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Das Wclkanschaulmgsmomenk der Sozialisieruug spielt unter den Arbeitern eine ungeheure Rolle, die Arbeiter hungern nach Zielweisung. Wenn die Proletarier nicht mehr an die Religion der Sozialisierung glauben, die kein Aberglaube ist. sondern eine feste Zuversicht auf Grund wirtschaftlicher Tatsachen und wissenschaftlicher Erkenntnis, dann worden sich die Arbeiter von uns abwenden. Zeigen wir den Massen, w i« sozialisiert werden kann.(Beifall.) Ver­treten wir die Idee der Sozialisierung mit Energie und Geschick, und dann werden wir auch die Arbeiter aus dem Zentrum und der De- mokratie zu uns herüberziehen. Aus allen diesen Gründen wäre es verfehlt, das Programm heute zu verabschieden. Erst wenn das Programm von wahrhaft sozialistischem Geist erfüllt ist, wird es dem Zweck dienen können, den es haben soll.(Vereinzelter Beifall.) Stampfer: Wir sind dem Genossen Ströbel für seine Kritik dankbar, auch dafür, das, er von Ideen- und Ratlosigkeit gesprochen hat. Aber noch dankbarer wären wir ihm gewesen, wenn er uns die Ideen gegeben und den Rat erteilt hätte, der uns gefehlt hat.(Sehr gut.) Ströbel hat in der Kommission viele Stunden gesprochen und wir hingen on seinem Munde. Wir suchten bei ihm Rat und Ideen, aber wir fanden leider beides nicht.(Hört, hört!) Auch fein Programmentwurf ist nicht von solchem Jdeeninhalt, daß er nun das Recht hätte, in dieser Weise uns Vorwürfe zu machen. St>t dessen haben wir von ihm nur einige Schlagwörter über die Sozialisierunz gehört, die wir aus der umfangreichen sozia- listischn Literatur kennen. Wir dürfen nicht in die Gefahr kommen, uns in neue Utopien zu verlieren. Dir gehen den Deg vom Kapitalismus zum Sozialismus; wie lang der Weg ist, wissen wir nicht, das weiß keiner von uns. Niemand ist imstande, im voraus jeden Schritt dieses Weges im einzelnen zu bezeichnen. Das aber ist die große Gefahr dieser Sozialisterungsprophetie, die dabei durch und durch u n- m a r x i st i s ch ist. Das Wesen des Marxismus ist die klare An- schauung von einem noturnotwendig gegebenen Entwick- lungsprozeß. Der Sozialismus kann nichts anderes als der G e- burtshelfer dieser Entwicklung sein. Die Entwicklung aber muß ihre Zeil haben, und wir können nicht sagen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, wo die Entwicklung vom Kapitalismus zum Sozialismus mit ruck- artiger Schnelligkeit vor sich geht. Wos?in man kommt, wenn man mit so ruckartiger Schnelligkeit sozialisiert, zeigt das russische Beispiel. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als genau zu über- legen, bis zu welchem Grade die kapilalistifche Gesellschaft für die Umwandlung zur sozialistischen Gesellschaft reis ist, und wir dürfen uns nicht in die.durchaus unmarxistische Wahnvorstellung drängen lassen, als ob es möglich wäre, durch einen rein mechani- schen Prozeß eine plötzlich- grundstürzende Umwandlung de? ganzen Gesellschaft herbeizuführen.(Sehr richtig!) Völlig abwegig ist, was Strubel über die Gemeinwirtschaft gesagt hat. In der Kommission waren wir uns völlig klar darüber, daß mit Gemein- Wirtschaft die Sozialisierung der dafür reisen konzentrierten Ve- triebe im Sinne de» Kasseler Beschlusses gemeint ist. Es bandelt sich also nicht um die gemischte Form, sondern um die Etablierung der wirtschaftlichen Staatshoheit, um die völlige Ueber- nähme der dafür reifen Betriebe auf die Gesamtheit. Wie das später im einzelnen zu geschehen hat, das kann kein Mensch heute sagen und das gehört auch nicht in ein Parteiprogramm.(Sehr wahr!) Der Vergleich Ströbels mit dem Vülow-Block hinkt voll- kommen. Damals hat es sich darum gehandelt, einen Block zu bilden zur Rettung vor dem Umsturz, und die Umstürzler waren w i r. Wir sollten niedergeritten werden, seht reiten wir und fragen,«er mit uns reiten will gegen die Propagandisten des politischen Morder, gegen die Vorkämpfer der monarchistischen Reaktion. Nun einige Worte noch zum Programm selbst. Ich möchte be- merke-r über unsere grundsätzlich« Stellung zum Staat: Wenn wir die Republik   bejahen, bejahen wir auch den Staat.(Beifall.) Damit endet theoretisch ein Streit, der jahrzehntelang die Gemüter beherrscht hat. Es wäre ja ein Unsinn, wenn wir für die Staats- form unser Leben einsetzen und wenn wir den Staat selbst verneinen odor ihm zweideutig oder gleichgültig gegenüberstehen.(Sehr gut!) Wir sind es, die sich tatsächlich und praktisch des Staates angenom- men haben, als die anderen ihn im Stich ließen, und wir, die ei»st spöttisch das Lied sangen:De? Staat ist in Gefahr", sind heute dazu berufen, die Republik   und mit ihr den Staat selbst zu retten. Es gehört zu den interessantesten aber auch bedenklichsten Erscheinungen des Weltkrieges, daß er den S t a a t s g e d a n k e n bis in seine Wurzeln hinein erschüttert hat. Was war denn der Weltkrieg? Er war in allen Ländern die Omnipotenz, die Allmacht des Staates. Der Mensch war nichts mehr, der Staat war alles. Dreser Ueberspannung des Staatsgcdankens mußte notwendigerweise eine ruckartige Entspannung und Erschlaffung folgen, und wenn mit der Monarchie, die reif zum Sturze war, nicht auch der Staat selbst zusammengebrochen ist, wenn er sich fortsetzen konnte in der Form der Republik  , so ist das im wesentlichen wohl unser Verdienst. (Bestall.) Durch die Revolution, durch die Republik  , hat die Sozial- demotratie dem Volke sein höchstes Gut, den Staat, gerettet, denn wo kein Staat ist, da ist Anarchie, und wo Anarchie ist. da kann wohl Kavilalismus gedeihen, aber niemals Sozialismus!(Lebhafte Zustimmung.) Wenn wir sagen, dofc Republik   und Sozialismus zusammengehören, so heißt das, auf die heutigen Verhältnisse angewendet, daß Staat und So- ziakismu», Staat imd Sozialdemokratie zusammengehören.(Bei- fall.) Wir brauchen uns heute mit dem alten theoretischen Streit nicht mehr zu beschäftigen, ob das ollerletzte Ziel des Sozialismus der sozialistische Staat oder die st a a t l o s« sozialistisch« Gesellschaft ist. Wir st�sstm aber die größte Unklarheit, wenn wir außer acht lassen, daß jetzt und für alle absehbare Zeit der demokratische Staat das Mittel ist, dessen sich die Arbeiterklasse bedienen muß, um ihre Selbstverwaltung zu erkämpfen. Die Forderungen des Programms richten sich fast alle an den Staat, an die Republik  . Der Staat soll helfen, der Staat soll Recht schaffen, der Staat soll unterrichten. Solche Forderungen haben wir an den Staat auch schon gerichtet, als er noch nicht Republik  , sondern noch Monarchie war. Wenn wir uns nicht mit beiden Beinen auf den Boden des Staate» stellen, wenn wir nicht«Nif diesem Boden um Macht und Einfluß kämpfen, dann können wir allenfalls«ine philosophisch» Sekt« sein, aber niemals eine große demokratisch« Partei.(D«ifall.) Wir müssen uns darüber klar fein. daß es uns«?« Aufgabe ist, den Staat, den Tyrannen von einst, zum Befreier der Massen vom wirtschaftlichen Höriqkeitsverbält- ni» umzuwandeln. Darum spricht der Entwurf von der Herrschaft de» im freien Bo(k»ftuat organisierten volkswillens über die Wirt­schaft. D« ist kein neuer Gedanke und kein revisionistisches Schlag­wort. Der freie Velksstaat steht schon als erste grundsätzliche For- derunz an der Spitze de» Programms der E i f e n a ch e r von ItzyS, all» jener Richtung der damaligen Partei, die auf marnstsschem Boden stand. Es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse, den Staat zu erobern, nicht um ihn zu zertrümmern, sondern um Ihn zu dem zu machen, was er fein soll: Zum Schirmer der Freiheit, zum Schützer der Bedrängten.(Beifall.) Das ist unser Ziel. Hier liegt der Weg klar vor uns, er geht durch den Staat. Darum sind wir heut« die beK-» Büra-r de?«erdenden neuen St«ate? wir, die Republikaner  und Seeigsssten. In der schweren ernsten Debatte, die wir in der K�wn-ilü�n peführf de''en in der wir alle rw» von dem Ensschluß leiten ließ? unerbittlich ausrichtig gegen uns selber zu sein, fiel au» d-m Mund« eines Mitgliedes, einer feinempfindenden Frau, das Wort, daß die Partei mit dem Erfurter Programm von Ibrer Jugend Abschied nehm«, und dieses Wort fiel uns ollen schwer aufs Herz. Aber gerade jetzt sagten wir uns: Es muh sein! Unsere Partei trägt die Last einer großen Vergangenheit. Ihr L«ib ist bedeckt von den Narben ehrenvoller Kämpfe. Sie hat das Furchtbarste erlebt, den Weltkrieg mit allen seinen Erschütte- rungen, und dann vielleicht noch schlimmer den Kampf gegen
das eigene Fleisch und Blut.(Sehr wahr!) Dabei wird man nicht jung. Aber wenn man es übersteht und die Partei h a t es überstanden, dann wird man eisern. Ueberlassen wir es andern, mit einer überschminkten Jugend zu prangen. Die Partei ist nicht mehr jung, und doch strömt ihr mit Begeisterung die Jugend zu. Warum? Weil sie eben in ihres Wesens kern die alte geblieben ist.(Lebhafter Beifall.) Die Jugend und die Aelteren mögen uns kritisieren, sie haben ein volles Recht dazu; aber ich möchte ihnen mit Franz Grillparzer   antworten:» Ihr nennt mich alt. Ich bin nicht jung, Doch fühl' ich noch frisch mein« Gaben. Nur anders ist Männerbegeisterung Als die Begeisterung von Knaben. Dem Kampfe gilt unser Programm. Unverrückbar steht unser alles Ziel vor uns aufgerichtet, und wir marschieren.(Beifall.) Wir wollen in dieser Stunde, in der wir, wenn der Parteitag unser Werk billigt, von dem Erfurter Programm unserer Jugend Abschied nehmen, uns geloben: Wir stehen treu zu dem Ideal unserer Jugend, zur Demokratie und zum Sozialismus, zur Befreiung des Prole- tariatsl Wir wollen unsere ganz« Persönlichkeit für diese Ideale einsetzen bis zum letzten. Wir wollen für sie kämpfen bis zum End«. (Beifall.) Allen Feinden der Republik   und der Arbeiterklasse, ollen, die sich national nennen, die aus Eigennutz oder blindem Unver- stand dem eigenen Volk den Aufstieg zu Licht und Freiheit ver- sperren wollen, rufen wir zu:Hütet Euch! Wir s i n d d a! Nicht Euch gehört die Zukunft, sondern denen, die aus der Tiefe empor- steigen! Es gibt kein Zurück!(Stürmischer Beifall und Hände- klatschen.) Otto Braun  : Nach diesen Ausführungen braucht man gegen Ströbel kaum noch etwas zu sagen. Es ist ein Unglück, daß die ganz« Programmkritik rein negativ Ist. Wenn Ströbel sagt, das Programm sähe aus als stammte es von 19)2, fo klang mir fein« Red-z ganz wie der Ströbel von 1912.(Heiterkeit und Sehr gut!) Die Verfallserscheinungen au» der Kriegszeit und der Zusammenbruch sind keine Richtung? uniscr für unser Parteiprogramm. Ein Programm kann keine original« Reuschöpsung sein. Es sollte nur die alten sozialistischen   Ideen den veränderten Ver- hältnissen anpassen. Di« Wege zur Sozialisierung lassen sich nur andeuten, nicht im einzelnen beschreiben. Die Surrogate von Ge- meinwirtschaft, die im Kriege bestanden, ja die Farce von Ge- meinwirtschast, die sich hier und da bis heute noch erhallen hat, hat mit sozialistischer Gemeinwirtfchast nichts zu tun. Vollständig- keit erstrebt das Programm nicht und darf es nicht erstreben. Es braucht weder die praktische Durchführung des Sozialismus im einzelnen zu beschreiben, noch die nächsten Maßnahmen gegen die Finonznot darzulegen. Ich bitte, auch den Antrag abzulehnen, bis zum nächsten Parteitag ein Agrorprogramm zu schaffen. Die Kasseler Richtlinien genügen vorläufig für Agitation und parla­mentarische Tätigkeit. Wir müssen sie van dem Wahn befreien, daß wir durch ein gutes Programm alle Schwierigkeiten der Agitation und der Parieiarbeit spielend lösen könnten. Das Erfurter Pro, gramm war schon bei der Schaffung wissenschaftlich viel mehr ange- fock�en, als das Görlitzer Programm es ist. Ich bin überzeugt, dieser Entwurf ist ein guter gruntssätzlicher Wegweiser für das Proletariat.(Beifall.) Markwald- Frankfurt a. M.: Die Enttäuschung, mit der meine engeren Freunde den Parteitag verlassen werden, enthebt mich nicht der Pflicht, sein Gutes anzuerkennen. Wir werden den Pro- grammentwurf ablehnen, aber uns seiner nicht schämen, wenn er angenommen wird. In einem besonders wichtigen Punkt ist unsere Kritik durchgedrungen, aber augenblicklich ist die Zeit die denkbar unglücklichste, um ein neues Programm zu schaffen. Die Unab- hängigen haben noch dos Erfurter Programm. Aach   der Einigung kommt doch die Programmrevision und wir erleichtern sie, wenn wir vorläufig dasselbe Programm beibehalten. Für eine demo- kratische Partei ist der Entwurf auch nicht genügend_ diskutiert worden. Vor allem aber ist fachlich in ihm die Sozialisie- rung nicht scharf genug herausgearbeitet. Es war eine Pro- grammrevifion mit der Hetzpeitsche. Man ließ uns nicht einmal die Zeit, die Ströbelfchen Sozialisierungsvorfchläge in programmatische Sätze zu gießen. Ruhland kann nicht als Gegenbeispiel gegen die Sozialisterunq dienen. Wenn eine Räuberbandesozialisiert" oder eine kleine Minderheit sagt:Der Staat sind wir!", dann beweist das nichts für oder gegen die Sozialisierung. Im Finanzprogramm fehlt die Forderung des Reichsanteils am Grundbesitz. Es fehlt ferner die Forderung der Volksabstimmung zur Herbeiführung einer Reichstagsauflösung. Bei Volksabstimmungen werden wir leichter Verständnis finden als bei Wahlen. Hingegen scheint mir im Programm enthalten zu sein, daß die Fraktion künftig wieder prinzipienfest für das Wahlrecht der So'daten eintritt. Jetzt werden wir ja bald mit Hilfe der Volkspartei eine republikanische Reichswehr   bekommen.(Heiterkeit.) Den grundsätzlichen Teil des Programms lesen wir mißtrauisch und suchen zwischen den Zeilen. Denn wir wissen, daß die Ideen im Zusammenhang mit den politi- schen und sozialen Verhältnissen ihrer Träger stehen. Wir sind nicht die Interessenvertretung de» Kleinbürgertums, sondern vertreten nur das Proletariat. Freilich fährt dabei das Kleinbürgertum noch immer besser als bei jeder anderen Partei, aber die FormÄ, daß wir die Partei aller geistig und Krperlich Schaffenden sind, die vom Ertrag der Arbeit leben, ist doch falsch. Es fehlt dem theore« Men Teil da» klare Bekenntni» zum Klassenkampf der schaffenden Massen, den wir einheitlich und bewußt gestalten müssen.(Zuruf: Steht ausdrücklich drin!), aber nicht in dieser Formel, auf die ich großen Wert lege.(Heiterkeit.) Denn der mecklenburger Volks- parteiler Dr. Reinicke-Bloch hat erst in diesen Tagen gesagt: Tritt die Sozialdemokratie in Görlitz   als Partei de» Klassenkampfes auf, dann gibt es kein« Gemeinschaft mit ihr. Und Dr. Reinicke-Bloch arbeitet zwar nicht mit Klassenlämpfern, aber er arbeitet doch schon mit unseren Parteigenossen in Mecklenbweg zusammen.(Lachen und Widerspruch.) Meine Freund« sind überzeugt, daß die Massen draußen ihnen kein« Enttäuschung bereiten werden. Die Formeln de» Programms werden immer nur d»?ch die tägliche Praxi» mit dem Leben erfüllt. Vorsitzender Del» teilt da? Rafriltat der Wahlen zum parteivorsiauö mK. Sewähkt find: Als Parteivorsitzende Hermann Müller mit>2V, Wels mit 390 Stimmen« als Kassierer Bartels mit 322, Heinrich mit 313 Stimmen, als Sekretäre Molkenbuhr mit 317, P f a n n- k u ch mit 396, Otto B r a u» mit 298, Adolf B r a u n mit SS«, Franz Krüger   mit 252, Frau I u ch a c z mit 308 Stimmen. Außerdem haben erhalten: Ströbel IIS und Markwald 34 Stimmen. Als Beisitzer sind gewählt: Richard Fischer, Karl Hilden- brand, Adolf Ritter, Frau Ryneck, Otto Frank und Heinrich Schulz. In die Kontrollkommission sind gewählt: Brey-Hannovcr, Brühne-Frankfurt, Friedrich Fischer  -Stuttncrrt, Helene Grünberg- Nürnberg  , Elemen» Hengsbach-Duisburg, Hermann Müller-Lichten- i btrg, Paul Löbe  -Breslau  , Karl Pinkau  -Leipzig   und Adolf Schön- felder-Hamburg. Außerdem haben Stimm« erhalt« Minna Bollmann   und Toni Pfülf  . In den Zentralbildungsauischuß wurden gewählt: Heinrich Schulz. Hugo Heimann  , Professor Radbruch  , Paul Löbe  , Frau Bohm-Schuch, Eduard David, Karl Korn  , Schreck-Bielefeld, Hellmann-Hamburg  , Johann Safienbach und Dr. A. Köster. Die Debatte über das Parteiprogramm wird fortgesetzt. Adolf Braun  : Ich bitte, den Antrag anzunehmen, möglichst bald eine volkstümliche Erläuterung des Görlitzer   Parteiprogramms herauszugeben. Auch Markwald hat diesen Antrag unterzeichnet, also kann da- Programm gar nicht so schlecht sein. Schade, daß,
Markwald seinen Entwurf nicht vorgelesen hat, dann würde der Parteitag erst sehen, wie gut die Arbeit der Kommission ist. Selbst in der Sozialisierungskommission bestanden unter den Genossen über ihre Art, Wege und Wirkung Meinungsverschiedenheiten. Pro- grammarbeit setzt aber eine gewisse Achtung vor allen Ansichten und Berantwortlichkeitsgefühl voraus. Ich bin überzeugt, daß wir Übers Jahr auch nicht gescheiter sein werden.(Heiterkeit.) Ins- besondere dann nicht, wenn wir den Zankapfel eines Agrarpro- gramms hineinwerfen, das für Ostpreußen   und Oberbayern   gleich fein soll! Der Gedanke über das Programm zur Einigung zu kommen, ist vollkommen falsch. Die Einigung wird nicht das Ergebnis tiefgründiger Debatten über den Inhalt von Marx  ' Kapital" sein, sondern das Ergebnis praktischer Zusammenarbeit im Reich, Staat und Gemeinde. Formell hat die USP. allerdings das Erfurter Programm, aber wer spricht in ihr noch davon? Wir haben aus der Kritik alles Sachliche in diesen Entwurf hinein- genommen. Wenn Markwald ein Rezept gegen das Valutaelend weiß, so hat er es der Programmkommission verschwiegen, aber er sollte es wenigstens schnellstens dem Reichsfinanziminister mitteilen. (Heiterkeit.) Im Ernst beweist die Forderung, daß das Programm Mittel gegen das Balutaelend entwickeln soll, vollständige Ahnungslosigkeit in volkswirtschaftlichen Dingen. Ist das Programm ein guter Stock auf unserem steinigen Wege, dann stimmen Sie für das Programm.(Beifall.) Eduard Bernstein  : Der Geist dessen, was im Marxismus   blei- bend und unsterblich ist, die marxistischen   Grundgedanken, haben uns alle von Anfang bis Ende beseelt. Wir brauchen deshalb auch keine neue Theorie, wir brauchen nur die große Tbeorie von Karl Marx   auf die neuen Verhältnisse anzuwenden. Wir hatten auch Pits Vorarbeiten und konnten desstalb in der begrenzten Zeit ohne Hetzpeitsche fmig werden. Wir hatten fast immer eine Mehr- heit und Minderheit, aber es gab keine fundamentalen Unter- schiede. Was uns von den Unabhängigen trennt, stnd nicht Pro- grammsätz«, sondern dringende Fragen der praktischen Politik. Ich bedauere, daß Ströbel die hundertfältigen Debatten nicht mitgemacht hat, die wir in den Fraktionen über praktische Fragen gehabt haben. Wie hatten es unser« Alten doch bequem! Wir haben uns stunden- lange Vorträge von Fachmännern über Fragen halten lassen, über die man früher mit ein paar Worten hinweggegangen ist. Ich sehe die Sozialisierung nicht als dos Allheilmittel an. Rebenher geht die stärkere Betonung und Verwirklichung sozialer Gedanken in der Industrie und allen Zweigen der Volkswirtschaft. Auch das ist Entwicklung zum Sozialismus, und das Detriebsrätegesetz habe ich für einen besonders bedeutsamen Schritt dazu angesehen. In der Volksabstimmung über das hinauszugehen, was die Weimarer Verfassung   vorschreibt, davor möchte ich warnen. Di» A»iksmasse soll doch erst zur Republik erzogen werden»nd da wäre e» unklug, das Schicksal der Republik   dem Zufall einer Valtsabstimmung aus- zuliefern. Als Ganze», genommen, erfüllt der vorliegende Entwurf, was die Partei braucht. Er ist gut angepaßt den praktischen Lebensaufgaben der Republik   und der deutschen   Arbeiterklasse.(Leb- haster Beifall.) Laufkölter: Gegen die Partei herrscht vielfach das Lorurteil, daß sie im wesentlichen nur wirffchaftliche Ziele verfolgt. Deshalb möchte ich an die Spitze des Programms folgenden Satz stellen: Die Sozialdemokratische Partei   ist ihrem Wesen nach eine Kultur- partei. Ihr Ziel ist der Kultursozialismus, dessen Vorbedingung der wirffchaftliche Sozialitmus ist. Die Leibehaltung des alten zugkräftigen SchlagwortesKlassenkampf" kann man begrüßen: aber kein Wort ist mehr mißbraucht worden. Immer wieder stellt man sich fälschlich darunter einen Kampf mit dem Knüppel vor. Deshalb möchte ich hinzufügen: Unter den verschiedenen Mitteln im Klaffen- kämpf kommt Gewalt erst dann in Betracht, wenn alle anderen Mittel versagt haben! Gewalt hat noch nie Gutes, Peues,.Posit!vcs leisten können. Sie kann nur Bernichtungswürdiges vernichten. Aber jede verhandlungstommissioa ist ein Stück Klassenkamps und meistens ein wirkungsvolleres als das Fensterscheibeneinschla- gen. Das vieldeutige Wort.Sozialisierung" hat man glücklicher- weise oermieden. Das Erfurter Programm sagteVergesellschaf- tung" und meinte Verstaatlichung. Wir aber brauchen für die neue Wirtschaftsordnung eine innere Umstellung der Menschen, und des- halb würde ich der FormelVergesellschaftung" die FormelDer- gemeinschaftung" vorziehen. Die Sätze über die Bergesellschastung von Grund und Boden sind nicht vorsichtig genug formuliert. Wir wissen ja genau, was gemeint ist, aber die Gegner werden sie aus dem Lande wieder umlügen. Ich würde deshalb sagen:Dergesell- schaftung von Grund und Boden, Bodenschätzen und natürlichen Kraftquellen, soweit sie als Ausbeutungsmittel angewendet werden unter bewußter und planmäßiger Schonung berechttgter Interessen." Dasselbe würbe ich sagen über die kleinen ländlichen Betriebe. Da- Programm hat jede Stellungnahme zum Handwerk unterlasse.'. Solange Kleinbetriebe existenzberechtigt sind, treten wir für sie ein und müssen das weitere der Entwicklung überlassen. Endlich ist dos Kapitel der Schul- und Kulturpolitik nicht ganz befriedigend. Mir dem wunderbaren Satz:Religion ist Privatsache" haben wir seit Jahrzehnten jongliert: aber ehe wir nicht unterscheiden zwischen Religionsgemeinschaften und bloßen Religionsgesellschastm, werden wir zur vollen Klarheit nicht kommen,(veifall.) Dr. David: Wir nennen uns mit Stolz die Partei des wissen- östlichen Sozialismu». Wir wollen vor dem Richterstuhl der isjenschcfft bestehen und wir beanspruchen deshalb, daß das, was wir programnwtffch als unsere Auffassung der wirtschaftlichen und politischen Eattoickiung in da» Programm hineinschreiben, mit den Taffachen, mit der Wirklichkeit übereinstimmt. 5« älter man wird, je mehr«an sich mit der Wissenschaft beschäftigt, um so bescheidener und vorfichttger wird man im Au»spr«ch«n allgemeiuerWahr- eiten, im Aufstellen theoretischer Grundsäz« und vor allem im roph«zei»n über da», wa» die Zukunft bringt. Di« Mrklichkeic ist so vielfältig, daß kein Kopf auch nur einigermaßen imstande ist, st- ganz in ihren ursächlichen Beziehungen zu erfassen. Da- heutige Programm ist wissenschaftlicher, ats das Erfurter Programm war, denn es ist vorsichtiger und zurückhaltender im Aufstellen all- gemeiner Sätze und Vorhersagen der Zukunft. Niemand könnte heute mit gutem wissenschaftlichen Gewissen die allgemeinen Sätze des Erfurter Programms ohne Kvrveftur übernehmen. Wenn wir so vorgehen, wie«» jetzt geschehen ist, so ist da, viel besser, als wenn wir Dinge, die Problem« sind, al» apoditttsch« Wahrheiten hinstellen. Man darf Hypothesen oder Prophezeiungen nicht zu Dogmen machen, die al» unfehlbar anerkannt«erden müssen. Das ist wissenschaftlich höchst bedenklich auch für da» geistig« Leben einer Partei.(Sehr richttgl) Dann werden wir zu einer Glaubens- gemeinschast und wer nicht jeden Satz de» Glaubensbekenntnissas anerkennt, wird als einAbtrünniger" gebrandmarkt und dann be- ginnt die üble Erscheinung, daß in die geistigen Kämpfe persönliche Din�e hineingezogen werden. Ich hoffe, daß die Zeiten, wo der sachliche Gegner als lau und flau verdächtigt wurde, ein für allemal vorbei stnd.(Veifall.) Man hat auch in der Kommission von Rich- tungen gesprochen und hier sprach Markwald vonsich und seinen Freunden wir«»oll»« kei«e Pichl««»««ehr. (Beifall.) Wir habe« in der schwersten Stunde treu zusa»««enye. standen und wir wollen mit allen Mitteln verhüten, daß der Rich- lungsstreit wieder aufkommt.(Erneuter Beifall.) Es fft leicht, Forderungen aufzustellen und schwer, sie durchzuführen. In dieser Lage befindet sich unsere Partei und diese Schwierigkeit war bei der Progrommberotung zu überwinden. Wir mußten groß« Vor- ficht üben, damit wir nicht unnötig die Parteigenossen m die Irr« schickten. So erklären sich viel« Lücken. Die Agrarfrage soll in einer besonderen Kommission studiert werden, ohne daß man aber dieser Kommission die Frist setzt, unter allen Umständen bi» zum nächsten Parteitag fertig zu werden. Di« Bemängetung Lauskötter» ist unberechttgt. (Schluß des Berichts auf der 2. Seit« de» Hauptblatt«».)