Nr. 73»ZH. Fahrgang
2. Seilage öes Vorwärts
Sonntag, S. Fanuar 7922
Wie die Zeitung auf öen weg gebracht wird. Von der Expedition in die Filiale, von der Zeitungsfrau zum Leser.
Wenn das arbeitende Berlin in tiefem Schlafe liegt, blitzen in der Zeitungsdruckerei die Glühlampen auf. Die großen Rata- tionsmafchinen mit ihrem Gewirr von Walzen werden sorg- scrm nachgesehen und für die nächtliche Arbeit hergerichtet. Wenn die letzte Seite der Zeitung in der Stereotypie als Platte für die Rotationsmaschine umgewandelt und in die Druckerei gewandert ist, beginnt nach wenigen Minuten ein ohrenbetäubender Lärm: die zahlreichen Teile der Moschinen schwingen durcheinander. Geschwind rollt das Papier durch die Walzen. Der Druck hat begonnen. Fertig gefalzt verläßt der.Vorwärts" die Maschine. Je SO der Exemplare werden selbsttätig von ihr gezählt und durch einen chebel zurück- gestoßen, von flinken Händen ergriffen und von geübten Arbeitern mit großer Schnelligkeit in große Pakete zu je lOOV Stück zusammengebunden. Schon eine halbe Stunde nach dem Beginn des Druckes find 8000 Exemplare von einer Maschine bewältigt, die in ständiger Folge in die Ex- p e d i t i o n wandern. flae dce Maschine in öie Nacht. Auch hier hat der Dienst einige Zeit vor Mitternacht begonnen. Di« für die einzelnen Filialen benötigt« Anzähl von Zeitungen wird auf Papierhüllen vermerkt, die mit der Adresse des Empfängers ver- sehen sind. Sowie das erst« Tausend angeliefert ist, werden die Zeitungen verpackt. Auch hier hat langjährige Uebung ein« dem Laien fast wie Hexerei erscheinende Schnelligkeit de» Arbeitens er- zeugt. In wenigen Stunden ist eine Riesenaufloge abgezählt, ein- gepackt und oerschnürt. Während aus dem Rotationssaal die letzten Stöße angeliefert werden, rollt schon der erste wagen auf den Hof, um die für da» Postzeilungsamt bestimmten Mengen in Empfang zn nehmen. Radfahrer mit großen Rucksäcken fliegen heran. Bald wollen die Nucksäcke schier bersten von der Last des Papiers. Schon huschen sie wieder hinaus in die dunkle, kalte Nacht und andere kommen heran. Wagen auf Wagen rollt herbei, Männer und Frauen schleppen schwere Zeitungspakete. Ein kleiner Hund bellt aufgeregt dazwischen und tut so, als ob er Herr des Ganzen wäre. Im Gegen- satz dazu stehen die Pferde ruhig und gelassen da, fresien ihren Haser und kümmern sich nicht im geringsten um das aufgeregt« Treiben der Menschen. Es läßt sie auch vollkommen kalt, wenn es in Strömen zu regnen beginnt oder Frau Holle das Bett schüttelt, so daß die weißen Flocken bedrohlich dicht herunterwirbeln. Ein plSH- stehet Schneefall stellt die ganze Nachtarbeit in Frage. Die Rad- fahret kommen mit ihren Stahlrosien nicht weiter, die Pferd« und selbst die Autos kommen nur langsam, oft auch gar nicht vorwärts. Der Abonnent schimpft. Und leider gibt e» auch solche, die es die Zeitungsfrau entgesten lassen, die in diesem Falle stundenlang und doch vergeblich in der Filiale gewartet hat. Im Zeitungswagen durch Verlin. Regen, auch wenn er reichlich fällt, ist kein Grund, den Betrieb einzustellen. Die offenen Vagen werden mit wasierdlchten Zelt- bahnen bedeckt und rollen nach ollen Richtungen durch die nächlsichen Straßen. Das Zentrum der Stadt ist noch recht gut erleuchtet. Hier und da trifft man noch auf ein verspätete, Liebespärchen, der Nachtwächter geht mit klingelndem Schlüsielbund über den Fohrdamm. dort schaukelt eine Droschke trübselig irgendwohin. Uner- müdlich rollt der Zeitungswagen fort, weiter, immer weiter. In den Außenbezirken sind die Straßen fast stockdunkel. Oft ist nur eine Seite spärlich beleuchtet. Unserem Kutscher löst sich die Zunge: »Ick wer' wobl'ne Strafanzeige kriegen." „So, warum?" „Wie ick neulich so hier in die Dunkelheit fahre, hält mir Plötz- lich ein Polizist det Ferd an. Der Wind hat die Laterne ausjepust. Er behauptet, den Arm hcchjehoben zu haben. Det is det Zeichen zum Halten. Nu frage ick Sie: kann wohl eener in die Dunkelheit wat sehen? Mein armer Hans war beinah hinjefallen. Darieber Hab ick mir so uffjeregt, det ick ja allerdings nu och nicht fein je- wesen bin. Na, da wird et nu wohl ober ibel'ne Strafanzeige setzen. Da schufst man nu Tag und Nacht, um Uhre oensen steh ick uff. um finfe nachmittags komm ick endlich in de Klappe. Wat soll man machen, Leben ist teier." Der brave Hans zieht topfer. Es geht weiter, vorwä'-'S ohne Rast. Bald ist die erste Filiale erreicht. Kaum ist das Rattern der
Räder verstummt, rollt auch schon die Jalousie des Ladens hoch. Lichtstrahlen stechen in die Dunkelheit. Schnell sind die Zeitungs- pakete abgeladen, und«he noch der Kasten des Wagens geschloffen ist, setzt sich das Pferd, das den Weg auswendig gelernt zu haben scheint, schon wieder in Bewegung. Vorwärts, vorwärts.... Kirchtürme ragen auf und tauchen wieder zurück in die Dunkelheit. Die Häuser steigen empor wie riesige Gebirgsmauern und werfen den Schall des rollenden Wagens schauenich zurück. Endlich, endlich ist auch die letzte Filiale erreicht. Dort grüßt das Licht schon aus der Ferne. Frauen und Männer warten mit Sehnsucht auf die Zeitung.„Jetzt kommen Sie erst?", schallt es dem Kutscher ent- gegen. Der sagt gor nichts. Reißt die Pakete aus dem Wagen, schnell sind sie ihm abgenommen. Die Verteilung in der Alliale. Nun beginnt in der Filiale dasselbe Treiben wie in der Haupt- expedition. Diese ist wie ein großes Sieb, das die Zeitungen in die Hauptströme leitet, jene sind wie feinmaschige Siebe/ die die Blätter bis in den letzten und entlegensten Winkel gelangen lasien. Aus dem Tisch der Filiale liegt«in großes Verzeichnis der Touren, die von den Frauen und Männern erledigt werden müsien. Die Zahl der Zeihrgen ist nicht mit Tinte, sondern mit Bleistift ein- getragen, damit Ab- und Umbestellungen schnell berichtigt werden können. Jeder Abonnent ist außerdem aus einer besonderen Karte verzeichnet. Die Tür steht nicht mehr still. Froue» und Männer kommen, sagen die Zahl der Exemplare an. empsangen sie, zählen sie noch und gehen wieder. Andere geben an, wenn die Zeitung abbestellt wird. Das ist der ständige Aerger der Filialletter. Statt vor Monatsschluß die Abbestellung zu erledigen, besinnen sich viele erst im Anfang des neuen Monats daraus und zwingen die Zei- tungssrauen zu unnötigem Treppensteigen. Die Zahl der von der Filiale benötigten vlätter unterliegt so um den Monatswechsel stän- digen Schwankungen. Hin und wieder kommt auch ein Abonnent schon in der Morgenstund«, um sein Blatt selbst abzuholen. Zu- weilen wird auch eine Zeitungsfrau krank und der Filialleiter oder seine Frau muß alsdann nach vergeblichem Warten die Zeitungen selbst austragen. Legt eine Frau die Arbeit nieder, macht es ihm unendliche Mühe,«ine andere an ihrer Stelle zu bekommen. Da- durch entstehen selbstverständlich Verzögerungen in der Zustellung des Blattes, die von allen recht unliebsam empfunden werden. vie Arbeit üer Zeitungsfrau. Endlich sind fast alle Touren bis auf eine versorgt. Nach einigem Warten erscheint eine junge Frau. Der Filialleiter guckt sie groß an. „Na, Frauchen, haben Sie verschlafen?" „Ach, wissen Sie, ich bm todmüde. Mein Mann ist krank, die Kinder sind klein und so geht es alle Tage bis in die Nacht. Ach, ich bin so müde." Der Filialleiter:„Ja, ja, da» hilft aber alles nischt, die Zei- tungen müssen raus." Die Frau nimmt Ihre Blätter in Empfang und bemerkt, daß sie versuchen wird, durch doppelt« Eile das versäumte wieder nach- zuholen. Begleiten wir sie aus ihrem Gang. Das erste Haus ist noch geschlossen. Aus dem nächsten tritt gerade ein Arbeiter her- aus, der früh aufbrechen muß. Schnell ist eine kleine Laterne an- gezündet und nun geht's„vorn" hinauf, vle Zeitung verschwindet in die Briefkästen oder wird auf die Schwelle gelegt. Bei dem einen wird geklingelt, der andere hat sich's verbeten. Dann schnell die Treppen hinunter und in» Hinterhaus und fo durch all die andern Häuser. Treppauf, treppab. Hier schnurrt ein Wecker gellend durch das Haus, dort hört man verschlafenes Gähnen:„Wo habe ich meine Handschuh gelassen— und hie Zeitung ist auch noch nicht da", tönt's aus einer anderen Wohnung. Da ist sie schon.„Na endlich", klingt es mürrisch hinter die Frau, die schon weitergelaufen ist. Zum Schluß muß die Frau noch versuchen in die Häuser zu kommen, die verschlossen waren, und die Abonnenten sind dann meist, ohne den Grund der Verzögerung zu kennen, auf die völlig unschuldigen Zettungsfrauen schlecht zu sprechen. Im ollnemeinen aber geht e» ruhig zu, und manchmal hört man beim Kassieren sogar freundliche Worte. Es gibt Frauen, die schon an zwanzig Jahre dies« entsagungs- volle Arbeit leisten, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Auch ihnen gebührt Achtung und Anerkennung: denn wenn sie versagen, ist die ganz« mühevolle Arbeit, die nötig ist, um eine Zeitung her- zustellen, nutzlos vertan.
Verbitterte Süßigkeiten. Nun sind all« Festtag« vorbei und weiter« sind zunächst nicht in Sicht. Man kann also endsich einmal sein schwer bedrücktes Herz erleichtern, ohne befürchten zu müssen, irgendeinem Gefühlvollen die Festfreude zu stören. ver erste Fall. In der Friedrichstraße , nahe der Zimmer- straße, kündigt«in Geschäft vor dem Weihnachtsfcst Konfekt, das Viertel zu S,7S M., an. Das Konfekt sieht schön lecker schokoladen» überzogen aus Ein Viertelpfund wird gekauft. Daheim ange, kommen, ergibt sich folgendes. In der Düte sind 12 Stücke ent- halten. 6 sind richtiges Konfekt, wie angekündigt, die übrigen v sind gar kein Konfekt, sondern ein« Art Paste, die mit dem Saft der bemhtigtcn Kriegslakritzen zusammengeleimt zu sein scheinen. Ein zweiter Fall. Ein Schokoladengeschäft in der Spandouer Straße bietet im Schaufenster Schokoladekeks zu 6 M. das Viertelpfund an. Es wird ein Viertelpfund getauft. Zu Hause beim Nachwiegen zeigt es sich, daß mit Düte 16 Gramm am Gewicht fehlen. Da die Düte 4 Gramm wiegt, hat man 6 M. nicht für ein Viertelpfund gleich 12S Gramm, sondern für nur 105 Gramm bezahlt. Ein Keks wiegt 10 Gramm. Folglich waren 2 Keks zu wenig in der Düte. Und da ein Keks etwa bv Pf. kostet, ist mir 1 Mark zuviel abgenommen worden. Ein dritter Fall. In einem bekannten Konfitürengeschäft in der Linkstraße steht Ananas-Marzipan aus, das Stück— es war noch im vergangenen Sommer— zu 3,50 M.„Ist es frisch?"— „Jawohl, ganz frisch." Zu Hause ergibt sich, daß das Stück Mar- zipan das schroffste Gegenteil von frisch ist. Es sollte ein Geschenk werden und nun die Blamage. Der Fall muß gerochen werden. Also wieder zur öinkstraße. Ein Schupobeamter kommt gerade des Weges:„Mein Lieber, so und so". Der Schupo zieht ein dickes Buch:„Sie müssen Ihre Anzeige im Bureau Königin- Augusts- Ecke von der Heydtstraße anbringen". Hin. Kein Bureau vorhanden. Ein Hausmeister sagt:„Bureau ist jetzt in der Tier- gartenwach«". Dahin? Ausgeschlossen. Zurück. Auf der Pols- damer Drücke wieder«in Schupo . Sagt:„Unsinn, Königin- Augustastraße! Sie müssen zur DerffliNgerstraße". Hin. Man wird angestaunt:„Unsinn. Wir sind hier Kriminalabteilung. Sie müssen. Darauf geht der Beamte hinaus, kommt nach 0% Minuten wieder und sagt:„Das geht uns überhaupt gar nichts an: Sie müssen wahrscheinlich zur Wache i» der Wilhelm- straße. Wahrscheinlich. Das sind natürlich alles kleine Dinge, dem Juristen muß es überlassen bleiben zu beurteilen, ob man es als Betrug ansehen muß. Aber wenn es auch nicht Betrug ist, so bleibt«, darum doch wohl nicht weniger verwerflich. Wenn die Konsumenten, be- sonders die Frauen, Mädchen und Kinder, es einmal fertig bekämen, vierzehn Tage long keine Konfitüren zu kaufen, es würde bald anders werden. Abnahm» See Grippe? Der Höhepunkt der Grippeepidemie, womit sich das neue Jahr «inführte, scheint jetzt überschritten. In Berlin verzeichnet man etne starke Abnahme der Erkrankungen. Während noch kürzlich das Berliner Nettungsamt täglich über 200 Schwerkrankentransporte zu verzeichnen hatte, ist die Transportziffer seit FreUag auf 120 ge- sunken. Wie aus Dresden gemeldet wird, rechnet man auch dort mit einem Abflauen der Krankheit. Di« von den Krankenhäusern ge- troffenen außerordentlichen Maßnahmen haben sich bewährt, sind jedoch nicht in»ollem Ausmaße in Anspruch genommen worden.— In Köln dagegen hat die städtische Gesrndheitspolizei dos Schul- amt ersucht, alle Kölner Schulen infolge der Grippe noch' bis zum 14. d.M. geschlossen zu halten. Zunahme der Ertrankungen in England. Die Grippe, die seit etwa 10 Tagen auch in England.ihren Einzug gehalten hat, nimmt, einer Londoner Meldung zufolge, e p i- demische Folgen an und greift mit beunruhigender Schnelllz- keii um sich. Gestern wurden in London etwa 30 Personen auf der Straße plötzlich unwohl und mußten in die Krankenhäuser eingeliefert werden. Nach der offiziellen Statislik beträgt die Zahl der Todessälle, die durch die Grippe verursacht find, 418, davon 151 allein in London . In diese Ziffern sind jedcch die Todesfälle der ersten Januarwoche noch nicht mit eingerechnet.
" Eine seltsame Nacht. Roman in vier Stunden von Lanrids Brunn. „Ja. sehen Sie— Frau Hjarmer— ich ging draußen vorbei. Da hörte ich die Violine— es war die alte Melodie — und da wußte ich, daß Sie es seien, die spielte. Da sprang ich übers Gitter, wie ich es so oft getan hatte, wenn wir als Knaben zur Zeit des alten Amtsvorstehers Aepfel stahlen." Frau Helwig stützte sich gegen den Schreibtisch und zwang ihre Augen von den seinen fort. „Wann sind Sie aus Amerika zurückgekehrt?" fragte sie. „So weit bin ich gar nicht gekommen, Frau Hjarmer. Rur bis Deutschland und England, und eine kurze Zeit war ich in Rußland ." Wie die bekannte tiefe Stimme, die sie solange nicht ge- hört hatte, ihrem Ohr und ihrem Herzen wohltat! „Weshalb haben Sie während vier langer Jahre gar nichts von sich hören lasien?" fragte sie und sah auf ihre Hände nieder. „Haben Sie das erwartet?" fragte er leise. Frau Helwig hob den Kopf, schob die Brust vor und trat an den Tisch. „Sie hätten mir doch durch diesen oder jenen ein Lebens- zeichen schicken können!" antwortete sie und füg'e konversierend hinzu:„Ich wußte ja gar nicht, ob Sie noch am Leben seien." Ihr ruhiger, beherrschter Ton tat seinem Ohr und der starken Spannung in seinem Herzen weh. Nach einem augenblicklichen Zögern folgte er ihren Schritten. „Ich hörte in der Fremde." sagte er, und seine Stimme wurde heiser, indem er versuchte, die Bitterkeit zu bezwingen, die die vierjährige Trennung in seinem Gemüt genährt hatte, und die sich jetzt durch seine Worte Bahn zu brechen drohte. .choß Sie geheiratet hätten. Nur ein halbes Jahr später!" Frau Helwig fragte mit einer hastigen Kopfbewegung zu ihm hin:. „Nun, und was welter?" „Da mußte ich annehmen, daß Sie mich vergesien hätten! sagte er rußig und offen. Frau Helwig lachte nervös: „So schnell vergesien E i e osio Ihre alten Freund«!"
Jetzt gab er den Kampf auf. „Helwig Lönseldt war meine Freundin,— nicht Frau Hjarmer." Helwig legte den Arm auf den Rücken des breiten Lehn- stuhles am Tisch. Sie beugte sich vor und fragte, ohne ihn anzuseßen: „Sind Sie mir während der ganzen vier Jahre böse ge- wesen?" Er stand so dicht hinter ihr, daß sie mit klopfendem Her- zen den Hauch seines Atems auf ihrem Nacken spürte, als er antwortete: „Nein, nicht Ihnen!" „Nun, mich dünkt, mein Mann ist doch unsch-ldig," sagte sie und zog sich vom Stuhl zurück.„Er kannte Sie ja nicht einmal dem Namen nach." „Ich war böse auf mich selbst." „Wesbalb?" fragte Frau Helwig leise und bereute es im selben Augenblick. „Darf ich es sogen?" Er beugte sich zu ihr und versuchte ihre Hand zu fassen. Frau Helwig zog ihre Hand zurück und schwieg. „Ich hätte Sie an jenem Abend nicht fragen sollen," sagte er, und seine Stimme bekam wieder den harten, fast brutalen Klang, den sie von früher nicht kannte,„ich hätte Sie ohne Worte nehmen sollen." Frau Helwig zog ißren Kopf zurück und versuchte sich mit einem kurzen, nervösen Lachen zu weßren: „Mich nebmen?— Und mit welchem Recht?" „Reckt?" sagte er höhnisch.„Das ist nicht das Wort zwischen Mann und Weib!" Es lag etwas in feinen Worten, das sie gegen ihren Willen gefangen nahm. Sie beugte sich über die Syringen, um ihre Bewegung zu verbergen. Dann sagte sie, als sie ihre Stimme wieder in der Gewalt hatte: „Uebrigens— ich weiß gar nicht mehr, daß Sie mich etwas fragten." «Oh doch— aber Sie antworteten mir, bevor meine Frage zu Worten wurde. Sie zogen sich kalt und hochmütig zurück, noch während ich enäMte, wag geichehen war. Es war die Landratstockter, im Wohlleben geboren und aufge- I wacksen, Immer mit dem Sickeren und Gewissen vor Augen |—!♦'« Augen waren es. die meine Frage beantworteten. noch bevor ich sie ausgesprochen hatte." Er hatte sich warm o-km'-'ck-«'.»nd die Krost sekn-r Wort«
überwand alle kühlen Vorbehalte in ihrem Sinn. Jetzt wandte sie sich ganz zu ihm um und sah ihn wieder mit ihren dunklen, grauen Augen an, während die feine Falte sich von der Nasenwurzel bis über die weiße Stirn zog. „Vater war gerade gestorben!" rief sie in plötzlich aus- brechender Erregung.„Ich stand ollein — ich war arm. Hätte ich mich da wegwerfen und mit Ihnen fliehen sollen, ' als—" Sie hielt inn«. Sie wollte die bittere Erinnerung nlcht in seinem Gemüt wecken. „Haben Sie unsere fröhlichen Pensionatstage vergessen, Frau Hjarmer?" fragte er. „Nun, und was weiter?" Sie warf den Kops trotzig zurück, während sie ihn unter den balbgeschlossenen Lidern hervor anblickte.—„Leichtsinn und Uebermut, was war es sonst?" Er antwortete nicht auf ihre Frage: aber indem er ver- suchte, ihr« Augen mit seinem langen, festen Blick zu zwin- gen, fuhr er fort, wie er begonnen hatte: „Und di« eine helle Nacht— haben Sie Ihrem Mann davon erzäblt?" Frau Helwig wurde verwirrt. Sie hatte solche unum- wundene und dreiste Frage nicht erwartet. Seine Sicherheit trieb ihr eine leise Röte in die Wangen; und sie antwortete unsicher und zögernd: „Ich— oh. ich wollte nicht—" Er war unbarmherzig. Sein Blick ließ sie nicht los, und er beugte seinen Kopf zu ihr: „Haben Sie ihm von der Laube mit den weißen Sy- ringen erzählt?" „Er hätte es doch nicht verstanden," sagte sie und sah zur Seite,„es würde ihm nur unnütz Schmerz bereitet haben." „Und vielleicht hätte er sich Skrupel gemacht!" Der bittere Hohn in feinen Worten gab ihr ihre Ueber- legenbeit und Selbstbeherrschung zurück. „Ja— vielleicht!" antwortete sie und sah mit einem trotzigen Lächeln auf der gekräuselten Oberlippe zu ihm auf. „Ihnen kam di« standesgemäße Verlobung gelegen," fuhr er fort, durch ihre Ruhe gereizt:„es war nötig, gewissen verleumderischen Stimmen den Mund zu stopfen, jenen Ver» schmähten im Pensionat, die nie dabei sein durften, wenn Helwig Lönfeldt und Ingenieur Hilsöe sich zusammen amü- sierten." �Fortsetzung folgt.)