und ihrer eigene» Vergangenheit einen Trennungsstrich ziehen, dazu hätte auch die Sozialdemokratische Partei am allerwenigsten Veranlassung. Einzelne mögen in ihren Pro- grammentwürfen darlegen, was nach ihrer Meinung die Partei sein soll, die Partei se-üst, vertreten durch ihre höchste Instanz, den Parteitag, kann— wenn sie sich'nicht einer Irreführung schuldig machen will— durch ihr Programm nur aussprechen, was sie ist. Das Görlitzer Programm ist daher nicht die Prophetie eines einzelnen Kopfes, sondern es ist der theoretische Ausdruck dessen, was in der Praxis der Sozialdemokratischen Partei lebendig ist. Es ist der Niederschlag der Anschauungen, von denen die Tätigkeit der Partei geleitet wird. Es war die Aufgabe der Programmschöpfer, nicht neue Wahrheiten zu finden und mit originellen Einfüllen zu glänzen, sondern dem in der Sozialdemokratischen Partei wirkenden Massen- willen Sprache zu leihen, die Nartei selbst und die draußen Stehenden das wahre Wesen der Partei so klar wie möglich erkennen zu lassen. Die Sozialdemokratische Partei war in ihren Anfängen eine Partei elender, außerhalb der Kulturgemeinschaft stehender, aber aufstrebender, nach Brot, Licht und Schönheit hungriger Fabrikarbeiter. In einem jahrzehnte- langen Entwicklungsprozeß hpt sie ihre Grenzen ausgebreitet, sie hat nicht nur das kulturelle Niveau der Arbeiter gehoben, Sondern sich zu einer Partei der großen, schaffenden Massen « entwickelt, die in der Werkstatt und auf dem Acker, in Kontor und Bureau ihre Arbeit tun. Die Solidarität aller Werktätigen, die direkt oder in» direkt unter dem Druck des kapitalistischen Systems stehen, ist ic das immer klare» erkannte, immer tiefer empfundene Gebot f. der Gegenwart. Angestellte und Beamte, Gewerbetreibende . der verschiedensten Art stehen heute schon Schulter an Schulter � mit den Arbeitern im engeren Sinn des Wortes unter den Fahnen der Sozialdemokratie. Nur in solcher weitumspannen» �"den Zusammenfassung kann das schaffende Volk die Macht gewinnen, die sie aus einem ebenbürtigen Gegner des Kapi - , tals zu einem überlegenen macht. Die Befreiung aus den Fesseln des Kapitals, das aus dem Weltkrieg nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorge- � gangen ist, kann auch nicht von heute auf morgen mit einem Ruck erfolgen. Eine solche Möglichkeit den Massen vorzu- Ipiegeln, muß die Sozialdemokratische Partei andern über- - lassen, die es mit der Aufrichtigkeit und der wissenschaftlichen Gewissenhastigkeit weniger genau nehmen. Der Uebergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ist ein Prozeß, der nicht gewaltsam erzwungen werden kann, sondern der sich natür- lich, organisch vollzieht und durch Willensakte, die auf Er- kenntnis gegründet find, gefördert wird. Jeder Versuch, sich dieser Wahrheit zu widersetzen, führt zu Rückschlägen: Fesseln, die man, statt sie vorsichtig zu lösen, gewaltsam an- spannt, schneiden uns noch tiefer ins Fleisch. Das Befreiungswert kann nur gelingen, wenn sich das schaffende Volk seiner Aufgabe bewußt wird, die demokratische Republik zu schützen, sie nach innen gegenüber dem Kapita» lismus m a ch t i g zu machen, ihr Schritt für Schritt die Herr- fchaft über den wichtigsten Bewegungsfaktor der Gesellschaft, über die Wirtschaft zu erobern. Darum fordert die Sozial- demotratie in der Republik von ihren Anhängern in dem - Sinne, wie es das Programm zeigt, Staatsgesinnung und soziales Pflichtbewußtsein. Ein Programm, das Anspruch auf Wissenschaftlichkeit er- bebt, darf weder zu viel prophezeien, noch zu viel versprechen. Da« Görlitzer Programm hat darauf verzichtet, über die kom- m?� Entwicklung im einzelnen zuviel vorauszusagen, es hat darauf verzichtet, unerfüllbare Forderungen zu erheben. Es stellt sich fest auf den harten Boden der Wirklichkeit. Es wird unklare Träumer nicht befriedigen, nüchtern und klar denken- den Menschen aber zeigt es den Weg, den sie als werktätige Mitglieder dir Gesellschaft, als Bürger der Republik gehen müssen, wenn sie den Aufstieg des Ganzen zu höheren Stufen menschlicher Kultur fördern wollen. Das Leipziger Aktionsprograrüm der Unabhängigen ge- braucht in jeder Zeile die Worte„Revolution" und„revolutio-
när", die im Erfurter Programm von 1891 nicht ein einziges Mal enthalten sind. Es prophezeit als nächste Stufe der Ent- Wicklung das System der politischen Arbeiterräte, es stellt dem bürgerlichen Parlament als Ausdruck des Machtwillens der Bourgeoisie den revolutionären Rätekongreß entgegen. Es segelt mit jeder Zeile im Fahrwasser des nun gänzlich ge- strandeten und gescheiterten Kommunismus. Die Erinnerung an dieses Konjunkturpro- g r a m m, das nicht ernstem Wahrheitsstreben entsprang, sondern nur dem Bedürfnis, sich einer gegebenen taktischen Situation überschlau anzupassen, sollte den unabhängigen Kritiker an dem e r n st e n Werk von Görlitz zu etwas größerer Bescheidenheit mahnen. Der Görlitzer Parteitag wollte kein Augenbltcksprogramm schaffen, das wie eine Seifenblase schillert, um zu zerplatzen. Auch der schärfste Kritiker auf dem Parteitag htft zugestanden, daß sich die Partei dieses Programme? nicht zu schämen brauche. Das ist im Verhältnis zur Programmschleuderei, die man anderenorts zu beobachten Gelegenheit hatte, immer schon viel. Das Görlitzer Programm umschreibt so klar wie möglich den Loden, auf dem die Sozialdemokratische Partei wirkt und kämpft. Es ist ein Ruf an das ganze schaffende Volk, auf diesen Boden zu treten, und sich mit Gleichgesinnten zur un- verbrüchlichsn Kampsgemeinschaft zusammenzuschließen: klarblickend und entschlossen, nicht halsbrecherisch, aber wage- mutig, tapfer und fest stets vorwärtsmarfchicrend und, wenn es fein muß, auch stürmend. Wer dieses Programm prüft und sich mit seinem Inhalt einverstanden findet, dem erwächst die sittliche Pflicht als Staatsbürger und Angehöriger des schaffenden Volkes für seine Ziele mit einzustehen und seinen organisato- rischen Anschluß an die Sozialdemokratische Partei zu vollziehen. Die Halben, Lauen, Unent- schlossenen sind schlimmere Schädlinge als die offenen Gegner. Nur der darf Achtung beanspruchen, der sich sein« Ueberzeu- gung bildet und nach ihr handelt. Das Görlitzer Programm ist nicht Schönrederei, sondern Bekenntnis. Ihr, an die es sich richtet, habt auch Ihr Bekennermut!
Für Abrechnung mit öen �ohenzollern. In dem summarischen Bericht über die Rede des Genossen S ch e i d c m a n n, die er in der Görlitzer Volksversammlung ge- halten hat, ist ein Abschnitt bei der Berichterstattung unerwähnt ge- blieben, den wir bei der Bedeutung der erörterten Frage noch nach. tragen wollen. Scheidemann führte aus, daß die Abführung vieler Millionen für den Kaiser nach Holland in weiten Kreisen des Volkes berech- tigten Unwillen hervorgerufen habe. Er machte den Vorschlag, daß man jede weitere Verhandlung abhängig machen solle von den positiven Erklärungen aller in Betracht kommenden Hohenzollern , daß sie auf alle vermeintlichen Thronrechte definitiv Verzicht leisten und sich jeder politischen Tätigkest enthalten wollen. Im übrigen handle es sich nicht um eine Frage juristischer Formulierung, sondern um eine eminent politische Angelegenheit. Man sollte sich erinnern an das Verhalten der Hohenzollern unter Bismarcks Führung nach dem Jahre 1866 gegenüber dem König von Hannover und dem Kur- ürsten von Hessen . Bismarck gründete aus dem beschlagnahmten Vermögen den Welfenfonds, der dazu dienen sollte, die Umtriebe der Welsen gegen die Sicherheit Preußens zu bekämpfen. Diese angeb- lichen Umtriebe der Welsen gegen die Sicherheit des Staates waren ein lächerlicher Popanz im Vergleich zu der Gefahr, die jetzt tatsäch- lich dem Reiche durch die Hohenzollern bzw. ihre Anhängerschaft im Lande droht. » Auf unsere verschiedentlichen Feststellungen, daß die Hohen- zollernsche Vermögensverwaltung bisher nicht nur keinen Pfennig Steuern gezahlt habe, sondern daß sie sogar ungeniert und mit Er-' ölg bemüht sei, sich ihre Steuerpflicht zu„erleichtern?, kündigte am 17. September das preußische Finanzministerium eine Unte.r- u ch u n g an. Von dem Ergebnis sollte die Oeffenllichkeit sofort unterrichtet werden. Wir sind genötigt, festzustellen, �ah bisher die zuständigen Be- Hörden über das Resultat ihrer Untersuchung nichts verlauten
Das Jugenöheim. Von Alfred Fritzsche. Heute sagte mir ein lieber aller Freund, mit dem ich schon manche schönen und auch arbeitsharten Stunden im Jugendheim verbracht hatte— es müss»„renoviert" werden, es sähe schon zu schäbig au». Ich bekam einen kleinen Schreck. Das Wort„renoviert" stach' mir wie eine Nadel in die Seele. Ich sah mich um. Der Genosse hatte recht. Dem Jugendheim gebührte ein neues Kleid. Das alte war schon recht zerschlissen. Nun galt es also Abschied zu nehmen � von dem lang vertrauten Bild, und alte Erinnerungen stiegen auf, derweil die vorwitzige Nase schon den TerpentinMruch der Maler- töpfe wittert». Damals war es— im Kriegswinter. Im härtesten. Da be- gannen wir das Werk. Wenig Hände, heiße-Herzen. Die pochten ihren unermüdlich anfeuernden Takt zu der scheinbar undankbaren Arbeit. Aber der Dank schritt eines Tages gelassen und lächelnd durch die Tür, an der ich heute sinnend stehe. Junge Bprschen und Mädchen schrillen herein. Arbeiterkinder. Und dann tollte ein Reigen durch den Raum, und das Wort„Jugend!" klang zum erstenmal an den Wänden empor. Eines Abend» saßen wir eng beieinander und hatten viel zu besprechen. Dann holten wir ein« Leiter heran, kletterten hinauf und hängten die Bildnisse von Marx und Engels an die Wände. Da hängen sie heute noch. Ein« rote Fahne darüber. Der, der sie zuerst in den Händen hielt, fiel im Kriege. Nun ist die rote Fahne wie ein Blutstropfen, der zur Erde fallen will... Ein junger Arbellerdichter stand an einem Abend unter ihr. Dort, an jenem Pult, auf dem heute eine Vase steht, in der weiße Astern blühen. Aufgereckt, mit bleichsm Gesicht, die Stirn ins Licht gerückt, stand er vor uns. Seine Augen verkündeten die Revolution, von der er mit furchtloser Begeisterung sprach. Und seine Worte packten unsere Herzen und hielten sie hoch in den Feuerbrand des Geschehen». Dieses Geschehens: Revolution! Sie ließ das Jugendheim zu einem Tor werden, �durch das viele in ihr Iugendland schritten. Arbeitevjugendl Viele" sind hindurch. gegangen. Manche in unbekannte Fernen. Aber alle geläutext von dem Geist, der am ersten Tage verheißungsvoll aufstieg. Dem wir Gestalter sind: Sozialismus! So manchen alten Genossen treffe ich heute noch km Jugend- heim. Und jedem singt die Erinnerung ein leises Liedlein, dem man andächtig lauscht. Es ist köstlich, von der Erinnerung zu trinken. Sie spricht aus tausend Dingep zu uns und läßt Ber-. gangencs wieder erstehen,
Görlitzer Allerlei. In Görlitz passiert allerlei Merkwürdiges. Ich will es dir erzählen, lieber„Vorwärts", aber du darfft es nicht weitersagen. Du bist manchmal so entsetzlich indiskret. Also: Von leitender Stelle wird uns beim Pyotographiertwerden gesagt, wir sollten nicht„das Gesicht nach hinten drehen". Ist das nicht eine Beleidigung für einen Sozialdemokraten? Wir szhen nie nach hinten, sondern immer vorwärts, deshalb heißt du ja auch so. Immer'habe ich gemußt, daß alles in der Partei bei uns sehr ordentlich zugeht und wie Räder einer Uhr ineinandergreift und .auf die Minute klappt. Aber daß ein führender Redner von Partei t i ck t a ck sprach, hat mich doch gewundert.— Oder hat er Taktik gemeint? Auf der Galerie bin ich auch einmal gewesen, da saß vor mir eine schwerhörige Frau. Unten wurde gerade eine Resolutton ver» lesen, die gegen die Vergewaltigung v.on G e o r g i-e n protesttert.— „Das ist recht," sagt die Frau.„Gegen Dergewaltigungs o r g i e n muß man protestieren." Und nun noch eins. Zlbcr das ist ganz geheim. Gestern abend haben wir zufammengesessen in der gemütlichen Weinstube des Konsumoereins, in der man nicht nur schleflschen Grüneberger und Gubener Schattenseite, sondern auch sonst noch allerlei Gutes zu trinken bekommt. Eine Genossin und ich, wir hatten vor uns eine Tasse Kaffee, echten Bohnenkaffee(denn für Bohnenkaffee lasse ich mein Leben, besonders wenn ich etwas ein- zustippen habe). Da hat sich ein Genosse zu uns gesetzt, dessen Namen ich dir nicht sage. Aber du kannst raten. Er fängt mit O an. Der Genosse sieht unseren Kaffee bedenklich und sein Weinglas vergnügt an und sagt:„Ich bin auch einmal Abstinent gewesen, aber da habe ich den Magenkrebs bekommen. Seit ich wieder Wein trinke, ist er zurückgegangen." „Krebse gehen immer zurück," sage ich,„doch sie tun es im Wasser. Daß Wein dazu gehört, habe ich noch nicht gewußt." Hast du es schon gewußt, lieber„Vorwärts"?— Sonst sei dankbar, daß ich dir etwas Neue» erzählet Lena. Neues volkslheater:»Der Schrei nach Ruhe" von Ben I o n s o n. Shakespeare hatte einen Nebenbuhler, Ben Ionson, der ein verbummelter Student und Schuldenmacher war und es trotz- dem zum Hofpoeten brachte. Das konnte er, weil auch die Gesell- schaft der Königin Elisabeth einem recht pöbelhaften Geschmack huldigte, an der feinen und genialen Sprache Shakespeares nicht übermäßigen Gefallen fand und sich lieber an Zoteri« und Unflat ergötzte. Ben Jonfon traf diesen Geschmack gut. Er war trotzdem ein begabter Theatermann, der mancher lustigen Farce auf die Beine half. So schuf er den Menschenfeind, der sich gegen alle Welt abschließt, keinerlei Geräusche verträgt und jedermann für einen Schädiger seines häuslichen Friedens hält. Dieser Menschenfeind wird nun glücklich an der Nase herumgeführt, ein lustiges Weibchen bringt ihn um feine Seelenruhe und schließlich auch um fetn ganze» Vermögen» und der jroh« Nutznießer dieser erfreuliche» Dinge wird
ließen. Woran liegt das? Hat man so viel gefunden, oder findet man sich nicht zurecht? Wir sind nach wie vor gern bereit, noch etwas nachzuhelfen, wenn es nötig werden sollte. Wir sind der Mei- nung, nachdem das Finanzministerium feit einer Woche im Besitz der Originalaktenstück« ist, könnte es der Oeffentlichkett endlich eine Mitteilung von dem machen, was sie gefunden hat. Uns erscheint es als eine wahrhaft volkstümliche und nützliche Aufgabe eines kommenden neuen preußischen Kabinett», auf ihr Arbeitsprogramm auch den Punkt: SteuerpflichtderHohen- z o l l e r n zu setzen._ Vor öer Verftanöigung mit Hapern. Verlin. 24. September. (WIV.) De? bayerische Mnlsl-r. Präsident Gras Lerchenfeld staliele heule vormittag dem Reichs- Präsidenten und daraus dem Reichskanzler einen Besuch ab. 3tn Anschluß an die Besuche wurden die Verhandlungen über die zwischen dem Reich und Layern schlvcbenden Fragen über den Ausnahmezustand und die Verordnung de» Reichs- Präsidenten vom 2g. August 1g21 beim Reichskanzler aufge- nommen. Die Verhandlungen, an denen auch der Reichs- minister des Innern und der bayerische Minister des Innern teilnahmen, wurden im Geiste der Versöhnung und des Ausgleichs geführt. Die bayerische Delegation wird sich unverzüglich mit dem bayerischen Ministerrat und den zuständigen Stellea de» bayerischen Landtages in Verbindung sehen, um sich über das Ergebnis der Verhandlungen e u d g ü l t i g zu verständigen. Der Reichskanzler wird am Mittwoch im Reichstag von dem Er- gebnls der Verhandlungen Mitteilung machen.
Erklärung öer Gppauer werkleitung. m a n n h e i m , 24. September. (MTB.) Nach einer Erklärung der Badischen Anilin- und Sodasabrik steht nunmehr fest, daß die Katastrophe aus die E x p l o f i o n eines Lagers von etwa 4 5 0 0 Tonnen Ammoniaksnisalsalpeter zurückzuführen ist. Es war bisher nicht bekannt und im höchsten Maße überraschend. daß diesem Produkt Explosionsfähigkeit innewohnt. Die Ursache der Explosion wird sich kaum sicher ermitteln lassen, weil sämtliche zur Zeit der Explosion in diesen Vaulcu beschäftiglen Personen der Katastrophe zum Opfer gefallen sind. Die Nachricht, daß Oppau gänzlich zerstört ist, trifft nicht zu. Mit der Wlederausnahuie der Ammonlakherstellung kann in nicht allzu ferner Zeit gerechnet werden.(Vgl. hierzu den Bericht auf der ersten Seite.) Opvau als Hetzstofs! München , 24. September. (Eigener Drahtbcricht des„Vor- wärts".) Die„Münchener Neuesten Nachrichten " füllen— un- gewarnt durch den Bankrott des Systems Kahr-Roth— die Spalten ihrer Sonntagsausgabe nach altgewohnter Art mit einer doppelten Ladung Giftstoff. Diesmal muß das entsetzliche Unglück von Oppau dazu herhalten, die gemeinsten und unsinnigsten Verdächtt- gungen gegen die Besatzungstruppen und die K o m m u n i- st i s ch e Partei Deutschlands auszusprengen. Das Blatt erinnert daran, daß der mitteldeutsche Ausstand der Kommunisten seinen Brennpunkt in den Stickstoffwerken in Leuna hatte. Unwillkürlich werde die Gedankenlinie Leuna— Oppau gezogen und gefragt: Wem zum Nutzen? Wer Hot ein Interesse daran, daß die chemische Indu» strie Deutschlands , voran die Stickstoffindustrie, schwerstens geschädigt werde? Antwort: Das feindliche Ausland und die Bolfche- wiften in Deutschland. — Das ist die gleiche Presse, die den Erzberger-Mord als„ungeklärtes" Verbrechen behandelt wissen wollte, obschon von Anfang feststand, daß die Mörder Erzbergers in rechtsradikalen Kreisen zu suchen waren. Hier wo ein wirklich ganz ungeklärter Unglücksfall vorliegt, arbeitet dieselbe Presse mit dem System leichtfertiger Derdächtigungenl Weiter beschwert sich das Blatt darüber, daß die badischcn Kriminalbeamten, die zur Aufdeckung des Erzbepger-Mordes nach München kamen, gegenüber den Pressevertretern so ungeheuerlich zurückhaltend gewesen seien. Dagegen wird die Bekanntgabe d«x Bestimmungen der Geheimoxganisatio» durch den badischcn Staatspräsidenten als eine„schwere Verletzung der bayerischen Ver- waltungshoheit" hingestellt, weil das Sch»rftstück aus der Unter- suchungstättgkeit der badischen Beamten in München stamme. Schon erhebt das Blatt ein gewaltiges Geschrei, daß dadurch der Ganz der Untersuchung wegen„Geheimbündelei" in München g e,
der junge und räntereiche Mann, der sich dem Weibchen al» Bett- genösse gesellt. Benedikt Lachmann wollte die Farce für die heutig? Bildungsbühne retten. Es gelang ihm kaum. Die Sache fängt lustig an, sie wird aber langweilig," da sie schließlich alles seelische Interesse verliert. Man wundert sich, daß die Sachoer- ständigen der Volksbühne das nicht gemerkt haben. Die Schauspieler, dl« Herr G o l d b e r g als tüchtiger Regisseur leidet«, hatten bei der Erweckung dieses halb toten Werke« schwer« Arbelt. Herr Fritz L i o n setzt« als Menschenfeind ganz drollig ein. Er«nttvickelte chinesisch« Mandarinenmanieren, Fisteltöne und plisrendes Blinzeln, das den tragikomischen- Mann fröhlich charakteri. sierte. Schließlich erlahmte er jedoch und er konnte nur noch wimmern und starren. Rose Liechtenstein und F r ä n z« R o l o ff überraschten durch komische Tälente, die man bei den sonst tragisch gestimmten Schauspielerinnen nicht vermutete. Sehr bunt und unterhaltend waren die Bühnenbilder des Malers Frey, der einen farbigen und lachenden Bllhnenexprefsionismus pflegt. Hier tänzelt« ein Chor fröhlicher Mädchen, die von dem blonden und erquicklichen Fräulein Rita Porfen geführt wurden. M. H. „Der Richter von Zalamea" von Calderon ist jetzt vom S ch i l l e r t h e a t e r in einer sehx ansehnlichen Ausstattung ins Repertoire aufgenommen. Im Bergleick mit der vorjährigen Auf- führung der' Volksbühne wirkt die Darstellung einigermaßen matt. Am besten war der Nichter Crespo Gustav C z i m e g s, dem starte und eindringliche Töne zur Verfügung standen. Ihm nahe kam der Don Lope Willy Eberhardts. Das ganze Spiel Kit unter der allzu starken Bttonung gewisser tragischer Momente. Die Spielleitung sollte nachträglich hier noch dämpfen. k. Explosionskatastrophen. Furchtbare Kunde trug der Draht am 21. Septembermorgen in die Welt: Eine Explosion in noch nie erlebten Ausmaßen ließ von Heidelberg bis Frankfurt alles er- zittern, wirkte in den Städten Mannheim und Ludwigshafen wie ein Erdbeben und oerwandelte blühende Ortschaften in-Schlacht. felder. Noch läßt sich das Unglück in seiner ganzen Größe nicht übersehen. Die Bilder grauenhafter Verwüstung, wie sie die Un- glücksstätte bietet, lassen aber schon jetzt erkennen, daß un» eine Katastrophe betroffen hat, wie sie die Menschheit in chrer Chronik glücklicherweise nur selten zu verzeichnen braucht. Schon einmal war die Rhcingegend Schauplatz einer großen Explosion. Das war, als im Jahre 18S7, zur Zeit, als die Stadt noch Bundesfestung war. der Mainzer Pulverturm mit furcht- barem, ebenfalls weithin hörbarem Knall in die Luft flog: doch stand die Zahl der damaligen Opfer in keinem Verhältnis zu der die das Oppauer Unglück forderte. Weit schwerer als die Mainzer Explosion war das Unglück, das sich vor IS Iahren in der nvrdfranzösifchen Kvhlcnindiistrie er-' eignete. 1800 Bergleute fuhren am Vormittag des 10. März im Jahre 1906 in den Schacht bei C o u r r i e r e« ein, nur 400 von ihnen sollten da» Sonnenlicht wiedersehen. Ein mehrere Tage lang un- 'bemerkt gebliebener Brand hatte die emsetzliW» Explosion zur