Nr. 347 �3S. Jahrgang
Heilage öes vorwärts
Vienstag, 24. Iutt142I
Rätefpstem und Parteiprogramm Von(Et. Norpel. Bei biefer Gelegenheit sei die Bemerkung nochgeholt, die auch für kommende Aufsätze über den Programment- wurf gilt, daß solche mit Namen gezeichnete Artikel selbst. verständlich nur die Meinung des Verfassers dar- stellen. Wir hallen es für unsere Aufgabe, von den uns reichllch zugehenden Betrachtungen über den Entwurf die sachlich Bemerkenswertesten wiederzugeben und lassen uns von dem Grundsatz lellen, daß eine Programmdebatte zu allerletzt irgendeine Art von Zensur verträgt. Red. d..Vorwärts". Im Programmentwurf befindet sich ein Absatz: �lblehnung jeder Diktatur einer Minderheit und der Per- drängung der demokratischen Volksvertretung durch berufsständische Organisationen. Ausgestaltung des wirtschaftlichen Räte- fystems, durch dos die Arbeiter und Angestellten die Mitbestimmung im Wirtschaftsleben erHollen." Bei der Abfassung dieser Sätze des Programms ist der Grundsatz der Klarheit keinesfalls durchgeführt worden. Wenn mit dieser For» Musterung ausgedrückt sein soll, die zu schaffenden Bezirkswirtschofts. röte und der Reichswirtschoftsvat sollen m die Befugnisse der demo- kratischen Volksvertretung in keiner Weise ewgreisen dürfen, und da» gegen hat doch kein wirklicher Sozialdemokrat etwas«inzuwenden, so ist eigentstch nicht einzusehen, warum man nicht dem Satz«in« dem- entsprechende eindeutige Formusterung gegeben hat und jeden zwingt zu roten, was eigentlich gemeint ist, wobei noch die Gefahr besteht, daß tue verschiedenartigsten Schlußfolgerungen gezogen wer- den können. Noch unklarer ist jedoch der zweite Satz, in welchem auf einmal die Ausgestaltung des„wirtschaftlichen Rätesystems" unmittel- bar hinter der Ablehnung der zu schaffenden Rätekörperschaften ge- fordert wird. Auch hier könnte jedes Mißverständnis ausgeschaltet werden, wenn man sich entschließt, die Ding« wirklich beim richtigen Namen zu nennen und ganz einwandfrei zu sagen, was man will und was man nicht will. Der„wirtschaftliche" Soziastsmus hat den posttischen Soziastsmus zur Voraussetzung oder, um es ganz klar auszudrücken: Wirtschaft- licher und politischer Sozialismus sind untrennbar miteinander oer- knüpft und verbunden. Es ist unmöglich, den Begriff Sozialismus in Einzelteile zu zerlegen und ihn wirtschaftlich anzuerkennen, politisch aber nicht. Ebenso verhW es sich aber auch mit dem Rätesystem. Es soll hier nicht um Wort« gestritten werden, aber die im Grunde doch verkehrt« Auffasiung, daß im Artikel 168 der Reichsoersasiung das „wirtschaftliche Rätesystem" verankert sei, hat mnerhalb der Arbeiter- schaft bisher nur dazu geführt,' allerlei Verwirrungen anzurichten, smd doch jetzt noch bestimmt« Kreise der Arbeitnehmer der Auffasiung, daß beispielsweise bei der Bildung der Bezirkswirtschaftsräte und des Reichswirtschaftsrotes die Betriebsräte den Wohlkörper abgeben müssen, um eben die Durchführung des wirtschaftlichen Rätesystems wenigstens äußerlich organisatorisch sicherzustellen und dem Proletariat zu beweisen, daß aus der Revolution doch da»«Räte- iystem", wenn auch nur in wirtschaftlicher Beziehung, hervorgegangen ist. Das alles ist aber«ine Selbsttäuschung. Das wirtfchoslliche Rätesystem Hot unter allen Umständen die Anerkennung und Durch- führung des politischen Rätesystems zur Voraussetzung. Wir werden ober nicht von politischen Räte« regiert, sondern wir haben ein« demokratische Reichsoersasiung und ein Parlament. Ebensowenig wie es daneben ein politisches Rätesystem geben kann, kann auch von einem wirtschaftlichen Rätesystem nicht mehr die Red« sein. Warum asio diese Vorspiegelung von Begrisfen, die in Wirklichkeit geradezu unmöglich und doch nur geeignet sind, in ungeschulten Köpfen Verwirrung anzurichten. Di« Besugnlsie der zu schaffenden Wirtschaftskkirperschaften können nur da über ein« gutachtlich« Tätigkeit hinausgehen, wo durch Ge- fetze, welch« der Reichstag befchsteßt, Kontroll- und Verwoltungsauf- gaben für die Wirtschaftskörperschaften gegeben sind, so daß diese in der Hauptsache die Sicherung der Durchführung der Gesetzt im Sinne des vom deutschen Volt« gewählten Reichstages darstellen.' Dies« Ent- wicklung widerspricht nicht der in dem Programmentrvurf letzten
Ende» ausgestellten Forderung, und man sollte diesen Gedanken ganz klar herausarbeiten. Deshalb wollen und müsien wir uns trotzdem mit aller Energie für den Ausbau des Betriebsrätegesetzes und die Uebettragung der Rechte aus demselben auf alle Arbeitnehmer, nicht nur für bestimmte Schichten, einsetzen. Die vorgeschlagenen Aenderungen bedeuten daher in gar keiner Weise etwa ein Abschwenken noch rechts, sondern nur eine konsequente Darstellung der Dinge, wie sie wirklich sind. Daß„die Arbeiter und Angestellten", die Mttbe- stimmung im Wirtschaftsleben erhalten, ist ebenfalls nicht sehr er- schöpfend ausgedrückt, da dann auch erst wieder innerhalb unserer eigenen Reihen die Frage geklärt werden müßte, wer Arbeiter und Angestellter ist, denn daß z. D. auch Herr Stinnes wirtlich arbeitet, wird im Ernst niemand bestreiten wollen. ZDian hätte dafür lieber in das Programm aufnehme« sollen, daß wir u«s mit der pari- t ä t i f ch e n Zusammensetzung der Wirtschaftskörperschaften«us Grund des Artikels 168 der Reichsoersasiung nicht einverstanden er- klären und daß wir eine Umgestaltung dieser Körperschaften nicht nach einem paritätischen, sondern wirklich demokratische» Prinzip fordern. Dann würde sich auch als selbstverständlich ergeben» daß nicht nur die Arbeiter und Angestellten, sondern auch die freie« Berufe, die Beamten, sogar die Unternehmer, also alle Staatsbürger gleichberechtigt im Wirtschaftsleben mitzuwirken haben.
Groß-Berlln Das kurze Kleiö. Die Mode der kurzen Damenkleider soll abkomme«, so orakelt es schon seit geraumer Zeit durch die Blätter der Mode. In allen Ländern, so orakelt eS weiter, ist ein Anwachse« der Sittlichkeit zu spüren. Das lange Kleid, das bis auf die Füße heruntergebt, ist die Sittlichkeit, das kurze Kleid, da» die Beine frei läßt, ist die Sinnlichkeit. Die aber— nur der Hamburger kann das Wort in seiner ganzen Schönheit aussprechen,— ist un— ans— tändig. Das kurze Kleid ist zurzeit noch modern, und die Mode zwingt. Und dieser Zwang ist manchmal«in Unglück. Zum Beispiel h«t da ein Mädel Beine, die gleich über deu Knöchel« rund und gerade wie eine Ofenröhre ansetzen. O. wie schämt sich die Arme, daß fi« solche Beine hat. Aber was kann sie dafür? Die Natur hat sie mal so geschaffen und die Mode verlangt, daß sie zu ihren dicke« Beinen kurze Kleider trägt. Und den Herren, die so was zu sehen bekommen, kämpfen sich sämtliche GefichtSmuSleln zusammen und da« Wort Sinnlichkeit ist für sie i« dem Augenblick sinnlo». Sie haben nur einen Gedanken: mi«S. Und doch kann das Mädel ein herzlich lieber und guter Mensch sei«. Aver die Herren sehe« doch nun mal so sehr nach den Beinen. Oder ein anderer Fall. Da hat so ein armeS Wurm kein feste» Knochengerüst mitbekommen und die Beine haben sich nach außen gerundet. Niemand würde das gewahr werden, wenn das Kleid die Beine schämig bedeckt«. Nun aber ist die Mode der kurzen Röcke da und auch dieses Mädel trägt kurze Röcke. Kann sie sich wundern, wenn ein ganz boshafter Herr— ach wa» Herr, ein Kerl— ziemlich laut sagt:.DaS Mädel mit den Dackelbeinen! DaS klingt beinahe wie der Titel einer Operette»der eine» KilmS. Aber die andern mit ihren normalen Beinche«, die Mädelchen und die hübschen Frauen, haben eS gut. Sie schreiten so sicher, so siegesgewiß, denn ihre Beine nnd Waden sind vollkommen normal, setzen über den Knöcheln schmal wie«in« Taille«n und heben sich empor in köstlich sanftem Schwung, den dann ein neidischer Rock einfach abschneidet. Und über diese künstlerisch schön ge- formten Beine zieht man dann einen jener feinmaschigen und ach so teure» Strümps«, die mehr enthüllen als verbergen, aber doch noch genug verbergen, um den verliebten, vernarrten Kerlen die steinen Fleckchen und Pickelche« und— hm— Flohstich« zu verheimliche«... Ach wa«. Kerle, da» find verliebt« Herrlein, die dem zierlichen Klipp-klapp, Klipp-klapp vom Alexanderplatz bis zum Ringbahnhof Frankfurter Alle« nachlausen könne». Iln�doS soll nun aufhören, daß die ziere« Mägdelei« da» zierliche Bein zeigen. Natürlich, die Zimmer-»nd Maurermeister und Architekten für fittlichen Wiederaufbau, die Herren Postoren
und Zensoren schimpfen gransam über die unfittlich« Mode. Ihre Mama« aber und ihr« unfinnlich gezeugten Töchter müssen, wie die germanische Heldin ThuSnelda , mit so langen Kleidern über die Straße gehen, daß sie alle Roßäpfel auseinanderfegen, würden, wenn... Wenn fich'S die Dame« gefallen laffrn. Zunächst ober hat man daS Dirndlkleid, in dem alles so hübsch rund und bunt und gesund aussteht und dos ma« wirklich kurz tragen muh. Dazu aber braucht man weder Hnt noch Schleier noch Handschuhe«och Sonnenschirm. Man geht daher, wie man ist. Und da«an. jung ist oder sich jung fühlt, und da man ein Paar hübsche Waden hat, und tanzen kann und überhaupt ein ganz patenter fescher Kerl ist so kann e» eben gar nicht fehlen. Und das kurze Kleid, da» gibt man»och lang« nicht auf. Nun erst recht nicht I Schrum» I
deutsch« Offizier unö belgisch« Chauffeur. Ein Zusammenstoß vor dem Eontmental-Hotel. bei weichem«i« als Mitglied der Interalliierte« Kommission in Berlin weilender belgischer Ehausfeur Smet von dem Hauptmann a. D. von Poc- z e n s k i beleidigt worden war, beschäftigt augenblicklich da« Sammergericht. Der Beschuldigte v. P. hatte vor dem an de« Eonttnental-Hotel mit seinem Wagen haltende(Ehoffeur ousgespie» und ihm das Wort„Eochon"(Schwein) zugerufen. Wegen dieses Vorfall» stellt« General Rollet als Chef der Inter - alliierten Kommission Strasantrag««gen Beleidigung und zwar in franzö sticher Sprach«. Das Schöffengericht kam auf Antrag d« Rechtsanwalts Bahn zu einer Einstellung des Verfahrens, da ei» in fvanzöstscher Sprache bei einem deutschen Gericht gestellter Straf» antraq ungülttg sei, weil nach dem Gerichtsoersassungsgesetz die Ge» richtssprache die deutsch « Sprach« sei. Mit demselben Recht kam, sonst jemand«inen Strasantrag in Sanskrit»der in dem altindische* Pali stellen und es dem Gericht überlassen, sich mit Hilf« einiger Sprachforscher ein« Uebersetzung zu beschaffe«. Aus die Berufung der Staatsanwaltschaft stellte die Strafkammer aus denselben Gründe« das Verfahren gleichfalls«in. Offenbor auf Anweisung von höherer Stelle legte die Staatsanwaltschaft auch noch Revision beim Kammer- gericht ein. Hier macht« der Verteidiger aeltend, daß General Rollet als französischer Offizier für«inen belgische« Soldaten«icht Straf. anttag stelle« könne. Ferner habe sich der Beleidigte zurzeit des Vorfalls gar nicht im Dienst befunden, so daß auch aus diesem Grunde nicht«in vorgesetzter des Srnet, sondern nur dieser selbst den Straf- an trog stellen konnte. Das Kammergericht beschloß über diesen letzte« Punkt neue Beweiserhebunge« von der Staatsanwaltschaft vornehmen zu lasse»._ Zu Unrecht beschuldigt. Ein frtiher ungarischer Volkskommissar unter der Anklage des Mädchenhandel«. Di« Voruntersuchung gegen den früheren Kommisiar der Pro- pagandaabteilung der ehemaligen ungarischen Röteregierung Martin G o l d s ch m i d t, deffen Aufsehen erregend« Verhaftung im De- zember 1920 gemeldet wurde, ist nunmehr geschlossen worden. Goldschmidt war, wie berichtet, zusammen mit vier anderen Aus- länder» in einer Pension des Westens, in der er als angeblicher „Varon Irsa« Eöivös" war, unter dem Verdacht des Mädchenhandels festgenommen worden. Auch S ch e jk- f ä l s ch u n g e n wurden ihm zur Last gelegt: so sollt« er u. a. in Hamburg ein Vrillantkollier im Werte von 180000 M. mit einem gefälschten Scheck auf die Bank von Boston bezahlt hoben. Di« um- fangreichen Ermittlungen der Untersuchungsrichter in Hamburg und am Landgericht Berlin III haben die Haltlosigkeit der meisten Be« schuldigungen ergeben: insbesondere ist Goldschmidt wegen de« Mädchenhandels auß er Verfolgung gesetzt, da sein« Angabe, er habe mit weiblichen �Personen, die er auf der Reis« kennen gelernt, Beziehungen angeknüpft, aber niemals die Absicht gehabt, sie ins Ausland zu verschleppen, nicht widerlegt werden konnte. Den Deck- namen will er sich beigelegt haben,«eil die ungarischen Behörde« auf ihn fahndeten. Da die Auslieferung politischer Verbrecher unzu- lässig ist, haben nunmehr die Rechtsanwälte Dr. Kurt Rosenfeld, Dr. Riemann und Dr. Harry und Kurt Pincus die Haftentlassung Goldschmidts beantragt. Die Entscheidnng ist in Kürz«. zu erwarte«.____ Ter„Herr Revis»r". Ein alter Betontster der Moabiier Gerichte gab gester« wieder ein« Gastrolle, und zwar dieses Mal vor der Ferienfkafkammer des Landgericht» II. Es handelt« sich um den vielfach vorbestrafte, Werkmeister Paul Wichmann, deffen mtt großer Dreistigkeit aus-
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Die Rächer.
Roman von Hermann Wagner. Sie stiegen aus, und die hallenden Geräusch« unter der Kuppel der eisernen Bogen war ihren Ohren Musik. Di- Luft, die ihnen draußen entgegenschlug und sie im ersten Augenblick gleichsam betäubte, diese Zusammensetzung aus allen möglichen Düften, die nichts Reines mehr an sich hatten und die doch ein eigenes Ganzes und für sich Bestehendes waren,— sie atmeten sie mit gieriger Lust, und sie belebt« sie im Moment, so daß alle Müdigkeit und alle Abspannung von ihnen abfiel und der Wunsch in ihnen lebhast wurde, sich noch an diesem Abend in jenen geisterhaften Strudel zu werfen, de? mit gedämpftem Lärm und in der grellen Bläffe künstlichen Lichtes durch die nächtlichen Straßen der großen Stadt fegt. Allein nur Reisner gab diesem Drang nach und suchte noch, kaum daß er sich im Hotel gewaschen und umgekleidet hatte, eines d-r großen Caf�s im ersten Bezirk auf. Dort verweilte er über eine Stund« und war überaus zu- frieden, so wie sich ein Mensch nur wohl fühlen kann, der noch langem, zwecklosen Umherirren unter fremden Menschen, die ihn nicht intere sieren, wieder daheim zwischen den ihm bis ins kleinste DetaU vertrauten vier Wänden sitzt. Hier, wo er saß, und draußen zwischen den lichtbehangenen Mauern gab es zwar keine Wahrheit, dafür eine bestrickend geschminkte Lüge, hier gab es keine Natürlichkeit, dafür ge- fällige und anschmiegsame Formen, mit einem Wort: den Schein, der zwar keinen Wissenden blendet, noch blenden soll, der aber, weil er so bequem sit, dem rastlos Hetzenden wohl- gefälliger ist als die Wirklichkeit, über deren Ecken und Kanten man jeden Augenblick stolpert. Sie blieben zwei Tage in Wien und verwandten diese Zeit darauf, in dem halben Dutzend der pompösen Straßen umherzuschlendern, ihre Sinn« durch das Erlesene der zur Schau gestellten Dinge reizen zu lassen und von dem und jenem nippen und zu naschen, obne dabei auch nur«in Gericht is zum letzten Rest zu verzehren. Sie machten Einkäufe, fuhren in den Prater , saßen lässig und zufrieden in den Restaurants, jener Freude hingegeben, die es einem von Zeit zu Zeit macht, wenn man wahllos und ohne zu rechnen viel Geld ausgibt.
Reisner überhäufte Lucie mit Geschenken. Er setzte seinen Ehrgeiz darein, sie, die doch recht verwöhnt war, zu ver- bluffen. Er zeigte bei dieser Gelegenheit, daß er Geschmack und Phantasie hatte, und es machte ihn sehr stolz, wenn er wahrnahm, daß sie das merkte. Ihm war. als ob er in solchen Augenblicken- wo sie ihn mit einem dankbare« Blick der Anerkennung und Bewunderung lobt«, wachse. Sein Ton ihr gegenüber wurde freier, beherrschter und war doch von jener sich beugenden und fast demütigen Zärt- lichkeit durchsetzt, die die einzige Art ist, der' schöne und über- legene Frauen sich unterwerfen. So ergab sich allmählich jene» uralte Verhältnis zwischen ihnen, in dem der Mann scheinbar der Führende sit, während er in Wirklichkeit doch geführt wird. Reisner verlieh das eine starte Sicherheit. Er lachte jetzt des Alten in Meran , deffen Einfluß, wenn er wirklich bestanden hatte, nun endgültig ausgeschaltet war. Reisner wurde nun ungestümer und drängte darauf, daß auch Lucie das ihre tue, um ihrer beider Hochzeit zu befchleu- »igen.„Ich bin kein Jüngling mehr."' meint« er,„der ein« Lust darin findet, endlos zwischen Hangen und Bangen zu schweben. Mich drängt olles zur Ruhe und Klarheit. Wenn du mir gehörst, dann sollst du mir ganz gehören, nur mir allein, und dann sollst du e» mir sagen." Da legte sie die Arme um ihn. und sie tat da» ganz anders als früher, ein Zug von resier Frauenhaftigkeit und von Stolz und von vertrauen war an ihr:„Freilich gehöre ich nur dir, und auch ganz. Wem sonst? Am gleichen Abend begegneten sie im Wandelgang eines Theaters Herrn von Webenau. Dieser sah zuerst nur Lucie, war auf da« höchst« über» rascht, wurde sehr rot und verlegen, trat dann aber doch auf sie zu, um ihr die Hand zu tüffen. Sie lächelte nachsichtig und sagte ihm ein paar Wort« konventioneller Höflichkeit. In diesem Augenblick trat auch Reisner hinzu, und Her? von Webenau, als er ihn erblickte, verfärbt« sich und bot«in Bild bemitleidenswerter Hilflofigkett, die sich noch steigerte. als Reisner, der den jungen, eleganten Mann richtig ein- schätzte, Lucie mit einer nachlässigen Handbewegung als sein« Braut vorstellte. Herr von Webenau fand, wie die verlobten richtig ver- mutet hatten, nicht die Faflung und die Kaltblütigkeit, dt«
nötig gewesen wären, wenn er dem Paar hätte verachtungs» voll den Rücken drehen wollen. Er stotterte vielmehr einen Glückwunsch, verbeugt« sich mit verzerrter Miene und verschwand in der sich drängenden glänzenden Meng«. „Ein gutes Omen," sagte Reisner.„Die Menschen sind all« feig, wenn man sie im richtigen Moment fest in der Hand hat. Gegen die banale Selbstverständlichkeit, und wenn sie ihn auch zermalmt, rennt selbst der nicht an, der außerordent» lichen Ereignissen gegenüber ein Held ist." Im Schlafwagen des Rachtschnellzuges legten sie die Reise nach Berlin zurück. Reisner schsief gut und traumlos. Diese letzt« Nacht war für ihn der Vorhang, den er hinter einem nicht sehr beträcht- lichen Abschnitt seines Lebens endgültig zuzog und den er nie mehr lüften wollt«. Luch das Berlin , in dem er am nächsten Morgen erwachen würde, war für ihn nicht mehr das alte. Er sah es mit neuen Lugen. Und fein Boden war ein Grund, der unter ihm nicht mehr wanken konnte. Zehn Minuten bevor der Zug in den Anhalter Bahnhof einfuhr, trafen sich Reisner und Lucie im Gange des Schlaf« wagens. Ihr« Gesichter waren frisch, und ihre Augen hatten den Glanz mühsam verhaltener Erwartung. Roch ehe der Zug kn de? düsteren Halle zum Stehen ge- kommen war. öffnet« Reisner die Tür des Wagens. Er sprang ab, lachte und hielt ihr beide Hände entgegen, so daß sie gleichsam in seine Arme siel. Protop übernahm das Gepäck und sorgte für ein Auto. Sie fuhren zum„Hotel Adlon ", in dem Lucie für die nächsten ~ w»■"'.........
Tage Wohnung nahm, und trennten sich dann. „Wohin?" fragt« Prokop, der mit dem Ehausfeur vor dem Portal wartete. „Räch Hause," rief Reisner.„aber schnell!" Der Ebaufteur fuhr rascher, als ihm erlaubt war, und jeder dumpfe Drummer, den die Hup« von sich gab, erschien Reisner wie«in Signal der Freud «. Er fand sein Haus stumm und«infam, mit verschlossenen Türen und herabgelassonen Rolläden, wie in einem tiefsn 84« befangrn. � �