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Nr. 431 4- ZS. Jahrgang

Heilage öes Vorwärts

Dienstag, 13. September 1921

GroßSerün Die Erhöhung üer Krankenhauskosten. Zur Frage der Erhöhung des Kurkostensatzss in den städtischen Krankenanstalten, mit der die Stadtverordnetenversammlung sich in ihrer nächsten Sitzung zu beschäftigen hat, sendet uns die Stadtver- ordnete Genossin Dr. med. Martha Wygodzinski folgende Zu- schrist: Am 9. September fand eine Sitzung der Gesundheits- deputation statt, in der über die Erhöhung der Krankenhaus- Verpflegungssätze verhandelt wurde. Trotzdem Deputationsverhand- lungen bekanntlich geheim sind, erschien in den nächsten Tagen ein Artikel in derFreiheit", in dem die Beschlüsse der Deputation mit heftigen Ausfällen gegen die SPD. , die stetsgemeinsam mit dem reaktionären Bürgerblock" stimme, scharf kritisiert wurden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die von der Stadt an die Krankenhäuser zu leistenden Zuschüsse, wie ja dieFreiheit" selbst hervorhebt, zirka 76 Millionen Mark jährlich betragen; dieses kolossale Defizit würde sich bei Erhebung der vom Magistrat vor- gesehenen Sätze um zirka 10 Millionen Mark ermäßigen. Die Selbstkosten der Stadt betragen für jeden Kranken täglich etwa 69 Mark und müssen mit der weiteren Steigerung der Lebensmittelpreise natürlich weiter steigen. Wenn die Krankenkassen den neuen Satz von 25 Mark zahlen, so leistet die Stadt noch immer einen Zuschuß, der mehr als die Hälfte der Selbstkosten für jeden Kassenkranken beträgt. Ob der von den Unabhängigen gestellte An- trag, das Krankenhauswesenrentabler" zu gestalten, wirklich der- jenigen Partei, die das soziale Berständnis für die minderbemittelten Klaffen ollein gepachtet hat, würdig ist? Der Stadtmedizinalrat, der der Sozialdemokratischen Partei angehört, wies es weit von sich, daß die Stadt in bezug auf dieRentabilität" ihrer Krankenhäuser in einen Wettbewerb mit den Privatkliniken eintreten sollte. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß wir nicht auch im Krankenhausbetrieb auf Ersparnisse drängen sollen, soweit sie das Interesse der Kranken nicht beeinträchtigen. Die Finanznot der Stadtgemcinde Berlin ist sattsam bekannt und die Aufgabe wahr- hafter Sozialisten ist es, sich überall zu fragen, wo die Einnahmen ohne Schädigung der minderbemittelten Klaffen gesteigert werken können, um die dadurch freiwerdenden Summen für die dringendsten gesundheitlichen und andere Fürsorgezmecke verwenden zu können. Da die sozialistischen Krankenkassenvertreter ohne jede Schwierigkeit auf die Erhöhung der Sätze eingegangen sind, so ist damit der Beweis für ihre Berechtigung völlig erbracht. Die Behauptung, daß die F a- milienoersicherung dadurch in Frage gestellt werde, ist einfach ohne den Versuch eines Beweises aus der Lust gegriffen. Der Artikelschreiber derFreiheit" muß schon stark auf die sagen wir Oberflächlichkeit seiner Leser spekulieren, wenn er die Behauptung aufzustellen wagt,daß die erneute Erhöhung eine bedeutende Belastung des Stadtsäckels bedeutet, da jetzt schon zirka 40 Proz. der Krankenhausinsassen der Armenverwaltung zur Last fallen". Der sozial gebildete Leser wird sich ohne weiteres sagen können, daß dadurch keine Belastung des Stadtsäckels hervorgerufen werden kann, da das von der Armendirektion gezahlte Berpflegungsaeld der Krankenhausverwaltung zufließt, also an den tatsächlichen Einnahmen resp. Ausgaben der Stadt nichts geändert wird. Die Borlage über die Erhöhung der Krankenhaussätze wurde trotz ihres unsozialen Charakters" im Magistrat einstimmig angenommen; den Lesern unseres Blattes ist es ja wohl nicht unbc- kannt, daß sich im Magistrat auch viele hervorragende Vertrauens- leute der USP. befinden. Daß natürlich unserer Fraktion alles daran gelegen ist, allen Bedürktigen Krankenhausversorgung zu crmva- lichen, geht aus dem von ihr gestellten Zusatzantrag hervor, daß alle nichtVersicherten erwachsenen Personen, deren Familieneinkommen! 20 000 M. nicht übersteigt, nur die Hälfte der neuen Verpfleannas- fätze, d. h. 12.30 M. täglich, zahlen sollen, während sie bisher 18 M. zahlten Daß uns die Unabhängigen hier wieder einmal über- 1 trumpfen wollten durch den Antrag, die Ermäßigung dann eintreten zu lasten, wenn derHauptcrwerbende der Familie" nicht 20 000 M. Einkommen hat, ist wohl nur agitatorisch aufzufassen: denn auf diese Weise könnte ja die Ermäßigung sogar Familien mit einem außer- ordentlich hohen Einkommen zugute kommen, falls sie mehrere Er- werber hat oder z. B. die Ehefrau Kapitaleinkommen besitzt. Daß in insgesamt 21 städtischen Krankenanstalten zurzeit 2800 Betten leer stehen, beweist nicht, daßdie Krankenkassen und auch die Selbstzahler infolge der hohen Kosten nur in den dringendsten Fällen die Krankenhmisbehandlung anwenden", sondern beruht neben der> Sommerzeit und der augenblicklichen Freiheit von'

Epidemien noch auf verschiedenen anderen Umständen, die hier darzulegen zu weit führen würde. Diese Zahl ist auch tatsächlich mit Rücksicht auf den Spielraum, der in einer Großstadt wie Berlin für Krankenhausbetten vorhanden sein muß, ziemlich gering. Daß es bei der enormen Steigerung aller Kosten unmöglich ist, Allein die Verpflegungssätze der Krankenhäuser auf dem früheren niedrigen Stand zu halten, bedarf keines besonderen Beweises und fast alle größeren deutschen Städte sind in der Erhöhung der Sätze Berlin längst vorangegangen. Pflicht der Stadt und insbesondere jedes Sozialisten ist es, dafür Sorge zu tragen, daß jedem Bürger die Krantenhausbehandlung ermöglicht wird; das ist zum Teil schon durch die Magistratsvorlage selbst vorgesehen, andererseits durch die Zusatzanträge der SPD . er- gänzt worden. Das soziale Gewissen der SPD . braucht nicht erst durch die USP. aufgerüttelt zu werden!

M öWW MleiMsaimlMW Dienstag, öen 13. September, abenös VU Uhr: kreis 12(Sieglitz): Aula der Oberceolschule Eiisenstr. 4. Referent: Stadtrai L. Leimbach. kreis 13(Tempelhof ): Aula des Realgymnasiums kaiferftr. Referent: Dr. Max Vendiner. M. d. L. kreis IS(Riederfchönhaufen): Schloß Schönhausen , Linden- stratze 11. Referent: Hermann Lüdemann , Finanz- minister a. D.

würdiger verlauf der wahltämpfe. Die Zusicherungen der Parteien. Unter dem Vorsitz des Polizeipräsidenten Richter und unter Hinzuziehung de» Regierungsrates Weiß und des Polizeirates W e y m a n n fand gestern abend im Polizeipräsidium eine Konferenz mit Vertretern aller politischen Parteien statt, in der die Veranstaltung von Versammlungen zu den bevorstehenden Stadtverordnetenwahlen eingehend be- sprachen wurde. Alle Teilnehmer an der Besprechung brachten einmütig zum Ausdruck, zu ihrem Teil dazu beitragen zu wollen, daß die Wahltämpfe einen ruhigen wür» digen und sachlichen Verlauf nehmen.

Skrupellose Ausplünderung. Das Urteil im erste» lvettkonzern-Prozeß. Der erste Wettkonzern-Prozeß wurde gestern vor der ersten Ferienstrafkam ner des Landgerichts l unter Vorsitz des Land- gerichtsdirektors Schmidt verhandelt. Unter der Anklage des gewerbsmäßigen Glückspiels und der Beihilfe waren angeklagt: der Hauptmann a. D. M e s k e aus der Spcnerstr. 29, der Agent Arthur W e i g e l und die Kaufleute Abraham Moses und Berel Moses. Es handelte sich um ein vom Angekl. Meske betriebenes SportunternehmenDeutsche Wettberaiungszentrale, Abteilung Sportkonzern", welches nach Art der in letzter Zeit so viel besprochenen Konzerne durch' verlockende Prospekte gewinn- süchttge Leute zur Hergabe von großen und kleineren Summen zum Versuche des Glücks auf der Rennbahn zu bewegen verstand. Der Gerichtshof hielt den Angekl. Meske des gewerbs- mäßigen Glücksspiels für schuldig. Die Geldgeber waren nicht selbst Spieler, sondern sie haben ihm die Darlehen gegeben in der Erwartung, daß es ihnen das Geld innerhalb zwei Monaten mit 100 Proz. verzinst. Den Geldgebern war es vollständig egal, was er mit dem Gelde machte, wenn sie auch aus Grund des Prospektes natürlich glaubten, daß er es zum Wetten gebrauchen würde. Wenn ein größerer Gewinn als 100 Proz. erzielt wurde, würde der Ueberschuß an Mske gefallen sein. Der Angeklagte sei der Selbst- k o n t r a h e n t, der die Wetten abgeschlossen habe, und er habe ein« fortgesetzt auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausgeübt. Die übrigen Angeklagten seien als Gehilfen anzuspvechen. Der Gerichts­hof habe dem Angeklagten Meske mildernde Umstände zugebilligt, lediglich weil er unbestraft ist und bei ihm die Sache milder liegt als bei anderen Konzernen und nicht nachgewiesen.ist, daß er sich Geld in seine eigene Tasche gesteckt hat. Anderseits handelt es sich

um eine gefährliche Handlungsweise, da hier ein Volk, das bereits finanziell am Rande des Abgrundes steht, durch skrupellose Leuto noch weiter ausgeplündert wird. Deshalb wurde gegen ihn und ebenso gegen Weigel auf 30000 Mark Geldstrafe (eventuell 1 Jahr Gefängnis), gegen Abraham Moses auf 3 Monate Gefängnis und 10000 M., gegen Berek Moses auf 1000 M. Geldstrafe erkannt. Außerdem wurde Publikation ausgesprochen, dagegen die in dieser Sache erfolgte gerichtliche Beschlagnahme der Gelder aufge- hoben. Die Ivv Ovo- Volt- Leitung in Verlin. Morgen soll die Freileitung, die im Norden durch Süduser, die Sylter, Christiania -, Bornholmer, Wisbyer, Projektierte Ostsee- Straße, Weißenseer Weg, Landsberger Chaussee und Rohrdomm- weg geht, unter Spannung gesetzt werden. Damit ist eine in der ganzen Welt einzig dastehende Anlage fertiggestellt. Die städtischen Elektrowcrke Berlin machen darauf aufmerksam, daß von diesem Tage an die Berührung der Drähte gefahrbringend ist und empfehlen die' ganze Anlag« dem Schutze der Allgemeinheit. Sie bitten, besonders in den Schulen auf die Bedeutung hinzuweisen und aufklärend auf die Jugend und durch diese auf die Einwohner zu wirken, damit bei besonderen Erscheinungen oder Unregelmäßig- leiten, welche beobachtet werden, sofort Meldung an die Städtischen Elektrizitätswerke Berlin, Schissbauerdamm, gemacht werden. Tie neue Grunewald -Automobilstrasie. Von Eichkamp bis Nikolassee ist jetzt die neue 10 Ki- lometer lange Automobilverkehrs- und Uebungsstraße, über die vor einiger Zeit bereits Einzelheiten mitgeteilt wurden, fertiggestellt. An einem imposanten Torgebäude in der Gegend des Bahnhofes Eich- kamp beginnend, führt die Bahn in gerader Strecke zwischen Königsweg und Wetzlarer Bahn und nach einer Umkehr- kurve wieder parallel verlaufend nach Eichkamp zurück, wo nach einer neuerlichen Kurve die Ausgangsstelle erreicht wird. Hin- und Zurückfahrstraße sind je 8 Meter breit und durch einen 8 Meter breiten Rasenslreifen voneinander getrennt. Eingangs- und Umkehr- kurve sind von Zufchauertribünen eingerahmt und im mittleren Teil des Waldqebietes, das die Straße durchläuft, sind ebenfalls eine ganze Reihe Waldplütze vorgesehen. Die Straße, die am Sonn- abend von Vertretern der Berliner und ausländischen Presse be- sichtigt und durchfahren wurde, soll in erster Linie als Automobil- Verkehrsweg durch den Grunewald dienen, für welchen Zweck von her bauausführerjden Gesellschaft von den passierenden Wagen(es dürfen nur Automobile verkehren) ein besonderes Wegegeld erhoben wird. In zweiter Linie dient die Straße dem Zwecke der Leistungs- fähigkeitsprllfung der deutschen Automobilindustrie, wozu das erste große Automobilrennen am 24. und 23. September stattfindet. Das Hin und Her der trainierenden Rennwagen beherrscht heute schon das Bild der Straße, die mit ihrem glatten Teerstampfboden eine völlig ebene Fläche darstellt. An Sanitätspavillons, tele- graphischen Meldeeinrichtungen und sonstigen die Sicherheit der Fahrer gewährleistenden Einrichtungen wird heute noch gebaut. Zur Vorbereitung des sehr umfangreichen Absperrungsmaßnahmen ist zurzeit auch die Schupo, die einen eigenen Telegraphcndienst ein- gerichtet hat, auf der Strecke tättg.

Unser Vahlkampf. Mit einer gut besuchten Versammlung wurde der Wahlkampf auch in Schmargendorf eingeleitet. In der Aula des Goethe- Lyzeums sprach Genosse Konrad Haenifch über Kultur- und-' Kommunalpolitik. Die ruhige und sachliche Kritik der eigenen Tätig- keit in der Regierung sowie auch die des Wirkens unserer Genosien im Berliner Stadtparlament zwang die sehr zählreich erschienenen Gegner zur größten Aufmerksamkeit. In der Diskussion sprach zunächst ein Demokrat über angebliche Mißstände im Berliner Gasoersorqungswesen. mußte sich aber gefallen lassen, vom Genossen Stadtrat Kohl gründlich widerlegt zu w?rden. Nach weiseren Aus- i führungen des Stadtverordneten Caspar! von der Deutschen l Volkspartei wurde auch dafür gesorgt, daß der Humor durch den l Kommunisten Becker ausgiebig auf seine Rechnung kam. In seinem Schlußwort rechnete Genosse Haenisch dann gründlich mit den Gegnern ab und wies daraus hin, daß, wenn das von uns be- (lonnene Werk des Wiederausbaues der Gemeinde Groß-Berlin die von der Bevölkcrunq gewünschten Früchte tragen soll, eine sozio- listische Mehrheit für das Stadtparlament eine Lebensnot- wendigkeit fei. Der Wahlkampf wurde auch in Friedrichshagen durch eine gut besuchte Versammlung unserer Genossen eröffnet. Genosse Haß sprach. Er schilderte den Zu-

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Fräulein. Von Paul Enderling.

copxrigbt, lS20, Z. G. Coltasche Buchhandlung Nacht. Stuttgart u. Berlin . Erstes Ruch. V o r k l a n g: Sonnabendabend. Fräulein blickte zum Fenster hinaus, dem Abend ent­gegen, der von den Wiesen drüben über den braunen Fluß zum Bollwerk herüberkam und nun nach den Häusern griff. Nun kommt die Nacht dachte sie die gute Nacht. Ein paar Frauen unten plauderten noch miteinander und gingen dann in ihre Häuser. Von links, vomBrausenden Wasser" her. klang Singen aus eine? Kneipe und die weiche, kurzatmige Musik einer Ziehharmonika. Auf einem der mit Obst und Fischen beladenen Kähne unten wurde der Lein­wandplan herübergezogen. Die Laternen blinkten auf. Ihr spärliches Licht betonte das wachsende Dunkel ringsum noch mehr. Es wurde still auf der Straße. Auch im Görkeschen Hause war es nun still. Die Haus- türe ging noch einmal und klappte dann zu. Der Oberlehrer war wohl risch Hause gekommen. Nun drehte sich ein Schlüssel im Schloß. Auf dem Bollwerk unten gingen Matrosen Arm in Arm mit Mädchen. Sie lackten und küßten. Und einer sagte: Morgen ist Sonntag, Marjellchen. Da wollen wir in Ohra tanzen gehen!" Wie lange habe ich nicht getanzt dachte Fräulein o. wie lange nicht. Damals bei Großmutters goldener Hoch- zeit... ach, was war ich da für ein junges, dummes, glück- liches Ding... Und jetzt bin ich vernünftig und denke an andebes. Ob ich überhaupt noch tanzen könnte? Die Kähne am Bollwerk hoben sich und platschten schwer wie große Fische aufs Wasser: Dampfer kamen und pflügten' das Wasier. Die Dampfer hatten zwei Augen, ein grünes und ein rotes. Zuerst kam ein kleinerer, der volle Ballen Rauchs aus dem Schornstein gegen die Häuser warf, ärgerlich schnau­fend und heulend wie ein böses Tier. Man sah, daß er voller Menschen war. Die kamen aus dem Heubuder Wald- Sie hatten guten Kiefernduft geatmet

einen halben Tag. Sie hatten am See gelagert oder waren in Booten darüber gefahren und hatten Mummeln gepflückt. Nun kamen sie heim, wohlig-müde von der Luft und dem Wandern über Moos und Kupfernadeln... Fräulein kam den ganzen Tag nicht aus dem Hause. Ein großer Dampfer näherte sich. Zwei Etagen bauten sich auf dem Verdeck auf. Er trompetete nur einmal schwer und fast feierlich in den Abend. Daun schwamm er still, ge- spenstisch, lautlos, leblos weiter. Wie eine Leiche, die von dem Wasser davongetragen wurde. Er kam von Hela, von dem einsamen, schmalen Sandland am Meer. Erika blühte da. und der scharfe Beizgeruch der Fischräuchereien zog durch die alte, lange Dorfgasse. Fräulein sang eine kleine, sanfte Melodie vor sich hin. Die Sterne flammten nacheinander am Himmel auf. Fräulein fielen die Augen zu vor Müdigkeit. Sie hatte den ganzen Tag zu laufen und zu arbeiten gehabt, überoll ver- mißt, überall gerufen, überall zu gleicher Zeit. Aber sie riß die Augen tapfer auf. Diese Stunde habe ich empfand sie ich darf mir von ihr nichts abhandeln lasten. Morgen früh rust Frau Görke nochFräulein", und Thea ruft nachFräulein", und das Mädchen ruft, und die Kinder rufen, und mein armer Sinn ist mir zerstückt wie dem reuigen Gretchen. Und ich muß stillhalten und lächeln undJa, ja" sagen, und was darüber ist. das ist vom Uebel, denn ich biiz alsFräulein" angestellt, bin etwas und nichts, tue alles, was ich kann, und noch einiges darüber. Denn ich kann ja so wenig so wenig-- Sie lehnte sich weit aus dem Fenster. Alles war nun still. Nur das PlPätschern war zu hören, das ewige Zwie- gespräch des Flusses mit dem Bollwerk. Rechts in der Ferne baute sich die wuchtige Silhouette des uralten Krantors ins Wasser. Dort war die Welt zu Ende. Eine Uhr im Hause beaann elf zu schlagen, schnell, eilig und übergeschäftig, als wolle sie den großen Brüdern den Rang ablaufen, die eben ihre dunklen, donnernden Stimmen von den vielen dunklen Türmen Danzigs erhoben. Die Glocken klangen, langen und brausten� die vielen hundert Glocken der alten Stadt. Ganz deutlich hörte Fräulein das Glockenspiel vom Rat- haus.

Nun ruhen alle Wälder" Fräulein schloß den einen Fensterladen? Sie hatte Schmerzen im Rücken. Die hatte sie jetzt immer. Nächstens würde sie einmal ausspannen und ruhen müssen, so schwer es auch im großen Wirrwarr des Hauses gehen mochte. Es schläft die ganze Welt---" Fräulein schloß auch den anderen Fensterladen. Nun kommt die Nacht dachte sie die gute Nacht, die olles gul macht... Sonntag. Sind die Strümpfe für Werner auch gestopft, Fräulein?" fragte Frau Görke. Ibre Augen waren voll Angst. Wer sie nicht konnte hätte Mitleid mit ihrer Sorge um Werner und seine Strümpfe haben müssen. Gewiß, gewiß," sagte Fräulein. Gott sei Donk," sagte Frau Görke, und ihre Augen wurden einen Schimmer freundlicher.Diese Iungens zcr- reißen soviel. Man weiß wirklich nicht mehr, wo man alles hernehmen soll." Fräulein deckte an die vielen Schubladen voller Wäsche. Aber sie hütete sich, daran zu erinnern: Frau Görke wurde nicht gern daran gemahnt, daß sie eigentlich keine Sorgen zu haben brauchte. Es war die beständige Melodie ihres Le- bens dies Klagen und Stöhnen, an die sie sick aewöbnt hatte wie der Müller an das Klappern seiner Mühle. Es wäre fast grausam gewesen, sie davon zu befreien. Frau Görke hatte nie im Leben eine ernstliche Sorge ge- habt. Als Tochter der wohlhabenden Sanders war sie durch eine behütete Mädchenzeit gevlätschert, um den Ersten, der um sie anhielt, Großkausmann Görke,.zu lieben und zu heiraten. Ihr Bruder, der Pbilologe. wobnte bei ihr im Hause. Nie war eine ernstliche Krankheit in die Familie gekommen. A'-ck die alten Sanders waren an Altersschwäche gestorben wie alle Sanders. Ja, die Strumpfe sind ja nun in Ordnung," begann sie noch einmal.Es ist nur, weil Werner heute in die Kirche geht. Pastor Pawlowski predigt." Es war, als bestände ein innerer Zusammenhang zwischen Werners Strümpfen und Pastor Pawlowskis Predigt. (Forts kolgt.)