Sozwlisierung unö �urtstentag.« Aus Bamberg wird uns gesäzrieben: ' Nicht ohne Interesse ist, wie der Iuristentag mit dem großen Problem der Sozialisicrung besaht wurde. Man könnte sich wohl denken, daß eine solche Tagung versuchen würde, die Rcchtsformen der Sozialisierung. zu klären, um immit die Grundlagen für ein neues soziales Recht vorzubereiten. Der Juristentag bat sich diese Aufgabe nicht gestellt, dagegen aber die Frage behandelt, in welchen Rechts« formen eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital und Gewinn der Unternehmer möglich fei. Daß diese Frage, die dem Gedanken einer Sozialisierung gerade entgegengesetzt ist, gestellt werden konnte, liegt offenbar daran, daß die»So- ziakisierungsoorschläge" der H u g e n b e r g und S t i n n e s, die in dem bekannten Gutachten des cherrn Dr. Silverberg zur Frage der Kohlensozialifierung niedergelegt waren, auf die Mitglieder des vorbereitenden Ausschusses, die selbstver- stündlich jeder»Parteipolitik" fernstehen, einen besonders großen Eindruck gemacht hat. Der Juristentag hat jedenfalls diesen unter der Flagge der»Sozialisierung" segelnden, in Wirklichkeit aber der Ver- breiterung der kapitalistischen Basis unserer Wirtschaft dienen« den Vestrebungen eine sehr deutliche Antwort gegeben. Schon die beiden Referate, die K a s k e l und Ehren zweig (Graz ) erstatteten, enthielten sich einer Empfehlung jener mit großem Ponu, in die Welt gesetzten»wirklichen" Sozialpolitik, die in allen ernsthaften sozialpolitischen Kreisen schon längst erledigt waren, ehe sie die Jndustriegewaltigen wieder in die Welt setzten, um die Sozialisierungsbewegung zu sabotieren. Sie begnügten sich damit, eine Reihe von Leitsätzen aufzu- stellen, welch? der Gesetzgeber befolgen sollte, wenn er über- Haupt dem Gedanken nähertreten würde. Auf ieden Fall wurde jeder gesetzliche Zwang abgelehnt. Die Diskussions« redner ließen aber in ihrer Mchir,.ahl selbst diese indirekte Begünstigung jener Pläne nicht gelten. Mit vollem Recht wies insbesondere Oberlandcsgericktsrot May-chamburg darauf hin, daß man mit solchen Plänen heute der Arbeiter- schaft nicht mehr kommen könne, daß sie im Grunde nur zur Unmoral führten. Scharf nahm auch Pros. S i n z h e i m e r Stellung gegen den Grundgedanken der Gewinnbeteiligung, der die Einheit der Wirtschaft zerrütte und die Gefahr des Syndikalismus befördere. Er wies, ohne Widerspruch zu finden, darauf hin, daß die Vcrhandllmg auf dem Juristentag auch unter den Juristen dem neuen Heilsprogramm, das den Sozialismus abtöten wolle durch Verpflanzung kapitalistischer Interessen in die Arbeiterschaft, eine entscheidende Niederlag« bereitet habe. Bergeblich suchte der Vor« sitzende, Herr Geh. Rat R i e s s e r, zu retten, was zu retten war. Das Ergebnis war, daß der größte Teil der Leitsätze der Referenten abgelehnt wurde und im Grunde nur die Forderung bestehen blieb, jeden gesetzlichen Zwang zur Ein- Ehrung von Kleinaktien usw. abzulehnen und eventuell— Musterstatuten für eine solche Beteiligung vorzubereiten.
Dummejllngen-Volitik. In der KPD. ringen jetzt offensichtlich zwei Strömungen miteinander. Die eine sieht ein, daß jetzt eine gewisse Zurück- Haltung notwendig ist, um der Reaktion das Spiel nichhzu erleichtern. die ander? geht nur darauf aus. ganz gleich, was die Folgen sein mögen, durch Hetze und Skandal die Aufmerksam- keit auf sich zu lenken. Es ist kinderleicht, die kommunistischen Zeitungen so zu redigieren, daß sie nicht verboten zu werden brauchen, es ist aber ebenso leicht, wenn man es darauf anlegt, sie so zu halten, daß sie verboten weckien müssen. Wenn nun ein Teil der kommunistischen Presse offenbar darauf ausgeht, die Anwendung der Verordnung des Reichspräsi- denten auf sich zu e r z w i n g e n, so leistet sie nur der Rechten Hilfe, die es dann sehr bequem hat, zu erklären, man sehe nun, wo die wirklichen Ruhestörer sitzen. Und wenn dann die Presse der Rechten alle Vorsicht gebraucht, um n i ch t in die Schlingen der Verordnung zu tappen, während die kommunistische Presse sie absichtlich übertritt, wird die beabsichtigte Wirkung der Ver-
ordmmg votkstkndhz umgebogen: Die Kommunisten fangen dann den Stoß auf, der den Deutsch - nationalen zugedacht war. Nach diesem Rezept verfährt die„Rote Fahne". Erst bringt sie Artikel, die den Reichsminister des Innern zum Verbot zwingen, wenn er sich nicht dem berechtigten Bor- wurf der Parteilichkeit aussetzen will. Dann gibt sie ein Ersatz- blatt heraus, das den fröhlichen Stank fortsetzt und in dem sie pathetisch erklärt, ein Sozialdemokrat habe die„revolutionäre Presse" unterdrückt, und die ganze Arbeiterschaft stände hinter ihr. Die Arbeiterschaft ist politisch viel zu aufgeklärt, als daß sie dieses Spiel nicht durchschaute, sie wird sich nicht darüber aufregen, wenn kommunistische Helfer der monarchistischen Reaktion nicht anders behandelt werden als diese selbst. Die„Rote Fahne " täte gut, ihren absichtlich vom Zaun gebrochenen Streit mit den Reichsbehörden so rasch wie mög- lich zu beenden und eine Haltung einzunehmen, die dem Ge- samtinteresse der Arbeiterklasse entspricht. Staatskommissar und„Rote Ffahne". BerUn, 14. September. lWTB.) Der Staatskommissar für öffentliche Ordnung teilt mit: Die„Rote Fahne " vervsfcntlicht in Nr. 417 und 423 zwei Schreiben vom 27. August und 2. September d. I., die angeblich von mir stammen sollen. Ich habe bisher keine Stellung dazu genommen, weil ich die Auseinandersetzungen mit der „Roten Fahne" für nutzlos erachte. Nachdem aber die„Freiheit" in chrsr Abendausgabe vom 14, September und andere Berliner Blätter die Ausführungen der»Roten Fahne" übernommen haben, erkläre ich: Die beiden Schreiben, die in der„Roten Fahne" als Originaltext zweier von mir herrührenden Schriftstücke bezeichnet woroen sind, stammen n i ch t v a n m i r h e r. Ich habe lediglich zu einer Zeit, die weit vor der Ermordung Erzbergers liegt und in der an eine Bercrdnung, wie sie der Reichspräsident am 29. August ertasten hat, überhaupt nicht gedacht worden ist, im konkreten Aus- trage der Reichsregierung und der Preußischen Staatsregierung Dorschläge darüber gemacht, w'« man der Uebcrschwemmung Deutschlands durch Rüsten und der fortwährenden Verhetzung durch die kommunistischen Vkätter am wirksamsten begegnen kann.
Deutschnationale unü Deutsche Volkspartei . Die„Freiheit" beschäftigt sich heute mit der letzten Ber - liner Rede des deutschnationalen Parteiführers H e r g t, zu der sie u. a. schreibt: Herr Hergt hat aber auch erklärt, daß die Deutsche Bolls- partei jetzt, nachdem sie eine Zeitlang mit der Politik der Mitte geliebäugelt hqste, jetzt mit den Deutschnationalen voll- ständig gleicher Auffassung sei. Es gäbe keinen grundsätzlichen Unterschi od mehr. Wenn Hergt dann noch hinzusetzte, beide Parteien stehen auf dem Baden der Verfassung, aber sie lehnen es ab, sich ihre monarchistischen Ideale nehmen zu lasten, so braucht man über diese bodenlose Heuchelei kein Wort zu verlieren. Sie stehen genau so quf dem Boden der Verfastung, wie die Kohr, Poehner und Ehrhardt. Die Deutsche Volksparlsi wird sich aber über diese Bekundung des dcutschnationalen Parteiführers, der eine noch innigere Gemeinschaft zwischen beiden Parteien in Aussicht stellte, noch äußern müssen. Hoffentlich wird diese Notwendigkeit, auf die auch wir gleich nach Bekanntwerden der Hergt-Rede hinwiesen, von der Deutschen Volkspartei eingesehen. �nörohung öes �usschluffes/ Genosse Krüger sendet uns die Abschrift der folgenden Bericht!» gung, die gestern dem„Berliner Tageblatt" zuging: In Ihrer heutigen Morgenausgabe Nr. 422 vom 14. September 1S21 bringen Sie einen Artikel unter der Ueberschrift:„Der Umfall des Berliner Magistrats", in welchem sich folgend- Säge befinden: „In welcher Weise die Bekehrung der sozialistischen Mit- glieder des Magistrats vor sich ging, darüber plaudert die„Rote Fahne" folgendes aus: Am Montag mittag erschien der Vorsitzende der'Rechtssozialdemokraten. Franz Kniger, im Rathause und drohte den renitenten Stadtoätern seiner Fraktion mit dem Aus- sthluß aus der Partei, wenn sie nicht schleunigst den völlig unver- ' ständlichen Standpunkt in der Tariffrage der Angestellten reoi- dicren würden. Diese Drohung hatte den gewünschten Erfolg."
Ich bedauere außerordentlich, daß Sie eine derartige Dar- stellung, die viel weniger einen Angriff gegen mich als gegen die ü» Frage kommenden Stadträte darstellt, lediglich gestützt auf eine Aus- lostung der„Roten Fahne", der Oeffentlichkeit übergeben. Ich kann nicht annehmen, daß Sie die Sachlichkeit und Glaubwürdigkeit der „Roten Fahne" höher einschätzen als ich. Ich lege jedenfalls Wert darauf, festzustellen, daß ich in keinem Augenblicks der Berhand- lungen über die Tarifsrage und den Streik der städtischen Ange- stellten Veranlassung gehabt habe, irgendeinem Mitglied meiner Partei, das dem Magistrat oder der Stadtverordnetenversammlung angehört, den Ausschluß aus der Partei anzudrohen, oder auch nur diesen Gedanken zu erwägen. Das würde vollkommen von den Formen abweichen, in denen bei uns die Verhandlungen zwischen Vertretern unserer Partei und den durch das Vertrauen der Partei in öffentliche Ehrenämter gewählten Parteimugliedern stattfinden. Die Darstellung der„Rot-n Fahne" beruht auch schon deshalb nur auf Kombinationen, weil ich zu Unterredungen mtt meinen Pnrteigenossen Berichterstatter der„Noten �ahne nlcht hui- 3U8U3chC"itfJleu, diese Zeilen in Ihrem Blatte zu veröffentliche*. Hochachtungsvoll Franz Krüger . Hestrsfie waffenschledungen. Die Estener Strafkammer verurteilte nach dreitägiger VerHand- lung den Major Rudolf Klos aus Buer, der in seiner Eigen- schafi als Kommandeur der Schupo versucht hatte, Waffen der �Schupo gegen Entgelt von 44 000 M. zu verschieben, wegen Unter- schlagung und Vergehen gegen das Entwajfnungsgesetz zu einem Jahr G efängnis und L000 M. GcWstraf«. Bus üem'neupreußischen Sapern. Die Haftentlassung des Abg. Mischer abgelehnt. In der gestrigen Sitzung des Ständigen Landtagsausschusses wurde ein Antrag der Unabhängigen auf Fmlasstmg des Abgeord- neten Fischer erörtert. Fischer war wegen einer tn München ge. haltenen Rede, in der er die Loslösung Frankens von Bayern an- gekündigt hatte, verhastet worden. Der Antrag wurde abgelehnt. Kundgebnng für Kahr . Die»München-Augsburger Abendzeitung" berichtet aus Perch- tesgaden über eine Kundgebung einer„mehrtausendkopfigcn M.nge für" den dort weilenden Ministerpräsidenten Dr. o. Kahr, an den ue Bitte gerichtet wurde, auch weiterhin die Geschicke Bayerns zu leiten. Herr v. Kahr versprach, jetzt und in alle Zukunft seine ganzen Kräfte„dem geliebten Vaterlande zu widmen"., Bus öer Alörüerfuche. Die Personalien Tilcffens. Der„Kölnischen Volkszeitung" wird vom Polizeipräsidium mitgeteilt: Der am Mord Erzberger beteiligte Heinrich �.ilessen, am 27. November 1824 in Köln-Lindenthal geboren, verzag am 4. Iull 1396 mit feinen Eltern nach Koblenz . Der Vater war jemerz-it Oberstleutnant beim Arttllerieregiment von Holtzendors. Don Rob» lenz übersiedelte die Familie später nach Metz , nachdem der 1a erst- leutnant Tilessen inzwischen zum Artillerieinspektor und General befördert war. Inzwischen nahm Tilessen seinen Abschied. Kurze Zeit danach starb er. Es liegt die Annahme nahe, daß der Ober- leutnant Heinrich Tilessen, der am 1. April 1912 bei der Marine eingetreten war, vermutlich der Komplize des Mörders v?n berger ist. Oberleutnant zur See a. D. Tilessen soll in Bicsenthal in der Mark wohnhaft sein. Die Unschuldsengel. Die reaktionäre Presse verfällt in die komischsten Grimassen, um zu beweisen, daß ihr Gesicht bei dem Lesen der Ermordung Erz- bergers nicht gestraht habe. Vorläufig'hält in diesem Lachkabinett die„München-Augsburger Abendzeitung" den Rekord. Sie schreibt unter der Ueberschrift„Fahrlässige Duldung des Erzberger -- Attentats", daß schon End« Juli ein Mann auf der Redaktion einer Berliner rechtsstehenden Zeitung mit der Mitteilung erschienen sei, daß er beabsichtige, Erzberger zu enttorden. Die betr es sende Zci- tung habe zur Verhinderung der Tat die Berliner Kriminalpolizei verständigt und ihr eine«feneue Personalbeschreibung des unheimlichen(!) Besuchers gegeben mit der Aufforderung, Maßnahmen zum Schutze Erzbergers zu ir«ssen. Daraus gehe hervor, daß es gerade eine Zeitung der Rechten war, die alles daran setzte, um die Tat zu verhindern, daß aber die DeHörde vvll ständig versagte.
Wie sie sterben.
F. kl. B oi gt, der Berliner Berichterstatter deS„Manchester lHuaidian-, gibt in der nächsten Nummer der„kSiocke- folgende Mitleid erregende und zur Empörung aufstachelnde Schilderung de« tzunzcrelendS in Jnner-Ruhland. Der Taschkenl-Expreß fährt in ungefähr SS Stunden von Mos- kau nach Samara. Während der ganzen Fahrt sieht man nur flaches Gelände. Bis zu dem Surasluß scheint die Ernte überall ziemlich gut zu sein. Gegen Sysran sind die Felder sichllich verdorrt und nur die Bäume grün geblieben. Die Wolga ist so gesunken, daß riesige Streifen fahlen Sandes in der Mitte des Stromes liegen. Wenn der Zug in Samara einläuft, vermißt man den gewohnten Schwärm der Händler. Die Bahnsteige find mit hungrigen, zcr- lumpten Flüchtlingen überfüllt, die um die Hausen von Bettzeug, Töpfen und Pfannen, den armseligen Resten ihres Haushaltes, liegen und hocken. Auf den ersten Eindruck scheint Samara, die Hungerstadt, bar jeder Lebensmittel zu fein. Jedoch im Bahnhofsrestaurant, wo ein reichliches und gm vorbereitetes Essen für neun- oder zehntausend Rubel, das heißt, für ungefähr ein Drittel des Maskauer Preises, zu haben ist. ändert sich bald dieses erste Bild. Soi* dem Kriege war Samara eine wohlhabende Gelchäftsstadt mit etwa lstOOOO Einwohnern. Sie ist von der gewohnten Freudlosig- keit der russischen Prooinzstädte; hat breite Straßen mit Kopfpflaster, niedrige, meist hölzerne Häuser mit schnitzwerkoerzierten Giebeln. Krieg, Revolution, Gegenrevolution und Hungersnot haben den Handel niedergcleat. Das Volk ist heruntergekommen, die Häuser verwahrlost, die Fenster zerbrochen oder mit Brettern vernagelt, in den Straßen große Löcher und alle Kaufhäuser geleert. Samara ist schmutzig, üvclriemend und mit Betttern und Flüchtlingen aus der Umgegend überfüllt. Dosselbe Bild wiederholt sich in allen Dörfern des Hunger- gebictes. S e m e k j n o ist ein Dorf von etwa 290 Holzhäusern, * etwa 32 Kilometer von Samara entfernt. Hier gibt es keine ge- pflasterten Straßen. Eine breite lange Strecke nackten, vertrockneten Lodens zieht sich durch den Ort. Die riesige Ebene wellt sich in die Ferne. Auf fünfhundert Meilen keinen Hügel zwischen hier und Moskau . Die dunkelbraune Erde ist zu dichtem seinen Staub ver- trocknet. Außer in den tidferen Höhlungen gibt es kein Gras mehr. Die Flüchtlinge kauern auf dem ausgeschichteten Bettzeug in den Wagen. Die Pferde sind alle rippendürr und oft so schwach, daß sie oft schon nach kurzer Strecke umfallen. Die toten Tiere werden abgehäutet, ihr Fleisch gegessen oder verkauft. Fast die Hälfte der 5häuscr in Semekino sind verlassen. Ich war bei einer Familie von acht Personen, die mir alles zeigten, was ihnen � zum Essen übrig blieb: einige verschrumpfte Tomaten, ein bißchen ABrot, aus Gras, Meloncnrinde und Sonnenblumen gebacken. Sie haben ihren ganzen Viehbestand geschlachtet, mit Ausnahme eines mageren Pferdes. Sie beluden ihren Wagen mit Bettzeug und Möbeln, die sie in Samara zu verkaufen gedenken. Das würde reichen, um Lebensmittel für eine oder zwei Wochen zu kaufen, und dann würden sie gleich den andern alles zusammenraffen und nach Samara auswandern. Das ist das Schicksal unzähliger Familien
im Hungergebiet. Sie begeben sich meist in eine große Stadt, wenn eine in der Nähe liegt, aber oft wissen sie nicht, wohin sie kommen, sondern wandern immer weiter, bis sie wor Erschöpfung umfallen und sterben. Diejenigen, die kein Pferd und Wagen haben, warten ergeben auf den Tod in ihren Häusern. Wenn die Hilsenicht sehr bald kommt, bleibt keine Menschenseele lebend in Sewekino. Die Einwohner haben alle Hoffnung verloren. Einige sind so- gar beleidigt, daß ein Fremder ihr Unglück anschaut. Die Cr- Zählungen von amerikanischer Hilfe machen keinen Eindruck mehr. Der Hunger hat zu lange' gedauert, und zu viele Versprechungen sind unerfüllt geblieben. Eine alte Frau sagte: Gott gibt den Amerikltnern soviel Getreide und den Russen gar keins, es ist ein seltsamer Gott. Eine andere sagte, sie hätte nie Glück gehabt— ihre Kinder hätten leider keine Cholera bekommen, und statt schnellen Sterbens erwartet sie der langsame Hungertod. Eine Andere sagte in vollständiger Teilnahmslosigkeit, daß sie ihr Kind gestern um- gebracht habe, weil sie es nicht weiter ernähren konnte. Man harte im ganzen wenig klagen im Dorfe. Keiner schien körperlich zu leiden. Ich glaube nicht, daß die Erzählungen von hungertollen Massen, die nach Westen ziehen in panikartiger Flucht und die Städte und Zügen stürmen, wahr sind. Es gibt nichts der Gewalttätigkeit Un- ähnlicheres als dieses langsame, fast teilnahmlose Scheiden hun- gerader Bauern aus ihren Dörfern. Ein kräftiger, wohlernährter Mann, der einige Tage ohne Nahrung bleibt, kann vor Hunger an den Rand der Verzweiflung gebracht werden, aber.diejenigen, die langsam, monatelang oerhungern, geraten nicht in Aufruhr.. Sie werden von Tag zu Tag an Leib und Seele schwächer, und wenn sie nicht einer Krankheit erliegen, gleiten sie fast unmerklich vom Leben in den Tod über. »Die /fahrt in» Blaue"(im Theater in der König - größer Straße). Auch im Theater wird die Kriegswirtschaft abgebaut. Den seit 1914 von den Brettern verbannten Pariser Schwänken und Komödien werden die Pforten weit geöffnet. Nicht weniger als drei Berliner Bühnen beginnen die neue Saison mit Fabrikaten, die französische Marke tragen. Die Firma Caillaoet und d e F l e r s, die in dem einst von Brahm gespielten„König " eine Schwank-Rekordleistung erzielte, hat bei dieser„Fahrt" sich nicht in Unküsten gestürzt. Das Stückchen soll von hölxrem Stile sein, an Stelle toller Possenausgelassenheit die anspruchsvollere und strengere Linienführung der Komödie treten. Doch weder Erfindung noch Eharakteristit reichen im allgemeinen dazu hin. Das Tempo ist auf weite Strecken hin recht schleppend, und wo die Sache munterer wird, verdankt sie das der Einschaltung von allerhand zum Teile hübsch erdachten, doch unglaubwürdigen Theatertricks. „D i e F a h r t ins Blaue" ist die Flucht einer jungen Dam«, die eine aristokratische Frau Tante durch List und Trug in eine Kon- oenienzehe mit einem hanebüchenen trocknen Herrn bugsieren wollte, mitten aus dem Trubel der schon begonnenen Hochzettsfeier. Ihr Gllcbter, der auf Reisen geschickte Sohn des Hauses, erscheint im letzten Augenblick und entführt sie auf ein Schlößchen in der Provinz, wo die Großmama des Mädchens auf die Ankunft der neuen Eheleute wartet. Dies? liebenswürdig wackere, im Herzen jugendlich geblieben«
Alte, die ahnungslos die Durchgänger empfängt und sie als Hochzeitcr einquartiert, erhielt durch Frieda Richard «ine-famoje Darstellung, die auch dem Mittelakt trotz seiner argen Langen zu lebhaftem Applaus osrhcckfen. Der letzte Aufzug lebt von den naiven Drolerien des nachgereisten Bräutigams(Eurr Vespermann), der bei seiner exemplarischen Vernünstigkeit die Lssöre doch nicht tragisch nehmen kann und rasch gerüstet mit dem Nachfolger gute Freundschaft schließt. Sympathisch frisch war Erika Gläßner als junges Mädchen. Der kleinen Episodenrolle eines enthusiastischen Altertumsforschers gab Paul Bildt eindrucksvoll originelle Prägung. ät. Drahkloje Wetterstation in der Polarzone. Die große Dedeutunz der drahtlosen Telegraphie als Hilfsmittel bei Forschungsexpeditionen beweist ein Funkspruch von der Insel Jan Mayen . Einem Wunsche des Völkerbundes folgend hat die norwegische Regierung im Sommer dieses Jahres eine metecrologische Expedition nach Jan Mayen mit dem Austrage entsandt, die dortigen Verhältnisse für die Errichtung einer Wetterstation zu erforschen. Ihre Aufgabe sollte es sein, mit Hilf« einer drahtlosen Anlage mit anderen meteorologischen In, stituten Wettcrnachrichten auszutauschen. Die Expedition ist mit einer 1,3 Kilowatt starken Telefunken, staiion ausgerüstet worden. Wie nun der Expeditionsleiter an Tele» funken drahtlos mitteilt, steht er dank dieser Station Tag und Nacht mit Norwegen , Island und Spitzbergen in Verbindung. Dieser Nachrichtenauetausch ist für seine meteorologischen Forschungen von unschätzbarem Nutzen und garantiert den erwarteten Erfolg. Da außerdem die Expedition den Winter über auf dieser hoch im Norden zwischen Island und Grönland gelegenen kleinen Insel bleiben fall, dürfte die Möglichkeit, jederzeit drahtlos Nachrichten geben und' emp- fangen zu können, den Forschern auch sonst von großem Vorteil sein. Die Dante-Fciern in Zlalien. Der zum nationalen Feiertag er- klärte 600. Todestag Dantes wurde in ganz Italien durch eindrucks-' volle und würdige Keiern begangen. Der römische Stadtrat hat eine Bronzetür gestiftet, die in dem kleinen Tempel angebracht werden soll, in dem des Dichters sterbliche Reste ruhen. Ferner hat man im Hofe des Baues ein marmornes Treppenhaus errichtet. dos von einem Glockenturm gekrönt wird, der die zu Dantes Ge- dächtnis von allen Gemeinden Italiens gestiftete silberne Glocke auf- nehmen soll. In Raoenna, der Stadt, in der der müde Dichter seine Augen schloß, schmückt Lorbeer, den die Stadt Florenz ge- sandt hat, jenen kleinen Bezirk, der durch Dantes Nomen gehci'igt ist. Eine eigenartige Feier hat sich Verona ausgedacht. Dort wird ein mittelalterliches Fußläuferrennen abgehalten werden, wie es der Dichter im 13. Gesänge seiner„Hölle" erwähnt. DaS Jüdische Künstler- Theater bringt al« näckste Novilät am 20. September K e w e j t«, ein Drama von Perez Htrschbein. R« die Hochschule für Musik wurde Leonid Kreutzer alZ Professor für Klavier berufen. SchefflerK Musen niSkrieg. Der Betriebsrat der Bauarbeiter der MuseumSneubauten aus der MuseiünSinsel. die sich durch SchefflerS Bor. würfe gegen die Bauleitung bedroiii bat ibn aufgc: ordert, fetne Be. haupwngen zu widerrusen od-r s-ineu Gewährsmann du OesscnUich.'est zu nenne«.