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Eine rechtliche Irreführung. VN d«»Täglichen Rundschau" untersucht ein jvrtftffcher Mtarbeiter die Möglichkeiten einer etwaigen Auslieferung der Mörder Er�ber�ers. Er unterscheidet hierbei durchaus zutreffend die Handlungsweife aus privaten und aus politischen Motiven und weift darauf hin. daß im Falle! der privaten Motive eine Auslieferung erfolgen könne, wich ?end ein« Auslieferung wegen politischer Verbrechen nich>t stattfinde. Hierbei zieht er den Vertrag mit Italien n-om 31. Oktober 1871 sowie das Auslieferungsabkommen ml'l der Schweiz vom 24. Januar 1874 heran. So weit, so richtig. Wemn der Verfasser jedoch die weitere Schlußfotoerur, g zieht, daß aus diesem Grund» eine Auslieferung der cder Erz- bergers nicht erfolgen könne, falls das politisch« Motiv erwiesen sei, so befindet er sich in einem Rech<»irrtum. Nach dem schweizerischenAuslieser'UNgvgesetz kann nämlich die Auslieferung auch dann erfolgen, wenn der Tat zwar politische Ursachen zugrunde läge n, die Handlung jedoch, um derenwillen die Auslieferung v erlangt wird, vor- wiegend den Charakter eines gemeine n Verbrechens hat. Von diesem Gesichtspunkt ausgehen ä), werden denn auch m den meisten neueren Benrägen M r d und Mordver­such ohne Rücksicht auf etwailge politische Motive als Auslieferungsdelikte behandelt. Dieser Gesichts- Punkt müßte aber für das Vcrhaliren der Reichsregierung im Falle einer Entdeckung der Mörder im Auslande entscheidend sein. Kriminalverfahren oöerPolizeiimterfachmig? Zur M�rdaffäre Buchholz. sachkundiger Er.ite wird uns geschrieben: Sn letzter Zeit hat infolg« der allgemeinen politischen vorgtinge die öffentliche Presse wieder den sogenannten Selbstmord des Ober- Wachtmeister« V u h o l z au, derHundertschaft zur besonderen Perwendung" in �harlottenburg erwähnt, und mehrfach ist die Frage ungeschnitten werden, was das Polizeipräsidium und die Oeffentlichkeit zu der verschleppten Untersuchung zu sagen hätten. Wesenttbch zur Klärung des Tatbestandes wird folgende Fest- stellung beitragen können. Während im allgemeinen jede Kriminal- Handlung durch die Kriminalpolizei und die Ltaatsanwalt- s ch a s t oerfolgt wird, ist das gleiche Verfahren leider bei der P o l i Z e i und der Reichswehr nicht zur Geltung gebracht. Dahr.r erklärt sich auch die Behauptung, daß in diesen beiden Ln- stit-.itionen Sachen vorgehen, die das Licht der Ocssentlichkett zu f�geuen haben. Man kann ohne weiteres als sicher annehmen, umj 10 mehr da ärztliche Zeugnisse darüber vorliegen, daß Oberwachtmeister Buchholz nicht Selbstmord begangen hat, sondern> daß. da der Schuß aus einer Entfernung von 30 Zentimeter auf den' Hinterkopf abgegeben worden ist, ein Mord vorliegt. Solange aber die Verfügung de» Polizeipräsidenten besteht, daß alle Kriminalfälle innerhalb der Polizei nicht der Kriminalpolizei in diesem Falle also der Mordkommission, fondern der bei der Sicherheitspolizei eingerichteten Krimi» nalstell« übergeben werden, wird man niemals die Klärung diese» Mordes erreichen können. Es dürfte daher von Vorteil sein, wenn mehr als bisher die Forderung erhoben wird, daß mit der Auf- klärung dieses Morde» nicht wie bisher die Kriminalstelle der Eicher- heitspolizei, sondern die Mordkommission beim Berliner Polizeipräsidium betraut wird. Dann dürfte die Oeffentlichkeit bald über die weiteren Vorgänge in der ZBV. aufgeklärt werden.

berliner Junktionarversammlung.

Mibe gegen anNsemitische Pogromanstister. Wt« dieMünche­ner Neuesten Nachrichten" melden, lautet das Urteil im Landfriedens» bruchprozeß in M-mmingen: Dr. V i c i u s und Eduard Hail werden we�en Anstiftung zu schwerem Hausfriedensbruch zu einem Monat Gefängnis, Fritz Hail und S t ö h r wegen ein­fachen Hausfriedensbruches zu fünf Tagen Gefängnis ver» urteilt. Den Verurkeilken wird Bewährungsfrist bewilligt bis 1. Oktober 1923. Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen. Semenoff in Shanghai . Nach einer Meldung der Agence Hava» au» Shanghai ist General Semenoff auf der Reis« nach Amerika dort eingetroffen.

Die Berliner Funkttonärversammlung, über deren Ergebnis wir bleute morgen kurz berichteten, nahm nach den Referaten Krügers und Ströbel» folgenden weiteren Verlauf. Die Diskussion eröffnete Heinig mit einem scharfen Protest gegen di« Art, wie Ströbel in seinem Referat das Parteiprogramm zitierte. Ströbel sagte, daß da» Parteiprogramm nur die Gemein- Wirtschaft erstrebe. Allein im Programm steht wörtlich:... Die Ueberführung der großen konzentrierten Wirtschaftsbettiebe in die Gemelnwirtschaft und darüber hinaus die fortschreitende Umformung der kavitalistischen Wirtschast zur sozial, st ischen, zum Wohle der Gesamtheit betriebenen Wirt- schaft, erkennt sie als notwendige Mittel, um das schafsende Volk au» den Fesieln der Kapitalherrschaft zu befreien...." Ist das nicht Sozialisisrung?(Zustimmung.) Ferner hat Sttvbel behauptet, daß das Programm nicht zur Soziallflerung der Bergwerke Stellung nehmen.?m Programm aber heißt es wörtlich:Grund und Boden, dl eoD odenschätze, sowie die natürlichen Kraft- quellen, die der Encrgieerzcugung dienen, sind der kapitalistischen Ausbeutung zu entziehen und in den Dienst der Volksgemeinschaft zu überführen.(Zurufe: Na alsol) Bedeutet das nicht die Forde- rung der Eozialisierung der Bergwerke?(Zustimmung.) Wenn Gen. Ströbel sagt, daß wir eine sozialistische Politik treiben sollen, so hat er nicht nur einmal, nein drei» bis zehnmal recht. Aber hat er uns gesogt, wie die sozialistische Politik aus- sehen soll?(Lebh. BeifaT) Die radikalen Schreier, die hier sitzen (große Unruhe) würden uns die bittersten Vorwürfe machen, wenn Deutschland dadurch ruiniert würde, daß wir den bürgerlichen Par- teien die Herrschaft überlassen und uns ausschalteten.(Beifall.) Löwen lhal: Das Sozialisterungsproblem Ist im GSrlietzr Pro- gramm nicht scharf genug umgrenzt. Die AusdrückeGemeinwirt- schaft" undStellung in den Dienst der Voltsgemeinschaft" sind verschwommen. Das Problem der Richterwahl ist nicht gelöst. Die Börse ist sofort zu schließen bis zu einer neuen Regelung des De- Visenhandels. Mit der Volkspartei kann eine Gesundung der Geld- wirtschast nicht herbeigeführt werden. Wir müssen mit der USP. zusammengehen. Wanskl: Ich spreche hier als Parteigenosi« unter Parteigenossen rmd muß erklären, daß das Parteiprogramm für den annehmbar ist, der in etwa 30 Jahren die Erfüllung erwartet. Wir sind Klassen. arbeiter, eine Gemeinschaft mit der Volksoartei kann es nicht geben. Zu bedauern ist es, daß Stampfer imVorwärts" geschrieben hat: Wer wegen der Görlitzer Beschlüsse austritt, um den ist e» nicht schade. Wir verlangen unser Mitbestimmungsrecht, nach unserem Willen soll es gehen.(Beifall.) Stampfer: Ströbel hat feine Rede von Görlitz wiederholt, und ich kann nur wiederholen, daß es ihm nicht gelungen Ist, trotz aller Reden, positiv brauchbare Vorschläge zu machen. Da» Programm kann sich nicht in Einzelheiten verlieren, es muß den Rahmen soweit wie möglich spannen. Das Programm erfüllt nach der Ansicht des Parteitage« dies« Forderung. Die Resolution des Parteitages besteht, und wenn man dagegen anrennt, erreicht man höchstens neuen Partelhader und sogar Parteispältung. Die Resolutton Kuttner-Lüdemann ist ein söge- nannter Dreh, da sie eine objektive Unrichttqkeit enthält. Ich bitte Sie, diese Resolution abzulehnen und dafür die von Heinig und mir eingebrachte anzunehmen, in der es heißt, daß der Parteivorstand bei Verhandlungen mit der Deutschen Voltspartei äußerst vorsichtig sein solle und in der zum Schluß die Wiedervereinigung der Arbeiter- Parteien gefordert wird. Votonie: Wir haben da» stärkste Mißtrauen gegen die Volts» partei. Diese soll in der neuen Regieruna die Leitung des Finanz- Ministeriums bekommen.(Lebh. Unruhe.) Wesentliche Veränderungen werden sich In der Volkspartei nicht vollziehen. Daher bedauere ich den Görlitzcr Beschluß.(Beifall.) Es läuft ein Anttag auf Vertagung ein: der Antrag wird ab- gelehnt und auf Antrag Kuttner die Redezeit auf fünf Minuten beschlossen. Krüger(Bernhard): Was hat sich in unserer Stellung zur Volks- partei geändert? Die Steuervorlagen sollen mit der volksportei gemacht werden, daher ihr Streben, in die Regierung zu gehen und daher auch ihr Streben, da» Ministerium Wirth zu stürzen. Wir wünschen nur, das manches andere Ministerium genau so gehandelt hätte, wie das Ministerium Wirth.(Lebh. Beifall.) Lehnen Sie jede Koalition mit der Deutschen Volkspartei ab.(Beifall.)

tiempke protestiert auf das schärfste gegen den Görlitzer Beschluß- Wenn man eine Urabstimmung der Parteigenosien herbeigeführt hätte, wäre ein solcher Beschluß nie angenommen worden. Luttner: Wir wollen nicht lang« theoretisteren. Genosien, der Beschluß von Görlitz ist der Sieg Stegerwalds. Diesen Mann hat es nicht gepaßt, daß sich im Reiche eine Koalition vorbereitete, der auch die Unabhängigen angehören sollten. In diesem Falle wäre auch das Kabinett Stegerwald erledigt gewesen. Und so ist Herr Etegerwald sehr betriebsam geworden und hat die Koalitien von Strejemann bis Echeidemann angestrebt. Man hat gesagt, wir hätten freie Hand und Mindestforderungen. Da» ist unsinnig: Eni» weder hat man freie Hand, oder man hat Mindestforderungen, b cid es zusammen gibt es nicht. Die Stinnes-Partei hat es glatt aogelehnt, ein von den Demokraten gefordertes Bekenntnis zur Republik ab- zugeben. Genossen, die Forderungen werden der Boltspartsl gar nicht vorgelegt werden. Die Regierung wird eine Erklärung ao- geben, in der dann die fünf Punkte enthalten sind. Die Dolkspartei als solche" wird dem nicht zustimmen, sondern erklären, daß dies nur einige ihrer Mitglieder in der Regierung getan hatten,(lsiroge Unruhe.) Wir werden den Beschluß von Görlitz anerkennen musien. Aber es steht nicht in ihm. daß wir mit der Deutschen Dolkspartei zusammengehen sollen. Lagen wir klar, daß wir es ablehnen, mit : dieser Partei zu arbeiten. Und wenn Sie diesen Willen bekundet haben, werde ich mich al, ihr Abgeordneter als Verfechter dieses Willens einsetzen.(Lebhafter Beifall.) Im Schlußwort erklärte Genosie Lrüger. daß noch niemals mehr Theater gespielt worden sei als jetzt vom Genossen Kuttner. (Großer Lärm.) Der Genosie Ströbel hat un« empfohlen, eine klare sozialistische Politik zu treiben. Er sagt. Crispiens Rede in Görlitz | war eine Dummheit. Er sagt. Erispien sei nicht die USP. Aber wo sind die Unabhängigen, die ander» geredet haben?(Beifall.) Genosien, ! e s gibt keinen M« n s ch en in der Partei, der De «. trauen zur Deutschen Volkspartei hätte. Wenn der . Genosse Kuttner hier sagte, daß die Deutsche Volk-parte, es aoge- lehnt hätte, ein Bekenntnis zur Republik abzulegen, so hat er ver- ! gesscn hinzuzufügen, daß darauf dasTageblatt" geantwortet hat, ! daß dann eine Koalition mit der Partei auch für die Demokraten nicht l in Frage kommen könne. Haben wir nicht seit der Revolution einen ! ununterbrochenen Kampf gegen den Achtstundentag gehabt? Es gibt beinahe nichts, was nicht durch den Görlitzer Beschluß in Gc- fahr gebracht worden wäre. Ich bedauere, daß der Genosie Kutlncr , den Görlitzer Beschluß nicht gelesen hat. Da steht nämlich drin, daß wir nur nach Vereinbarung eines Arbeitsprogramms mit anderen Parteien zusammenarbeiten können. Das ist der Sinn de» Görlitzer Beschlusses, daß wir mit allen Parteien verhandeln können. Was fangen wir mit dem Masienwillen an, wenn wir nicht di« i Macht haben? Der Streit geht doch nur darum, ob wir unter allen Umständen mit der Deutschen Bolkspartei uns verbinden oder nicht. Nehmen sie die Resolution Stampfer an, die den Görlitzer Beschluß grundsätzlich anerkennt, aber verlangt, daß die Bedingungen restlos erfällt werden. Sie werden dann der Partei den Dienst erwiesen haben, die die schwere Zeit oerlangt.(Beifall.) Genosie Ströbel polemisiert gegen den Genosien Heinig. Wenn Heinig für eine Koalierung mit der Stinnespartei eintritt, sollte «r seine Broschüre gegen Stinnes einstampfen lasien. Eine Koa» llerung mit der Deutschen Volkspartei bedeutet das Begräbnis der Partei. Der Genosse Stampfer hat von der Liebe gesprochen� tne er zu mir habe. Ich hoffe, daß diese Liebe so weit gehen wird, baß auch die gegenteiligen Meinungen imVorwärts" zur Geltung kommen werden. Ich halte die Ausführungen Kuttners für durch- aus ehrlich, wie ich auch die Meinungen der Genosien, die sich für eine Koalition mit der Deutschen Volkspartei einsetzen, für ehrlich halte. Uebcr die Beschlüsse des Parteitages können wir uns nicht hinwegsetzen. Nehmen Sic daher eine Resolution an, die Ihre wahre Meinung zum Ausdruck bringt. Erklären Sie einfach, daß Sie gegen eine Koalition mit der Deutschen Dolkspartei sind. Wir müssen aber einig bleiben. Meinungsstreit soll es, muß es geben, wenn die Partei nicht verstocken soll, Richtung» st reit darf e» nicht geben. Laßt uns gemeinsam um die großen Ziele in einer einigen großen Partei wirken.(Großer Beifall.) In persönlicher Bemerkung erklärt Genosie Snlkaer. daß er selbst derjenige ist. der sich hindert, imVorwärts" seine abweichende Meinung zu vertreten. Das Zentralorgan der Partei darf nicht zum Tummelplatz der Meinungen seiner Redakteure werden. Wer davonläuft, weil ihm irgendein Beschluß nicht paßt, ist ein ganz trauriger Kerl.(Lebh. Beifall.)

Ernst Totlers Mäste Nensth�. Erstaufführung in derVolksbühne". Srnst Toller sttzt noch immer im bayerischen Festungsgefltngni» Riederschönenfeld. Hat er da» geringe Stück gepflasterter Erde um- «ändert, das seinen von der Host erstarrten Gliedern di« harten ver- «alter des Zuchthauses freigeben, hat er das schmale Himmelsgelände «msgekostet, das sein Aug« bei den karg bemessenen Erholungsgängen sucht, dann entscheiden Schloß und Riegel und Sehnsucht schwerer über sein Schicksal, als jene schäbig« Freiheitsfreude, di» ihm täglich neu vergällt und geschmälert wird. Man hört da» Leid, da» der Ge- sangen« von Niederschönenfeld hinausklagt, und man vernimmt es nttt außergewöhnlicher Teilnahme. Denn es hebt den Jüngling, es recht- fertigt ihn nicht, aber es erklärt seine Beweggründe und Absichten. Wer überhaupt für Herzenstön» Empfindung besitzt, wird die letzte Beicht« Ernst Tollers , sein Drama»M a s s e Mens ch",»in Stück au» der sozialen Reoclutton des 20. Jahrhunderts, in Ergriffenheit auf sich wirken lassen. Denn dieses Drama ist«in« schmerzhast be- gvnnene und sehr aufrichttg durchgeführte Beichte des Jüngling». Er erleichtert sein Gewissen mit seltener und sehr lobenswerter Offenheit. Was Toller jetzt, da er nur dem wühlenden Dedanken leben muß, bewegt, ist die zerreißende Erkenntnis von der Feindlichkeit der Begriffe Mensch und Masse. Mensch ist kein anderer al» Toller selbst: der Schwärmer, der nach seinem Maß, der zärtlichen Nach- stenlieb« all« Brüder und Schwestern mißt, der erschrickt und wild zusammenzuckt, wenn Gewalt herrschen soll oder gar Blutvergießen. Der Schwärmer meint wohl für Sekunden, daß Krieg, aussaugende Kapttalistentyrannei und alles Elend, das dem entspringt, durch Aufstand beseitigt werden kann. Aber dann, wenn die Masie aus- bricht, um die Revolution zu schüren, bricht der Mensch, der Toller ist, zusammen. Er will nicht mit der Waffe kämpfen, mit dem Kopfe wohl, mit dem Herzen gewlß. Und da er solch milder Mensch bleiben«ill in Ewigkeit, muß er der.Masie geopfert werden, mag sie«un revolutionär oder rückständig sein. Das ist Trauer und Grabgesang eines Verbannte«, der Revo- lution mitgemacht hat, aber gescheitert ist. Toller spiegelt sich im Menschen. Er ist die Frau, di« in seinem Dpama die Führerin der Masse darstellt. Sie büßt, also büßt Toller mit dem Tode, was die entschlossene Menge an Aufruhr gewagt hat. Tollers Spiegelmensch schreit: Krieg der Revoltierenden ist nicht» anderes als auch nur Krieg, wie ihn die verruchten Generale und Könige gepredigt haben. Ihm knallt die Kugel ins Herz, und der trübe Alltag geht weiter. Resignation trifft den Gefangenen. Er beichtet, er dichtet, er ist Schmerzensphilosvph. Ist er der beredte Sänger des'Leides? Alles wird ihm Vision. Er greift nicht in die Wirklichkeit, er schneidet sie aus dem Gewöhnlichen, um sieben Gespensterszenen vom Untergang des Schwärmers ausgeistern zu lassen. Sicherlich

ist er im Aeußerlichen geschickter geworden. Er scheint darum inner- licher. Er gerät nicht mehr in die ganz dürr« Trockenheit de» Wortes. Er erregt, wenn die Visionen seiner Phantasie aus die Bühne geführt werden. Der Verstand wird ausschließlich festge- halten. Für Sekunden schleicht sich trotzdem in den Beobachtenden die Erwägung, daß diese dramatische Beichte doch ein Stück der dramatischen Zukunft sein wird. Es ist schlichtes Volkslied, es ist zugleich raffinierter Expressionismus, wenn Toller seinen Spiegel- menschen, die Lolksführerin, in einem Käfig tauern läßt wie in einem Vogelgatter. Da» ungefüge Stück der Beichte wird aber auch Abrechnung und Abklärung. Es ist greisenhaft, obwohl es jung und wirr ist. Denn es stammt von einem Jüngling, der seine ungeheure Niederlage mit Selbstkritik erörtert. Toller hat Frieden des Inneren gefunden, als er sein Trauerspiel schrieb. Hat der Frieden lange gedauert? Vor Jahresfrist trat ein Be- sucher in Tollers Zelle. Der Besucher erfaßt« im Augenblick nicht die ganze Tragik des Gefangenen. Er wollte den Unbefangenen spielen und wies auf die schöne Aussicht hin, die sich vom Zellen- fenster darböte. Da soll Toller, außer sich vor Erregung, dem Be- sucher beinahe an die Kehle gesprungen sein. Also wären die Ge- lasienheit und die Gefaßtheit des Dichters nur verdeckte Krämpfe des widerborstigen Willens. Wer Selbstverräterei, versteckt im Dichtwerke, mit einiger Hellstchtigkeit zu finden weiß, wird gerade erschüttert durch diese peinvollen, grollenden Tön» der Selbstqual. Masie Mensch" ist ein wichtiges Zeitdokument zur Erkenntnis des revoluttonären Temperaments. Das fei nüchtern gesagt. Jürgen Fehling , der Regisseur der Volksbühne, versucht es nicht, in das Realistische hinüberzurctten, was di« Gedankenangst Tollers nicht vollkommen mit Lebendigkeit ausstattete. Der Re» gisieur entrückt die sieben Bilder des Austuhrs, der Verschwörung. des Gefängnisies und der Barrikade in eine visionäre Unwirklichkeit. Was Toller als Traumbild angibt, wird vom Regisieur fast unter- irdisch oder überirdisch verschleiert. Selbst die geballt« Masie der Proletarier, die gegen den Krieg schreit oder die Internationale dröhnt, wird in eine statuenhaft« Starrheit eingefügt. Die Masken der Mensche««erden zirkusartig grell und mehlig ongeschminkt. Geistererscheinungen, dl« über die Bühne wandern, kommen gerade» zu aus dem Schattenreich. Es wird dem Auge des Beobachters schwer gemacht, di« Konturm des Ungestalten überall zu erkennm. Dem Ohr des Zuhörers wird aber eine größere Plage auferlegt. Alle Sprecher des Stückes versagen. Akustisch ist nicht viel gelungen. Man versteht schon in den ersten Reihen kaum. Es liegt an den Kräften, über die Fehling verfügte. Nur Mary Dietrich, die in letzter Zeit der Deklamation zu verfallen schien, blieb stegreich. Das schwierige Stakkato der Tollerschen Sätze, ein Ergebnis von Absicht und Ohnmacht, wurde von ihr mit technischer Dravour be- wältigt. Und da die Kraft ausreichte, strömte endlich erregende Seelentragik von ihr aus. Max Hoch dar f.

Vedckind-Abend Im Trianonlheoler. Man spielt im Trianon jetzt des Verstorbenen berühmt gewordenen EinakterDer Kammersänger" und-die selten aufgeführten Szenen, die sich Tod und Teufel" nennen. Der Moralist und Näsonneur, der Wedekind ebenso im Blut liegt wie der Zyniker, prägt sich auch in demKammersänger" recht vernehmlich aus. Das trat beim Wieder» sehen des Stückchens, aus welchem die burlesken Wendungen am stärksten in der Erinnerung haften, schärfer, als man erwartet hatte, hervor. Die Figur des virtuosen, der der durch seine Kunst heraus- beschworenen Sturmflut weiblicher Liebesbeteuerungen vergebens zu entrinnen sucht, bleibt im ganzen farblos. Es fehlt fast völlig der Unterton des Komödiantentums, des virtuosenhasten Jnstchjelbst- oerliebtsein», der humoristische Kontrast der Pose, die die Verliebt- heit, der er dann entweichen möchte, selber schürt. Man spürt in seinen Reden und Handeln nicht das Theaterblut. Er agiert im wesentlichen nur als Sprachrohr für de» Autors eigene Betrachtungen und dessen Absicht, den Gegensatz geschästsmännisch an den Kontrakt gebundener Nüchternheit und exaltierten Damenschwärmereien, epi- grammatisch zugespitzt, herauszustellen. Herr K a i s e r- T i« tz fügte aus Eigenem nichts hinzu. Sein Kammersänger hätte ebensogut auch irgendein Beamter oder Kaufmann sein können; aber er durfte sich dafür freilich auf den Text der Rolle selbst berufen. So blieb die Bühnenwirkung mäßig. Noch schwächer war sie in dem zweiten Stücke, einer lang ge- zogenen Debatte über Mädchenhandel und Prostitution, die ohne jeden Ansatz psychologischer Gestaltung sich in verworren paradoxen Thesen überschlägt. Eine Frauenrechtlerin, di« ein entlaufene» Mädchen aus dem Bordell befreien will, erstirbt dann in Dewunde- rung vor den selbstgefälligen zynischen Sophismen de» Besitzers, der zügellosen Einnengenuß als da» höchste Gut preist und bietet sich begeistert dem Herrn al» Gattin an. Doch der lehnt sehr ener« gisch ab und schießt sich nach einer Szene, die ihn an seinem schönen Glauben Irremacht, eine Kugel durch den Kopf. Ida Wüst arbeitete, so weit es ihr die Möglichkeit der Rolle irgend zuließ, menschliche Momente mit eindrucksvoller starker Kunst heraus. Ee- wandt sekundierte Heinrich Schroth in der Figur desphilo- sophischen" Sinnllchkeitsapostels. dt. sxranenbildxag. Eonntag.!. CfleJcr: Dritter Sag der SsienttiLe» Tagung des Bundes enlichiedencr Schulusormer in dcr Kemeindesestballe Berlln-Lantwiv. Dormiltog« S Uhr:KamNie und Gibule-. Marg. H oti- mann-Gwinn-r:ivntnilie und soziale Erziehung-, Tiegfried K a w e r a u:Die Lcbcnsschule-, Olga Elsig:»Berufswahl rntd Berufs­schule". Nachm. 3 Uhr:»Körper und Seele-, Trude Bez-Menni-kei »Die weibliche Jugendbewegung und die Jungmädchennot-, Lydia G t ö ck e r!»Die Krichlechtelfrage der Jugend und der Erzieher-, Luit» Langgaard- Loheland:.Rhhtbmifche Erziehimg-. Abend» S Uhr unter Leitung von Marg Fuchs lLahelandfchuIe): Rhythmische Vorführungen. Eintrittskarten an der Gaalkasie. Die Kunsthandlung Nlsrrd Heller, Charlottenburg , Bleib- treustr. 12, eröffnet am Monlag. den S. Oktober, mittag» 12 Ubr. ihr» neunte Ausstellung mit einer Kollekllvlchau von Franz Radziwil' und zeigt ferner Arbeiten von Campendonk . Feininger, Hecke l- Herbig,©olmer, H u t h, StauS, F. Müller, O. Müller, R o h e f S, Pe ch fle in, S ch m i d t- Si o t t l« fj und Schwichtau- bürg.