Ite. Zoi�ZS.Iahrgakg Seilage öes vorwärts ZMttwoch, Äy. Funk 1�21 Etatörückeberger. Unabhängige und Kommunisten lehnen den Etat von Grost-Berlin ab. Eine Posse wurde gestern in der Stadtverordneten- Versammlung von Unabhängigen und Kommunisten aufgeführt. Den Kommunisten war's im voraus zu glauben, daß sie den Etat ablehnen würdem Daß aber auch die Un» abhängigen dieses lächerliche Spiel mitmachten, ist denn doch ein starkes Stück. Sie, die in der Stadtverordnetenver- fammlung die größte Partei sind und demgemäß auch auf den Magistrat einen beträchtlichen Einfluß baven, ohrfeigten mit der Ablehnung des durch diesen Magistrat aufgestellten Etats— sich selber. Genosse Dr. B o r ch a r d t, der für die sozialdemokratische Fraktion sprach, bielt den Unabhängigen das Sinnlose und Beschämende ihrer Stellung- nähme vor. Im Gegensatz zu den Unabhängigen, die mit den Kommunisten sich vor der Verantwortung für die Berliner Kommunalwirtschaft drücken wollen, erklärte unsere Fraktion, daß nicht durch Ablehnung des Etats eine weitere Schwächung des Kredits der Stadt und damit der finanzielle Ruin Ber - lins herbeigeführt werden darf. Erfreulicherweise waren auch die bürgerlichen Fraktionen sämtlich sich dieser Verantwortung bewußt und so kam die für die Annahme des Etats notwendige Mehrheit erstände. Vor der Abstimmung gab es wieder noch den üblichen Krakeel, ohne den man sich keine richtige Berliner Stadtverordnetenversammlung mehr denken kann.— Gegen 10 Uhr erlebte man in der „Aussprache" über den Gutsarbeiter streik eine wüste S k a n d a l s z e n e, die fast in Handgreiflichkeiten übergehen zu wollen schien. Sitzungsbericht. Zu Bealnn der heutigen, vom Vorsteher Dr. Weyl vor 5� Uhr eröffneten Sitzung macht dieser davon Mitteilung, daß der Aeltestenrat übereingekommen ist, um Uhr mit der Etatberatung anzufangen, bis dabin minder bedeutende Sachen zu erledigen. Dörr(Komm.): Wir haben vor 14 Tagen eine Anfrage wegen des Standes des Streiks auf den städtischen Gütern an den Magistrat gerichtet und nur eine kurze Antwort erhallen. Wir erwarten heute eine eingehendere Auskunst und beanttagen, diesen Gegenstand an e r st e r Stelle zu verhandeln. Der Vor st eher schreitet zur Abstimmung über den Antrag Dörr. Er konstatiert, daß die Mehrheit gegen den Antrag gestimmt hat. Die Kommunisten bestreiten die Richtigkeit dieses Ergebnisses und verlangen Auszählung. Diese erfolgt: vor Verkündung des Re- sultats erklärt Dr. W e y l, es scheine ihm im Interesse der ordnungs- mäßigen Erledigung der Geschäfte zweckmäßig, die(stellenweise noch sehr schwach besuchte. Red,) Sitzung auf 5 Minuten zu v e r t a g e n. Um 5 Uhr 20 Minuten wird die Sitzung wieder eröffnet. Dörr hält seinen Antrag aufrecht.— Dr. B orchardt(Soz.) sieht die Erledigung des Antrags der Kommunisten und die des Etats für gleich dringend an, die Erledigung beider sei aber nur gesichert, wenn der Etat vorangehe.— Dave(Dem.) ist derselben Meinung und betont, daß in diesem Falle auch noch ein Beschluß des Aeltestenrat» vorliegt.— Dörr: Daran braucht sich das Plenum nicht zu kehren. In der weiteren Aussprache beanttagt Zimmermann (U. Soz.), den Magistrat zu beauftragen, gemeinsam mit einem heute noch zu wählenden Ausschusse der Versammlung morgen mit den Tutsarbeitern zu verhandeln.(Unruhe.) Gegen U. Soz. und Komm, wird der Antrag Dörr abgelehnt. Dem neuerlichen Protest der äußersten Linken gegen dieses Ergebnis setzt Dr. W e y l die Berufung auf die e i n st i m m i g e Meinung des Bureaus entgegen.— Die Versammlung tritt ein in die Beratung öes Staöthaushaltsplans für 1921. Referent ist S ch a l l d a ch(D. Vp.). Ueber die Ausschuhbeschlüffe ist das Nötige bereits mitgeteilt worden. Im Vordergründe stehen die Tariferhöhungen bei den Gas- und Elektrizitätswerken, die Er- höhung des Schulgeldes unter Staffelung nach sozialen Grundsätzen, der Zuschlag von Z<X> Proz. auf die Betriebssteuer, die Einsetzung eines ständigen Etatsausschusses. Die Reden der einzelnen Fraktionsvertreter sollen nach dem Wunsche des Aeltestenrats 20— 30 Minuten Dauer nicht überschreiten. Erster Redner ist Z u b e i l(U. Soz.), der den Etat für stümper- Haft eingebracht erklärt und sich mit größter Ausführlichkeit über die Streichungen verbreitet, die im Etatsentwurf zur Herstellung der Balance vorgenommen worden sind und wovon zum großen Teil kulturelle Aufgaben betroffen worden sind. Der Etat sei nach allen Richtungen verschandelt worden. Weiter kommt Zubeil auf die Frage der Gültigkeit der Stadtoerordnetenwahlen und'auf den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts, das Urteil erst nach der Verabschiedung des Etats zu verkündigen, zurück; diesen Etat, so meint er, könne auch der Oberpräsideni nicht noch weiter verschlechtern.„Wir wisien, daß wir in kurzem dem Henkerbeil verfallen sind. Wir lehnen die Verantwortung für die Groß-Berliner Bankerottwirtschaft ab.(Stür- misches Gelächter rechts.) Die große Abrechnung wird nicht ausbleiben: w i r haben sie nicht zu fürchten. Dr. Borchardt(Soz.): Eine solche Etatberatung ist in der Tat, um mit dem Vorredner zu sprechen, noch nicht dagewesen, wo der Redner der führenden Partei sich in maßlosen Angriffen ergeht gegen einen Etat, der von einem Magistrat vorgelegt ist, in dem diese führende Partei ebenfalls den führenden Einfluß hat.(Unruhe und Zustimmung.) Eine Etatbsrawng im eigentlichen Sinne hat gar nicht stattfinden können: es mutzte notgedrungen auf Einzel- beratung verzichtet werden, sollt der Etat noch rechtzeitig fertiggestellt werden. Dos sahen im Ausschuß auch die U. Soz. ein und haben mitgearbeitet: erst die Erhöhung der Tarife für Gas und Elektrizität machte ihnen die Zustimmung unmöglich. Diesen letzten Gruyd ihrer Ablehnung hat heute der Vorredner mit keinem Wort erwähnt.— Berlin darf nicht vor die Gefahr einer etatslosen Zeit gestellt werden: sein Kredit würde, wenn kein Etat zustande käme, auf Null sinken. Die Tariferhöhungen und die Erhöhung des Schul- geldes werden mit Recht getadelt, aber wir sehen keinen Ausweg. Mit dem Notetat können die Bezirke nicht wirtschaften, darum stellt ihnen schon der Entwurf 26 Millionen als Vorbehaltsmittel zur Ver- fügung, einen Betrag, den der Ausschuh um weitere 14 Millionen vermehrt hat. Der für uns programmatische Grundsatz, daß für neue Ausgaben gleichzeitig die Deckung bereitzustellen ist, muß mit eiserner Konsequenz durchgeführt werden, auch bei diesem Notetat. In Reich und Staat muß sich die Anschauung durchsetzen, daß die Wirtschaft in Reich und Staat zugrunde gehen muß, wenn die Städte zugrunde gehen, daß also dort ein größeres Verständnis sür die Steuerpolitik der Städte zum Durchbruch kommen muß. v. C y n e r n(D. Vp.) und L ü d i ck e(Dnat.) erklären sich für Annahme des Etats, dessen Ablehnung eine schwere Schädigung der.Selbstverwaltung bedeute. Letz(Komm.) hielt«ine längere Rede, in der er für das Räte- systcm und die Sowjetverwaltung in Deutschland eintritt und sich sür Ablehnung des Etats ausspricht.(Die Ermahnung des Vorstehers Schwarz, sich an die vereinbarte Redezeit zu halten, weist er als „parlamentarischen Krimskrams zurück.) Um 8 Uhr 20 Minuten ist die Rede beendet: die Fraktion klatscht ihrem Redner Beifall. Eine lange Reihe von kommunistischen An- trägen zum Etat, die Letz in seinem Vortrage bereits begründet hat. gelangt im Wortlaut zur Verlesung. Ein Anttag Dörr, jetzt den Antrag zum Gutsarbeiterstreik vorzunehmen, veranlaßt u. a. den Stadtv. Dr. B o r ch g r d t, gegen die Obstruktionsrede des Stadtv. Letz Verwahrung einzulegen. Auch M i e l i tz(U. Soz.) tritt diesem Verlangen von Dörr entgegen, nach- dem die Kommunisten die Anregung, mit Rücksicht auf die Derhand- lung des Güterstreikantrages Herrn Letz zu einer Abkürzung zu be- stimmen, zurückgewiesen hätten.(Hört, hört!)— Dörr zieht den Anttag zurück. Dave(Dem.) und Dr. Lange(Z.) stimmen dem Etat zu. Hierauf wird die Debatte gegen U. Soz. und Komm, geschlossen. Die eingebrachten Anttäge will der Referent dem einzusetzenden ständigen Etatsausschuß überweisen. R a d t k e(U. Soz.) ist nur mit größter Ansttengung imstande, gegen den rechts und links«nt- stehenden Lärm eine Erklärung vor der Abstimmung über den Etat abzugeben, deren Inhalt für die Tribüne verloren geht. L ü d i ck e protestiert gegen die darin liegende Verletzung der Geschäftsordnung. Auch Paul Hirsch (Soz.) hält Erläuterungen vor der Abstimmung für unzulässig.— Der Vor st eher stellt fest, daß es durch den Lärm zu einer formulierten Erklärung gar nicht gekommen ist. (Heiterkeit.) Gäbet(Komm.) glaubt die Heuchelei brandmarken zu müssen, die in dem Auftreten der Rechten liege.— Die ganze Auseinandersetzung wird von andauerndem betäubenden Lärm begleitet, so daß der V o r st e h e r mit Vertagung der Sitzung droht. Die Anträge der Kommunisten werden dem ständigen Etatsaus- schuß überwiesen. Die Ausschlußanträge gelangen in ihrer Gesamtheit in na- m e n t l i ch e r Abstimmung mit 82 gegen 66 Stimmen der U. Soz. und Komm, zur Annahme: danach ist das Etat für 1021 en bloc angenommen. Aus der Gebühren- und Betriebssteuererhöhung werden 14 Mil- lionen Mark Mehreinnahme erwartet. Der Etat balanciert mit etwas über 6 Milliarden Mark. Hiernach beantragt v. Eyn�rn die Vorlage betr. die Steuer auf Wagen und Pferde usw. sofort zu beraten, da deren Erttag schon in den Etat eingestellt sei.— Der Vor st eher bittet drin- gend, an den Abmachungen des Aeltestenrats festzuhalten.— Es ist inzwischen Uhr geworden. Der Antrag v. Eynern wird abgelehnt. Es wird um g Uhr 35 Minuten in die Beratung des Antrags Weyl eingetreten, den st reitenden Gutsarbeitern eine zehnprozen- tige Lohnzulage zu bewilligen. Zi m m e r m a n n(U. Soz.) gibt die Begründung. Große Werte seien durch den Streit gefährdet. Die Berichterstattung der bür- gerlichen Presse über die Lohnverhältnisie und über die VerHand- lungen der Tarisdeputation sei irreführend gewesen. Letztere hätte 15 Proz. Zuschlag auf den Stundenlohn vorgeschlagen. Auf den Prioatgütern würden höhere Deputate gewährt als auf den städ- tischen: die Bezahlung sei nicht so wie sie sein sollte, ein billiger Ausgleich müsse gefunden werden. Außer der Lohnzulage müßt« auch das Mitbestimmungsrecht nach Analogie der anderen städtischen Betriebe den Gutsarbeitern gewährt werden, was er ausdrücklich beantragt. Ein««norme Summe von Arbeitskräften und ent- sprechend hohe Ausgaben würden allein für die Bedienung der Inspektoren und oberen Beamten aufgewendet. Dr. K a u f h o l d(Dnatl.) beantragt um 10 Uhr Vertagung. Dörr bezeichnet diesen Anttag als eine schamlose und uner- hörte Dreistigkeit(Sturm auf der Linken, in den ein Teil der Zu- Hörer auf der Tribüne einstimmt. Die Kommunisten drängen nach vorn und nehmen gegen Dr. Kaufhold eine drohende Haltung ein, Na w r o ck i schwingt«inen Stock. Der Vor st eher redet mit dem äußersten Aufgebot seiner Stimmittel auf die Kommunisten ein, ihre Plötze einzunehmen.) Dr. K a u f h o l d: Wir find auf 10 Uhr angekommen, früher hat man vereinbart, nicht über 3 Uhr hinaus zu tagen. Der Vertagungsantrag wird abgelehnt: man tagt weiter. Zur Beantwortung der Anfrage der Kommunisten nimmt das Wort Stadtrat Koblenzer.(Schluß des Blattes.). Ausverkaufte 5erienfonSerzüge. Nach eine? großen Anzahl der zu Beginn der großen Ferien vorgesehenen Feriensonderzüge hat gleich zu Beginn des Vorver- kaufs, der, wie mitgeteilt, auf die denkbar ungeschickteste Weise or- ganisiert, am Montag begann, eine so rege Nachfrage nach Plätze'» eingesetzt, daß schon gestern vormittag zu einer Reihe dieser Züge die verfügbare Anzahl von Plätzen ausverkauft war. So lind, wie uns mitgeteilt wird, die Fahrkarten für die Feriensonder- züge nach der O st s e e, die vom Bahnhof Charlottenburg aus ge- fahren werden sollten, sämtlich ausverkauft, während für die Züge nach der Ostsee , ab Stettiner Bahnhof, noch Plätze ver- fügbar sind. Weiterhin sind die im Juli nach dem Ries enge- birg« vorgesehenen Züge ausverkauft, ebenso auch der Zug nach Thüringen und der Zug, der am 9. Juli nach T h a l e- G o s- l o r oerkehrt. Von den Zügen nach Süddeutschland , zu denen der Andrang ebenfalls außerordentlch stark ist, ist der Zug nach F r i e» d r i ch s h a f e n, ab 10. Juli, sowie sämtliche Juli-Züge nach München ausverkauft.— Angesichts der außerordentlich starken Nachfrage nach Fahrkarten nach München hat die Eisenbahn- Verwaltung noch nachträglich einen neuen Feriensonderzug nach München vorgesehen, zu dem der Vorverkauf heute, Mittwoch, den 29. Juni beginnen soll. Dieser neue Sonderzug wird, ebenso wie die iq Die Rächer. Roman von Hermann Wagner. Nach Mitternacht suchte er eine Bar auf. verlie? sie aber bald wieder, da ihm die Zerstreuungen, die sie bot, schon nicht mehr genügten. Eine prickelnde Ungeduld war in ihm, die die künftigen Tage gleichsam vorwegnahm, jene, die ihn durch eine rastlose Tätigkeit in die Höh« bringen sollten. Er durstete nach Arbeit. Er ging die Friedrichstraße hinunter. In ihrem heißen Gewühl verlor sich allmählich seine Un- gedtrid und macht« einem stummen Staunen Platz. Mämier und Frauen geisterten wie Schatten dahin, krankhaft bleich und gelb von dem grellen Licht der Bogenlampen, in den gewaltsam zum Genuß aufgepeitschten Gesichtern esnen starren Zug von Abgelebtheit. Die wogenden Federhüte der geschminkten Mädchen wirkten auf ihn wie eine rauschende Malinung des Todes, so daß er bei diesem Anblick erschauerte. Und er gedachte im Gegensatz dazu der jungen Frau, die sich ihm heute voll demütigenden Sichfügens dargeboten hatte, und des pompösen Hauses im Westen, das diesen geisternden Schatten einer tod- bringenden Liebe verschlossen war. Wieder packte ihn eine süß-bange Sehnsucht, die gleich« wie an jenem Hamburger Abend, da er das junge Paar, an einen Gartenzaun gedrückt, gesehen hatte... Er bog schnell in eine Nebenstraße ein, erblickte ein« Droschke, stieg ein und sagte:„In das Hotel Atlantic !" Am nächsten Morgen stellte sich pünktlich Ehrhard Gutzeit in dem Hotel ein, ein untersetzter, fetter Mann in dem be- scheidenen Anzüge eines kleinen Bürgers. Cr ließ sich bei Reisner melden, doch wurd« ihm bedeutet. daß er zu warten habe, bis der Herr in Nummer zweiund- zwanzig gefrühstückt habe. Nach einer halben Stund« ließ Reisn-r ihn in sein Zimmer bittett. Gutzeit machte«inen mitleiderweckenden Eindruck. Sor- gen und Enttäuschungen mochten seine Haare gebleicht haben. Seine Bewegungen waren scheu und schüchtern und seine Stimme drückte jene Erschöpfung aus, die sich einstellt, wenn einem Menschen nichts mehr zu hoffen bleibt. Reisner sah, NM*-M»» nfcte. Gutzeit hatte die erforderlichen Bücher und Papiere mitgebracht, aus denen hervorging, wie es um ihn stand. Reisner konferierte zwei Stunden mit ihm und überraschte ihn am Schluß mit einem wohlüberlegten fertigen Vorschlag. Gutzeit blieb nur übrig, abzulehnen oder anzunehmen. Und obwohl er sah, daß er sich damit völlig in die Abhängigkeit von dem anderen begab, nahm er an, da er zu müde war, noch zu kämpfen. Noch im �Laufe des Nachmittags begab man sich zu einem Notar, bei dem man neuerlich mehrere Stunden Besprechungen hatte. Reisner war frisch und fröhlich und freute sich der Tat- traft, die jäh in ihm ausgeschossen war. Gutzeit war nieder- geschlagen und schweigsam und schwang sich nur zu einem bitteren Lächeln auf, als man ihm den Bertrag, in dem er Reisner als seinen Herrn anerkannt«, zur Unterschrift vorlegte. Aber er unterschrieb. Damit war Reisner in den unumgeschränkten Besitz des Gutzeitschen Geschäftes gekommen, das Sägewerk an der Ostsee , die großen Holzbestände und das Haus Gutzeits ge- hörten ihm. Gutzeit vvblieb als Fachleiter gegen ein be- stimmtes Iohresfixustt und gegen«ine mäßige Beteiligung am jährlichen Reingewinn im Geschäft. Er hatte das erste Stockwerk feines ehemaligen Hauses im Westen, in das nun Reisner einzog, zu räumen, und es stand ihm frei, eine kleinere Wohnung im dritten Stockwerk zu beziehen. Als alle Förmlichkeiten erledigt waren, war es Abend geworden, und Reisner, der Gutzeit gegenüber plötzlich einen freundlicheren Ton anschlug, lud ihn ein, mit ihm zu Abend zu essen. Doch Gutzeit lehnte apathisch ab. Reisner sah ihn an und empfand etwas wie Mitleid mit ihm.„Fühlen Sie sich benachtelligt?" fragte er ihn.� Doch Gutzeit schüttelte den Kopf.„Nein, ich fühle mich zufrieden." antwortet« er. „Zufrieden, nach all Ihren Verlusten?" „Ja," antwortete Eutzeit. Er blieb stehen, nahm den Hut vom Kopf und strich sich mtt den kurzen, fetten Fingern durch die dünnen Haare. Seine Augen hingen an irgendeinem Unbestimmten in den Wolken. Es gibt eine Gerechtigkeit, Herr Reisner," sagt« er.„Es ging mir gut, solange ich zu der Frau und zu den Kindern hielt, die mir der Herrgott geschenkt hatte. Seit dem Tage, da ich diese verlosten habe, um einer... andern nachzulaufen, seit diesem fraO»»cht m ttk scHecht. Md seit tzies«» Tag»«» G«ch nie mehr glücklich und zufrieden. Aber heute bin ich es. Denn ich sehe, daß es eine Gerechtigkeit gibt." Damit drehte er sich um und ging, ohne zu grüßen, davon. Reisner war erst betroffen, lachte dann aber und dachte: Ein Schwacher, der unter die Räder gekommen ist! Er ging, um allein zu speisen, denn nach dem großen Erfolg des heutigen Tagen hatte er einen rechtschaffenen Hunger. 8. In der Uebersiedlung aus einer Sechszimmerwohnung im ersten Stock in eine Dreizimmerwohnung im dritten Stock drückte sich-äußerlich die Veränderung aus, die sich in den Ver- Hältnissen des Ehepaares Gutzeit vollzogen hatte. Diese neue Wohnung hatte aber noch eine kleine Kammer, wie sie von Dienstmädchen meist als Schlafstätte benützt wird. In diese Kammer ließ sich Gutzeit ein Bett, einen Tisch, einen Schrank, eine Waschgelegenheit und einen Stuhl stellen: sie wurde fortan seine Wohnstätte, während Hilde, seiner Frau und den zwei kleinen Kindern, einem dreijährigen Mädchen und einem einjährigen Knaben, die übrigen Zimmer zur Ver- fügung standen. Das Dienstmädchen wurde entlassen. Nur für die grob- sten Arbeiten wurde stundenweise eine Frau gemietet. In seiner Kammer lebte Gutzeit fortan wie in einem Versteck, in welches er sich als ein verwundetes Tier zurück- zog, das den Wunsch hat. zu sterben. Er hatte es bald heraus, daß der„fachliche" Leiter nur ein Titel war, und daß er das Gnadenbrot aß an dem Tisch eines Menschen, der es ihm entziehen würde, sobald sich der müßige Esser eines Tages nicht mehr gefügig zeigte. Und er ertrug seine Schande wie eine gerechte Strafe, die er für ein Unrecht abbüßte, das er einem anderen Menschen zugefügt hatte. Je ferner er innerlich und äußerlich seiner zweiten Frau rückte, um so näher kam er in seinem Herzen von Tag zu Tag seiner ersten Frau. Oft dachte er daran, ihr zu schreiben, sie um Verzeihung zu bitten, ihr seine Not und seine Reue zu beichten, ließ dann aber doch davon ab, weil er es für ein Unrecht hielt, sich auf diese Weise seine verdiente Strafe zu erleichtern. Sein Leid war jetzt seine Freude, die einzige, die er hatte. Und oft dachte er an seinen Tod als an die endgültig« Sühn «. Sortj. folgt.)
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