß der Angeklagte sich nicht für berechtigt holten konnte, zur Abwehr der Meuterei so zu handeln, wie er es getan hat. Er wollte nicht eine Strafe ver- hangen, sondern hat aus Mißmut und Aerger ein Exempel statuieren wollen. Besonders hervorgehoben wird in den Urteilsgründen, daß der von den englischen Zeugen be- kündete Fall der Leichenschändung nicht als erwiesen ange- sehen wird, daß vielmehr diese Zeugenaussagen glatt widerlegt sind. Im übrigen hat das Gericht die als strafbar angesehenen Hand- lungen in demselben Sinne beurteilt wie der Oberrejchsanwall. In dem Hineinreiten in die Gefangenen wurde, wie in einigen anderen Fällen auch, eine vorschriftswidrige Be- Handlung, nicht Mißhandlung, erblickt. In allen nicht als erwiesen angesehenen Fällen ist aus Freisprechung erkannt worden. Bei der Bemessung der Strafe ist der Zwang der Kranken zur Arbeit als der schwerste Fall angesehen worden, als zweiffchwerster Fall das Anbinden. Die Strafe ist gebildet worden durch die Erhöhung der höchsten Einzelstrase von 2 Monaten auf 6 Monate. Dos Gericht hat erwogen, ob auf Festungshaft oder Ge- f S n g n i s zu erkennen ist. Es Hot' die G e f ö n g n i sst r a f e ge- wählt, weil es sich um die Mißhandlung kranker und unglück- licher, vollständig dem Angeklagten preisgegebener Gefangener handelt. * Am Dienstag beginnt vor dem Reichsgericht der dritte Kriegsbeschuldigtenprozeß gegen den Arbeiter Robert N e u m a n n aus Güstrow , dem ebenfalls Gefangeuenmißhandlung zur Last gelegt wird._ Nachprüfung der NeZchsgerichtsurteile. London . 80. Mai.(MTB.) Im Unterhause erklärte der Sttorneh-General Sir Gordon Hewart, es liege kein Grund vor. daran zu zweifeln, daß nach Abschluß der gegenwärtigen Reihe der Kriegsbeschuldigtenprozesse alle erheblichen Fragen einschließlich der gefällten Urteile von den in Betracht kommenden Mächten ge- prüft werden würden. Vor Eintreffen eines vollständigen Berichts könne er nicht sagen, ob dem Parlament Gelegenheit gegeben werden würde, über die gefällten Urteile zu verhandeln. Möglicherweise soll diese Erklärung auch nur Debatten ver- hindern, die immerhin die Leipziger Richter beeinflussen Murren.
Das litauische Memellanö. Memel . 80. Mai.(MTB.) Auf großlitauischeS Betreiben hin wurden in allen Kreisen des MemelgebieteS die Eltern befragt, ob sie für ihre die Schule besuchenden Kinder, deren Zahl rund 22 000 beträgt, die Erteilung litauischen ReligionSunrerrrchtes bzw. Lese- und Schrerbunterrichts wünschen. Nach dem nunmehr vorliegenden Ergebnis wird von den Eltern für 11,2 Proz. sämtlicher Volksschüler des MemelgebieteS litauischer Religionsunterricht, ferner für 2,2 Proz. sämtlicher ländlicher Schüler des ganzen MemelgebieteS litauischer Lese- und Schreibunterricht verlangt. Unter Hinzurech- nung der Schulen der Stadt Memel , die nicht befragt wurden. würde sich das Endergebnis so gestalten, daß litauischer Lese- und Schreibunterricht hoch gerechnet für 1.8 Proz. sämtlicher Volksschüler des MemelgebieteS gewünscht wird. „Reichswehr — Achtung? Der Schützenkönig kommt!" Im brandenburgischen Kreisstödtchen Beeskow war vorige Woche Schützenfest. Freitag vormittag zogen die Schützen durch die Stadt. um ihren Schützenkönig abzuholen. Zu diesem Tage hatte sich auch die in Beeskow stationierte Reichswehr auf dem Märktplaß ein- gesunden, um einmal wieder das langersehnte Schauspiel„König und Soldat" feiern zu können. In drei Staffeln, hoch zu Roß, salutierten brave Reichswehr -Reiter vom 9. Reichswehr - Reiterregiment. Das Kommando„Achtung", genau wie in den„seligen Zetten, erscholl, und schmunzelnd passierten die Bees- kower Schützen Revue. Das war aber erst der Anfang des Schauspiels.' Bald kamen die Schützen zurück mit ihrem abgeholten Schützenkönig. Während der Zeit hatten die schneidigen Reiter Par'adestellung eingenommen. Bor der„Front" ein Offizier, hinter diesem noch ein paar solcher Offiziere. Von neuem erklang das militärische„Achtung" des Oberkommandierenden, und im „Allen-Herren-Parademarsch" marschierte der wonnige Beeskow « Schützenzug vorüber. Daran schloß sich die Parade der Bees- kower Reichswehrreiter an.— Es scheint halt nicht mehr viel zu fehlen, und d« Schützenkönig von Beeskow wird der ge- krönte König der neuen„Monarchie Beeskow". Sklarz gegen Harden. In dem Beleidigungsprozeß Waldemar S 1 1 a r z gegen Maximilian Harden kam es gestern, nachdem wieberholt VergleichLversuche gescheitert waren, zu einer Ver- t a g u n g. Der Gerichtshof beschloß nach dem Antrage des Rechts- anwalts Grünspach. den Bruder des PrivatklägetS, Kauf- 1-"tt Qkoti Sklürz, chls Zeugs zu f"«T»ächst-p zn lade«,
Reichsfvgendwohlfahrisgesetz. T« ReichZtaqSauSschuß für das ReichSjugendwohlsahrlsgeiey nahm am Montag§ 2 in der Fassung der Regierungsvorlage an. Der§ 2 bringt zum AuSd,uck..daß künftig die JugendwohlfahrtSbehörden(Jugendamt, Landesjugend- amt, Reichsjugendaml) Organe der öffentlichen Jugendhilfe sind. Die Abstimmung über die§§ 3 und 4 wurde nach längerer Debatte ausgesetzt und die Vertagung beschlossen. Haussuchungen in Paris . Infolge einer Konferenz, die Sonntag nacht im Iustizpalast« stattgefunden hat, wurde Montag morgen in Baris bei den bekannten Kommunisten Frossard, Pto ch. £ ort ot, Sil oarin d, Meric, Cohen, Barbusse und anderen Journalisten Haussuchungen vorgenommen. Gleichzeitig fanden auch Haussuchungen in der Provinz statt. Es sind zahlreiche antimilitaristische Dokumente beschlagnahmt worden. Wictfäyaft Ein Wieöergutmachungsprogramm. Daß die Wiedergutmachungslasten— allein 50 Milliarden Mark Papiermark im ersten Jahr— nicht ohne Eingriffe in die Substanz des Volksvermögens auf» gebracht werden, ist von uns wiederholt dargelegt worden. Jetzt bringt die„Deutsche Tageszeitung" in sensationeller Aufmachung ein Programm für diese Eingriffe in das Volksver- mögen. Genosse Schmidt, der derzeitige Reichswirtsckafts- minister, soll eine zwanzigprozentige Abgabe auf den Goid- wert von landwirtschaftlichem und städtischem Grundbesitz so- wie eine gleichwertige Beteiligung an der Industrie durch das Reich vorgeschlagen haben. Ob der Plan in dieser Form amt- lich aufgestellt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir mächten es jedoch trotz der Dementis, welche besagen, daß es sich nur um Vorberatungen von Anregungen handelt, hoffen und wünschen. Wir wissen zu gut, daß Industrie, Handel und Landwirtschaft trotz ihrer Zusagen, an der Durchführung der Reparationen mitzuwirken, die schwerste Last auf die arbeiten- den Massen abwälzen wollen. Bis zu einem gewissen Grade würde das auch durch eine solche Kapitalsbeschlagnahme er- folgen, da alle Steuern nach Möglichkeit auf den Verbraucher abgewälzt werden. Aber darauf kommt es hier nicht an. Alle bisherigen Steuern geben dem Reiche Popiermark,. die sich entwertete, während die Goldwerte unberührt blieben. Will das Reich, dos sehen muß. wie fein eigener Steuerbedarf noch nicht einmal zur Deckung seiner Ausgaben ausreicht, nicht schon in den nächsten Monaten feine Zahlungsunfähigkeit von neuem entdecken und dadurch die Besetzung des Ruhrgebiets herauf- beschwören, so muß es eben Goldwerte an sich bringen. Jedes Wiederaufbauprogramm muß natürlich ein Produktionspro- gromm fein. Denn nur aus dem Ertrage einer gesteiger- ten Produktion können die Lasten der Wiedergut- machung bestritten werden, ohne dem Verkauf aller deutschen Werke an die Entente, der restlosen wirtschaftlichen Ver- slkavung ausgesetzt zu sein. Aber jedes Produktionsprogramm braucht Zeit, um durchgeführt zu werden, wenn man es erst einmal gefunden hat. Nach den schönen Reden der letzten zwei Jahre möchte es allerdings leicht scheinen, als ob in Deutsch - land, einem Land höchster wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. es unmöglich ist, ein solches Produktisnsprogramm auch nur auszustellen. In dies« Richtung fallen Vorschläge, die im engeren Kreise von Parteigenossen lebhaft erörtert wurden; es ist nach der Veröffentlichung der„Deutschen Tageszeitung" anzunehmen, daß sie sich mit den im Reichswirtschoftstninisterium weiter� beratenen Anregungen decken. Diese Vorschläge sehen eben- falls eine Beschlagnahme von Goldwerten durch das Reich-; vor. In ihrem Mittelpunkt aber stand ein Produktionspro- gramm, das auf eine Herbeiführung der rationellsten und in- tensivsten Ausnutzung aller Produktionsmittel abzielte. Da Goldwerte für die gesamte Volkswirtschaft nur durch die Aus- fuhr erreicht werden können, sollte die Warenerzeugung m weitestem Umfange auf den Export umgestellt, das Zoll- und Steuersystem entsprechend ausgestaltet werden. Die Einfuhr von Luxuswaren wäre überhaupt zu verhindern, die von Halb- und Fertigfabrikaten auf das unbedingt nötige Maß zu beschränken. Ebenso müßte man darauf sinnen, den durch erhöhten Steuerdruck zu erwartenden Störungen am Arbeits- markt vorzubeugen und das Steuersystem den Erfordernissen der Produktionssteigerung anzupassen. Und schließlich schlug man vor, diejenigen Ausgaben des Reiches, die nicht unmittel- bar. der Produktion und der unentbehrlichen Verwaltung dienen, einzustellen, obwohl— wie durch Beseitigung der Lebensmittelzuschüsse— Uebergangsschwierigkeiten für die arbeitenden Massen zu befürchten waren. Schon dieser Hinweis zeigt, welche Lasten der arbeiten- den Klasse drohen. War es da möglich, die Goldwertbesitzer frei ausgehen zu lassen? Roch heute gilt das Reparations- abkommen der Industrie, dem Handel, der Landwirtschaft unerfüllbar— und sie verdienen! Der Regierung, die ihren Namen unter das Ultimatum gesetzt hat, muß das Uner- füllbare zum Erfüllbaren werden. Sonst soll sie lieber gleich nach Hause gehen. Da aber ein Produktions- Programm wie das kurz angedeutete lange Zeit zu seiner Durchführung braucht, während Fach die Hand am Säbel hat. verlangte man, die Beteiligung des Reiches an den Gold- werten, an den Produktionsmitteln und am Grundbesitz. Für die Industrie ist das Verlangen nach den öffentlich kontrollierbaren Gewinnorgien sehr leicht zu begründen. Für den städtischen Grundbesitz ist es nicht mehr als recht und billig, da die Wiederaufnahme der Bautätigkeit allein davon abhängt, daß die künstlich niedrig gehaltenen Mieten sich der Verzinsung der Neubauten nähern. Und für die Landwirtschast, die schon jetzt für Futtermittel, Vieh und Gemüse Weltmarktpreise er- zielt, mit der Einführung des Umlageversahrsns aber auch die freie Getreidewirtschast und damit die Weltmarktpreise erreicht hat, ist es nur eine gerechte Forderung. Sie, die am wenigsten von den Einkommensteuern erfaßt wird, kann die Zinsen einer zwanzigprozentigen Goldhypothek gewiß tragen, besonders wenn ihr die Ätöglichkeit bleibt, diese Hypothek aus den sprichwörtlichen gehamsterten Noten jederzeit zurückzuzahlen. Selbstverständlich ist, daß schon mit Rücksicht auf die zu erwartende Verteuerung der Lebenshaltung diese Maßnahmen nur schrittweise durchgeführt werden können. daß insbesondere die Zwangshypothek auf den städtischen Grundbesitz vorläufig nur in geringerem Umfange durchgeführt werden könnte. Soweit die Vermögensbeschlagnahme. Sie könnte dem Reiche annähernd die Hälfte der Wiedergutmachungsleistungen im ersten Jahre allein aus dem laufenden Zinsen» dienst liefern. Je mehr sie auf diese Weise bringt, desto weniger brauchte durch Verkauf oder Verpfändung deut» schen Volksvermögens an das Ausland flüssig gemacht werden. Begreiflich ist, daß die verantwortungslosen Deutschnationalen dagegen Sturm laufen. Für eine Regierung, die dies ohne weiteres tut. gehörte viel Wut dazut