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flc.$17 Z8. Jahrgang

dt0 �OPtJJörtÖ Sonnabenö, Zl.dezemSer 1921

Die Reichspoft im neuen �ahr. Eine ganze Anzahl neuer Vorschriften und Bestimmungen wer. den von morgen ab im Betrieb der Reichzpost zur Durchführung gelangen. Der bisherige Weltpcsttarif, der schon vor dem Kriege aufgestellt worden ist, isr durch eine Reihe neuer Verträge erneuert worden, die eine Reihe geändertes Vorschriften über den Aus- landsverkehr enthalten. Im innerdeutschm Verkehr der Rcichspost find ebenso wie vor einiger Zeit im Fernsprech- und Telegraphenverkehr durch die neue Fernsprechordnung einheitliche Bestimmungen für den gesamten Postverkehr durch den Erlaß einer neuen Postordnung getroffen worden. Di 2/ neue Postordnung tritt gleichzeitig mit der Neuregelung der Gebühren für Postsendungen aller Art sowie Tele- gramme und den neuen Fernsprechgebühren In Kraft. Ebenso werden sämtliche Nebengebühren erheblich erhöht. Von den Postsendungen sind vom Freimachungszwang nur noch ausgenommen Briese, Postkarten und Postanweisun- gen, während Pcstaufträae, Wertbriefe, Nachnahmesendungen und Pakete freigemacht werden müssen. Im Auslandsverkchr sind die Umrechnungsverhältnisse neu festgesetzt worden. Der Kurs für den Franken beträgt 8 M., so daß der 20 Gramm schwere Brief ins Aus- land 4 M., die Postkarte 2,40 M., Drucksachen, Geschästspapiere, Warenproben je 50 Gramm 80 Pf. betragen. Nach der Tschecho- slowakei und nach UnganT�sten im Briefverkehr folgende er- mäßigle Sätze: Briefe bis 20-4ramm 3 M., jede weiteren 20 Gramm 2 M. und die Postkarte 1"Z. Briese und Kästchen mit Wert- angab« kosten in Zukunft m.ch-(i beiden genannten Ländern min- bestens 8 M., für je 50 Gramm V30 M.: hinzu tritt noch eine Ein- fchrcibegebühr von 2 M., während die Versicherungsgebühren un- verändert bleiben. Weiterhin bringt der 1. Januar die Erhöhung der Tele- grammgebühren auf 1 M. je Wort im gewöhnlichen Tele- grammverkehr und das Wort für dringende Telegramme 3 M. bei einer Telegrommlänge von mindestens 10 Worten. Neu eingeführt wird dabei eine Gebühr für die Zustellung von Telegrammen trotz ungenügender Anschrift, die M. je Telegramm beträgt. Die Neu- ordnung für die R 0 h r p 0 st s e n d u n g en bringt auf 4,50 bzw. 6,50 M. erhöhte Gebührensätze sowie ebenfalls den Frcimachunzs- zwang oder bei ungenügender Frankierung verdoppelte Gebühren für den Fehlbetrag, mindestens aber 50 Pf.

Das feste Haus an üer Noröbahn. Ter Weg zu de» lebendig Toten.

/Oberleutnant" hromatka. Enklarvung eines Enkentefpions in der Reichstvehr. Aufsehenerregende Enthüllungen über das Vorhandensein eines tschechoslowakischen Spionagesystems in der deutschen Reichswehr erbrachte eine Verhandlung, welche gestern die Strafkammer des Landgerichts III beschäftigte. Wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Vorgefetzten und Be» leidigung war der Grenadier Otto B a u m am 5. April 1919 von dem damals noch existierenden Gericht der Reserve-Brigade III-Berlin unter Zugrundelegung folgenden Sachoerhalts zu 3 Jahren Ge- f ä n g n i s verurtellt worden. Der Angeklagte, welcher s. Z. auf dem Truppenübungsplatz Zossen Dienst tat, wollte eines Abends den von dem Bahnhof dorthin fährenden Omnibus benutzen und fand diesen schon besetzt. Er sprang noch auf das Trittbrett und zu gleicher Zeit erschien auch der Ober- leutnant h r 0 m a t k a eines Rcichswchrregiments auf dem Tritt- brett und verlangte, daß B. seinen zuerst eingenommenen Platz räumen sollte. Der Angeklagte weigerte sich und die Folge war ein chmidgemenge, bei welchem dem Oberleutnant H., als er das Seiten- gcwehr zog, dieses entrissen wurde. Baum soll dabei gerufen haben: .Schlagt den Hund tot!" Außerdem soll-B. auf den Offizier ein- geschlagen haben. Da der damalige Gerichtsherr, der General v. Oven, das Urteil bestätigte, mußte B. die Strafe von drei Jahren Gefängnis antreten und hatte hiervon schon 21 Monate verbüßt, als es Rechtsanwalt Dr. Kurt Rosenfeld gelang, mit sehr intepessanten Ausklärungen ein Wieder- ausnahmeoersahren durchzusetzen.

Bestimmte Straßenbahnen und die Abteile gewisser Vorortzüge zeigen zweimal in der Woche ein seltsames Gesicht. Man kennt sich ! und begrüßt sich, als ob ein Verein einen Alisfh'g macht. Nicht doch... so lustig ist es nicht. Man kennt sich nur vom Ansehen, nur aus vielleicht schon jahrelanger gleicher Gewohnheit der traurigen Fahrt nach Wittenau zu den Halbtoten. Man hat Menschen kennen gelernt, die man als Vollmenschen kannte, und man erzählt sich zu gegenseitigem Trost vom Trauerspiel des Lebens, von der größten menschlichen Tragödie, die nach Hunderttausenden greift, und vom ewigen Hoffen auf bessere künftige Tage... während der ! ganzen langen Fahrt. Auch die Schaffner kennen ihr Ausnahme- Publikum. Viele Gesichter, in düsteren Gram getaucht, blieben ihnen treu... jahraus, jahrein..., viele neue allwöchentlich, bang und scheu, kommen hinzu. Tie Kollegen, die zu den mächtigen Leichen- feldern der Großstadt die Scharen der Leidtragenden fahren, wissen es ganz genau: Das Spiel ist aus. Sie hier fahren die still Trauern- den zu den Toten, die leben, und keiner weiß, wann dos j große Glück des Todes sich gütig senkt über den geistigen Tod des körperlichen Lebens. Erlauschte Schicksale. Die Halbtoten wollen in das pochende Leben zurück. Aus viel tausend qualvollen Herzen gellt von fernher der gleiche Schrei. Nein, ich nehme ihn noch nicht wieder heraus, noch lange nicht," sagt laut mit energisch zusammengezogenen Brauen eine Frau in mittleren Jahren. Eng drücken sich zwei halbflügge Kinder und ein schwächliches Jüngstes an sie, alle drei mit den sichtbaren Zeichen von des Vaters Elend..Hab' ich mich dazu verheiratet, um ewig ge- schlagen zu werden und zu hungern? Fünfmal ließ ich mich bereden und holte ihn wieder zu mir..., immer wieder oing bald das Trinken los. Schwer fällt's mir ja, mit den drei Würmern mich durchzuwinden, aber nie Hab' ich so ruhig gelebt, wie heute." Ja, ja, Sie haben es gut," meldet üch eine andere,er trinkt doch nur und ist nicht das, was man verrückt nennt. Sehen Sie sich mal meinen einzigen Jungen an! Zehn Jahre fast ist er in der Anstalt. Da will einem das Herz oft aus dem Leibe springen. Zehn Jahre liegt er fast ununterbrochen im Bett. Und keine drei Worte spricht er. wenn ich auch noch so lieb mit ihm rede. Die Aerzte sagen, es könne alles noch gut werden. Die trösten immer und können auch nicht ins Gehirn sehen. Und wenn es zwanzig Jahre werden..., ich muß ihn sehen in jeder Woche."« Die Li'ft wird schwül von Menschenschicksalen. Auch die Schweig- samen, Jnsichgekehrten werden langsam redselig. Ein Trost schon ist es, zu wissen, der da hat noch größeres Leid als du! Und Hoff- nung keimt leise auf. wenn der grauhaarige Mann da drüben er- zählt:Meine Frau hätten Sie vor einem Jahre sehen sollen. Alles schlug sie in der Tobsucht kurz und klein. Heute ist sie aus dem Dicksten heraus. Wie ein Kind freut sie sich auf baldige Heimkehr." Dis beiden elegant gekleideten Pärchen in den Ecken des Wagens, mit großen Paketen beladen.... gehören die auch zu den alten Be- kannten des Schaffners? Man hört nur Bruchstücke der vorsichtig gedämpften Unterhaltung»Acht Jahre Z? Quatsch! Bloß sechse sind et. Natürlich is er rn de Burch... Du, det mach' Dir man ab, Mieze, von wejen Ausbrechen..., wat die hier erst mal haben, det halten se fest mit Zangen. Ob a wirklich oerrückt is? Natierlich

Is a verrückt. Weil a sich hat kriejen lassen. Aber wenn a raus- kommt, hat a n Jagdschein. Drinnen. Ungehindert ergießt sich der Strom der Besucher durch das präch- tige, massive Verwaltungsgebäude nach den einzelnen Stationen. Die meisten wissen schon Bescheid, nur wenige Neulinge fragen sich zu- recht. Von überallher starren eiserne Fensteraitter, lugen hinter ihnen forschende Gesichter. Werde auch ich heute Besuch erhalten? Werde ich wieder vergessen? Vor den fest verschlossenen, dickglasigen, draht- bezogenen Stationstüren wird gemustert. Einer, der neulich Schnaps einschmuggelte, wird zurückgewiesen. Verschiedene andere müssen sich legitimieren. Lebensmittel-Liebesgaben, früher kontrolliert und oft beanstandet, sieht man heute recht gern. Da kann den Kronken. die Hunger haben wie wir Gesunden, ein wenig Auspäppelung von draußen her nichts schaden. Nur für die Schwerkranken und Bett- läqcrigen ist in berechtigter ärztlicher Fürsorge eine gewisse Kontrolle nötig. Man wird zu den Kranken an die Betten oder die Kranken wer- den in den Besuchssaal geführt. Der wechselt in seiner Ausstattung je nach dem Charakter der Stationen. Hier ist es ein lichter Raum mit Stühlen und Tischen. Blumen und Wandschmuck, dort nur ein kahles, düster stimmendes Viereck mit wuchtigen, eingemauerten Rundbänken. Man kann nie wissen..., solche Kranke sind unbe- rechenbar. Drei, vier Pfleger oder Pflegerinnen halten scharfe Wacht. Selten aberpassiert etwas". Der Schlag des Herzens hat hier eine kurze Spanne Zeit das Rumoren im Verstände übertönt. Reichlich fließen Tränen, besonders auf den Frauenstationen. Auch starke, hier ach so schwache Männer weinen. Und immer wieder klingt flehentlich der Ausschrei:Laßt mich nicht verzweifeln.. nehmt mich mit!" Anders geht's zu im festen Haule. Die achtzig, hundert schweren Jungen, die dort auf lange Jahre hinaus kaltgestellt sind, verdienen auch am Besuchstag besondere Aufmerksamkeit. Kassiber, Feilen und Laubsägen können maßloses Unheil anrichten. Jeder Kuchen, jede Wurst wird scharfäugig untersucht. Aber eins haben sie vor den andxren voraus, diese Kranken... Die Zunft hält mit Korpsgeist auch für sie zusammen. Kaum einer bleibt vergessen und verschollen. Und wenn auch dieBrillonten-Anna" schon aus Geschäftsgründen sich längst mit demkessen 2llex" assoziiert hat... für denPo- maden-Karl", der nun im Jrrenbaus-KIttchen wohl zelm Jahre seines Lebens vertrauern muß, hat sie immer noch etwas übrig. wieöer üraußen. Frische Luft... Licht... Freiheit! Der unheimliche Druck löst sich von der Menschenbrust. Scheu fliegt der Blick noch einmal hinauf zu den vergitterten Fenstern, zu denen, die den Geist ver- loren, zu den Halbtoten. In ihr Nichts, das vom Leben nur die Ge- fangenschaft kennt, sinken sie zurück. Wie lange? Wieviele Jahre noch? Wann wird der kranke Geist wieder fähig sein, den Stürmen des grausamen Lebens zu trotzen? Sonderbar... eins begehrten sie alle... die Freiheit! Auch die Kränkesten, hilflos wie Säug- ling«. Keinem kommt der Gedanke, mit Recht in ein solches Haus 'zu gehören. Alle lind sie, vor ihren eigenen Augen, gesund/ Und die anderen, die nach einer qualvollen Stund« der Menschenliebe wieder draußen wandeln im Licht, geloben es sich von neuem: Frei wollen wir sein und bleiben..., frei an Körper und frei an Geist!

Der Verteidiger hatte in Erfahrung gebracht, daß der Ober- leutnant Hromatka einem Unteroffizier des Korps Löschbrand gegen- über Betrüaereien verübt habe. Er stellte daraufhin weitere Er- mittlungen über die Person des Oberleittnants an und machte dabei recht sonderbare Entdeckungen. Es ergab sich, daß der preußische Oberleutnant in Wirklichkeit ein österreichischer Landsturmmann böhmischer Abkunft war und sich mit Hilfe falscher Papiere den Eintritt in die deutsche Reichswehr er- schlichen hatte, um hier Spionagedienste zu leisten, und zwar, wie man annimmt, im Auftrage der französischen Regierung, um an- gebliche Uebertretungen des Versailler Vertrages festzustellen. Vor

Gericht stellte Rechtsanwatt Dr. Rosenfeld durch Befragen fest, daß Hromatka augenblicklich eine ihm wegen Spionage und anderer Ver- gehen zudiktierte Gefängnisstrafe von 2 Jahren verbüßt. Das erste Urteil gegen Baum wurde s. Z. im Wege des Wieder- aufnahmeverfahrens oufqchoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Landgericht verwiesen, da inzwischen die Militärgerichtsbarkeit aufgehoben worden war. Die Strafkammer verurteilte B. jetzt, nachdem das erschwerende Moment des Angriffs auf einen Vorgesetzten in Wegfall gekommen war, wegen einfacher Körperverletzung und Beleidigung zu 4 Monaten Gefäng- n i s, welche Strafe als verbüßt angesehen wurde.

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Das Dödeli. von Jakob vostharl. (Schluß.)

Kam über den Schuster die durstige Zeit und rutschte er ganze Tage auf der Wirtsbank herum, so ging sie ohne Um- tände zu anderen Leuten und half bei der Arbeit aus, wofür ie manchmal ein paar Rappen erhielt, manchmal auch nichts. Was sie verdiente, lieferte sie getreulich und stolz dem Manne ab, und war glücklich, wenn er es ohne böse Worte hinnahm und mit zufriedenem Gesicht von ihr weg in denFreihof" trug. Nach anderthalb Jahren kam sie nieder, ohne 5)ilfe, ohne nach einem Menschen zu schreien. Schuppli war im Wirts- Haus: er hatte das Ereignis feit Tagen in übler Laune er- wartet. Als er angeheitert heinikehrte und den Segen in der Wiege entdeckte, stellte er sich schwankend davor auf, sah eine lange Weile mit seinen feuchten Augen nach dem armen, kleinen Wesen, pfiff etwas Mißtöniges vor sich hin und machte sich dann im Schrank zu schaffen. Das Trötteli merkte nichts da- von: es war vor Ermattung fest eingeschlafen. Als es er- wachte, war der Mann fort, und mit ihm das Felleisen, das an der Wand gehangen hatte. Draußen strich ein klarer Sommerwind übers Land: ihm war der Schuster gefolgt. Man sah ihn nie mehr in der Gegend. Das Trötteli weinte ihm ein paar Tage lang nach. Dann fand es Trost in dem Kind, mit dem es nun spielte, wie kleine Mädchen mit ihren Puppen. Es machte ihm aus Fetzen Kleider, die unordentlich genug gerieten. Es packte das Würm­chen unermüdlich ein und aus. tonnte sich"nicht genug tun und sich nicht satt daran sehen. Gewöhnlich war eine Katze in der Nähe, die ein Junges hatte und es ebenso unermüdlich schleckte, wie Dödeli ihr Kleines küßte. Die Leute standen manchmal vor der Ratsche still und sahen kopfschüttelnd den beiden gleichen Müttern zu. Der Pfarrer versorgte die ver- lasiene Wöchnerin mit dem Nötigsten Als er ihr einmal be- deutete, sie solle nun wieder ans Arbeiten denken, die Kräfte seien ja wieder vorhanden, nahm sie gleich ihr Kind aus den einen und die beiden Katzen auf den anderen Arm, stellte sich dem Sigristen in die Stube und sagte:Ich bin wieder heim- gekommen." Der Sigrist, in dem noch immer ein Wurm nagte, wollte ihr die Türe weisen: aber seine Frau legte sich ins Mittel. und das Dödeli durfte bleiben.

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Folgenden Tages suchte der Sigrist den Präsidenten auf und legte ihm die Sache mit verhaltenem Grimm vor: Die Gemeinde habe es um ihn nicht verdient, daß er jetzt umsonst zwei Mäuler an seinen Tisch heranlasse: er erwarte, daß man ihn schadlos halte. Der Präsident begriff ihn beim ersten Wort und war sehr entgegenkommend. Er ließ gleich den Lehrer rufen und setzte mit ihm zusammen ein Schreiben auf, in dem die Ge- meinde Güttikon, Dödelis neue Heimat, aufgefordert wurde, für die im Stich Gelassene und ihr Kind ein angemessenes Kostgeld zu schickep. Güttikon regte sich auf dieses Schreiben nicht: es ging ein zweites, kürzeres, aber um so deutlicheres ab. Nun kam die Antwort: Man fei in Güttikon den Illingern nachgegangen und hinter den schmutzigen Handel gekommen: Geld schicke man keines: wenn die Dorothea Schuppli, für deren Zuwen- dung man danke, eine Unterstützung wünsche, so solle sie selber kommen. Ein paar Tage danach erhielt der Wächter Bleuler Be- fehl, die Schuhmacherin heimzuschasfen. Am frühen Morgen trat er in der Amtskappe beim Sigristen ein. Das Trötteli war ganz unvorbereitet. Der Sigrist. hatte ihm seine mageren Habseligkeiten am Abend eigenhändig und ohne Wissen seiner Frau in ein Bündel verpackt, hieß es nun das Kind auf den Arm nehmen und dem Wächter folgen. Die Arme verstand erst nicht, worum es sich handelte, und tat wie in einem Taumel alles, was man sie hieß. Aber draußen auf dem! Dorfplatz, wo die Straßen auseinandergingen und ein Weg- weiser nach vier Richtungen die Arme ausstreckte, dämmerte es in ihr auf. Sie blieb stehen, setzte sich aus den Prellstein und fing an, mit ihrem Kind zu spielen, und tat, als sei der Wächter neben ihr Lust. Die Leute blieben stehen oder traten aus den Häusern: der Wächter wurde ungeduldig und drängte: i man fing an zu witzeln: er wurde grob und faßte die Schuh- macherin heftig an. Er wollte sie fortschleppen: sie aber rief, sie müsse nochmals heimgehen, sie habe die Katzen vergessen. Er wußte nichts von ihren Katzen und stutzte Sie benützte sein Zaudern, legte rasch ihr Kind auf den Boden und um- schlang mit beiden Armen den Pfosten des Wegweisers.Ach, du Luder!" rief er.ich will dir!" Es entstand ein Raufen zwischen den beiden. Sie ichrie und wehrte sich verzweifelt: er zerrte an ihr und fluchte. Das halbe Dorf stand jetzt dabei. Die Männer polterien gegen die Widerspenstige und rieten dem Mächter zur Gewalt, während einige Weiber für das Dödeli Partei nahmen, vor allem die Sigristin, die für ihre einstige Magd ein Stück Herz haben mochte. Sie ries überlaut, das sei !

himmelschreiend, das Dödeli solle nur wieder heimkommen, sie wolle es mit dem Mann schon ausfechten. Unterdessen war der Präsident herzugeschlichen und hatte mit seinen halbüberdeckten Augen rasch die Lage überschaut. Er ging auf den Wächter zu und flüsterte ihm ins Ohr:Nimm das Kind und geh' damit deines Wegs." Der Wächter ließ das arme Geschöpf los und tat, wie ihm befohlen. Und nun bot sich den Jllingern ein seltsames Schauspiel: Das Tratest ver­folgte das Beginnen des Wächters mit angsterfüllten Augen. Es glaubte, man wolle es von seinem Kleinen trennen, und oerzog das Gesicht, wie Kinder tun, die nahe am Weinen sind. Es kämpfte mit sich, ließ mit dem rechten Arm den Wegweiser los und streckte ihn weit nach dem Kinde aus, das man ibm wegtrug, während der linke noch krampfhaft um den Pfosten lag. Es war wie ein Kampf zwischen den beiden Armen. Aber der nach dem Kinde strebende erwies sich als der stärkere: der linke lockerte sich, fiel herunter und streckte sich dann auch in der Richwng des anderen. Ja, ja, geh nur! Lauf ihm nach!" rief der Präsident der Schuhmacherin zu und wollte ihr mit einem Stoß der Hand den Anfang der Reise erleichtern, sie in Gang setzen. Sie aber, die in ihrem Leben noch nie etwas Gewalttätiges ver- sucht hatte, wandte sich wild gegen ihn und fuhr ihm mit den schwarzen Nägeln so grimmig übers Gesicht, daß ihm gleich das Blut in ein paar roten Streifen über die Backen rieselte. Dann watschelte sie, so rasch sie vermochte, ihrem Kinde nach und schrie wie eine Tiermutter nach ihrem Jungen. Alles, was ein Mutterherz im Leibe hatte, empfand Mit- leid mit ihr, und die Sigristin lieh dem allgemeinen Gefühl die Zunge:Oh, du armes Trötteli. was wird aus dir werden!" Dann blickte sie, in einem Ausbruch von Zorn die Hand auf die Schürze schlagend, den Präsidenten an und ries:Das ver- fluchte Mannsvolk!" Die Tränen rannen ihr in dicken Tropfen über die Backen. Wie sie so dastand und die Straße hinausschaute, strichen ihr Dödelis Katzen, die ihr nachgelaufen waren, um den Rock. Sie hob das Junge liebevoll auf und trug es schmeichelnd und mit freundlichem Zuspruch ins Haus zurück. Die Alte, um das Los des Kleinen besorgt, folgte ihr miauend. Aus der Landstraße ging die arme menschliche Kreattir ihrer dunkeln Bestimmung entgegen, durch groben Kies und Schmutz, in Betäubung und Sorge, ein willenloses Opfer der führenden Gewalt. Am Waldrand sgfig eine Amsel ihr schwer- wütiges Lied. Dem Kornacker entstieg eine Lerche und ent schwang sich jubelnd dem bleiernen Bannkreis der Erde. Uebe- allem stand groß und rein und gütig die Sommersonn? mühte sich, die schmutzige Heerstraße zu trocknen.