Einzelbild herunterladen
 

!Tr. 259 ZS. Jahrgang

Seitage öes Vorwärts

Sonnabenü, 4. �uni I92l

GroMerlln Das Sonntagsziel. Lindow . Mir den Fernzügen der Nordbahn fahren wir nach G r a n f e e. Vom Bahnhof schöner Blick auf die Stadt. Ihr Name wird aus Grenzoye als Grenzauge oder-see erklärt, weil der Ort an der Grenze gegen die Wenden lag. Granfee erhielt bereits 1202 Stadtrechte. Die Stadtmauern bergen noch viele mittelalterliche Baulichkeiten, so die Ueberreste eines ehemaligen Klosters. Gransee liegt am fischreichen Gransee (Gerohn- oder Jaronsee), der mit der chavel in Verbindung steht. Vom Ruppiner Tor durch die Oranien- burger und die Wartestraße zur Warte, früher Lugaus und Wacht- türm, jetzt Aussichtsturm. Die Warte steht auf dem 105 Meter hohen Warteberg, dem höchsten Punkt im Lande Ruppin . Zurück an den Weg von Gransee und gen Südwest bergab durch den Wald zur Straße nach Meseberg. In der Nähe von Gransee viele Obst- anpsianzungen, durch die der Ort in einen erfolgreichen Wettbewerb mit Werder getreten ist. Der Weg führt durch außerordentlich hügliges Gelände nach Meseberg . Vom Südende des Dorfs gen Nordwest zum Südufer des Huwenowsees, der zwischen hohen Ufern eingebettet sich als etwa zwei Kilometer lange und im Durchschnitt 300 Meter breite Rinne in ostwestkicher Richtung erstreckt. Viel- hundertjährige, breitästige Eichen und Buchen beschatten den Pfad. Vom Westende des Sees wetter am Fließ, das den chuwcnowfee mtt dem Wutzfee verbindet, zum Südufer dieses Sees. Er ist ebenfalls von hohen Ufern umgeben, die schön bewaldet sind. Häufig wird der Hang von Ginstergestrüvp bekleidet, besten gelbe Blüten wie Sonnengold leuchten. Schließlich auf schöner Promenade nach Lindow. Lindow ist so schön wie sein Name", sagt Fontane . Uralte Linden stehen an den Wegen und m den Anlagen. Zwischen drei Seen ist das Städtchen� eingebettet: der Wutzfee im Osten, der Gudelacksee im Westen und der Bielitzsee im Südosten. Auch Lindow beherbergt ein ehemaliges Kloster. Von dem im Süden liegenden Bahnhof treten wir die Rückfahrt über Löwenberg (hier umsteigen) an. Weglänge etwa 18 Kilometer. Abfahrt Berlin Stettiner Fern- bahnhof 5,10 Uhr früh oder schon 6,45 Uhr abends(Uebernachtungs- gelegenheit in Gransee ): Rückfahrt ab Lindow 6,55 Uhr abends. Glindow . Vom Bahnhof Werder am Fuß der Werder- fchen Weinberge gen Süd zur Stadt Werder. Auf den Weinbergen bauten einst die Lehniner Mönche ihren Wein: jetzt ist der Weinbau jedoch fast gänzlich eingestellt, und pröchttge Obstpflanzungen zieren die Kuppen sowie die umliegende Gegend. Der Altstadt gegenüber liegt die Brandenburger Vorstadt, durch die wir nach Glindow wandern. Auf der Westseite der Weinberge die Seenkette des Großen Plestower und Glindowsees. Der Glindowsee wird von einem Kranz von Ziegeleien umgeben, die den Ton der Glindower Berge verarbeiten. Die Tongruben lasten einen guten Einblick in das Erdgezimmer der Heimat hm. Auch von dem Höhenrand hinter den Gruben haben wir einen schönen Ueberblick. In der Tiefe sehen wir den Ton, der aus tonigen und seinsandigen Bändern in regelmäßiger Wechsellagerung besteht. Ueber dem Ton liegen Sande, die stellenweise von braunen Holzresten, Bernstein und Schneckengehäusen erfüllt sind. Der Ton gehört der vorletzten Ver- eisung an: er ist von den Schmelzwastern, die Gerölle, Kies und Sand bereits vorher abgelagert hatten, hier abgesetzt worden, ''gleichsam wie in einem großen Klärbecken. Die über dem Ton lagernden Sande entstammen der letzten Zwischeneiszeit. Man fand in ihnen auch vereinzelt Knochen von Mammut, Rhinozeros und Hirsch, die beweisen, daß das Klima wärmer geworden war. Die Decke ist von der letzten Vereisung abgelagert worden. Wir sehen hier also, daß das Inlandeis mindestens zweimal das Land bedeckt haben muß, also zwei Eiszeiten vorhanden waren, die beide durch eine Zwischeneiszeit(Jnterglazialzeit) getrennt waren, in der sich der Eispanzer in seine nordische Heimat zurückgezogen hatte. Wir wandern durch die Obstanlagen wieder zur Inselstadt Werder . Nach einem Rundgang durch die wenigen Straßen kehren wir zum Bahnhof zurück.

Schmutz im Silö. Die deutsche Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Schriften, Bilder und Inserate hatte gestern Vertreter der Presse in das Polizeipräsidium geladen, um sie mit dem dunklen Gebiet ihres notwendigen Wirkens näher bekanntzu- machen. In umfangreichen Sammelmappen waren die widerwärtigen Erzeugnisse der Pornographie ausgelegt. Von Belgien und Frank- reich aus verbreiten sich diese Dinge über das übrige Europa . In allen größeren Städten wurden Verttiebsstellen eingerichtet. Das Geschäft ging glänzend. Um die Wende des Jahrhunderts etwa hatte die Pornographie eingesetzt. Im Jahre 1008 tagten auf Genfer und Pariser Anregung zahlreiche Vereinigungen fast aller europäischen Länder in Paris und forderten einheitliche Regierungsmaßnahmen gegen dieses schmutzige Treiben. 1914 wurden auf einem inter-

Allgemeine Kunktionarmnen- Konferenz ZNonkag, den S. Zum 1321. abends 6% Uhr Im Gesangssaal der Schule Bochumer Str. Ld Tage.Sordnung: l. Die Frauen im Parkeilebeu. Ref.: Gen. Todenhagen- 2. Der Bezirkstag. 3. Der Parteitag. 4. Verschiedenes. Mitgliedsbuch legitimiert.

nattonaten Kongreß die erforderlichen Maßnahmen beschlosten, die amtlichen Stellen begründet. Der Krieg und seine Folgezeit hat die einheitliche Arbeit auch nach dieser Richtung hin unterbunden, so daß die Pornographie heute in bester Blüte steht, wie die un- zählig beschlagnahmten Bilder, Schriften und sonsttgen Dinge am deutlichsten beweisen. Daß man sich nicht scheute, auch Kinder zu solchen Vorstellungen zu mißbrauchen, sei nebenbei erwähnt. Eine ganze Reihe älterer oder neuerer Films mehr oder weniger abstoßender Art sollte zeigen, in wie starkem Maße auch der Film und vielleicht gerade der Film zu pornographischen Zwecken herhalten muß. Da gibt es keine Person, die sich nicht mit dem Existenzminimum an Kleidung, dem Adamskostüm, begnügen muß. Wohltuend berührt beim Ansehen dieser lebendaufge- nommenen Schmutzszcnen der Gedanke, daß die Stelle der Polizei, die die Pornographie bekämpft, bereits gute Arbeit geleistet hat und hoffentlich noch manche vornehme Herrengesellschaft dadurch um ihr . Vergnügen" bringen wird, daß sie solchenur zur privaten Auf- führung bestimmten Films" noch rechtzeitig beschlagnahmt. Wenn z. B. gestern den Besuchern erklärt wurde:Dieser Film war von einem Gutsbesitzer bestellt, gefiel ihm aber nicht und konnte dann beschlagnahmt werden", so ist das der beste Anhaltspunkt für die Filmindufttie, bei wem sie sich für den moralischen Mißkredit des Films zu bedanken hat: Nicht bei den Behörden und der Preste, die dergleichen aufs schärfste be- kämpfen, sondern bei den Herren der besitzenden Kreise, die sich solchenoblen" Vergnügungen leisten können. Es ist durchaus notwendig, daß gegen das Unwesen der Por­nographie, die leicht der Keim zu einem sittlichen Verfallsvrozeß unseres Volkes werden kann, mit den schärfsten Mitteln eingeschritten wird, denn die schier erdrückende Arbeitslast, die unser Volk in den kommenden Jahrzehnten zu leisten hat, erfordert gesunde Menschen, und diese sind ohne ein sittliches Niveau nicht denkbar.

Das Attentat am Vannsee aufgeklärt! Vergehen im Zustand der Epilepsie. Der Ueberfall, der auf ein junges Mädchen am 22. April oer­übt wurde und der sich später als ein Lustmordoersuch herausstellte, hat jetzt eine etwas sonderbare Aufklärung gefunden. Die Erwitt- lungen der Berliner Kriminalkommistare Dr. Grünberg und Bün- ger haben zur einwandfreien Feststellung des Täters geführt. Die Ueberfallene selbst hotte in den letzten Tagen die Nach- forschungen der Kriminalpolizei dadurch erschwert, daß sie, um den Täter, den sie übrigens genau kennen soll, zu schützen, in allen Punk- ten unwahre Beschreibungen gegeben hat. Erst durch die Mitteilungen einer Reihe von Zeugen gelang es, auf seine Spur zu kommen. Eine Charlottenburger Zimmervermieterin machte die

Mitteilung, daß ein Freund eines bei ihr wohnenden Chambre- garnisten wenige Tage nach der Tat ein Sanatorium in der Nähe von Bernau aufgesucht habe weil ihndie Sache mit der Zeuke noch verrückt mache". Im Laufe des gesttigen Tages fuhren einige Beamte der Mordkommission nach Bernau , um den Kranken im Sanatorium aufzusuchen. Der Beamte, der sich dem Täter, einem früheren Türschließer bei Sarrasoni/ Hans S e n f t i n g e r aus Charlottenburg , vorsichtig genähert hatte, zeigte ihm ein Bild der Zeuke und fragte ihn zunächst, eb er die Person kenne, worauf S. antwortete:Die kenne ich, deswegen bin ich ja hier. Lebt sie noch?" Trotzdem fand am Nachmittag noch eine Gegenüberstellung der Z. mit dem Täter statt, die Kom- misfar Dr. Grünberg leitete. Bei dieser Gegenüberstellung tauschten beide Zeichen aus. Schließlich bequemte sich der Täter zu der Erklärung, daß er die Ueberfallene kenne. Nach einer kurzen Pause geriet der Täter in große Erregung und schrie: Raus mit dem Frauenzimmer", worauf er einen schweren e p i- leptischen Anfall erlitt, von dem er sich erst einige Zeit später erhalte. Er wurde in eine Zelle geführt und dort über seine Tat unter Rücksichtnahme auf seinen Zustand befragt. Hier legte er ein Geständnis ob und erklärte, daß er die Z. nur einmal gesehen, und zwar an dem Freitag beim Ueberfall.Wenn ich sie sehe," so schloß er, und daran denke, so tritt mir das Blut vor die Augen." Danach scheint der Täter den Ueberfall im Zustand eines schweren epilcp- tischen Anfalls ausgeführt zu haben. Der Täter wird für feine Tat nach dem Urtell der Aerzte des Sanatoriums, in das er flüchtete, wohl kaum zur Verantwortung gezogen werden können. In dem ganzen Vorgang sind noch eine Reihe von Punkten, die weiterer Aufklärung bedürfen. Die Ermittlungen werden daher noch weiter fortgesetzt._ Grostfeuer im Kaiser-Wilhelm-Jnstitut. Großfeuer kam gestern nachmittag um 2,06 Uhr aus noch nicht ermittelter Ursache im Dahlemer Kaiser-Wilhelm-Jn- st i t u t am Thieleplatz in der Nähe des Untergrundbahnhofes zum Ausbruch. Das Feuer war weithin sichtbar und veranlaßt: zunächst das Ausrücken der Feuerwehren von Dahlem , Steglitz , ZeHlendors, Grunewald , Wilmersdorf , Lichte rfelde und zahlreicher anderer Wehren der Umgegend. Von vier Setten gingen die freiwilligen Wehren tapfer über die Treppen und mehrere mechanische Lettern vor. In kurzer Zeit wurde mit 10 Schlauchleitungen kräftig Wasser gegeben. Leider mangelte es daran sehr. Auch die Hausleitung und Feuerlösch- einrichtimg des Instituts wurde benutzt. Es kgnnte aber trotzdem nicht verhindert werden, daß der Dachstuhl vernichtet wurde. Er ging mit dem Inhalt in Flammen auf. Die Entstehung konnte gestern(Freitag) noch nicht ermittelt werden. Der Schaden soll recht erheblich sein, da auch die oberen Geschosse durch Wasser schwer gelitten haben. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, Thielallee 63/69, und für Therapie, Nr. 70/73, blieben verschont. Die Aufräumungsarbeiten dürften längere Zeit in An- spruch nehmen. Das Buttergeschäft geht schon flotter. Bei der zweiten Butterauktion, die gestern in Berlitt durch denDeutschen ButterauktionSberband" veranstaltet wurde, waren die Händler nicht mehr jo zurückhaltend wie am 1. Juni. Von den eyva 850 Faß Butter, die diesmal zur Ver« steigerung gelangen sollten, blieben nur etwa 20 Faß unverkauft. Der Auktionsverband erklärte, keine Butter unter 18 M. pro Pfund abgeben zu wollen. Gelauft wurde zu Preisen, die meist zwischen 13,20 18,40 M. pro Psund lagen. Einige Partien brachten 18,50 M., auch 18,60 M.. vereinzelt 18,70 M., andererseits 18,10 M.. 18 M., in Ausnahmefällen 17,90 M. Der Gesamterlös dürfte l1/? Millionen Mark betragen. Der Kleindandel forderte von den Ver- brauchern gestern Preise, die über die oben genannten um ein Drittel und mehr hinausgingen. Selbst in Ladengeschäften des östlichen Teils von Berlin konnte man Preise von 26 M. und sogar von 28 M. bemerken. Die Konsumgenossenschaft nahm 24 M.

115 Mädchenzöpfe. Der bekannte Fall des Zopfabschneiders, Diplom-Inge- nieur Robert St., beschäftigte das Schöffengericht Charlottenburg . Wie seinerzeit mitgeteilt, hatte der Angeklagte in einer ganzen An- zahl von Fällen Attentate auf junge Mädchen ausgeführt, indem

30)

Stine Menschenkind. III. Der Sündenfall. Bon Martin Andersen Nexö .

17. Stine genießt Sonnenschein. Stine und die Mutter hatten viel zu tun gehabt; sie hatten die Zeit, wo alle anderen draußen waren, dazu be° nutzt, das gute Frieskleid weiter zu machen. Das geschah nun zum zweitenmal, und trotzdem war es schwer zuzuhaken. Du mußt den Atem anhalten," sagte Sörine; sie setzte sich auf einen Stuhl und bot alle ihre Kräfte auf, während Stine ihr mit glühendrotem Kopf den Rücken zukehrte. Sehr stark war die Mutter ja nicht, trotzdem tot es weh. Endlich ging das Kleid zu, Stine warf einen Schal über den Kopf, nahm einen Korb mit einer großen Scholle unter das Tuch und ver- ließ schnell das Haus. Vor der Tür kam Christian herbeigestürmt, er hätte sie beinahe umgerannt.Es soll Scheunenfest bei uns fein!" rief er und lief hinein. Stine ging am Haufe entlang: sie mußte balancieren, um nicht in die Abfallhaufen der anderen Ve» wohner hineinzutreten. Der Vornundhinten-Jakob stand am Giebel, den Kopf dicht an der Wand, und bohrte daran; er hatte fast den ganzen Bewurf abgebröckelt, an mehreren Stellen standen die Pfosten bloß.Kannst du nun das Wort finden? sagte Stine: das war ein ständiger Witz ihm gegen- über. Jakob hob warnend die Hand; sie durfte ihn nicht stören, er war ja im Begriff, das Wort zu finden. Stine schlug den Weg ein, der am Pfannkuchenhaus vor- beiführte. Die Sonne schien, und aus der Villa ertönten Hammerschläge und Gesang. Das kleine Haus sah neu- ?estrichen aus wie immer, feine Umgebung war sauber und übsch, und der Holunder überm Brunnen blühte. Es war. als käme man in eine ganz andere Welt hinein. Stine war feit ihrer Rückkehr bei Tage nicht hier gewesen. Des Abends kam sie häufig herüber und hals den beiden Alten im Haus- halt. Die alle Frau lag im Bett es war Altersschwäche. »I, kommst du bei Sonnenschein?" sagte sie.Ich dachte, du machtest nur Mondscheinspaziergänge. Wie mag das zufam- menhängen?" Stine drehte sich auf die Seite.Ich Hab' eine Scholle," plgte sie verlegen. «LK tacke dir, Mädchen, das war hübsch von deinem

Vater, an uns alte Leute zu denken. Aber was ist mit dir geschehen?" Sie fing Stines Hand ein, zwang sie, sich um- zudrehen und sah sie lächelnd an. Stine mußte sich auf den Rand des blauen Alkovens setzen.Nun erzähl' mal!" Er ist getommenl" flüsterte Stine. Wer ist gekommen? Es gibt so viele Ers," lachte die alle Frau. Karl, der Sohn vom Bakkehof." Soso, es ist ein Sohn vom Bakkehof. Das hättest du mir ruhig etwas früher anvertrauen können, dann hätte Vater dir vielleicht zu deinem Recht verhelfen können. Und nun ist er von selber gekommen, sagst du? Mit Zustimmung seiner Mutter?" Nein, die Mutter verflucht ihn. Sie ist so boshaft der reine Teufel." Gut ist sie wohl nicht, aber sie wird wohl ihre Gründe dafür haben, wenn sie so ist. Man soll sich hüten, jemanden zu verurteilen, denn mit dem Maß des Richters gemessen, würde es uns allen wohl übel ergehen. Na, nun kannst du also heiraten. Gott sei Dank!" Er ist noch nicht alt genug, aber ich weiß auch nicht, ob ich ihn haben will," flüsterte Stine. Du liebst ihn nicht?" Die alte Frau sah sie entfetzt an. Dann bist du allerdings übel gefahren, übler, als man eigent- sich zu fassen vermag." Sie zog sie zu sich herab.Du kleines, liebes Geschöpf?" sagte sie, mit beiden Händen ihren Kopf streichelnd.Das muß ja eine entsetzlich schwere Zeit für dich gewesen sein." Ihre Wangen bebten, genau wie die Groß- chens vor langer, langer Zeit: und sie waren ebenso weich. Stine lag ganz still da und ließ sich von den tastenden Händen liebkosen: es war lange her, seitdem Hände sie so sanft be- rührt hatten. Die Alte schob sie mild von sich.Willst du mal die unterste Kommodenschublade herbringen." sagte sie. Die Schublade wurde auf einen Stuhl ans Bett gestellt, und die alte Frau suchte alle Laken, Tücher und Servietten hervor, die weich und fein wie Seide waren von der Wäsche und dem Gebrauch.Das ist gut für das Kleine," jagte sie und legte alles auf einen Haufen.Verschlissen ist es ja, aber desto weicher. Und hier ist etwas gröberes Leinen zur Unterlage für dich. Und hier ein paar Bettücher mit Hohlsäumen und ein hübscher Kissenbezug: ein Nachtkleid werden wir auch noch finden, damit du im richtigen weißen Wochenbett liegen kannst. Man muß seine Kinder in Weiß empfangen, dann werden gute Menschen daraus." Es war ein ganzer großer StaM Leinen gewordeo.

Stine saß da und betrachtete die Sachen mit Tränen in den Augen, in ihr war ein Lachen und Weinen zu gleicher Zeit. Das bevorstehende Ereignis rückte ihr plötzlich ganz nahe auf den Leib, so wirklich war es bisher nicht gewesen. Sie glaubte, sich selbst im Wochenbett zu sehen, das Kind hielt sie schon im Arm. Sie und das Kind waren weiß, dos Nachtkleid war hübsch gekräuselt um Hals und Handgelenke, und das Kopfkissen umgab sie und das Kleine in weißen Zungen. Schau, schau," sagte die alte Frau, sie weckend,nun lassen wir das liegen, dann kann Christian es holen: es lohnt sich nicht, daß du selber dich damit schleppst. Und willst du mir nun die andere unterste Schublade reichen?" Die war mit feinen alten Sachen angefüllt, Nackentüchern und gestickter Wäsche: alles war hübsch geordnet, und da- zwischen war Lavendel gestreut.Schau her, Stine!" Die alte Frau nahm ein Spitzentaschentuch hervor:Das ist mein Hochzeitstuch. Ich Hab' hineingeweint aber nicht aus Kummer: du kannst die roten Rostflecken sehen es waren Freudentränen. Ich habe es nur bei der einen Gelegenheit gebraucht, dann Hab' ich's verwahrt, mit den Tränen drin. Das sollt ihr über mein Gesicht breiten, wenn ich in den Sarg gelegt bin: du wirst sicher Väterchen dabei behilflich sein. Das da ist mein Brauthemd, das will ich anhaben. Ja, so etwas gebraucht ihr ja nicht mehr! Aber wir, die wir damals jung waren, wir behielten die wichtigen Abschnitte unseres Lebens bis zu unserer Todesstunde im Auge. Und darum kann unser- eins gut Jugend leiden, die schwerer vorwärts kommt. Einer von den Söhnen vom Bakkehof soll ja zu den Frommen gehören." Ja, das ist Karl," sagte Stine.Er nimmt das Leben so schwer." Wär's etwa besser, wenn er die Dings leicht nähme findest du? Bei dem Heim, das er hat? Mir scheint, das schlechteste Teil hat er nicht erwählt: seine Mutter hat einen anderen Weg eingeschlagen, um aus der Qual ihrer Jugend herauszukommen." Habt Ihr sie denn, als sie jung war, gekannt?" fragte Stine. Ja, und sie war ein gutes Mädchen. Wir hatten da drüben in der Gegend einen Hof, und sie kam oft in unser Haus. Sie war auch verlobt, aber dann zwangen die Eltern sie, einen anderen zu nehmen, der ihnen besser zusagte, und daran ist sie entzweigegangen. Sie verbrannte ihr Hochzeit?- tuch, sobald sie aus der Kirche nach Hause kam, und die ganze Nacht blieb sie auf ihrer Truhe sitzen sie w o l l t e nicht ins Brautbett zu ihm. Aber sie haben sie ja doch zahm gekriegt. Willst da raiu gehen, mein Kind? Ich: mächt' gern ein