Das Kabinett Wirth ist aus Zenttumsleuten. Demokraten und Sozialdemokraten gebildet, es wurde von den Unabhän- gigen unterstützt, während die Deutsche Volkspartei eine un- entschlossene Haltung einnahm und bald auf das Bein der Opposition, bald auf das der positiven Mitarbeit trat. Ein neues Kabinett, bestehend aus Deutscher Volkspartei , Zen- trum und Demokraten, dem die beiden sozialdemokratischen Fraktionen feindselig gegenüberständen, würde einen v ö l l i- gen Umschwung unserer außenpolitischen und inner- politischen Verhältnisse mit unabsehbaren Folgen bedeuten. Daß bei den bürgerlichen Koalitionsparteien die Absicht zu einem solchen Sprung ins Dunkle besteht, der auch für ihre eigenen Knochen gefährlich wäre, kann nicht angenom- wen werden. Fehlt aber die Absicht, ihn zu vollziehen, so ist es höchste Zeit, die Krise für erledigt zu erklären und sich d e r Sache selber zuzuwenden. � Vielleicht wird die Verkün- dung der Entscheidung auch manche Hamletnaturen darüber belehren, daß Oberschlesien und Deutschland keine Regierungs- k r i s e n, sondern Regierungs taten brauchen, daß keine Zeit ist zu taktischen Spekulationen und Manövern, sondern daß überlegt werden muß, was das Interesse der Bevölkerung Oberschlesiens und des ganzen deutschen Volkes zu tun ge- bietet. * Durch WTB. wird das folgende deutfchvolksparteiliche Dementi verbreitet: Der„Vorwärts" und die„Freiheit" bringen heute früh die Mitteilung, daß die Reichstagsfraktion der Deutschen Volkspartei in der gestrigen Sitzung durch Mehrheitsbeschluß den Eintritt in ein Ka- binett Wirth abgelehnt habe. Der„Vorwärts" will sogar misten, daß die Entscheidung gegen fünf Stimmen gefallen sei. Die Ratio- nalliberale Korrespondenz stellt demgegenüber fest, daß die Frak- tionsberatungen heute nachmittag fortgesetzt werden und daß in der gestrigen Sitzung irgendwelche Abstimmung nicht stattgefunden habe. In Kreisen der Deutschen Volkspartei wird also lebhaft b e st r i t t e n, daß ein d e f i n i t i v e r Beschluß gefaßt sei, nach dem die Partei in ein Kabinett Wirth auf keinen Fall eintreten werde. Sollte ein solcher Beschluß tatsächlich nicht gefaßt sein, so steht doch fest, daß die Stimmung in der Frak- ion gegenwärtig einem solchen Beschluß vollkommen entspricht.. 4- Varls. 20. Okobsr.(WTB.) Entgegen einer Prestemeldung, d«r mische SolfchcPcr Dr. Mayer fei nach Berlin gereist, ist fest- 'stellen, daß. deutsche Botschafter Paris nicht ver» lassen hat.
Ist Ihnen bekannt...! Die 14 Punkte Wilsons und Ludendorff. Dem deutschen Volke ist die Vorgeschichte des Zusammenbruchs von 1918 und des Waffenstivstandsangsbots leider viel zu wenig bekannt. Infolgedessen hat hier s>ie alldOitsche Presse unglaubliche Aeschichlslegenden erfinden könneit. So wird z. B. immer wieder behauptet, der dumme deutsche Michel sei auf die 14 Punkte des Präsidenten Wilsons hereing- fallen. Seine blinde Vertrauensselig- kcit sei durch die Einflüsse der Pazifisten usw. herbeigeführt worden. Viele beten das gedankenlos nach. Ist'hnen bekannr. daß.am 2. Oktober 1918,2 Uhr 40 Minuten nachmittags der Legationsrat v. Leisner im Auftrage des Großen Hauptquartiers an den Legationsrat Dr. Jordan(Aus- wärtiges Amt) folgendes amtlich telephoniert hat: General Ludendorff schlägt folgenden Wort- laut vor: «Die deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika , die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen und zu diesem Zweck Be- vollmächtigte aller kriegführenden Staaten einzuladen. Sie erklärt sich damit elnverstanden, daß die vom Präsiden- ten der Vereinigten Staaten von Amerika in der kongreßbot. schaft vom S. Januar ISIS und in seinen späteren Kundgebungen
Zeitz v. Unruh:„Ls>uis Zeröinanö� (Deutsches Theater.) In Erfurt versammelt Friedrich Wilhelm III. seine Generale. Der König hat sein Heer gegen Napoleon mobilisiert, aber sein Ent- schluß steht fest, daß er die offene Schlacht nicht suchen wird. Da bringt Louis Ferdinand , des Königs Vetter, der mustsche Prinz, der mit Musizi und Malern die Nächte oerkneipt, ein Dokument. Napoleons Hand unterschrieb das Papier. Es lautet: Das Haus Brandenburg hat aufgehört zu existieren. Und die Offiziere, die eben getafelt und den Gang zum Maskenballfest beschlossen haben, springen aus. Der Geist Friedrichs des Großen tritt unter sie, sichtbar nicht, aber jeder spürt ihn im Blut. Denn der greise Feld- Marschall Hohenlohe, der den König sterben sah, beschwört den frie- dcrizianischen Geist. Preußens Armee, Preußens Ehre! Friedrich II. spricht aus dem Jenseits. Die flackernden Kerzen des Festmahls sind fast ganz ausgelöscht. Da leisten alle Offiziere, Generale und junge, in die Hand des greisen Marschalls den neuen Eid gegen Napoleon . . Das ist die stärkste Szene dieses merkwürdigen Preußendramas, das Fritz von Unruh gedichtet hat. Bis zum Augenblicke dieses Verfchwörcrmahls entschlüpfen die Menschen der Phantasie und Ge- staltungskraft des Dramatikers. Nicht Schiller , nicht Kleist erstanden in seiner Kunst. Cr versucht, zwischen den Stilen herumstrauchelnd, die Miniatur mit der Plastik verwechselnd, die Preußengeschichte von 1806 nach seinem Sinne Nachzuzeichnen. Und sein Sinn ist heroisch und romantisch. Er sieht als treibende Energien dieser Geschichte einen pechschwarzen, ländergierigen Napoleon und in Preußen dessen Anhänger, die richtigen Theaterschuften gleichen. Darum werden Napoleons Feinde desto blendender, vor allem Prinz Louis Ferdi- nond, der bei Saalfcld sein Leben ließ. Dieser Prinz wird vom Dichter wirklich verklärt. Sie Sonne der Jugend, die ihm Unruh schenkt, gelangt auch zu dem Theaterpart. Weniger mag man schon die musische Herrlichkeit des Prinzen glauben, der sein kleines Liebesschicksal erlebt, der die Künstler an das Herz drückt, der bei- nahe die bei Friedrich Wilhelm erbärmlich aufgehobene Krone an sich gerissen hätte, und dann stirbt, ehe er sich noch von dem Königs- träum erholte. Es spricht für Unruh, daß er am stärksten wirkt, wo er die Archive der Geschichte am kühnsten fortwirft. Durch ganze Bilder, die er getreu malen möchte, hindert ihn die geschichtliche Ge- wissenhaftigkeit. Da ist er niemals Kleist, da kleistert er nur die kleinen Puppenbilder. Sobald er sich aber befreit und den Prinzen zur legendären Gestalt erhebt, verwandelt sich die Mühseligkeit in Begeisterung, die auf Flügeln schwingt. Lächelt man einige Stun- den lang, schwendet man sich in den Schlußakten gern zu dem Tra- aiker Unruh. Sem ZlLelev erstand, sein Preußenverstand, sein Ge- schioft-�arizont sind enger und trüber als' feine Dichterkraft. Etwas blindlings Siegreiches waltet eben in seiner Poesie.
aufgcstellken programmpunkte als Grundlage für die Fdedens- verhandiungen dienen. Im Anschluß hieran schlägt die deutsche Regierung den Ab- schluß eines Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft vor und ersucht den Präsidenten der Bereinigten Staaten von Amerika , den Waffenstillstand, um weiteres Blut- vergießen zu vermeiden, schon je tz t herbeizuführen." General Ludendorfi erklärt wetter: Die Oberste Heeres- lcitung fetzt voraus, daß es sich nur um die bekannten 14 plus 4 programmpunkte Wilsons handelt. Dieses Telephonat ist in dem amtlichen deutschen Weißbuch über die Vorgeschichte des Waffenstillstandez unter Nr. 30 veröffentlicht. Es ergibt mit unumstößlicher Klarheit, daß Lude ndorff und die Oberste Heeresleitung die- jcnigen waren, die die Verhandlungen auf der Grundlage der 14 Punkte Wilsons aufbauen wollten. Nicht der dumme deutsche Michel hat an die 14 Punkte Wilsons geglaubt, sondern der sicher nicht pazifistisch orientierte General Ludendorff !
Der zweite Thüringer Lanötag. Aus Thüringen wird uns geschrieben: Der zweite Thüringer Landtag ist am Freitag, nachdem er sieben öffentliche Plenarsttzun- gen abgehatten hat, vom Präsidenten oertagt worden. Das neue Ministerium ist nun vollständig, nachdem der unabhängige Bezirks- schulrat Greil- Gera zum Minister für Volksbildung bestellt war» oen ist und der Wirtschaftsminister, Genosse Fröhlich, die Prä» sidialgeschäfte übernommen hat. An Arbeit fehlt es dem neuen Landtag nicht, da bei der Auflösung des ersten Landtages am 30. Juli eine große Anzahl von Gesetzen unfertig liegen ge- blieben sind, darunter Gesetze über Schulfragen, die Ausübung des Begnadigungsrechtes, Behebung des Wohnungsmangels u. a. m. Außer der Aufarbeitung dieser Gesetze hat der Thüringer Landtag wichtige Neuaufgaben zu erledigen. Das am 29. Juli vom alten Landtag abgelehnte Grund st euergesetz muß wegen der Sicherstellung der Finanzen bald wieder einge- bracht werden. Ferner muß in nächster Zeit die neue Kreis- e i n t e i l u n g vom Landtag verabschiedet werden, da die von den ehemaligen Thüringer Kleinstaatm übernommene Einteilung in einige 20 Kreise und Verwaltungsbezirke einer bedeutenden Ver- einfachung und Vereinheitlichung bedarf. Sodann muß eine neue Stadt- und Landgemeindeordnung geschaffen wer- dm. Die sozialistische Regierung wird trotz aller Sabotage der Reaktion diese Aufgaben erledigen. In der. verflossenen kurzen Tagung wurden übrigens 4 Ii! Millionen Mark für Sozialrentner und 1% Millionen Mark für kleine Kapitalrentner als einmalige Unterstützung bewilligt. Eine weitere Million bewilligte der Landtag für die Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten. Damit hat der Landtag gezeigt, daß feine sozialistische Mehrheit in s o z i a- lem Geist zu arbeiten gewillt ist.
Nur Kompetenzkonflikte wegen üer Staütverorünetenwahlen. Eine Berliner Korrespondenz verbreitet von zuständiger Seite folgende Mitteilung: Der Verfassungsausschuß des Staatsrats hat nicht beschlossen, daß die Berliner Stadtverordnetenwahlen und die Beschlüsse der provisorischen Stadtverordnetenversammlung ungültig seien, weil die Notverordnung nicht dem Staatsrat, sondern nur dem ständigen Ausschuffe des Landtags vorgelegt sei. Der Ausschuh hat nur die Frage allgemein erörtert, ob derartige Notoerordnungen Vorlagen nach Artikel 40 der Verfaffung sind, die- der Staatsrat zu begutachten habe, oder ob die Auffassung der Regierung richtig sei, daß Notverordnungen nach Artikel Sö nur dem ständigen Land- tagsausschusse unter Umgehung des Staatsrats vorzulegen sind. Die Notoerordnung über die Erhöhung der Beamtengehälter ist dem Staatsrate auch nicht vorgelegt worden. Der Staatsrat will die Güügkeit der Verordnungen nicht aberkennen, sondern nur den Kompetenzkonflikt durch den Staatsgerichtshof, der übrigens noch gar nicht besteht, schlichten lassen.
Der Präsident der belgischen Lammer, der Sozialist Brunei , hat sich mit den aus der Regierung ausgettetenen sozialistischen Mi- nistern solidarisch erklärt und ist zurückgetreten.
Deswegen werde er gelobt und gehalten. Bielleicht erlosch diese große Flamme in ihm schon heute, da dies Iugendwerk ver- spätet auf das Deutsche Theater kommt. Dieses Theater hat selten mit dem hitzigen Tempo des großen Talentes Schritt gehalten. Es nutzte dagegen gern Nebenerfolge aus, nachdem ein Dichter schon entdeckt oder sogar schon müde geworden war. Gustav Härtung, in Darmstadt Intendant, führte die Gast- regie. Er hatte zunächst nur ein Bühnenmosaik herzurichten. Er tat es aber mit einer das Malerische vorzüglich treffenden Zucht. Er baute mit Treppen, Geländern und flitzenden Pagen ein famoses Königsvorzimmer. Er ließ, wahrscheinlich, well der enge Raum in Darmstadt es so gebietet, Stufenwege ins Orchester hineinbauen. Diese Erweiterung der Bühne bringt aber stets mehr Hemmung als Bewegung. Man erstaunt, wie man schon bei Härtung? Kean- regie erstaunte, über die Empfindungslosigkeit des einbildungs- reichen Regiffeurs gegen falsche Töne. Ein Spielleiter von einiger Feinhörigkeit hätte niemals das ständig gezierter werdende Miaulen der Frau Thimig geduldet, die als Prinzengeliebte durch Back- fischgetue sündigte. Früher war Frau Thimig die erfreulichste Zwischenstufe zwischen der Heroine und der Naiven. Jetzt redet gar kein Herz mehr, Routine redet nur noch. Der Regisseur hätte es ruhig wagen dstrfen, Herrn Paul Hartmann am Anfang des Stückes zu dämpfen, obwohl er für die Rolle des Louis Ferdinand der prächtigste Künstter ist. Die straffe Schönheit seiner Gestalt, die männliche Wärme seiner Stimme, all dieses Rhythmische, all dieses Helle gibt ihm unvergleichlichen Reiz. Nur liebt er es, vom ersten Worte an gleich eine Donnerbrust zu entladen, und dann bleibt die Erschlaffung nicht aus. Äax Hochdorf.
Der graue Wann in Holland . Lady Norah Bentinck gibt in ihrem Buche:„Der Kaiser im Exil" ein Kapitel„Wie der Kaiser aussieht", das durch die bürgerliche Presse wandert. In diesem Absatz erzählt die Engländerin, wie der Exkaiser an der Hochzeit der Tochter seines Gastfreundcs mit seinem Adjutanten o. Ilsemann teilnimmt. Er war ganz in Grau gekleidet, preußische Feldmarschallsuniform: die Brust mit Orden zu behängen hatte er nicht vergessen. Grau war das Haar, grau Schnurrbart und Bart, grau waren die Augen, grau selbst seine. Gesichtsfarbe. Stille ward auf dem Hochzeitsfeste, als der graue Mann einttat, Sekunden totenhaftcr Grabcsstille, die die Nerven der Hochzeitsgäste zitternd spannte. Ob sie wohl die furchtbare Sprache dieser Stille verstanden, die Gäste? Ob sie sich der düsteren Tragik dieses grauen Schattens bs- wüßt waren, der„steif aufgereckt" unter sie trat? Der graue Mann selbst hat sicher nicht gewußt, was er tat, als er zum ersten Male feit seiner Flucht die graue Uniform anzog. Er hat sicher nicht geahnt, daß er unter den Gästen stand wie die graue Schuld, das er wirkte wie das entsetzlichste Gespenst: das graue Gespenst des Krieges. Des Weltkrieges, der sein rotes Mal dreimal hinter den Namen: Wilhelm der Zweite geschrieben hat,
Hilöung ewss 5mksb!oiks in Zrankreich? Paris . 19. Oktober. (Dsna.) Unter der Bezeichnung„Liga der Republik" hat sich eine neue Partei linksgerichteter Repu- blikaner gebildet, die unter Führung der Abgeordneten Herriot , P a i n l e v e und D e b i e r r e steht. Von bekannten Parlamcn- rariern sind der neuen Partei bisher beigetreten die Abgeordneten Benazet, Buisson, Doumergue , Hennessy , Au- b r i o t, Brunei u. a. m. Ferner haben ihren Beitritt erklärt die Generale Verraux und Sarrail, die Professoren A u! a r d, Barel, Gabriel Söailles und Charles Richet . Das Par- teiprogramm, das zwar offiziell noch nicht veröffentlicht worden ist, umfaßt die Herabsetzung der militärischen Lasten, die Verringerung der öffentlichen Ausgaben, gerechte Verteilung der Steuerlasten, die Organisierung des Industrie- und Handelskredits, die Schaffung eines Wirtschaftsrats, die Schaffung von Handwerkskammern, Einführung der Selbstverwaltung für die Kommunen, Einführung der Liften- wähl für die Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften und das Frauenstimmrecht bei den Gcmeindewahlen. Im großen und ganzen kann man es als Ziel der neuen Partei bezeichnen, die Wiederhsr- stellung eines geschlossenen Linksblocks gegenüber dem nationalen Block zu ermöglichen. « Seitdem die allgemeinen Wahlen vom 16. November 1916 eine erdrückende Mehrheit für die Reaktion ergeben haben, sind in dem damals sehr geschwächten linksrepublikanischen Lager Besttebungen im Gange, um dem immer mehr in Miß- kredit geratenen nationalen Block einen Linksblock entgegen- zusetzen. Die hier gemeldete Gründung ist zweifellos von gro- tzer Wichtigkeit für die innerpolitische Entwicklung Frankreichs in der nächsten Zukunft. Ein Umschwung im Sinne der. Rück- kehr zur alten, jahrzehntelang von der alten radikalsozialisii- schen Partei verkörperten linksrepublikanischen Tradition ist seit vielen Monaten in Frankreich unverkennbar. Ja, es hat sogar den Anschein, als ob B r i a n d diesen Vestrebun- gen nicht feindlich gegenüberstehe und als ob er einen Teil des nationalen Blocks nach links hinüberziehen möchte. Gelingt ibm das, dann ist die neue Partei die Partei der Zukunft in Frankreich — bei der zum großen Teil selbstverschuldeten Schwäche der Sozialisten kann man dies leider einstweilen nicht van letzteren sagen— und das wäre in der Tat der gegenwärtig einzig denkbare Ausweg aus der Sackgasse, in die Frankreich und damit ganz Europa durch die Väter des „Nationalen Blocks", Clemenceau und Millerand, gebracht worden ist. Bemerkenswert ist für uns die Tatfache, daß auch die Führer der„D i s s i d e n t e n", Aubriot und Brunei , zu den Gründern dieser neuen bürgerlichen Partei zählen. Damit dürfte ihr Ausscheiden aus der Zweiten Internationale wohl automatisch erfolgen, in der sie nur sozusagen— aus versehen aufgenommen wurden und für die sie eine ganz überflüssige moralische Belastung bildeten. Damit würde auch ein nicht unwesentliches Hindernis für den Wiederaufbau einer einzigen sozialistischen Internationale fortfallen. Viel hängt nun für den Erfolg dieser neuen Bestrebungen, die zweifellos von den besten Köpfen des bürgerlich-fortschrn.- lichen Republikanismus getrageff werden, von dem Verhalten der französischen Sozialisten ab. Wir fühlen uns nicht be- fugt— im Gegensatz zu ihnen—, ihnen Ratschläge für ihre Haltung in innerpolitischen Fragen zu erteilen. Rein rese- rierend wollen wir aber unsere tteberzeugung zum Ausdruck bringen, daß der Nationale Block einst nur zustande kommen und seine unerhörten Erfolge nur erzielen konnte, weil ihm die damals geeinigte sozialistische Partei unter extremisttjchcr Führung durch ihre sinnlosen bolschewistischen Wahlparolen dazu verhalf. Jetzt haben sich die Sozialisten von den Kom- munisten getrennt, aber die Gefahr einer Wiederholung dieses katastrophalen Fehlers besteht noch immer._ Ohne_ ihren Klaff enkampfcharakter zu verlieren, kann aber die sozialistische Partei sehr wohl gegenüber der neuen Partei Herriots und Painlev6s die Haltung einnehmen, die einst I a u r d s gegen- über den Radikal-Sozialisten empfahl, als es galt, die mili- taristische Reaktion niederzuschlagen.__
mag er den Krieg gewollt oder nicht gewollt haben. Ewig wird die Gestalt des grauen Mannes in Holland vor schreckerstarrten Men- schenaugen stehen, ewig, bis es keine Menschen mehr gibt, kein- Menschen, die fluchend, stöhnend, leidend der Millionen gedenken, deren Gebeine zerrissen in der Erde modern. A. J. Das Sowjek-puchgewerbe. Die Sowjet-Rezierung tut sich viel auf ihre Verdienste in geistiger und künstlerischer Beziehung zugute: aber auch in dieser Hinsicht hat sie ttbtz aller Anstrengungen keine gesunde Organisation aufbauen können. Das beweist der Bericht über das russische Buchgewerbe, der in der„Deutschen Verleger- Zeitung" wiedergegeben wird. Vor dem Kriege gab es in ganz Rußland insgesamt über 1000 Druckereien. In der ganzen Industrie waren 80 000 Setzer, Drucker und Hilfsarbeiter tätig. Jetzt ist dos graphische Gewerbe sehr zurückgegangen. Rußland beschäftigt ein- schließlich der Grenzgebiete in diesem Gewerbe nur noch 39 092 Ar- beiter, darunter 13 209 Setzer. Die Gesamtzahl der vorhandenen Rotattonsmaschinen betrug Ende 1920 168, wovon 78 nicht funk- tionierten. Der Bestand an Flachpressen beträgt 3414, von denen nur 2221 funktionieren. Infolge der großen Aufgaben, die man der Boltsausbildung in Rußland gestellt hat, und bei der stark anwachsenden Verbreitung der Elementarbildung ist die Nachfrage nach Büchern außcrordent- lich gestiegen. Der Volkswirtschaftsrat sucht daher das graphische Gewerbe sowie die Papierindustrie wieder aufzurichten und hat neue Maschinen im Ausland bestellt, will große Papiermengen im Aus- land kaufen und hat in jüngster Zeit die Erlaubnis zur Gründung von Druckereien erteill. Vorläufig aber muß die Sowjet-Regierung zu Bücherbestellungen im Ausland ihre Zuflucht nehmen, und es sind große Aufträge an deutsche Druckereien vergeben worden. 43 Lehr- und populärwissenschaftliche Werke werden bereits in beut- schen Druckereien gedruckt. Im Ganzen beläuft sich der Betrag für Druckereibestellungen in Deutschland bis jetzt auf 9 246 606 M. Das Landeslheater auf dem Jahrmarkt. In den Anfängen der deutschen Bühne erschienen die Komödianten auf Messen und Märkten, um dort ihr leichtes Schaugerüst aufzuschlagen und die neuesten „ergetzlichen Komödien und kläglichen Tragödien" vorzuführen. Dies uralte Vorbild Hot nun das Oldenburger Landestheater, wie Lindemann in„Niedersachsen " berichtet, wieder aufgenommen. Mit einer Theaterbude erschien es auf dem Krämermarkte und führte „altdeutsche Volksspiele, Stücke von Hans Sachs u. a. auf. Das Landestheater machte damit dem Schund und Schmutz auf den Jahr- markten erfolgreiche Konkurrenz. Der Film in Japan . Interessante Mitteilungen über das Film- wesen in Japan enthält das letzte Heft der Zeiffchrist„Lichtbild- Bühne". Selbst in dem fernen Inselreich gibt es 10 Filmfabriken, die zum Teil mit mehreren Millionen Pen Kapital arbeiten. Dis Frauenrollen in den Filmen werdett meistens von Männern gespielt. Kinos gab es im Jahre 1913 362, die stündig, und 12S, die nur zeitweise spielten. Das größte Theater hat 2000 Plätze. Alle Filme müssen vor ihrer Aufführung eine scharfe Zensur passieren, die aller- dings neuerlich etwas gelockert worden ist. Personen unter IS Jahren dürfen nur besonders hierfür genehmigte Filme ansehen, i