Nr. 274.
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für 1894 unter Nr. 6919.
Vorwärts
11. Jahrg.
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Sonnabend, den 24. November 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!
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burch die Energie der Arbeiter Desterreichs gezwungen, endlich oder vielmehr wie Hohenwart plant, Arbeiterabtheilungen als Ernst zu machen mit der Wahlreform oder vielmehr mit deren Adnere der Handels- und Gewerbekammern zu akzeptiren. Die Gegegensätze spigen fich in Desterreich zusammen. Berathung. Seit einem Monate jagt eine Konferenz die andere, Als Selbstverwaltungskörper wären vernünftig eingerichtete Ara Der Bestand des Koalitionsministeriums Windischgräz zählt und ein so schlechtes Geissen haben die Herren, daß am letzten beiterkammern gewiß sehr erwünscht; aber eine Schwindel Sonntag das Ministerium des Innern am Judenplay von einem einrichtung, die nur als politischer Wahlapparat zu fungiren vielleicht nur noch nach wenigen Wochen und der des Polizistenaufgebot beschützt war, als tagte da drin eine sozialdemo- hat, wird heute als absurd zurückgewiesen. Aber abgesehen von Parlaments blos nach Monaten. Die österreichische Sozial- fratische Bersammlung und nicht ein Konventikel der Exzellenzen. Aber den Arbeitern ist der Plan auch eine blanke Unmöglichkeit, demokratie ist die Siegerin, denn die Reihen der Gegner alle Beratbungen ergeben nichts anderes, als die völlige Impotenz der weil, wie schon einmal ausgeführt, es nicht angeht, einigen find verwirrt, zum Theil auch schon in voller Auflösung. Regierung die Reform durchzuführen, von deren unausweichlicher Hunderttausend Lohnarbeitern ein politisches Recht zu geben, Einig, fest und zielbewußt steht dem Ministerium und der Nothwendigkeit alle Welt in Desterreich durch die Arbeiter über- Millionen von selbständigen Handwerkern und Bauern aber Bourgeoisie die österreichische Sozialdemokratie gegenüber. zeugt wurde. Ta ihnen das liet fte wäre, garnichts zu machen, rechtlos zu belaffen. Die Neue Freie Preffe", das Organ der Alle Parteien sind mit dem Ministerium darüber einer bilden die Berathungen eine Minuendolizitation, das Projekt, Bourgeoisintelligenz und der Börse, bemüht sich in einer Weihe Meinung, daß die österreichische Wahlrechtsbewegung heute ein das den Rechtlosen am wenigsten bietet, ist jedesmal Favorit. langathmiger und schwungvoller Leitartikel, diese Wahrheit zu Faktor ist, mit dem jede Gewalt ernstlich rechnen müsse, Im April war die Regierung selbst mit einem Vorschlage auf beweisen, welche die Arbeiterpresse seit Auftauchen des absurden getreten, den sie leitende Grundsäge zur Wahlreform" nannie Planes schon vor Jahren furz und energisch aussprach. Die wenn sie sich nicht selbst das Todesurtheil schreiben und der eine Kurie von 43 Abgeordneten enthielt, zum größten Regierung selbst spielt die kläglichste Rolle. Ihr Schicksal ruht wolle. Kein politisches Kind hält es noch für möglich, Theil auf indirekter Wahlmännerwahl beruhte und den fleinen in den Händen des Grafen Hohenwart, ihrem Schöpfer und derdie Arbeiter länger hinzuhalten. Alle wollen die Wahl- Steuerzahlern, den versicherungspflichtigen Arbeitern sowie einigen zeitigen Wortführer der böhmischen Feudalen. So muß die Rerechtsbewegung zum Abschluß bringen, aber kein Faktor in Kategorien von kleinen Angestellten das Stimmrecht gab. Das land: gierung einerseits versuchen, den Polenklub zu überzeugen, daß der herrschenden Klasse will etwas bewilligen, was seinen wirthschaftliche Praletariat auszuschließen, das war der Haupt- er ihre eigenen leitenden Grundfäße fallen laffe, und andererseits eigenen Machtbestand schädigte. Jeder, dem man ein bis zweck Der Vorschlag wurde von den Arbeitern begreiflicherweise muß das Kabinet, in dem Plener sitzt, dem Grafen Hohenwart zum Lebensende sicheres und erbliches Abgeordnetenmandat mit Hohngelächter, aber auch von den Koalitionsparteien sehr flar machen, daß die Plener'schen Arbeiterkammern nichts taugen fühl aufgenommen. Graf Hohenwart , der Führer der Klerifalen, und undurchführbar sind. Die Minister wie die Parteien laufen garantiren würde, wäre bereit, die größten Bugeständnisse der Schöpfer und Echußpatron der Koalition, machte damals einen rath- und planlos durcheinander, alle Gänge find erfüllt mir zu machen. Dies geht aber nicht, das wissen alle eben sehr komplizirten Gegenvorschlag, der schon darum unannehmbar Gerüchten und nur zwei Dinge sind klar, daß eine Wahlreform so genau, wie sie sich darüber klar sind, daß eine war, weil er das föderalistische Steckenpferd der indirekten gemacht werden muß und zwar bald, und daß die Re Bresche in dem künstlichen Bau der Interessenvertretung Wahl durch die Landtage wieder aus dem Winkel zog. Die Regierung bis jezt keine Ahnung hat, wie sie sie machen soll. über turzem den ganzen Bau zum Zusammenbruch bringen gierung ließ beim geringsten Widerstande ihr Projekt fallen und Die Arbeiterschaft sieht hohnlächelnd zu, wie die Koalitions= Eine kurze Pause gönnt sich die und die Auflösung der alten Parteien beschleunigen muß. während des Sommers heckte Hohenwart einen neuen Plan aus, regierung abwirthschaftet. Eo sucht nun jede Partei, und jede Gruppe in jeder der eigentlich ein sehr alter war eine Kurie der Industrie Wahlrechtsagitation, um die Koalition eine Zeit lang im eigenen Partei andere Vorschläge zu machen, die die Antrag- Arbeiter mit indirekter Wahl auf dem Wege der Arbeiter Safte sieden zu lassen. Aber die Regierung wird des Genusses tammern. Der schwarze Graf konnte nichts finden, was nicht froh, wenn sie sich auch mit den brutalsten Verfolgungen fieller möglichst wenig schädigen allen übrigen aber reaktionärer und engherziger wäre als der alte Plan der der Arbeiterschaft die Zeit vertreibt. Sie weiß, daß in wenigen ganz unannehmbar erscheinen. Die Berfahrenheit im Liberalen Plener und Gyner und auf diese liberale Grfindung Tagen lauter als je der Mahnruf an ihr Ohr dröhnen wird und Parlament und in der Regierung Desterreichs hat kein versteift sich nun der alte Erzpfaffe. Inzwischen hat der Pole daß die paar Wochen bis Weihnachten einen deutlichen, gangVergleichsmoment in der ganzen parlamentarischen Ge- Rutowski die leitenden Grundfäße" in wenig geänderter Form baren Weg zeigen müssen. Da dieser nicht das allgemeine, gleiche schichte. zu einem Gefeßentwurf ausgearbeitet und einen großen Theil des Wahlrecht sein soll, so giebt es feinen andern als die Wahl Polenflubs dafür gewonnen. Während so Kleritale und Polen reform des Grafen Taaffe, das sehen heute selbst hervorragende wenigstens einen Plan haben, wenn auch einen nichtswürdigen Staatsmänner" ein, die Taaffe seiner Wahlreform wegen gestürzt. und unmöglichen, spielen die Liberalen, die Intelligenz des Aber das zu bekennen, sind sie zu feig, und so geht die Ver Parlaments" die noch kläglichere Rolle, daß ihre einzige politische schwörung der reaktionären Parteien, genannt Koalition, der dee ist, sich an ihre Fauteuils zu flammern und so lange fißen politischen Verwefung entgegen. Nichts ist bezeichnender, als daß zu bleiben, bis sie davongejagt werden. in den letzten Tagen wiederholt das Wort„ Oktroi"," Oftroyiren" Taß Graf Hohenwart über die Arbeiterkammern nicht als einzige Rettung aus dem Wirrsal ausgesprochen wurde. Uns hinausgehen will, hat seine guten Gründe. Die Arbeiter giebt tönnte es egal fein, einen Rechtsbruch giebt es nicht, wo fein er rettungslos verloren, er sieht ein, sie sind für immer dem Recht zu brechen ist, sondern schnödestes, schmählichstes Unrecht. Teufel der Sozialdemokratie verfallen. Aber die armen Seelen Doch auch zum Oftroyiren, d. h. zum einseitigen Vera der Kleinbürger und Kleinbauern möchte er noch retten, und will ordnen von oben, gehört Energie. Und die hat man in sie darum um keinen Preis in einem Wahlkörper mit den Ar- Desterreich nie gehabt, das, wie vor jetzt gerade 100 Jahren beitern wählen lassen, behält sich vielmehr vor, fie vielleicht in schon der monarchistische Journalist Rivarol in Paris geeignetem Moment gegen seine guten Freunde, die Liberalen, auszuspielen. In seinem Gifer übersicht er nur, daß was Anno schrieb, stets um einen Gedanken, eine Armee und ein 1869 vielleicht möglich gewesen wäre, als die Jdee der Arbeiter: Jahrzehnt hinter der übrigen Welt zurück ist wenn nicht fammern auftauchte, es heute längst nicht mehr ist. Zunächst gar um ein Jahrhundert. lachen die Arbeiter einfach über die Zumuthung, Arbeiterkammern
Bedeutsam ist es auch im höchsten Maße, daß die politisch Rechtlosen die Herren der Situation sind, daß nicht vor ihren Fäusten, sondern vor der Wacht ihrer Agitation, vor der Sympathie, die sie im ganzen Volke finden, die Männer in der denkbar größten politischen Machtfülle zittern. Die Situation in Desterreich ist bedeutungsvoll nicht nur für dieses Land der Unwahrscheinlichkeiten", sondern für weit größere Gebiete. Sie verdient, mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt zu werden.
Ueber die gegenwärtige Lage der Bewegung giebt der folgende Brief unseres Wiener Korrespondenten Aufschluß
Die Wahlreform ist in eine Eadgaffe gerathen und mit ihr die Kcalitionsregierung. Nachdem Minister und Parteiführer ein volles Jahr hinter den Koulissen mit mehr oder weniger Eifer gemogelt und die Zeit todtgeschlagen hatten, wurden sie
Feuilleton.
Am Exil.
11
Sie war es noch mehr, als René ihr an ihrem Ge- ersten Bitterkeiten des Erils. Als Franzose und als Mensch burtstage, der in die Mitte des Dezember fiel, ein kleines fühlte er sich doppelt niedergedrückt. Notizbuch in russischem Leder, das in schönen silbernen Gewiß liebte man Frankreich in seiner Umgebung. [ Nachdruck verboten.] Buchstaben den Namen Annette trug, überreichte. Sie Man sprach sein Französisch, ja man dachte fast französisch. hätte vor Freude darüber singen und springen mögen, Aber schließlich war Frankreich doch geschlagen, dem Unters erinnerte sich aber noch rechtzeitig, daß ein junges gang preisgegeben. Er beurtheilte es streng, zweifelte an Roman von Georges Renard. Autorisirte Uebersetzung Mädchen von dreizehn Jahren nicht mehr so ungestüm sein seiner Zukunft und fragte sich, ob es sich wohl jemals darf. So legte sie wenigstens in ihren Blick alles, was wieder erheben werde. Es ist so selten, daß die öffentliche von Marie Runert. sie durch Bewegungen nicht zum Ausdruck bringen Meinung nicht auf Seiten der stärkeren Partei ist. Die fonnte. Dann legte sie das Notizbuch zu den kostbarsten einen, der Zahl nach die meisten, beklagten den Sturz Franks Schäßen, die sie besaß, zu den Reliquien, die ihr der Vater reichs, hielten ihn aber für unabwendbar. Die anderen, die Gleichpiel! der Sieb hatte gesessen. Ein gewiffes hinterlassen. Darauf suchte sie die Mutter zu überreden, durch alte Beziehungen oder durch neue Sympathien mit Antlig war feuerroth geworden. Doch das war dem daß sie verpflichtet wäre, Herrn Messant als Gegengabe Deutschland verknüpft waren, prophezeiten mit unvers fleinen Dämon noch nicht genug: als Annette in eine kleine Handarbeit zum neuen Jahre zu überreichen. schämtem Mitleid den Untergang der lateinischen Racen. ihrer ungestümen Art hinter dem Stuhl ihrer Rivalin vor- Erst bereitete ihr die Wahl große Schwierigkeiten, dann über wollte, blieb sie mit einem Knopfe ihrer Taille in dem umfangreichen Chignon ihrer Feindin hängen. Indem fie that, als wollte sie sich losmachen, zog sie heftig an dem Haar.
Wie albern! rief Frau Roveray, mit 27 Jahren ist man noch nicht alt.
René brauste auf, er empörte sich dagegen. Aber was entschied sie sich, ihm einen hübschen Uhrhalter zu stiden. sollte er ganz allein gegen den unwiderstehlichen Lauf des Welch' Glück, für ihn zu arbeiten und dabei zu denken, Geschickes, das die Niederlage heraufbeschworen, beginnen? daß ihr Werk in dem Zimmer, das er bewohnt, auf Er litt unter immer wiederkehrenden Zornanfällen, unter gehängt werden würde! Welch' Herzklopfen, als der innerlich blutenden Wunden. Ach, wie fehlte sie doch noch, Aber nimm Dich doch in Acht, Annette, schalt die große Tag gekommen war und Hené seine Serviette, die Solidarität, die trotz aller auseinander gehenden AnMutter, Du wirst Fräulein wehe thun. in der das Geschenk verborgen war, entfaltete. Und dann, sichten die Kinder einer Nation einigt! Welche Freude, in O Mama, da ist keine Gefahr, das Haar ist ja falsch. welche Enttäuschung! Gewiß, er hatte ja gedankt, aber denen, die man zufällig streift, eine Seele, die der gleiche Fräulein Rosa, die mit ihren beiden Händen den be- doch nicht den erwarteten Enthusiasmus gezeigt. Raum, Schlag beseelt, wie die unsrige, einen Schatz gemeinsamer drohten Bau ihrer Frisur festhielt, freischte dabei wie ein daß er sein Geschenk angeblickt hatte! Als er von der Gefühle, Ueberlieferungen, Hoffnungen zu finden. Jetzt schäßte Pfau. Sie warf einen verzweifelten Blick zu René hin- Tafel aufstand, vergaß er fogar, es mitzunehmen. Um das Renè sie erst nach ihrem wahren Werthe, jetzt, da er jie verloren über, der seine Lachlust nur mühsam unterdrückte. Sie Unglück voll zu machen, schenkte er ihr gar Bonbons! hatte. Er begriff nun, daß man der Melancholie anheimfallen wäre in Ohnmacht gefallen, wenn ihr der Gedanke nicht Bonbons, wie einem kleinen Mädchen. Bonbons, die sie kann, wenn man sich in seiner Umgebung fremd und vers zu spät gekommen wäre. Doch fühlte sie sich leidend nicht zum ewigen Angedenken aufbewahren fonnte! Sie einsamt fühlt. Er empfand es jetzt, daß man an das Land und verabschiedete sich bald. Ihre Seele war noch mehr schmollte zwei Tage lang mit ihm, und er that sogar noch, der Geburt mit den intimsten Fibern des ganzen Wesens zerstört als ihre Frisur. An diesem Abend wurde Annette als wundere er sich darüber! Was hatte denn dieser unauf das Heftigste ausgescholten; indeß ungeachtet der wohl dankbare René im Kopfe, daß er das kleine Herz nicht verdienten Vorwürfe wurde es ihr schwer, eine zerknirschte beachtete, das dem seinigen so stürmisch zuflog? Miene anzunehmen, so glücklich war sie.
René dachte an traurige Dinge. Er kostete gerade die
gefesselt ist, daß man sich von ihm nicht losreißen kann, ohne damit einen Theil seines Selbst aufzugeben, daß man es, ohne es zu wollen, doch in den Tiefen des Geistes und Herzens, in der Art, wie man spricht, in allen Gedanken,