Nr. 335 ♦ 3S. Fahrgang
Heilage öes vorwärts
Vkenstag, 19. Fuli 1921
Kirchenwahlen und Sozialöemotratie.
Don Pfarrer B l e i« r- Charlottenburg. Die Wahlen zur Derfaffung gebenden Kirchenversammlung haben sich sozusagen unter Aueschluß der Oeffentlichkeit abgespielt in dem geschlossenen Kreise der kirchlichen Gcmeindekörperschaften. Sie waren das Siegel auf die Kirchenwahlen im Frühjahr(Neuwahlen zu den kirchlichen Körperschaften), und haben deshalb keinerlei Ueber- raschungen gebracht für diejenigen, die die kirchlichen Verhältnisse kennen. Bei den Wahlen zur Verfassung gebenden Versammlung sind von allen Richtungen— es lagen 7 Listen vor— viel schöne Worte geredet worden über die neue„Volks'kirtbe. Welche Wirklichkeit diesen Worten gegenübersteht, beweist oas Ergebnis der Wahl. Für die Provinz Brandenburg einschließlich Groß-Berlin haben die chochorthodoxen. die in dem bekannten Pastor Philipps- Cbarlottenburg ihren Führer erblicken, von S1 Sitzen 27 erobert, also die absolute Majorität. Es genügt zur Kennzeichnung dieser Liste, daß Philipps und seine Freunde seinerzeit die Entfernung des bekannten freigerichteten Pfarrers I a t h o in Köln mit Energie und mit Ersolg betrieben haben. Es sind die Kreise, die nach ihrem Programm heute noch nach der Revolution in der Kirche nur gläubige, d h. orthodoxe Pfarrer haben wollen, die hellte noch vcr- langen, daß in der Kirche jeden Sonntag dos Apostolikum, das sogenannte apostolische Glaubensbekenntnis(Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer usw.) von allen Pfarrern ver- lesen und bekannt wird, auch wenn«in freigerichteter Pfarrer— und es gibt deren viele— erklärt: Ich lehne dieses Apostolikum glatt ab, ich glaube nicht daran. Diese intolerante Richtung hat also die Mehrheit hier sogar, wo in Groß-Berlin doch schon seit Jahr- zehnten eine bedeutende kirchlich liberale Bewegung besteht. Uns Sozialdemokraten interessiert deshalb von allen übrigen Wahlvor- schlagen, die außer dem kirchlich liberalen alle mehr oder weniger nach der Orthodoxie hinneigen, nur der kirchlich liberal«. Dieser Wahlvorschlag hat eine vernichtende Niederlage erlitten; denn von 51 Sitzen hat er nur 8 Sitze erobert. Er ist also zu vollständiger Ohnmacht ver- urteilt. Dieser Mißerfolg, der das natürliche Ergebnis der Kirchenwahlen im Januar war, Hot nicht nur äußere, sondern auch innere Gründe. Einst hatten wir eine blühende kirchlich liberale Bewegung auch in Groß-Berlin. Damals war Traub der Führer und wies das Ziel eines großen ncuprotestantischen Kulturbundes, in dem für alle Freiaerichteten Platz war, als Sturmbock gegen die kirchliche und politische Reaktion. Damals wurde die kirchlich liberale Bewegung begeistert getragen von freigerichteten Bürgerlichen und genoß auch die Sympathien mancher Sozialdemokraten. Das ist längst anders geworden. Seitdem Traub politisch geschwenkt hat und sogar in die Kopv-Bewegung hineingeriet, hat er auch kirchenpolitisch ge- schwenkt, sieht er in dem Apostolikum eine brauchbare Grundlage der Kirche, kämpft er mit für die konfessionelle Schule, er, der einst ganz genau wußte, daß dieser Religionsunterricht, so wie er heute gegeben wird an den meisten Schulen, viele geradezu mit Ekel und Abscheu gegen die Religion erfüllt oder sie ganz gleichgültig läßt. weil er keine Fühlung hat mit dem Volksempfinden der Gegenwart. Dieser Geist, der Geist Traubs, herrscht bei den Führern de» kirch- lichen Liberalismus von Groß-Berlin. die auch politisch seine Freunde sind. Und deshalb haben sich viele enttäuscht zurückgezogen und machen einfach nicht mehr mit. Sie vermissen den Ernst der Tat, wirklich auch allen politischen Richtungen in der Kirche freie Bahn zu geben. Unter den 8 gewählten Liberalen befindet sich ein ein« ziger Sozialdemokrat, unser Genosse Porti u«. Bezeichnenderweise wohnt er nicht in Groß-Berlm, sondern in Brandenburg . In Brandenburg webt unter einigen Liberalen ein frischer Geist, dort ist man bei den Kirchenwahlen mit den Sozialdemokraten in Fühlung getreten und hat sogar in der Katharinenkirche vor einigen Wochen eine religiöse Maifeier gehalten. Aber hier in Berlin haben die liberalen Führer—- sie gehören sämtlich der Deutschen Volkspartei oder dem rechten Flügel der Demokraten an— für den religiösen Sozialismus kein Verständnis. Sie veranstalteten wohl Gedächtnisfeiern für die ehe- malige Kaiserin in der Kirche, verhielten sich aber religiösen Mai- feiern gegenüber ablehnend, weil die„politisch" wären, chohen- zollernfcicrn, bei denen sogar in der Kirche„Deutschland , Deutschland über alles" gesungen wurde, haben sie ohne Bedenken geholten. Sie begrüßen es auch nicht, wenn Pfarrer Sozialisten sind und in der Sozialdemokratie den chrisllichen Gedanken vertreten, sondern sehen im günstigsten Falle in ihnen gutmütige Schwärmer, die über kurz oder lang Schiffbruch leiden und erkennen werden, daß Sozialdemo- kratie und Kirche sich nicht vereinigen lasten, ebensowenig wie
Christentum und Sozialismus. Sie wollen nichts wissen von der herrlichen religiös st>zialen Bewegung in der Schweiz , die sich knüpft an die Nomen Kutter-Ragaz. So wird Genosse Portius aus Brandenburg in unserer Verfastung gebenden Versammlung auch unter den Kirchlich-Liberalcn ein weißer Rabe sein und erfahren, wir Sozialdemokraten in der Kirche keine Förderung zu erwarten haben von dieser Verfassung gebenden Versammlung. Trotzdem sage ich nicht: Genossen, tretet alle aus aus der Kirche! Sondern ich sage: Genosten und Genossinnen, die Ihr in der Kirche seid, tretet ein für unsere Gedanken! Organisiert Euch für die nächsten Kirchenwahlen— gerade aus dem Lande und in kleinen Städten ist das durchaus möglich oann könnt Ihr auch j postabonnenien i 1 Damit die regelmäßige Zustellung des„Vor-|- c) warts" im nächsten Monat keine unlieb- w » same Unterbrechung erleidet, ersuchen wir# unsere Postabonnenten, das Abonnement 6 I für den Monat August zum v- g Preise von 10 SU. einschl. Zu- g K stellungsgebühr bei dem K » zuständigen Postamt 9. L sofort zu be« S 2 stellen%
% llilrä g g K Vorwärts-Verlag G.m b.H., Berlin | die Kirche benutzen zum Aufbau der neuen Kultur, die sich nicht gründen darf auf das Kapital, sondern auf den Menschen. Denn nicht das Geld ist hellig, sondern allein der Mensch! » Die Einberufung der außerordentlichen Kirchenversamm- l u n g zur Feststellung der künftigen Verfassung der alten, preußischen Landeskirche ist für den 24. September in Aussicht ge- 1 nommen. Ueber den Entwurf zur Derfassungsvorloge ist zwischen dem evangelischen Oberkirchenrat und dem Generalsynodaloorstand 1 bezüglich der künftigen Verfastung der Kirchengemeinden und' Kirchenkreise im wesentlichen Einverständnis erzielt worden, während sich bezüglich der O r-g an i s a ti o n der Prooinzial- und landes- kirchlichen Verwaltung grundsätzliche Meinungsver-� schiedenheiten ergeben haben. Es ist deshalb mit der Vor- legung von Doppelentwürfen zu rechnen, deren Veröffentlichung baldigst erfolgen soll._ GroßiDerün Der Glasmusikant. „AuS der Jugendzeit klingt«In Lied mir immerdar ach wie liegt io weit, was mein einst war". Silberhell und fein schwingt dieses Lied durch den Straßen- lärm der SicgeSallee. Harmonisch fügen sich merkwürdige Töne ineinander wie Sphärenmusik, wiederholen sich und verhallen. Menschen bleiben sieben und horchen auf. Rarfabrer steigen ab. Kutscher halten zuweilen ihre Pierde an und lauschen. Eine Aiempause im Straßenbeiriebc, ein neues Bild im Tieiben der Großstadt. Ein Kriegsbeschädigter steht hinter einem Schemel, ouk den er einen Kasten gestellt hat. der ein sonderbares, nickt alltägliches Instrument trägt: ein Brett, auf dem kiistollklare, teilweise mit Wasser gefüllte Gläser von verschiedener Größe befestigt sind. Wenn er nun mit seinen Händen die Ränder die Gläser streift, dann klingen ste. D'e nrosten tiel und voll die kleinen bell und leicht
bcschiviligt. Er muß denken bei dieser Aibelt und er schaul nickt auf. Es hat den Anschein, als ob er sich ganz dem Spiele hin- gäbe. Neben ihm sitzt ein kleiner Junge, batfüßig und schlecht ge- kleidet, mit guten, großen Augen, die zuweilen liebevoll den Spieler belrachicii. In einer Mütze sammelt er Almosen, die von den Zu- Hörern geipeudet werden. Beim Geben ist eS hier wie überall: die Aermsten geben, vom Mitgefühl, ergriffen am häufigsten. Verstohlen greife» sie m die Tasche, geben schnell, ofr scheu und eniseinen sich rasch. Wohl- habende tun es meist mit läisiger Miene. Viele schiitlel» spöllisch ihre gepflegten Köpfe und geben achiel, uckend davon.„Woraus das arbeilSickeue Gesindel nicki alles verfällt", lagt« einer von ihnen. „Verzeihung, mein Herr, spielte dieier Manu im„Wintergarien", augelan mir Frack und weißer Weste, würden Sie ihm Beifall zollen und seine Kunst sicherlich als„kolossal" oder.pbäiicmcnal", vielleicht sogar als genial bezeichnen, während Ihre geputzten und mit alle» Toileitengeheimniiien vertrauten Damen„entzückend", „himmlisch" oder auch„lüß" lispeln würden. Und der Gedanle an da?„arbeitsscheue Gesindel" würde Ihnen gar nicht lommen. bc» ionderS dann nicht, wenn Tie ipäier im geheimen Nachtlokal bei teurem Sekt verjubeln, was fleißige Hände erwarben." Ein Gedenktag. Heute vor zehn Jahren zog die arbeitende Jugend Verlins in großen Scharen auf den Neuköllner Gemeindefriedhof, um ihrem so jäh aus dem Leben geristenen Führer Fritz M a f ch k e einen Denkstein zu setzen. Fritz Maschke, ein echter Proletariersohn, war von früher Kind- heit an gezwungen, ins Erwerbsleben einzutreten, um der alten Mutter und den kleineren Geschwistern zu helfen. Er tat dies in restloser Hingabe, trotzdem sich schon damals die Schwindsucht be» merkbar mochte. Der Gedanke der Jugendbewegung und des Jugendschntzea war damals noch wenig entwickelt. Fritz Maschke war zunächst Mit- glied eines christlichen Jünglingsvereins, lernte dann die Arbeiter- jugendbcwegung kennen und schloß sich ihr an. Durch seine Jntelli- genz und seinen Fleiß wurde Fritz Maschke nicht nur der Leiter und einer der besten Vorkämpfer unserer Berliner Organisation, sondern auch ein geachteter Führer der deutschen Jugendorganisation. Wenn wir heute an den damals 22jährigen Fritz Maschke zu- rückdenken, der so plötzlich von uns ging, so tun wir es mit dem Wunsche, daß unsere Arbeiterjugend diesem selbst- losen Kämpfer noch st reden möge. Die Arbeiterjugend wird heute an seinem Grobe einen Kranz ntcberlegen._ Gin verhännnksvoller Schuß. Schreckenskak eine« jähzornigen Taubevfreundcs. Wegen einer im Jähzorn verübten Tat hatte sich gestern vor der Ferienstrafkammer des Landgerichts I der Lehrenbauer Jürgen von Kaminietz zu verantworten. Die Anklage warf dem Angeklagten die Schuld für eine dem läjährigen Schüler Bruno Grüneberg zu- gefügte Körperverletzung vor, die zur Folge hatte, daß G. auf beiden Augen erblindete Der in dem Hause Liesenstraße 10 wohnhafte Anaeklagte be« schäftigt sich schon von Jugend auf mit der Zucht von Rassetauben, von denen er einige 60 Stück auf dem Baden des genannten Hanfes untergebracht hat. Wie er vor Gericht erklärte, seien ihm diese Tier- che» sehr lieb geworden. Um so mehr habe er sich geäraert, wenn ungezogene junge Bursche» mit Steinen warfen und mit Katapulten nach den Tauben schassen oder ihm„Taubenfritze" nachriefen. Am 11. Juli v. I., so behauptet der Angeklagte, hätten wieder mehrere Jungen, unter ihnen der jetzige Zeuge Grüneberg, vom Nachbar- dache aus noch den Tauben mit Steinen geworfen. Der Zeuge G. und andere bestritten dies und behaupteten, daß der Angeklagte sie erst mit einem Teschin bedroht und dann mit einem zwciläufigen Jagdgewehr einen Schuß auf sie abgegeben babe Dieser Schuß hatte, wie Augenarzt M a s s u r vom Birchow« Krankenhaus bekundete, die furchtbare Wirkung, daß Grüneberg auf beiden Augen erblindete und stets blind bleiben wird. Die Behauptung des Angeklagten, daß er nur mit einem Selbstschuß- apparat einen Schreckschuß abgegeben habe, wurde durch dos Gut» achten des gerichtlichen Sachverständigen, Waffenfabrikant Otto Bock, an der Hand der Röntgenaufnahme widerlegt.— Der Vertreter der Anklage beantragte mit Rücksicht auf die außerordentlich schweren Folgen, welche die im Jähzorn verübte Tat des Angekla"�»
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Die Rächer.
Roman von Hermann Wagner. Wieder warf sie mit einem Ruck den Kopf hoch.«Oh, rief sie lachend aus.„mein Haar!" Sie eilte zum Spiegel, um ihre Haare, die herabgefallen waren, wieder lose aufzustecken. Er sah im Spiegel Ihr Gesicht, das in einer stummen Sprache zu ihm redete, in einer Sprache, die er verstand und um derentwillen er diese Frau verabscheute. „Bin ich schön?" fragte sie. „Fa," antwortete er,„aber ick begreife doch nicht, wieso Sie jemandem zum Berderben werden konnten." Sie blieb von seiner Beleidigung unberührt und blickte überlegen über ihn hinweg, so» als ob er ein Schwätzer wäre, der sie im Augenblick amüsierte.„Ich glaube es Ihnen, dag Sie das nicht begreifen. Ihre Formel ist sehr einfach. Sie sind kein Mann." „Oho!" drohte er ihr. „Kein Mann," wiederholte sie, ihn unter einem mit einer graziösen Gebärde besänffigend.„Ihr herrisches Gebaren tauscht mich nicht. Es bestätigt mir nur, daß Sie im Innersten schwach sind" Er lachte raub auf.„Oh. ich würde es schon aus mich nehmen, Sie zu zähmen." Sie wandte sich ihm zu. ließ beide Arme herabsinken und sah ihn, sich ihm gleichsam wehrlos preisgebend, vcll an.„Dos würde Ihnen nie gelingen. Ich fürchte Sie nicht. Rein." „Bielleicht werden Sie es noch lernen, mich zu fürchten!" Ihre Augen schimmerten in feuchtem Glanz.„Wie,... wie wollten(sie das zuwege bringen?" fragte sie leise. Er forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen und rückte seinen Stuhl nabe an den ihren heran. »Ahnen Sie es noch nicht, daß ich Ihre— Bergangenheit kenne?" fragte er. „Ich weiß es," sagte sie mit einer Ruhe, die ihn seltsam fiackte.„Ich wußte es von dem ersten Momem an, als ich Sie ah, und doch fürchte ich Sie nicht. Was können Sie mir tun?" „Ich kann Ihnen überallhin folgen,— wie ein Sckatten." „Ich fürchte auch keinen Schatten." sagte sie.„nein, Ihr Schatten würde mich nie erschrecken, nie!" „Mein Schatten würde zu Ibrem Gewisien werden," mahnte er sie.„Schreckt Sie auch Ihr Gewissen nicht?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ein Mann sitzt für Sie im Gefängnis," fuhr er fort,„und büßt dort Ihre Schuld,— noch zehn endlose Jahre muß er büßen, muß er warten und sich sehnen,— Tag für Tag, Monat für Monat, Jahre hindurch... Wissen Sie, was das heißt?" „Wisien Sie es?" gab sie zurück. „Ich weiß es," sagte er mit abgestorbener Stimme,„oh sa." Ihre Augen weiteten sich, wuchsen in einem trüben Staunen.„Sie—?" Da verlor seine Stimme mit einem Male olles Drohende, ste wurde leise und war doch voll eines maßlos Schweren. „Ich war mit ihm zusammen,— verstehen Sie mich?—: mit ihm!... Und es gab keinen außer meiner, den er hatte, wie auch er der einzige war, der mir geblieben war. Er war mehr als mein Freund, denn was bedeuten an jenem Ort Begriffe wie: Freundschaft?!... Er war ein Stück meines Körpers. meine Seele war ein Teil von ihm. Es gab keine Falte in dem Herzen des einen, die der andere nicht kannte,— wir liebten einander, wir waren eins!" Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und schwieg eine Weile.„Und dann durfte ich plötzlich gehen, ich war frei... Nie werden Sie das begreifen, was es heißt: frei sein! Es heißt, wieder leben dürfen, wo man dock schon tot war, wieder atmen können, wo sich einem doch schon eine harte Faust für immer um die Kehle gelegt hatte... Ich durste geben, und er blieb zurück,— blieb ollein zurück, wie auch ich allein gehen mußte und bis heute allein geblieben bin!" Er löste die Hände wieder vom Gesicht und sah sie an. „Verstehen Sie jetzt, wer ich bin und wie ich zu ihm und zu Ihnen stehe?" „Ich weiß nur, wie Sie zu ihm stehen," sagte sie.„Aber wie steben Sie zu mir?" „Ich bin da, um Sie an ihn zu mahnen, um Ihnen zu lagen, daß er noch lebt, daß er sich nach Ihnen sehnt und daß Sie auf ihn zu warten haben." „Wie lange noch," sagte sie traumhaft,„noch zehn lange Jahre? Dann bin ich alt." „Ja," sagte er,„und doch müsien Sie warten,— denn er hat soviel für Sie getan, wie kein zweiter Mann für Sie tun würde!" Sie legte die halb verglommene Zigarette in den Aschen- becher und drückt« sie aus.„Er hat mich geliebt," sagte sie, „deshalb hat er es getan..
„Und Sie? Haben Sie ihn nicht geliebt?" „Ich habe nur meinen Mann gehaßt,— das mar alles... Der andere hat mich von ihm befreit. Dafür war ich ihm dankbar. Wir sind qustt." „Sie sind kalt und grausam," sagte er mit pochendem Herzen, denn ihm war, als müsse es ihm gelingen, sie zu überzeugen.„Denken Sie nicht daran, was er leidet?" „Er büßt, was er getan hat." „Waren Sie es nicht, die ihn dazu getrieben hat, es zu tun?" Sie wurde rot und ballte zornig die Fäuste.„Hat er Ihnen das gesagt?" „Mehr noch," versetzte er und hatte die Empfindung, daß er eine Wolfsgrube bereite, in die sie unrettbar hineinstürzen mußte,„er hat mir Beweise gegeben." Sie biß sich auf die Lippen.„Beweise?" Seine Haltung nahm etwas Hinterhältiges an.„Es existiert ein Brief von Ihnen, der beweist oder es zum min- besten wahrscheinlich macht, daß Sie bei jener Tat damals die treibende Kraft waren... Ja, dieser Brief ist vorhanden. Zu Ihrem Glück lag er dem Gericht, das damals gegen Sie verhandelte, nicht vor. Sonst süßen Sie"— er lächelte düster— „jetzt wobl nicht hier!" Ihr Gesicht war verzerrt und sie kämpfte mit dem Atem. „Wo,... wo ist dieser Brief?" flüsterte ste. „In meinem Lositz," sagte er langsam und kostet dies« i Minuten ihrer Angst voll aus,„in meinem sicheren Besitz. „Und er,... er hat Ihnen... diesen Brief gegeben?" „Er befand sich an einer sicheren Stelle," antwortete er ruhig,„an einem Ort, von dem ich ihn, als ich in Freiheit war, abzuheben hatte... Das habe ich getan. Mein Luftrag ist es, ibn zu verwahren. Ich erfülle meinen Auftrag." Sie schrie plötzlich auf, so laut und in einem Ton so tief- gründiger Qual, daß er bis in seinem Innersten erbebte. Sie war aufgesprungen und hatte sich, wie um ihm zu entfliehen, zur Tür gewendet, war aber vor dieser wieder jäh umgekehrt und hatte sich auf die Ottomane geworfen. Sie lag mit dem Gesicht nach unten und schluchzte. Ibr Weinen erschütterte ihren ganzen Körper. Es rang sich stoß» weise aus Ihr empor, es überflutete sie, wie ein tosend hervor- brechendes Gewitter eine lechzende Landschaft überflutet. Und mit einem Male,— so, wie sich einem Menschen, der sein Leben lang gehungert hat. ein Traum erstillt.— mit einem Male ging ihm auf, wie schön sie war.(Forts, folgt.